VATER
Lieber Vater Tod,
ich trage die Kleidung meines Vaters. Ich trage die einzige Kleidung, die ich habe. Ich trage die Kleidung der Toten. Trage sein Hemd ... sogar seine Unterwäsche ... bin wie ein Tiger, der Blut trinkt ...
Ich muss diese Kleidung tragen. Ich muss mich in seiner Unterwäsche verlieren, weil ich die Art Mann bin, die leicht in ein Paar Hosen eingepasst werden könnte, die einer Leiche gehören.
Ich sehe nichts als eine Rose.
Eine rote Rose.
Oh! Vater Tod,
sie legten meinen Vater in eine Box und da blieb er liegen, für jeden zu sehen, eine Wachs-Mumie, schlafend, im Bauch des Fleischfressers. Nach dem Fleischfresser kam das Feuer, und nach dem Feuer eine kleinere Box. Jetzt besuche ich meinen Vater jeden Tag in seiner kleinen Box, zerreibe die Asche zwischen meinen Fingern ... und höre der Seele meines Vaters zu, wie sie sanft zu mir sagt: „Ich liebe dich, Sohn!“ ... ach! Vater! gibt es die Seele wirklich? Vater, hast du mit mir gesprochen? Ich nehme meine Pfeife auf. Das schwarze Insekt kroch schnell die Küchenwand herauf. Zuerst dachte ich daran, meinen Daumen auf seinen Körper zu drücken, seine Existenz zu einem schnellen Ende zu bringen, eine Menstruation aus Schwarzem auf der Ritze zwischen der Wand und dem Kühlschrank zu produzieren, doch bei nüchterner Betrachtung sah ich mich selbst diese weiße Wand hochkrabbeln, und in Mitleid mit mir selbst entzündete ich meine Pfeife mit einem Streichholz, den Daumen nur dafür benutzend, den losen Tabak herunterzudrücken.
Tod, lieber Vater Tod,
wie beginnt der Vorgang? Nach meiner eigenen Erfahrung beginnt der Vorgang des Todes mit einem Traum.
In der Stille und im Alleinsein gibt es Leben.
Da! im Raum unseres eigenen Verfalls; das Fleisch, Blut und die Knochen der Erinnerung.
Vor eineinhalb Jahren rief mein Vater mich an: er würde morgen ins Krankenhaus gehen und sich einer Reihe Krebs-Tests unterziehen. Er sagt mir den Namen des Krankenhauses, aber ich will es nicht hören. Ich bin sehr ruhig, als er mir sagt, dass die Ärzte herausgefunden haben, dass er einen Tumor in der Lunge hat; „schwarzer Fleck auf der Lunge“, wie er es nennt ... sie wissen nur nicht, ob es ein ... „blut-trinkender Tiger ist ...oder einfach ein schwarzer Fleck der Unschuld“ das sind meines Vaters Worte, mein Vater ist ein einfacher Mann ..so sehe ich das Leben ... seine Worte? ... ich erinnere mich nicht an seine Worte ... aber seine Angst ... ja ... ich spüre seine Angst: um meinen Mund herum; meine Leber und Niere verzehrend; das Blut aus meinen Eiern und Schwanz saugend! ... Mein Vater ist bedeckt mit Angst wie ein totes Pferd mit Fliegen und Maden bedeckt ist.
Mein Leben ist nicht ohne diese Momente der Nichtigkeit: wenn ich zu stolz bin, um zu Gott zu sprechen oder sogar, Gottes Existenz zu erkennen; wenn ich mir der vernichtenden Gerüche menschlichen Verfalls bewusst bin; wenn ich mir der Ratten bewusst bin, die von den Krebsgeschwüren meines Amerikas schmausen; wenn ich mir im Klaren darüber bin, dass Hiroshima und Nagasaki noch immer Bilder in meinen Träumen sind, leuchtende Bilder von Gier und Macht, die menschliche Gesichter auslöschen, und von menschlicher Haut, die fortkriecht, unter der Flamme, von den Knochen menschlicher Wesen, auffällige Aschehäufchen bildend.
In diesen Momenten tiefster Verzweiflung könnte ich mir das Hirn rauspusten, wäre ich nicht so neugierig. Wie ist die Form von Zeit und Raum? Gibt es eine Seele? Was für eine Kreatur ist das, die langsam am Fleisch meines Vaters frisst? Es hat tausend Namen, und doch ... seine mangelnde Definition formt das Bild ins Zwergenhafte. Und wir stehen hilflos davor. ... Die alte Mythologie stirbt ... ich muss meinen eigenen Mythos gestalten.
Was ist es ... Mensch ... zu sein?
