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JULIANES ROOM

(2023:) Juliane Spitta habe ich über ihren Beitrag Bridges of Hope 2003 im Internet kennengelernt, das unten dokumentiert ist. Heute arbeitet sie als Therapeutin in Stuttgart. Auf ihrer Website stehen auch Informationen über Julianes Kunst, auch auf der Seite www.galerie-zukunftslabor.de.

Bridges of Hope
Deutsch-Israelisch-Palästinensisches Kunstprojekt zur Begegnung und Versöhnung
PROJEKTSKIZZE FÜR EINEN SKULPTURENPARK

Idee, Konzept, Leitung: Juliane Spitta, Künstlerin, 70180 Stuttgart

Dies Projekt wurde im Sommer 2003 erstmalig an der Odenwaldschule Oberhambach durchgeführt. Während 14 Tagen haben 28 Jugendliche und etwa 7 Erwachsene intensiv zusammen gelebt, gearbeitet und gelernt. Am Ende war eine Brunnenskulptur entstanden, die man an der Odenwaldschule besichtigen kann. Die jüdisch-arabische Gruppe aus Israel trifft sich seither weiter – sowohl privat als auch organisiert durch die Universität Haifa sowie das Social Development Committee of Haifa (einer arabischen Organisation) – um die persönlichen Beziehungen und die aufgenommenen Prozesse zu vertiefen und gemeinsam nach Wegen zu suchen, die jüdisch-arabische Verständigung (zunächst) im eigenen Umfeld zu verbessern.

Das Gesamtprojekt wurde gefördert von der SAP AG, dem Bundesministerium für Jugend und Soziales sowie vielen weiteren Spendern. Es wurde ausgezeichnet u.a. von der Theodor Heuss Stiftung mit dem Preis „Demokratisch Handeln“.

In den kommenden Jahren soll mit neuen Gruppen in Kooperation mit denselben und auch neuen Trägern die Arbeit fortgeführt werden, um einen kontinuierlichen Prozess zu ermöglichen. Um dies realisieren zu können, wird ein Ort gesucht, an dem diese Treffen in den kommenden Jahren stattfinden können. Idealerweise ein Ort mit einer grünen Wiese, auf der in den nächsten 10-20-30-??? Jahren jeweils im Sommer Skulpturen entstehen, welche die Prozesse der Begegnung, Annäherung, Versöhnung sowie die Visionen der jungen Teilnehmer aus Israel, Palästina und Deutschland ausdrücken und dokumentieren. Gleichzeitig werden immer Kooperationspartner, Förderer und Netzwerkpartner gesucht, die an diesem Kunstwerk der Zukunft in irgendeiner Form mitweben wollen.

Kunst als Sprache

Wir sehen und verwenden Kunst als Sprache, die es ermöglicht, die Welt durch die Augen des Anderen zu sehen. Sowie als Sprache, die es ermöglicht, Dinge auszudrücken, die sonst ohne Ausdruck bleiben und nicht kommuniziert werden können. Mit der Sprache der Kunst ist es möglich, sich verständlich zu machen ohne gleich in den Kampf mit einer anderen Auffassung zu geraten. Die Sprache der Kunst ist unmittelbar und erzählt von den Gefühlen ihrer Schöpfer, ihrer Menschlichkeit, ihrem persönlichen wie kulturellen Hintergrund. Damit kann sie, immer wieder, ein Same für den Frieden sein. Dieses Projekt vereint notwendige Bewusstseinsbildung (Information, Reflexion, Gespräch) mit einem repräsentativen, künstlerischen Resultat, das positive Öffentlichkeit auf sich zieht. Durch die hier praktizierte Verbindung von öffentlichem und persönlichem Diskurs, individuellem und gemeinschaftlichem Arbeiten wird zudem ein nicht unerheblicher Beitrag zur demokratischen Bildung geleistet.

Das Projekt

Es werden 6-8 jüdische und 6-8 arabische Studenten (z.B. der Universität Haifa) ausgewählt, vorbereitet und zusammen mit Ihren Begleitern, einem palästinensischen sowie einem jüdisch-israelischen Künstler für mindestens 14 Tage nach Deutschland eingeladen. Dort arbeiten sie zusammen mit 6-8 deutschen Studenten, den deutschen Künstlern sowie einem/einer professionellen Mediatorin und anderen Helfern.

Jeder TN wird in dem gemeinsamen Prozess dazu angeregt und darin unterstützt, seine eigenen Ideen und Visionen zu entwickeln, zu gestalten und zu kommunizieren. Durch diesen Aufbau des Prozesses hat jede Person und jede Gruppe Gelegenheit, einen eigenen Ausdruck zu erarbeiten und sich darzustellen. Gleichzeitig wird an der Frage der Beziehungen zwischen diesen Formen (Menschen und „Nationalitäten“) gearbeitet. Wir wollen einen ehrlichen Prozess und haben den Mut, diesen in dem gemeinsamen Prozess zu dokumentieren. Die Umgangssprache ist Englisch.

Die Beteiligten Organisationen in Israel

Das Jüdisch-Arabische Zentrum der Universität Haifa (offizielles Organ der Universität) , Direktor: Dr. Faisal Azaiza. Wichtiger Ansprechpartner (begleitete die Gruppe in 2003 und arbeitet seither regelmäßig mit ihr weiter): Prof. Dr. Avner Giladi

Das Social Development Committee of Haifa

Das SDC ist eine unabhängige, gemeinnützige Organisation, die 1988 von arabischen Bürgern für arabische Bürger ins Leben gerufen wurde. Das Komitee arbeitet weitestgehend auf ehrenamtlicher Basis, um fehlende Bildungs- und Versorgungsdienstleistungen für die Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Die (ehrenamtliche) Leitung hat der Sozialarbeiter, Hochschullehrer und Schulinspektor Hussein Igberieh. Das SDC unterhält eine kleine Bibliothek, eine gesponserte Zahnarztpraxis für arme arabische und jüdische Familien sowie Bewohnerinnen des Frauenhauses, eine Kinderkrippe, Rechtsberatung, Familienberatung, Auffangprogramme für Schulabbrecher, widmet sich der Ausbildung von Frauen, jüdisch-arabischen Jugendleitern und anderen Multiplikatoren und „Führungskräften“ und führt jüdisch-arabische Feriencamps zur Stärkung der Koexistenz durch.

Zum Umkreis des SDC gehören neben Arabern auch Juden wie Avner Giladi, Professor an der Universität Haifa und Leiter der Abteilung Nahost-Geschichte sowie viele andere jüdische Bürger von Haifa und in Israel. Das SDC hat bereits mit der Friedrich Ebert Stiftung in Israel gearbeitet und wird von verschiedenen anderen Stiftungen unterstützt.

