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„Die Karawane des Rechts wurde positiv von den Palästinensern in den Camps und in den besetzten Gebieten aufgenommen.“
(Bericht von Günter Schenk)

Einen „durchschlagenden Erfolg“ nennt Günter Schenk, Mitglied des „Collectif Judeo-arab et citoyen pour la Paix, Strasbourg“, die Karawane für Palästina, die mit 100 Aktivisten am 5. Juli mit Autos und Bussen in Strasbourg aufgebrochen und über die Schweiz, Italien und mehrere Balkanstaaten in die Türkei gefahren war. Von dort ging es über Syrien nach Jordanien, wie die Junge Welt am 22.07.2005 meldete. Ausführliche Informationen sind gesammelt auf der Seite von Erhard Arendt unter http://erhard-arendt.de/deutsch/palestina/texte/caravane_frieden_recht.htm. Hier folgt Günter Schenks Bericht vom 03.08.2005, der Resonanz unter Networkern erfahren hat. (Text erhalten und durchgesehen am 03.08.2005, Anis)

Syrien war ein großer Höhepunkt unserer Karawane. Das begann bereits an der Grenze der Türkei, an der Bab el Hawa, wo uns Tausende von Palästinensern und Syrern stürmisch begrüßten.

In Flüchtlingslager Aleppos gab es dann Szenen, die nicht nur mir Tränen in die Augen trieben. Das ganze Lager, Kind und Kegel, waren auf den Beinen, um uns zu begrüßen. Ein Volksfest nicht gekannten Ausmaßes. Endlich, so sagte mir einer, endlich kommt Ihr zu uns, endlich sind wir nicht mehr allein...

Bei Damaskus wurden wir in einer Schule der PLO für Kriegswaisen vorzüglich und mit unermesslicher Gastfreundschaft untergebracht. – Die Schule wird von Mahmud Abbas regelmäßig besucht und der Schulleiter, ein europäisch anmutender ehemaliger Banker, nahm uns mit einer Großzügigkeit auf, die mich beschämte. Der Mann durfte kürzlich, von Abbas als Berater eingeladen, nicht nach Palästina einreisen! Was für mich am Schönsten war: durch nichts konnte ich auch nur den geringsten Unterschied in der Freude über unsere Karawane erkennen, seien es Syrer, seien es – in den großen Lagern – Palästinenser. überall die gleiche Freude, Begeisterung, Solidarität...

Einer palästinensischen Rundfunkreporterin trieb es Tränen in die Augen. Auch hier und überall die gleichen Worte, wo nicht Worte, so die sprechenden Augen: Endlich kommt Ihr zu uns!!! Nichts von falscher staatlicher Propaganda... Überall war die Übereinstimmung aller Menschen zu spüren, wenn es um Palästina ging. Das war bereits in der Türkei aufgefallen, wo Menschen spontan auf uns zukamen, um ihre Solidarität zu zeigen. Was jedoch in Syrien auffiel, war die offensichtliche übereinstimmung des offiziellen Syriens mit den Palästinensern. Syrien hatte sich von Anfang an in seinem besten Licht gezeigt: Einreisevisa, wo nicht vorher erteilt, wurden formlos an der Grenze ausgestellt, die problemlose Rückreise aus Palästina, mit unseren Fahrzeugen bereits im Vorfeld zugesichert – und eingehalten. über die Menschen im Yarmouk Camp und den anderen Flüchtlingslagern kann ich nur sagen: Selten waren mir Menschen, die ich niemals vorher gesehen hatte, so nahe, so geschwisterlich nahe. Noch heute, zuhause im "sommerlich kühlen" Elsass, denke ich mit Zärtlichkeit an meine Begegnungen.

Alte, Junge, Frauen, Männer, Kinder... sie werden mir oft fehlen in den kommenden Tagen und Wochen.... Alte, die mir mit Wehmut berichteten, wie sie vor 1948 die Not leidenden und bedürftigen jüdischen Flüchtlinge aus Europa aufnahmen, ihnen bei der Eingewöhnung halfen... um dann, wenige Wochen, Monate, Jahre später von eben jenen selbst aus den Häusern, den Dörfern, den Städten verjagt zu werden... Vor mir steht auch jene Kriegerwitwe, jetzt um die 60 (fast mein Alter), die ihren Mann im 67er Krieg verloren hatte und ihre umfangreiche Familie zu einer würdevollen Existenz brachte. Die wunderschöne Frau sprach kein Wort, ihre ruhigen Augen schauten mit Festigkeit und Stolz zu ihrer Familie, zu mir. Dann kam sie wortlos auf mich zu und heftete mir einen Pin in den Farben Palästinas ans Hemd. Ich bedankte mich wortlos. Was sie nicht sehen konnte, diese schöne „alte“ Frau: Ihre Handlung hatte mir eine Gänsehaut über den Rücken getrieben. Aus Freude und Dankbarkeit.