Vor sechs Monaten, nachdem der Arzt mir wieder gesagt hatte, dass mein Vater sterben würde, ging ich in das Zimmer meines Vaters. Vater lag im Bett, mit Schläuchen bedeckt. Ich beantwortete seine Fragen mit Lügen. Manchmal sah ich an die Wände. Ich beantwortete jede einzelne seiner Fragen, bis mein Vater unsichtbar war; und ich ihn nicht mehr sehen konnte; ich konnte nur die Phantasie-Gestalt sehen, die ich mit diesen Lügen erschaffen hatte. Nach zehn Minuten stand ich auf, küsste dieses unsterbliche Wesen auf die Stirn und ging. Draußen vor dem Krankenhaus stieg ich in meinen Wagen und fuhr.
Es ist meine Beobachtung, dass viele Leute über Gefühle reden, dass aber nur wenige sie zeigen und teilen. Ich fürchte, die meisten Leute sind zufrieden damit, sich selbst ein wenig schräg anzusehen, als wäre die Figur, die sie im Spiegl sehen, eine schwarze Katze, die in jemand anderes Schoß gehört. Wie sieht sich solch ein Individuum, das seinen Gefühlen im Alter von vielleicht fünf Jahren erlaubt hat, von seinem Wesen abgeschnitten zu werden, an der Kehle amputiert, im Spiegel?
Gibt es überhaupt irgendwelche Hoffnung, dass ein einzelnes Fragment von Gefühl das mutwillige Gemetzel seiner Kindheit überlebt haben könnte?
Oh! Vater Tod,
Ich möchte schlafen ... bin verloren ... und mein Vater ist mir verloren!
Oh! Vater Tod,
komm und umarme mich! ... umarme mich!
Vögel sind Symbole des Geistes und der Seele. Über mir drei seltsame schwarze Vögel ... aus Schatten und Traum ... sie hängen kopfüber an den Telefonkabeln ... singen gegen den Wind. Die Vögel sprachen zu mir als wäre ich tot:
„Jemand sollte es ihm sagen!
Jemand sollte es ihm sagen!
Jemand sollte es ihm sagen!“
Plötzlich wird mein Körper lebendig ... als hätte Christus selbst mich auf den Mund geküsst und meinen ganzen Körper mit seinem Atem erfüllt ... Ja! Ja! sagte ich zu den Vögeln im Flug ... Ja! Ja! fuhr ich zurück ins Krankenhaus. ... Ja! Ja! JA! war mein Körper von Sex bedeckt.
Lieber Vater,
Ich habe dich gefunden, Gott sei Dank! noch immer auf dem Rücken liegend mit diesen durchsichtigen Kabeln, die deinen Körper bedeckten. Ich zwang mich, dich anzusehen. Ich zwang mich zu lächeln. Lügen! Unsichtbarkeit! Ich hörte auf zu lächeln, zwang mich, deinen Körper anzusehen, wie er kleiner und kleiner wurde. (Ach! lieber Vater, jetzt war deine Körper völlig sichtbar für mich; jetzt habe ich es akzeptiert; ja! jetzt! nur der Tod hat ihn schrumpfen lassen. ) Wie, als ich, den Mut fasste, meine Nase zu öffnen und tief einzuatmen, der Duft deiner Scheiße überraschte mich völlig; er war so süß wie: ein Pfirsich oder eine Erdbeere.
Lieber Vater, wir haben nie Musik zusammen gehört! Mochtest du Musik?
Was bist du? ... Was warst du?
Welche Träume besaßest du? ... Welche Albträume hast du getragen?
Mochtest du Essen ... Sex ... hast du je masturbiert? Wie wenig ich dich kannte.
Vater, sag mir diese Dinge, bevor du stirbst. ... Auf wie vielen Wegen kann ein Mann in den Körper einer Frau eindringen?
... ich möchte mit dir da liegen. Ich möchte in dein Totenbett kriechen. Ich möchte, dass du mich hältst. Ich möchte, dass sich deine blassen, kranken Lippen gegen mich drücken ... um mich zu küssen ... bevor es zu spät ist. Ich möchte, dass du mir ins Ohr flüsterst, dass du ...
mich liebst ...
Ich möchte dein Exkrement in meinen Händen halten, es gegen meine Lippen pressen.
„Vater, ich werde uns beiden ein wunderbares Geschenk machen.
Ich werde dir sagen dass ... du stirbst.“
Tod, Vater, Tod,
Es ist vier Wochen her, dass ich ihn zum letzten Mal gesehen habe. Ich saß bei ihm in seinem kleinen Krankenhauszimmer. Er saß beim Fenster, er sah niemals nach draußen.
„Sprichst du mit mir Vater?“ ... nein ... er hat nichts gesagt, seit ich das Zimmer betreten habe. Sein Gesicht war weiß.
„Vater, sprich mit mir.“
Er sah sehr müde aus.
„Vater, sprich mit mir.“
Sein Körper völlig verloren in dem weißen Laken.