Weiterer wichtiger Kooperationspartner:

Der Verein „Mémoire de l'Avenir/Memory of the Future“ mit seinem internationalen Netzwerk unter der Leitung von Margalit Opman Berriet, Paris
Website: www.memoire-a-venir.org

Bridges of Hope 2003
Eine Brunnenskulptur, alte Wunden und neue Verbindungen
Von Juliane Spitta

Eineinhalb Jahre intensiver Vorbereitung für zwei Wochen der Begegnung und Zusammenarbeit?- Ein bisschen wahnsinnig ist das schon. Doch hat es sich gelohnt, trotz aller Schwierigkeiten, hierin besteht Einigkeit.
„Bridges of Hope“ – unter diesem Motto wurde im Sommer 2003 ein ungewöhnliches Projekt an der Odenwaldschule in Ober-Hambach realisiert. Je acht jüdische und arabische Studenten der Universität Haifa sowie acht Abiturienten der Odenwaldschule haben in einem komplexen Prozess eine Skulptur für den Außenbereich der Schule erstellt. Hierbei wurden sie angeleitet durch die jüdisch-israelische Künstlerin Margalit Opman Berriet und der Freiburger Künstlerin Juliane Spitta, gemeinsam mit Prof. Dr. Avner Giladi, Leiter der Abteilung Nahostgeschichte an der uni Haifa sowie Uta Forstat von der Odenwaldschule.

In diesem deutsch-israelisch-palästinensischen Kunstprojekt, das von der Autorin initiiert und konzipiert wurde, ging es um das Gestalten eines Kunstwerkes an der Schnittstelle zwischen realer und sozialer Plastik. Das Projekt wurde als Kooperation zwischen dem jüdisch-arabischen Zentrum der Universität Haifa, dem Social Development Committee of Haifa und der Odenwaldschule Ober-Hambach realisiert.

Es war eine für alle Beteiligte sehr intensive Zeit, die viele Fragen aufwarf und neue Freundschaften hervorbrachte, eine mit einer Unmenge neuer Erfahrungen reiche Zeit, die sicherlich an keinem von uns spurlos vorüberging. Auch an der OSO nicht, an der ein zunächst unterirdisches Wasser nun oberirdisch fließt. Vielleicht auch ein Omen?
Die Odenwaldschule hat eine neue Brunnenskulptur mit buntem Mosaik, einem Apfelbäumchen und vielen bunten Blumen auf dem Speisesaalvorplatz, umgeben von einer Reihe individueller Kunstwerke der deutschen, jüdischen und arabischen Teilnehmer. Bis auf die Bepflanzung ist alles auch termingerecht bis zum Sonntag, den 6. Juli 15h45 fertig geworden. Um 16h war die Einweihung. Dies Monument wird die Schule noch lange daran erinnern, dass dies Projekt stattgefunden hat und wird sicherlich noch bei Manchem ein anerkennendes Kopfschütteln hervorrufen, wenn er bzw. sie erfährt, in welch kurzer Zeit das hervorgebracht wurde. Das geht selbst mir so. Bei alledem standen uns die technischen Mitarbeiter der OSO nach anfänglicher Skepsis mit Rat, Tat und sichtlichem Spaß beiseite. Sogar eine echte künstlerische Erfahrung konnte ein alter Mitarbeiter machen, der in der Hitze des Gefechts ein (recht teures) geschwungenes Keramikrohr an der falschen Stelle durchschnitt und darüber sehr erschrocken war. Bald stellte sich jedoch heraus, dass das Falsche das Richtige war: die eine Hälfte wurde als Wassergefälle dringend benötigt und die andere Hälfte dient nun als Laichplatz im Aquarium des wunderbaren Kochs der OSO, dem wir damit ein kleines Gegengeschenk für seine großherzigen Zusatzleistungen machen konnten.
Wie sagte schon Karl Kraus: „Die Kunst geht durch Hoffnungsloses zur Erfüllung“.
Dieser Satz könnte geradezu als Motto für diese Arbeit gelten.
Noch befinden wir uns auf dem Weg dorthin.
Und das ist durchaus eingeplant, denn dies Projekt soll und kann nur ein (wenn auch wichtiger) Baustein in einem längeren Prozess bilden, der ein Vorher und ein Nachher hat, das bedacht und gestaltet sein will. Die Gruppe hat sich seither regelmäßig getroffen: teils privat (nur Kenner der Situation können ermessen, was das bedeutet), teils organisiert durch das jüdisch-arabische Zentrum der Universität Haifa. Sämtliche israelischen (jüdische und arabische) Teilnehmer haben in sich den Entschluss gefasst, für eine bessere jüdisch-arabische Verständigung einzutreten, sich gemeinsam mit den geschichtlichen, politischen und sozialen Hintergründen zu befassen und damit innerhalb der gegenseitigen Vorurteile aufzuräumen.
Das hätten wir uns während des Projektes an vielen Stellen wahrlich nicht träumen lassen…