Dann war da die schöne 24-jährige Khissab, Musikerin – French Horn –, schön wie Arabien, die mich durch den mitternächtlichen Suq führte. Ich konnte nicht anders, nahm sie bei der Hand und nannte sie meine Schwester. Nachts dann ließ man mich nicht zu unserem Schulprojekt zurück, ich teilte auf kleinem Raum das Lager mit der Familie.... Wie groß kann Glück sein?

Dann das Erlebnis an der Allenby-Brücke, bei den israelischen Einreisebehörden... Warum israelische? Wollten wir nicht nach Palästina? Warum nicht palästinensische Einreisebehörden? Seis drum, der Davidstern „schmückte“ schon für uns von der Brücke kommend das Gebäude. So beginnt Annexion! Wo Besatzung schon schlimm genug ist...

Stunden langes Warten, sehr üble sanitäre Verhältnisse (in den armen Lagern in Damaskus hatte ich es anders erlebt), ein Sharon-Epigone, „charming“ so gut es geht, versuchte mir zu erklären, warum er uns viel lieber so empfinge wie ich es ihm für Frankfurt angeboten hatte, wenn nur, ja wenn... Sollte er jemals dorthin kommen (er war gebürtiger Deutscher)... der dumme, gehirngewaschene Soldat, kaum 20, der mir zurief: „Don't you have anything else to do than to come here?“ um mir etwas später zu sagen: „But you are a minority“, worauf ich ihm entgegnete, wie gern auch ich einerseits dies anders sehen würde, andererseits er jedoch bitte beachten solle, dass es (ich hatte mich als Deutscher zu erkennnen gegeben) zwischen 1933 und 1945 nicht auch „minorities“ gewesen seien, die sich für Juden in D. eingesetzt hätten... die Mehrheit hätte dies sicher nicht getan. Worauf er, wie von einer Tarantel gestochen, davonlief....

Als wir dann, ca. 80 in der Halle (die anderen waren zur erwarteten Abfertigung am folgenden Tag mit ihren Autos auf der Brücke geblieben, waren also gar nicht eingereist, was ihnen dann an den folgenden Tagen die Möglichkeit eröffnete, über eine andere Brücke, weiter nördlich, doch noch nach Galilea zu kommen) von unserem, vom Shin Beth veranlassten Ausweisungsbeschluss erfuhren, wurde uns bedeutet, das Verbot, „israelischen“ (sic!) Boden in den kommenden 5 Jahren nicht betreten zu dürfen. Dabei wollten wir doch gar nicht dorthin, sondern nach Palästina!!

Wir entschlossen uns spontan, von einer unserer spanischen Caravaniera, Anna-Maria, einer Menschenrechtsanwältin rücklings auf dem Boden liegend einen Artikel der Menschenrechtskonvention ausrufend, eine friedliche Sitzblockade zu bilden. Daraufhin wurde in einer blitzschnellen Aktion einem von uns von den Wachen die teure Digitalkamera aus der Hand gerissen und, soweit erkennbar, beschädigt. Dann wurde uns bedeutet, innerhalb von 10 Minuten sei eine Einheit von Soldaten bereit, uns gewaltsam aus dem Gebäude zu entfernen. Die 10 Minuten waren dann aber doch wohl etwas kürzer und eine Hundertschaft von einer Schlägertruppe griff sofort sehr brutal mit Handschlägen und Fußtritten ein. Wir wurden sprichwörtlich zusammengepresst und in die Türen eines Busses gequetscht, so wie man eine Gans mästet.... Einer unserer Jüngsten, um die 12, wurde der Arm so verdreht, dass er anschließend voller Blutergüsse war, einem von uns wurde das Hemd zerrissen, einem anderen ein Muttermal am Rücken aufgerissen, sodass er notärztlich versorgt werden musste.

Der gleiche junge Israeli, der zuvor mit mir „geredet“ hatte, stand nun, mit zwei anderen Gleichaltrigen lachend und kichern dabei. Auch mein Wort: „Was würde deine Mutter dazu sagen?“ berührten ihn keinesfalls. Ein armseliger Gehirngewaschener von Jahre langer Hasspropaganda des israelischen Staates gegenüber Palästinensern.

Unsere Reisepässe, alle einheitlich mit dem doppelten Stempel „ENTRY DENIED“, erhielten wir erst später zurück. Dieser Stempel „schmückt“ nun die weinroten Europa- Pässe mit Bundesadler, in denen 2 Seiten vorher das freundliche syrische Visum, gratis und 3 Monate lang gültig, zu finden ist. Entscheide wer will, wo der größere Friedenswille zu finden sei....

Noch während der Abschiebung lud uns der palästinensische Leiter des Bildungsprojektes für Kriegswaisen bei Damaskus ein, wir seien seine lieben Gäste, so lang wir wollten, wann er uns denn an der jordanisch-syrischen Grenze erwarten dürfe... Ich versprach ihm unsere genaue Ankunft am kommenden Tag...