Soviel zu den israelischen Teilnehmern. Doch was ist die Rolle der Deutschen in solch einem Projekt?
„Was macht ihr hier überhaupt?“, fragte in einer hitzigen Gesprächsrunde provokant die jüdische Teilnehmerin Tali die deutschen Abiturienten. Interessanterweise fiel den jungen Deutschen hier nichts anderes ein als: „Weil wir das Geld haben, Euch einzuladen, Eure Flüge etc. zu bezahlen. In Rumänien oder Bulgarien wäre das gar nicht möglich.“ Das sehe ich als Konzipierende natürlich etwas differenzierter, interessant ist jedoch, dass ich im Nachhinein noch einmal neu und sicherlich längere Zeit über die Frage über meine bzw. unsere (praktische) Rolle als Deutsche in diesem Prozess nachdenken werde. Ich bin noch immer erstaunt über meine unerwartete Emotionalität bei dieser Frage und gleichzeitig dankbar, öffnet sie doch eine neue Tür.
In solch einem Projekt erlebt man sich plötzlich nicht mehr nur als Individualität, die man ist, sondern auch als Angehörige einer Volksgruppe, in meinem Fall der Deutschen. Und damit bin ich (und werde gesehen als) Repräsentantin einer Volksgruppe, welche den Nationalsozialismus hervorbrachte und damit eine unvorstellbare Gewalt ausschüttete und in der das nationale Selbstbewusstsein vor diesem Hintergrund einen großen Schaden erlitten hat. Als Deutsche bin ich wund, ich trage mit an einer Nationalwunde, die noch lange Zeit zum Heilen brauchen wird. Es war sehr überraschend für mich, diese Wunde in mir zu fühlen. Nicht irgendwo außerhalb in der für mich abstrakten Zeit der Jahre vor meiner Geburt.
Meine Kindheit war, wie die Kindheiten unzähliger anderer Deutscher der Nachkriegsgeneration, überschattet von den völlig unbearbeiteten Kriegstraumata der Eltern und den ständigen Erzählungen der Großeltern, welche den Schock über die Nazizeit nie verwinden konnten. Sie waren von Anfang an gegen Hitler gewesen, hatten versucht, jüdische Freunde zu schützen, hatten es nicht vermocht (nicht aus Gründen persönlichen Versagens, sondern weil das System es unmöglich machte) und fühlten sich lebenslang entsetzt und völlig verunsichert bei der Frage, ob sie nicht doch hätten mit ins KZ gehen sollen, denn wenn jeder das getan hätte, so hätte Hitler keine Chance gehabt. Meine Großmutter ist jetzt 97 Jahre alt und weint noch immer jedes Mal bei der Erzählung der ewig gleichen Anekdoten.
Beide Eltern Flüchtlinge, beide wuchsen nie mehr irgendwo richtig an.
Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass ich als Kind immer auf den Krieg wartete und sicher war, ins KZ zu kommen. Bei jedem neuen Kleid, das mir gefiel, fragte ich mich, ob ich es wohl würde mitnehmen dürfen, auch, ob ich meine Lieblingspuppe würde mitnehmen dürfen. Durch die ständigen Erzählungen der geliebten Großeltern waren Krieg und Holocaust so präsent, dass ich dem Frieden um mich herum nicht traute und in einer ständigen Erwartung der kommenden Katastrophe lebte. Nicht in Panik, eher mit Wehmut und einem Gefühl des Gefährdet-seins.
In Kindheit und Jugend wollte ich keine Deutsche sein und wartete nur darauf, endlich erwachsen zu sein und dies Land verlassen zu können. Im Ausland bemühe ich mich noch immer, nicht als Deutsche zu erscheinen, was mir gut gelingt. Wenn dann herauskommt, dass ich Deutsche bin, habe ich dann schon einen persönlichen Eindruck hinterlassen, der das Vorurteil überlagert. Mittlerweile bin ich es zufrieden, Deutsche zu sein, ich finde, dass dies Land an sich gearbeitet hat und bin seit spätestens der Qualität der Proteste gegen den Irakkrieg sicher, dass so etwas wie das dritte Reich hier nicht mehr möglich wäre. Doch obwohl wir uns in Deutschland an einem vergleichsweise sehr sicheren Ort befinden, habe ich mich meistens doch irgendwie gefährdet gefühlt. Die Gefährdung, die aus dem Entsetzen der Großeltern kam, aus dem Kriegsschock, den alle Erwachsenen der Umgebung der Kindheit noch in sich trugen und der ganz anderen Gefahr, die in dem Goethe-Zitat lag, welches uns als Achtklässlern unser wunderbarer Klassenlehrer beim ersten Dritten-Reich-Unterricht ans Herz legte. Das Zitat lautet in etwa: „Es gibt kein Verbrechen, dessen ich nicht selbst potentiell fähig wäre.“ In diesem großartigen Kurs erfuhren wir so ungefähr alles, was man zum Dritten Reich wissen muss durch einen ebenso feinsinnigen wie leidenschaftlich gewaltlosen Zeitzeugen. Ich erinnere sehr viel aus diesem Kurs, aber dieses Goethezitat hat mich geprägt, ebenso wie die Lektüre der Weißen Rose und die Erörterung des Begriffes der Zivilcourage.
Das deutsche Gefährdetsein hat demnach mit diesem unermesslichen kollektiven Gewaltverbrechen zu tun, mit der Gefahr der kollektiven Verblendung, mit der Gefahr von deutschem Stolz und deutscher Superiorität, mit dem Entsetzen über den Trümmerhaufen, den dies Kollektiv hervorgebracht hat. Man kann auf das Deutsche nicht stolz sein. Man kann sich nicht über das Kollektiv definieren, ohne Entsetzen zu empfinden. Gleichzeitig ist das für uns junge Deutsche absurd – haben wir doch mit den Naziverbrechen nichts zu tun. Wie können wir büßen für die Sünden unserer Vorfahren? Es gibt ja auch nicht nur die Verbrechen der Nazizeit, es gibt auch den Bombenkrieg, die Flüchtlingsströme, die Heerscharen vaterloser Kinder, den Hunger der Nachkriegszeit, die kollektive Demütigung. Und immer noch werden Deutsche im Ausland skeptisch beäugt, werden sie mit den allgegenwärtigen Bildern vom Nazi verglichen. Die Nazis als Synonym für das Deutsche, das Deutsche als Synonym für kaltblütige, konsequente, unvergleichliche Barbarei.
Zum ersten Mal erlebte ich eine tiefsitzende, geradezu verletzte Empörung bei dem immer wieder gefallenen Satz, man könne die Naziverbrechen mit nichts vergleichen. Diese Nazibiester. (Natürlich waren die Nazis Biester). Aber unvergleichlich, waren sie das wirklich?
Es gab Momente, da wäre ich am liebsten aufgesprungen und hätte das herausgebrüllt.
Was ist mit den Verbrechen des Stalinismus, den Vorgängen in Südafrika, den Gräueltaten der Franzosen in Algier, den unsäglich nachhaltig wirkenden Verbrechen Großbritanniens in Zusammenhang mit der Kolonialisierung, den Verbrechen der Regierung im Algier der 90er, mit Ex-Jugoslawien, Vietnam, Hiroshima, Nagasaki, Chile, Kolumbien, Afrika und, leider, den Brutalitäten der Israelischen Armee? Die Liste, leider, ist schrecklich lang und wird immer länger. Grausamkeit ist keine typisch deutsche Eigenschaft, welche nur in Deutschland beheimatet ist, sie ist entsetzlicher weise ein immer noch akzeptierter Bestandteil des menschlichen Gegeneinanders und dient dazu, neue Grausamkeiten zu rechtfertigen. Wir alle sind gewaltgefährdet, in beide Richtungen: Opfer und Täter.
Ich glaube, dass die tiefsitzende Verletzung – Schmerz, Entsetzen, der Verlust von (Selbst-) Vertrauen, Angst und Schuld – bei Opfern wie Tätern sehr ähnlich sind: unter der Maske – die Wunde.
Die Gewalt im Nahen Osten ist angesichts der historischen Verflechtungen für uns Deutsche besonders anrührend und vermutlich kommt mein Interesse und Engagement für eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes aus dem Entsetzen und dem Empfinden für Gefahr und Gefährdetsein, aus dem tiefsitzenden und gleichzeitig vernebelten Wissen um das Elend, welches durch Gewalt erzeugt wird und durch deutsche Gewalt erzeugt wurde. Doch während das Gefährdetsein für Juden wie Araber in Israel und Palästina zum selbstverständlichen Alltag gehört, liegt es für die meisten Deutschen im Nebel der Vergangenheit. Es bildet so etwas wie einen schwankenden Boden für unsere Republik und wird unser nationales Bewusstsein so lange belasten, bis jede Form von kollektiver Gewalt in Deutschland keinen Boden mehr hat. Es wird noch lange Zeit eine zentrale Herausforderung der Pädagogik bleiben, hieran zu arbeiten, und schon aus diesem Grund machen Projekte dieser Art an deutschen Schulen Sinn.
Noch besteht das Dreieck Israel-Palästina-Deutschland vornehmlich aus Verflechtungen von Schuld, Angst und Schmerzen. Welche Rolle wir als Deutsche hinsichtlich einer heilsamen Entflechtung einnehmen können, vermag ich im Großen nicht zu sagen. Sicher können wir nicht als besserwisserische Lehrmeister auftreten, ebenso wenig kann das Liefern von Waffen und das hilflose Hinnehmen der aktuellen Gewalttaten eine Lösung schaffen. Aber wir können Räume herstellen, wo wir uns als Menschen ehrlich begegnen und miteinander lernen. Durch den Abbau von Feind- und Schreckensbildern, durch das Erleben der Tatsache, dass wir alle Menschen sind – verwundbar und verwundet, wunderbar, idiotisch und weise, wird der Gewalt der Boden entzogen. Und etwas Neues kann wachsen, das seinen Weg zum Licht schon finden wird.
In Anbetracht der Rückmeldungen der israelischen Teilnehmer denke ich, dass eben dies den (offensichtlich nachhaltigen) Erfolg unseres Projektes an der Odenwaldschule ausmachte.
Der Brunnen mag als Sinnbild dafür stehen bleiben und die Schwierigkeiten hinwegspülen, die wir bei seinem Aufbau auch erlebt haben.

In diesem Jahr wie in den kommenden Jahren soll das Projekt wieder stattfinden, an wechselnden Orten und mit unterschiedlichen künstlerischen Medien. Für Unterstützung jeder Art sind wir dankbar.

Haifa und die Mühen eines zivilen Friedensprozesses
Ansätze für eine Politik des Mitgefühls
Von Juliane Spitta, August 2002

Eine Masse von 1000 Toten hat kein Gesicht, solange ich keines darunter kenne.

Israel ist ein heißes Eisen. Hochemotional. Entsetzlich komplex. Behaftet mit einer schier unentwirrbaren Geschichte, durchdrungen von den verschiedensten Machtinteressen, gebeutelt von Ängsten und belastet mit enormen sozialen, ökonomischen und ökologischen Problemen. Das heilige Land. Das gelobte Land, geliebt, verehrt, benötigt, besungen und verflucht, bis unter die Zähne bewaffnet, hochexplosiv, von Blut durchtränkt und vielerorts einfach hinreißend schön. In Israel ist nichts lau, in Israel ist alles extrem. Um Israel zu verstehen, muss man es lieben lernen, seine Landschaft, seine Menschen, seine Kulturen, seine Schönheiten. Gewalt kann man nicht lieben, auch nicht die Verblendungen und Verbohrtheiten, aber vielleicht lässt sich Mitgefühl entwickeln. Mitgefühl mit dem Ganzen. Ohne das verirrt man sich in die großen politischen Positionen, in denen offensichtlich kein Heil liegt. Die Beschäftigung mit Israel tut weh.
Und in Israel ist alles politisch.

Es leben dort Menschen aus über 80 Ländern der Welt. Die meisten davon sind Juden, die meisten davon säkular. Von blond und blauäugig bis zu schwarz und kraushaarig.
Wer ist Jude? Wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder wer zum jüdischen Glauben konvertierte. Letzteres ist schwer geworden.
Die etwa eine Million russischer Israelis erkennt man leicht daran, dass sie russisch sprechen und russisch schreiben. Längst ist russisch neben hebräisch, arabisch und englisch zur inoffiziellen vierten Landessprache geworden. An den Schulen wird neuerdings Nachhilfeunterricht auf Russisch angeboten, an den Straßenecken und an vielen Geschäften findet man Annoncen und Plakate in kyrillischer Schrift und an einem kleinen Strand in Haifa hört man eigentlich nur russisch. 20 – 30% der israelischen Russen, so heißt es, seien keine Juden sondern z.B. deren Ehegatten.
Neben Juden und nichtjüdischen Ehegatten aus aller Herren Länder sowie israelischen Palästinensern gibt es Gastarbeiter aus China und von den Philippinen. Viele von ihnen bleiben.
Auch den Begriff der israelischen Palästinenser gilt es zu differenzieren – es gibt Beduinen, Drusen und „normale“ Palästinenser, die wiederum teilen sich in Christen und Muslims, und selbst das reicht nicht, es gibt römisch-katholische, orthodoxe…..und so weiter, und natürlich, nicht zu vergessen, gibt es auch Atheisten unter ihnen, Baha'i und alles, was es auch sonst wo in der Welt gibt.
Beduinen und Drusen unterscheiden sich von dem Rest der israelischen Palästinenser durch ihren Status im Staate Israel. Wenn sie den 3-jährigen Militärdienst (freiwillig) ableisten, kommen sie in den Genuss nicht unerheblicher finanzieller Vergünstigungen, wie gute Kredite und hohe Zuschüsse beim Hausbau, und erfahren zudem eine andere Sozialisierung, denn im Militär vollzieht sich eine gemeinsame Identitätsbildung, die dem „normalen“ israelischen Palästinenser in aller Regel nicht möglich ist. Der „normale“ israelische Palästinenser ist also ein ganz besonderer Fall für sich. Als Inhaber eines israelischen Passes ist er von seinen arabischen Wurzeln abgeschnitten – innerhalb der arabischen Welt gilt er als Verräter. Gleichzeitig wird es ihm sehr schwer gemacht, an dem westlich orientierten Leben der jüdischen Israelis teilzunehmen. Nahezu jeder israelische Palästinenser hat Verwandte in den sogenannten Autonomiegebieten, damit fühlt er sich zerrissen und gedemütigt – weder als Israeli noch als Palästinenser erlebt er volle Anerkennung. Jeder Israeli, der nicht jüdisch ist, gehört einer Minderheit an und genießt nicht dieselben Rechte wie ein Jude.
Im Grunde jedoch besteht dieser ganze Staat nur aus Minderheiten. Die Kunst, aus diesen diversen Minderheiten Mehrheiten zu kreieren, folgt einer anderen politischen Theoriebildung als in anderen Ländern und wirkt nicht nur auf Außenstehende leicht verwirrend.

Haifa

Die schöne Stadt Haifa, drittgrößte unter den israelischen Städten, rund um den Berg Karmel am Meer im Norden Israels gebaut, galt lange Zeit als Modell für die sogenannte und vielbeschworene friedliche Koexistenz. Im Grunde ist das immer noch der Fall, auch wenn vergleichsweise wenige Selbstmordattentate dieses Bild erschütterten. Natürlich ist schon eines zuviel.
Während 14 Tagen war ich umsorgter Gast des Social Development Committee in Haifa und lernte, diese Stadt durch die Augen der mit dieser Organisation verbundenen wundervollen Menschen zu sehen – dazu gehörten einfache Araber ebenso wie gebildete, westlich orientierte Araber und Juden, alle irgendwie mit dem ungewöhnlich gewordenen, immer schmerzhaften Versuch befasst, trotz allem und dennoch sich in dem Friedensprozess lokal zu engagieren. Wie viel Kraft und Mut das im Israel dieser Tage erfordert, wie viele schier unüberwindliche Hindernisse diese Mühen begleiten, ließ man mich miterleben, unspektakulär, vertrauensvoll, offen.