Die Jordanier hatten, anders als die Syrier, ihre eigenen Probleme mit uns Abgeschobenen: Schon auf der Durchreise war uns die Fahrt nach Amman verwehrt worden. Man wollte uns offensichtlich nicht in der Hauptstadt des Wüstenstaates. Zwar wurden wir, ordentlich genug, im Militärstreifen hinter der Grenze zum Jordantal hin „untergebracht“ immerhin „gut“ bewacht, rund um die Uhr, jedoch hatten Schnüffler unter ihnen mitbekommen, dass wir vorhatten, am kommenden Tag in Amman vor der israelischen Botschaft eine Schweigedemo abzuhalten. Das war dann wohl für das jordanische Vasallenregime der Israelis zu viel... Man eskortierte uns gegen unseren Wunsch in die andere Richtung... was uns jedoch nicht davon abhalten konnte, doch noch die deutsche und die französische Botschaft zu erreichen.

Eine kleine Anmerkung: Der deutsche Botschafter in Amman gab mir kurzfristig einen Termin für unsere kleine deutsche „Delegation“ für 16:30 Uhr, weit außerhalb der Öffnungszeit an diesem Donnerstag. Eine noble Geste. Er wird seinen Bericht an das AA, den Kollegen Dressler in Tel Aviv, sowie nach Ramallah senden. Die Angelegenheit wird zudem auf die Tagesordnung der kommenden EU-Inter-Group der Botschafter in Amman gesetzt. Gleiches bei der Botschaft Frankreichs.

Der Empfang an der jordanisch-syrischen Grenze am kommenden Tag war erneut ebenso warmherzig wie zahlreich besucht. Die Medien, auch FS, waren da, ebenso unsere zuverlässigen Gewährsleute, die opferbereite palästinensische Journalistin Nemat, der hillfsbereite Abu Jussef, der verlässliche Mamoun Tello, „unser“ Schuldirektor der PLO- Bildungseinrichtung, sie alle waren uns weit über 200 Kilometer an die Grenze entgegengekommen, hatten einen Bus bereitgestellt, um den ich am Vortag am Tefefon gebeten hatte... kurz, keine Mühe war ihnen zu viel gewesen, um uns nach dem, was in der Allenby-Brücke geschehen war, gut aufzunehmen. Auch jetzt wieder von überall die Worte: nie hat für uns jemand das getan, was ihr getan habt....

Eine große Pressekonferenz mit zahlreichen Kameras und Mikrophonen gab uns am kommenden Tag Gelegenheit zu unserem Resumee. Ganz besonders erfreulich war die allzeitige Anwesenheit von Al-Jazeera, von syrischen und palästinensischen Medien, von deutschen Medien keine Spur – trotz vorheriger Ankündigung. Der BBC-Reporter, den ich bei der ersten Einreise am Bab el Hawa ausmachte, hatte sich keiner weiteren Mühe unterworfen. Verständlich, schließlich war er von Beginn an tatenlos geblieben. Gab es vielleicht eine Anweisung aus London?

Für den israelischen Staatsapparat waren wir, die Friedvollen, ohne Waffen, ja sogar ohne das kleinste „Schweizer Offiziersmesser“ im Gepäck, offenbar eine Gefahr. Freundschaft als Gefahr für einen Staat? Für die Palästinenser in den Lagern waren und wurden wir zu einem hell leuchtenden Hoffnungsschein.

Eine besondere Ehre erwiesen uns die Syrer, indem sie uns am kommenden Tag in den sonst gesperrten Golan, (gemeint ist der durch UNO-Intervention bereits nach 1967 befreite Golan) fuhren. Wir konnten sehen, wie alle strategischen Stellen und Hügel, auch weite fruchtbare Flächen weiterhin von Israel besetzt, in dessen Sprache: annektiert, blieb. Am beeindruckensten jedoch ist die Stadt Kuneitra, von Israel aus Wut über den von den UN erzwungenen Rückzug Haus für Haus, Kirche um Moschee, Krankenhaus um Schule zerstört. Kein Lebenszeichen sollte weiterhin Zeugnis ablegen von Jahrhunderte langer syrischer urbaner Existenz. Mutwillig zerstört, vermint, so ist Kuneitra ein bleibendes Symbol zionistischen Hasses auf alles Fremde...auf alles, was dem eigenen Staat entgegensteht.

Insofern: ein Erfolg für die Karawane für Palästina – Karawane des Rechts, denn das Signal wurde von den Palästinensern diesseits und jenseits der Grenzen aufgenommen.

Günter Schenk

P.S. Irgendjemand hatte sich, völlig zu Unrecht, daran gestört, dass wir das Rückkehrrecht der Palästinenser nicht explizit genannt hätten. Das ist natürlich falsch. Alle Palästinenser konnten an unserem Hals den symbolischen Schlüssel des Rückkehrrechtes sehen, aus Olivenholz geschnitzt in Bethlehem. Und Karawane des Rechts heißt auch: Karawane des Rechts auf Rückkehr.

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