Haifa ist international und multikulturell und gleichzeitig streng getrennt.
Die einzelnen Bevölkerungsgruppen sind räumlich deutlich voneinander abgegrenzt und es herrschen sehr entschiedene Meinungen darüber, wie „der Beduine“, „der Ashkenas“, der „Sephard“, „der Palästinenser“ usw. ist. Diese Meinungen werden mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit gepflegt und gehören augenscheinlich zu der längst hingenommenen Separationspolitik dieses gebeutelten Landes. Am Karmel und in Galiläa gibt es Beduinensiedlungen, Drusendörfer und arabische Siedlungen. In Haifa gibt es an diversen Orten jüdische Siedlungen mit deutlicher Mehrheit von z.B. Russen oder Marokkanern, je höher am Berg, desto wohlsituierter… und klimatisch angenehmer. Und es gibt arabische „Nachbarschaften“. Zum Beispiel die arabische Altstadt Wadi Nisnas, welche sich in der Nähe des Hafens mit ihren vielen, zumeist kleinen Kalksteinhäuschen mit ihren Innenhöfchen, Dachterrassen, mit ihren Lädchen und engen Gassen an den Fuß des Karmel schmiegt. Vor den Fenstern wird Wäsche getrocknet, Menschen sitzen in den Höfen und in den Gassen, warten vor ihren kleinen Läden auf Kundschaft, Kinder spielen, Autos zwängen sich hupend im Schritttempo dazwischen, es wird geschwatzt, gelacht, beobachtet, geträumt. Das Tempo ist mäßig, entsprechend der berüchtigten schwülen Sommerhitze, welche auch des Nachts kaum nachlässt und dafür sorgt, dass der Schweiß nie zu rinnen aufhört. Haifa im Sommer ist Dauersauna. Wie geht es dir? Ich schwitze. Das Thema Sommerhitze ist in etwa so beliebt wie das Thema Politik.
In Wadi Nisnas leben ca. 6000 der 30000 israelischen Palästinenser von Haifa, die meisten davon sind arm, viele sehr arm. Wadi bedeutet Tal. Die Araber bauten ihre „Nachbarschaften“ in Täler, Wadi Nisnas ist das Tal der Marder und eines der letzten Überbleibsel des historischen Haifa. Nun ist auch Wadi Nisnas vom Abriss bedroht; und wahrscheinlich wird in wenigen Jahren nichts mehr darauf hindeuten, dass hier einmal eine arabische Altstadt war. Seine Einwohner werden zerstreut, entwurzelt werden und der Charme und die Schönheit, der Friede und die Geschichten vom Wadi wird neuen, funktionalen Gebäuden weichen, die sich scheinbar geschichtslos einer seltsam gestylten Zukunft darbieten.

Das Social Development Committee

Mitten in Wadi Nisnas liegt der Sitz dieser kleinen, aber effektiven Organisation. Seit 16 Jahren arbeitet sie unter der Leitung von Hussein Igberieh unermüdlich daran, das Leben der israelischen Palästinenser in Haifa in aller Bescheidenheit nachhaltig positiv zu beeinflussen.
Es gibt eine kleine Bibliothek, eine gesponsorte Zahnarztpraxis für arme arabische und jüdische Familien sowie Bewohnerinnen des Frauenhauses. Außerdem eine Kinderkrippe, und soziale Dienste, wie z.B. Rechtsberatung, Familienberatung, Nachhilfedienste und ein Auffangprogramm für Schulabbrecher. Weiterhin Ausbildung für Frauen, für jüdisch-arabische Jugendleiter und andere „Führungskräfte“. Feriencamps für arabische und jüdische Kinder werden als „Samen für den Frieden“ veranstaltet und vieles mehr.

Hussein Igberieh ist 48 Jahre alt und hauptberuflich Schulinspektor und Sozialarbeiter. Aufbau und Leitung des SDC sind seine ehrenamtliche Nebenbeschäftigung und sorgen für bis zum Zerreißen angefüllte 14-Stunden-Tage. Wenn man mit Hussein Igberieh durch Wadi Nisnas zieht, erfährt man, dass er so etwas wie der stille Heilige des Viertels ist: jeder kennt ihn, jeder liebt ihn, bei seinem Auftauchen lauter freudestrahlende Gesichter. Im besten arabischen Restaurant vor Ort, wohin er mich einlud, wurde uns aufgetragen, dass sich die Tische bogen von allen arabischen Köstlichkeiten, Geld jedoch wurde keines von ihm angenommen – dein Gast ist unser Gast- stattdessen erhielt ich noch eine große Schale Obst für mein Zimmer. Dies wiederholte sich. Hussein Igberieh steht in seinen wohlverdienten Ferien früh auf, um die 200 Kinder des jüdisch-arabischen Feriencamps allmorgendlich persönlich zu begrüßen und nach dem Rechten zu sehen. Dieses jüdisch-arabische Feriencamp ist einer der wenigen Orte in Israel, wo jüdische und arabische Kinder sich treffen, ein winziger Same für so etwas wie Koedukation und damit die Grundlage für Verständnis und Miteinander. Die Stimmung dort ist gut, ausgelassen, natürlich. Hussein deutet auf die vielen süßen Kinder im Saal und fragt: „Kannst du sagen, welches dieser Kinder arabisch und welches jüdisch ist?“ Nein, das läst sich nicht sehen. Es gibt auch blonde und blauäugige Palästinenser. Und sehr arabisch aussehende orientalische Juden. Koedukation von jüdischen und arabischen Kindern gibt es in Israel noch bei der nicht-staatlichen Initiative Neve Shalom – Wahat al-Salam, sowie hier und da verstreute Versuche und Projekte, nie jedoch staatlich oder staatlich gefördert.
Anschließend geht er in sein bescheidenes, aber klimatisiertes Büro in Wadi Nisnas und lenkt die Geschicke des SDC. Er empfängt Besucher – von jüdischen Jugendgruppen über bedürftige arabische Einwohner bis hin zu Journalisten, Stiftern und Besuchern aus dem In- und Ausland. Immer auf der Suche nach gangbaren Wegen für konkrete Hilfe, stets hilfsbereit, weitherzig, konzentriert, meist ungeheuer beherrscht.
Hussein Igberieh ist müde. „Eigentlich bräuchte ich drei Jahre Pause“, sagt er und lacht gequält. Zu den vielen laufenden Projekten ist jetzt noch ein Neues gekommen – der Kampf um Wadi Nisnas. In der ihm eigentümlichen geballten Ruhe führt er mich durch die Altstadt, erzählt ihre Geschichten und lässt sie wirken. 1948 wurden die Palästinenser aus ihren Häusern in Haifa vertrieben, nur ein Bruchteil von ihnen kehrte in seine Häuser zurück. Die leeren Häuser wurden durch die neue Regierung verschlossen, die Fenster vermauert. Bis heute ist das so geblieben, sie gehören Arabern, die kein Recht auf Rückkehr haben, ihre Häuser verfallen langsam, es ist untersagt, sie zu beziehen, zu kaufen oder zu verkaufen oder zu renovieren. Auch die bewohnten Häuser sind baufällig, weil es ihren Bewohnern untersagt ist, sie zu renovieren. Mittlerweile hat das SDC die Hilfe einer amerikanischen Stiftung, aus welcher der Rechtsbeistand für die ärmsten Bewohner zur Verteidigung ihrer Häuser finanziert werden soll. „Wir wissen, dass wir einen aussichtslosen Kampf führen, wir werden ihn verlieren, aber wir kämpfen ihn. Ich habe ein Buch über Wadi Nisnas veröffentlicht, ich kenne die Geschichte jedes Hauses, kenne jeden Winkel hier, kannst du verstehen, wie mich die Vorstellung schmerzt, dass dies alles hier zerstört werden soll?“
Zur „Kampfgruppe“ zur Rettung von Wadi Nisnas gehören neben Hussein Igberieh und seiner palästinensischen Mitarbeiterin Clemans, der jüdischen Mitarbeiterin Aviva und verschiedenen Vorstandsmitgliedern des SDC noch die jüdische Dame von der Stiftung, der palästinensische Künstler Abed Abdi, der bekannte, aus Ulm stammende Jude und trotz seiner 86 Jahre immer noch aktive Friedenskämpfer und Journalist Hans Lebrecht und der jüdische Professor Avner Gil'adi, Leiter der Abteilung Nahost-Geschichte an der Universität Haifa.

Ta'Ayush – Palästinensisch-Israelische Partnerschaft

Mit Igberieh, Abdi und Aviva gehört er zu der Handvoll Ta'Ayush-Aktivisten in Haifa. Diese Bewegung hat Ortsgruppen an vielen Orten in Israel und ist eine der miteinander vernetzten Friedensbewegungen in Israel, wo israelische Juden und Palästinenser sich real begegnen und miteinander kooperieren. Im Internet findet man leicht weitere Informationen zu Hintergrund, Geschichte und Aktivitäten dieser Gruppe (www.ta'ayush.org).
Ta'Ayush ist arabisch und bedeutet so viel wie „miteinander leben“. „Der arabische Begriff ist weniger ausgeleiert als das vielfach missbrauchte hebräische Wort für 'Koexistenz'“, erläutert Gil'adi. Die Aktivitäten und Ideen von Ta'Ayush sind im Ausland bekannter als vor Ort, wo man nach über 50 Jahren Krieg im Zeichen des Friedens müde geworden ist, wo man mit sinkenden Gehältern bei enorm steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen hat, und wo es für die meisten Bürger in jeder Hinsicht um die nackte Existenz geht: wo Angst und Erschöpfung regieren, gepaart mit Verdrängung und Fatalismus. Kaum jemand glaubt mehr so recht an den Frieden, Verletzungen und Misstrauen sind groß, der Enttäuschungen waren zu viele, es braucht eine schier unmenschliche Kraft, immer noch auf Frieden zu hoffen, wo das Land sich aussichtslos verrannt zu haben scheint.
Ta'Ayush ist eine der wenigen derzeit noch aktiven Friedensbewegungen. Sie arbeitet lokal (weniger auf der politischen Plattform als Gush Shalom – www.gush-shalom.org) und leistet den geschundenen Palästinensern konkrete Hilfe. Beispielsweise hat Ta'Ayush fünf Lastwagen voll Nahrungsmittel und Medikamenten organisiert und per Fußmarsch an die Grenze nach Jenin begleitet, wahrscheinlich kam höchstens ein Bruchteil der Hilfe an – das Militär hat die Laster beschlagnahmt. Ta'Ayush organisiert Workcamps zum Aufbau resp. Wiederaufbau palästinensischer Häuser und Dörfer, leistet Erntehilfe, leistet mit eigenen Händen Arbeit an der Basis.
Avner Gil'adi ist Professor für Islam und mittelalterliche Nahost-Geschichte und leitet die Abteilung Nahost-Geschichte an der Universität von Haifa. Als er im Gymnasium arabisch lernte, verliebte er sich in diese Sprache und zunehmend in die islamische Hochkultur. Da sich nur wenige Juden für diese Dinge interessieren, sind seine Studenten vorwiegend israelische Palästinenser. Lange Zeit glaubte Gil'adi, dass sein Beitrag zum Friedensprozess die Beschäftigung, Würdigung und Lehre der arabischen Kultur sei. Im Oktober 2000 begriff er, dass das nicht ausreicht. In jenem Oktober wurden 13 israelische Palästinenser bei (zumeist friedlichen) Demonstrationen von der Polizei erschossen, eine Tatsache, die nie als Verbrechen anerkannt wurde und zum Beginn der zweiten Intifada gehört. Gil'adi organisierte Memorial-Veranstaltungen an der Universität von Haifa und war froh, dort auch viele jüdische Gesichter zu sehen. Seither engagiert er sich offen für die palästinensischen Studenten und beteiligt sich an den Aktionen von Ta'Ayush. Dass er dafür an der Universität offen als Verräter beschimpft wird, erzählte mir ein Araber. „Spätestens in jenem Oktober wurde mir klar, dass das ‚außenpolitische' Problem mit Palästina nur lösbar ist, wenn wir auch innen unser Verhältnis zur israelisch-palästinensischen Bevölkerung ändern und diesen Menschen dieselben Rechte einräumen wie uns auch. Ich möchte so gerne helfen, aber wie mache ich das, ohne als der ewige Besserwisser-Jude aufzutauchen, der wohlsituiert vom Berg heruntersteigt, nach dem Motto: Kinder, wo fehlt's, ich weiß wie's geht – außerdem weiß ich es eben nicht.“
Avner Gil'adi erzählt von seiner Scham und den Schuldgefühlen, die ihn überkommen, wenn er morgens in der Zeitung von den Gräueltaten seines Militärs liest, wie er mit diesen Empfindungen an die Universität geht und wie beschämt und gerührt er immer wieder ist von der weitgehenden Offenheit und Wertschätzung seiner palästinensischen Studenten ihm, dem Juden gegenüber, der ihnen noch dazu auf höchst wissenschaftliche Weise von ihrem Glauben, dem Islam erzählt.
Gemeinsam mit ihm und Igberieh besuche ich ein Workcamp am Karmel, wo Ta'Ayush-Aktivisten den Bewohnern des arabischen Dorfes En Hod während der Sommerferien bei Bau und Renovierung ihrer Grundschule helfen.

En Hod

Es gibt zwei Dörfer mit Namen En Hod, beide liegen etwa 200 m Luftlinie voneinander entfernt. Das eine En Hod hat jüdische Bewohner, es ist das berühmte Künstlerdorf mit eigenem Museum, gegründet 1948 durch den bekannten Dada-Künstler Marcel Jankow, der dieses schöne arabische Dorf vor dem Schicksal 300 – 400 anderer arabischer Dörfer am Karmel rettete: der völligen Zerstörung. Seine Bewohner waren vertrieben worden, jüdische Künstler übernahmen deren Häuser und begannen dort zu leben und zu arbeiten. Das Künstlerdorf En Hod ist wunderhübsch zwischen Bäumen am Hang gelegen, man genießt einen herrlichen Blick auf das Meer und die umliegenden, leicht bewaldeten Hügel, hierher führt eine gut ausgebaute Straße. Die Straße endet abrupt ein paar hundert Meter oberhalb des Dorfes mit gut ausgebauten und beschilderten Zufahrten zu zwei verschiedenen Kibbuzim. Dazwischen führt, ohne Beschilderung, ein staubiger, schmaler Feldweg voller gefährlicher Schlaglöcher in halsbrecherischem Auf und Ab über viele Hügel und an vielen Hängen entlang nach dem arabischen Ein Hod. Hussein hat Angst um seinen Wagen und ist nervös. Auf halber Strecke kommt uns ein Auto entgegen, der Fahrer lässt das Fenster herunter, wischt sich den Schweiß von der Stirn und sagt in ironischem Ton auf Hebräisch: ab jetzt kommt Autobahn. Tatsächlich beginnt kurz danach eine äußerst schmale, holprige, selbstgebaute Betonstraße. Immerhin lässt sich dieser Weg seit seinem „Ausbau“ auch während der Regenperiode im Winter befahren, vorher war das eine lebensgefährliche Schlitterpartie im Schlick. Nach einer nervenaufreibenden Fahrt von etwa 20 Minuten in Ein Hod angelangt, erkennt man, wie nah dies Dorf am darunter gelegenen Kibbuz sowie dem Künstlerdorf liegt. Hierher flohen 1948 etwa 60 der insgesamt ca. 300 arabischen Bewohner des alten En Hod, haben sich in den Hügeln versteckt und langsam ein neues Dorf errichtet. Dieses Dorf gehört zu den 167 um Haifa herum gelegenen sog. „Unrecognised Villages“, was in etwa bedeutet, dass es diesen Ort eigentlich gar nicht gibt.
Als es in den 70er Jahren entdeckt wurde, sollten seine Bewohner vertrieben und das Dorf, weil illegal, platt gemacht werden. Dies konnte durch einen jüdischen Politiker aus dem linken Lager verhindert werden und so lebt man dort weiter, ohne Anschluss an das Stromnetz, erst seit wenigen Jahren dürftig an die Wasserversorgung angeschlossen, ohne anständige Straße, eine richtige Schule, ohne ärztliche Versorgung.
Mittlerweile leben etwa 300 Menschen dort in selbst errichteten, zumeist unfertigen Häusern, man verdient seinen Lebensunterhalt durch Arbeit in den umliegenden Kibbuzim. Zum Workcamp sind etwa 50 – 70 Menschen erschienen, die jüngsten davon Teenager, der älteste ist Dov Jeremija, 96 Jahre alt, ehemaliger hochrangiger Offizier der IDF und nach seiner politischen 180°-Wendung unermüdlich aktiver Friedenskämpfer. Man sieht ihm sein Alter nicht an. Am Mittag sitzen viele Menschen unter dem großen Zeltdach, in der Zeltküche werden Kaffee und Mahlzeiten zubereitet, viele junge Menschen schlafen dort nachts in Schlafsäcken, die Stimmung ist fröhlich und friedlich.
Avner Gil'adi ist froh, ein paar Kollegen und Studenten von der Universität dort zu treffen – es ermutigt und lindert das Gefühl von Einsamkeit, welches die meisten Friedensaktivisten in sich empfinden. Offene Regimekritik von Juden in Israel ist gefährlich geworden: Seit z.B. die bekannte jüdisch-israelische Sängerin Yaffa Yarconi ein Ende der Okkupation forderte, werden ihre Lieder nicht mehr gesendet. Öffentliche Stellungnahmen gegen die Regierung Sharon bzw. das Vorgehen der Armee sind im Lande nicht erwünscht und führen leicht zu Repressalien.
Der Dorfvorsteher lädt uns zum Kaffee in sein Haus ein – er kennt Hussein Igberieh als fürsorglichen Schulinspektor und freut sich, uns bewirten zu dürfen. Zwischen den halbfertigen Häusern führt er uns auf staubigen Trampelpfaden zu seinem Haus, wo uns seine hübsche Frau empfängt. In diesem pieksauberen Haus wohnen sie mit ihren vier Kindern, die morgens um 5 aufstehen müssen, um rechtzeitig die Schule in Haifa zu erreichen – diese Feldwege kann kein Schulbus erreichen. Bei appetitlich serviertem Kaffee, Obst und Gebäck erfahren wir von den Menschen, die auf dem langen Weg ins Krankenhaus starben, von den Alltagsproblemen, von der Sehnsucht nach Frieden und Anerkennung, von dem Leben als Landwirte, welches die Dörfer bis 1948 ernährte. Jetzt hat man kein Land mehr, es wurde konfisziert.
An der Wand hängen Originalkunstwerke – das eine zeigt eine unglaublich grüne Hügellandschaft mit schwarz-weiß gescheckten Kühen und einem flötespielenden Kuhhirten, das hat die Hausherrin gemalt. Das andere zeigt den Hausherrn schreibend am Tisch und ist das Werk eines jüdischen Künstlers aus dem „anderen“ En Hod. Auch die Hausherrin hat daran mitgewirkt – sie setzte eine Natter hinein, welche sich um eine Vase mit Lilien schlängelt.
Aus En Hod stammen keine Selbstmordattentäter, von dort wurden auch keine Anschläge auf die reichen Nachbarn verübt. Man verlangt nicht einmal die Rückkehr ins alte Dorf, alles, was man sich hier wünscht, ist die Möglichkeit, eine friedliche Normalität aufbauen zu können – die Anerkennung als Dorf.
Zurück in Haifa sagt Hussein Igberieh: „Das eigentliche Palästinenserproblem ist: Palästinenser dürfen nichts fühlen. Wenn die Welt schon keine UN-Eingreiftruppe schickt, um uns zu helfen, dann habe ich doch eine kleine zynische Bitte an die Spezialisten der Welt: Entwickelt eine Methode oder ein Mittel, welches uns davor bewahrt, fühlen zu müssen.“

Wer ist schuld?

Dies ist die Schlüsselfrage par Excellence, mit ihr verschließen sich alle Türen zur Lösung der Probleme. Sind die Nazis schuld, die Zionisten, die Engländer, Amerika, die arabischen Anrainerstaaten, oder Marcel Janko mit seinen Künstlern oder sonst wer? Dieses typisch israelische Verwirrspiel möge jeder für sich einmal durchspielen, es ist aufschlussreich. Tatsache jedoch ist: Ohne Marcel Janko gäbe es kein altes En Hod mehr und die Bewohner des neuen wären auch nicht besser dran. Tatsache ist, die Bewohner des arabischen Ein Hod benötigen Anerkennung und Hilfe. Dies Workcamp von Ta'Ayush ist zunächst die einzig reale Antwort auf diese verfahrene Situation. Mögen politische Antworten folgen. Und möge dieses Beispiel Schule machen.

Als wir alle zusammen draußen vor dem begonnenen Monument stehen, werden wir von Kindern beobachtet, die mich, wie üblich, für eine israelische Jüdin halten. Doch anstatt mich schräg anzusehen oder zu beschimpfen, suchen strahlende Gesichter und blitzende Augen Kontakt zu dieser Fremden, schließlich flitzt ein kleines Kerlchen nah an mir vorbei und ruft: „Shalom!“ „Salaam“ antworte ich spontan lachend, das Kind verschwindet hinter einer Mauer und linst erstaunt dahinter hervor. Selten verirren sich Fremde an Orte wie diese.

Beobachtungen und Gedanken zum zivilen Friedensprozess

Ich habe während meines Aufenthaltes mit vielen Menschen gesprochen – in der Organisation, an der Universität, auf der Straße, in Läden, im Kloster, in dem ich zumeist übernachtete, in den Siedlungen und in den Familien, bei denen ich zu Gast war. Ich hatte das Glück, mit Intellektuellen, Künstlern und einfachen Menschen sprechen zu können, die meisten davon waren Araber, Männer und Frauen, und alle sehnen sich nach Frieden. Wirkliche Hoffnung hat kaum jemand mehr, man fühlt sich müde, überfordert, von der Welt im Stich gelassen, zwischen Resignation und Wut, Trauer, Scham und Entsetzen. Und alle waren sich unabhängig voneinander einig: Alleine schaffen wir das nicht. Wir sind zu verstrickt, zu verfahren, zu müde. Oder zu aggressiv. Wir brauchen Hilfe von außen. Militärisch und zivil. Mit ziviler Hilfe ist nicht in erster Linie Geld gemeint, sondern menschliche Anteilnahme und Unterstützung, Vermittlung, Freundschaft mit Menschen im Ausland, die Durchführung gemeinsamer Projekte, das Gefühl, nicht im Stich gelassen zu werden, das Gefühl, wahrgenommen, gehört, unterstützt zu werden. Freunde zu haben ist ein wichtiger Faktor.
Wie schimpfte ein ansonsten sanftmütiger Akademiker: „Ihr Scheiß-Journalisten. Wir haben Euch unseren Arsch gezeigt, wir sterben vor laufenden Kameras – mit welchem Erfolg? Wir liefern Euch Real-Life-Action-Thriller für Eure Wohnzimmer. Und was haben wir davon? Wir fühlen uns noch mehr gedemütigt, wir leiden weltöffentlich. Und nichts geschieht.“

An der Landschaft in Galiläa, wie auch an anderen Landstrichen Israels zeigt sich das Dilemma der Uneinigkeit auf traurige Weise. Zwischen den einzelnen Siedlungen – arabischen, beduinischen, jüdischen, fast alle neu und nahezu ohne Bäume – trockenes Land, für das sich niemand so recht zuständig zu fühlen scheint. Die Erde wirkt auf weite Strecken ausgebeutet, zwischen großen, nahezu verwüsteten Trockenstreifen einzelne, schier endlose, traurige Plantagen, künstlich bewässert. Keiner scheint sich für die Gesamtheit der Landschaft verantwortlich zu fühlen. Hier lerne ich die Landschaftspflege des Schwarzwalds schätzen und begreife: nur friedliche Nachbarschaften können für ein gemeinsames Land Sorge tragen, nur Menschen, die sich zu Hause fühlen, pflegen die Erde, die sie trägt.
In Kfar Manda nach meinen Eindrücken von dem Land befragt, sage ich: Pflanzt Bäume, dringend und sofort. Die Antwort war sarkastisches Gelächter – wir haben andere Probleme als das.
Wenn hier jedoch nicht sehr bald Bäume gepflanzt werden, dann werden sich diese Probleme erübrigen. Dann wird dort Wüste sein.

Zum Frieden ist noch ein langer Weg.
Und doch erwartet man ständig
Dass plötzlich die Tür sich auftut
und das Licht gesehen wird
dies nahrhafte Licht Israels
Goldglanz der Wahrheit
die man nicht sehen
will

Oder, alternativ:
Dr. Gannit Ankori, Postskript aus seinem Beitrag im Katalog der Ausstellung „Wohin?“:

Ein guter Freund von mir, ein weiser palästinensischer Mann, äußerte einst, dass Israelis und Palästinenser, die ins Ausland reisen, sich immer sofort erkennen. Sie sind anders als Europäer und Amerikaner und einander sehr ähnlich, sagte er. Als ich ihn fragte, warum das so sei, lachte er und antwortete, dass es dafür viele Gründe gäbe – große und kleine. Die Art, wie wir Orangen schälen, in die Morgensonne blinzeln, auf den Duft von Minze und Jasmin reagieren, Feigen essen… Aber es gäbe auch einen „großen Grund“, fügte er mit einem Seufzer hinzu. Israelis und Palästinenser sind wie zwei Brüder, die leidenschaftlich in dieselbe Frau verliebt sind. Sie teilen ein Gefühl, das so stark und leidenschaftlich ist, dass es sie für immer miteinander verbindet. Ihre Vorstellung von dem gemeinsamen Liebesobjekt unterscheidet sich, aber das Gefüge ihrer Herzen ist identisch. Beide sehen ihre Schönheit, aber sind vernarrt in ihre Makel. Beide bewundern ihre Weisheit, aber genießen insgeheim ihre Verblendung. Beide sehnen sich danach, mit ihr zu leben, aber erklären ihren Willen, für sie zu sterben. Sie respektieren einander und fühlen miteinander auf eine Art und Weise, die kein Außenstehender jemals verstehen wird. Doch gleichzeitig verabscheuen sie einander mit beispielloser Kraft. Jeder Mann glaubt, er sei ihre einzige und „wahre“ Liebe.

Gibt es eine Lösung für diese Fessel und diesen Konflikt; diese Fessel, die der Ursprung des Konfliktes ist? Fragte ich. Gibt es einen Weg, Liebe, Land und Herzen zu teilen? (...)

 
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