( Während der letzten beiden Nächte schlief ich mit einer Schere unter meinem Körper,...
Diese Schere ist eine dürftige Waffe, aber jedenfalls eine Waffe, jedoch eine Waffe gegen was ... wen?)
Lieber Vater,
wärest du vor einigen Jahrhunderten gestorben, hätten sich viele Leute um dich versammelt und du wärst körperlich nicht allein gestorben. Aber wir leben in einer Zeit, in der der Tod nicht voll anerkannt wird. Die Leute sehen sich lieber unbelebte Objekte an, als in einen Raum zu gehen, einen Stuhl heranzuziehen, zu lächeln und dem Tode zuzunicken. Jedoch, wenn wir in diesem Zeitalter eine Gruppe von Leuten gefunden haben könnten, die lächeln würden, nicken würden und sich setzten! oh! wieviel schwerer wäre es noch, diese eine Person zu finden, die sich vollständig über den Tod freuen würde, wo der Tod mit großer Freude verdaut, ja, ich würde mir vorstellen, der Tod würde das tun mit großer Freude; lass es mit großer Freude sein, dass der Tod sich niedersetzt, zwischen deine Beine, mit fantastischer Verjüngung dein krankes Fleisch fressend, diese letzte köstliche Wurzel, die du schätztest, für den Schluss aufbewahrend. Oh! Vater, sieh, wie der Tod den letzten Saft aussaugt und dann einschläft.
Ich wollte, dass mein Vater mich lehrt, mit mir teilt, das heilige Wissen.
( Tod, Vater, Tod,
Bin ich ... ein Dämon? ... Bin ich ...ein Engel? ... Ich will doch einfach nur ... Mensch sein.
Obszönität! süße pure Obszönität!
Was ist es ... Mensch zu sein? )
Hätte er es erlaubt, würde ich seinen Schädel um meinen Hals tragen, sechs Monate nach seinem Tod, ich hätte einen seiner kleinen Knochen meinem Bruder gegeben und einen meiner Mutter und einen seiner Frau, und seine übrigen Knochen hätte ich bemalt und in einen hohlen Holzblock gelegt. Doch wenn ich meinem Vater diese Worte gesagt hätte, hätte er es nie verstanden. ( Bin ich verrückt ... oder ... Mensch? )
Es war Zeit, lieber Vater Tod, es war Zeit.
Ich verbrachte den ganzen Tag mit meinem Vater. Verließ das Krankenhaus erst, nachdem der Arzt mir versichert hatte, dass, bevor er sterben würde, es körperliche Anzeichen seiner verfallenden Gesundheit geben würde, ein Vorgang, der mindestens zwei Stunden dauern würde. Zwei Stunden, ich klammerte mich an diese Hoffnung. Gerade genug Zeit für die Krankenschwester, mich telefonisch zu erreichen, und für mich, um von dem Ort, an dem ich mich aufhalten würde, zum Krankenhaus zu fahren.
Ich ging, und kaum war ich fort, veränderten sich die Lebenszeichen meines Vaters drastisch. Er war nicht mehr in diesem friedlichen Schlaf, den ich heute als einen 'falschen Schlaf' betrachte; seine Atmung hatte sich verändert, sein Gesicht war nicht mehr ruhig. Als ich davon hörte, fuhr ich mit Höchstgeschwindigkeit ins Krankenhaus, wobei ich immer wieder die Wolken über mir anschrie. Denn mein Vater könnte jetzt diese Wolken sein: „noch nicht, Vater, verdammt! du seist verdammt! verlass mich noch nicht! ... die Seele ist verborgen und obszön ... Vater ... das fleisch ist rein! verlass mich noch nicht! gib mir wenigstens dies ... gib mir dies ... Gott ... nimm meinen Daddy noch nicht!“
Ich rannte vom Auto zum Krankenhaus-Fahrstuhl. Ich fühlte mich ein wenig wie ein Narr, meine Güte, wie dumm von mir zu glauben, dass mein Daddy wirklich im Sterben lag. Es war alles nur ein Spiel der Einbildung ... Als ich seinen Raum betrat, sah ich diese Gestalt unter weißen Laken ... eine einzelne rote Rose auf dem Tisch zwischen ihm und mir.
Ich setzte mich und hielt seine Hand.
Oh! wie er sich verändert hatte in nur zwei Stunden. Ich hatte einen schlafenden Mann verlassen, und als ich wiederkam, fand ich dieses Tier vor, auf der Seite liegend, um jeden Atemzug keuchend. Seine ganze Konzentration richtete er auf dieses Atmen. Ich hielt seine Hand und versuchte, für ihn zu atmen, doch es nützte nichts, mein Atem floh in den Raum hinaus wie ein Schmetterling, und mein Vater drehte sich in den weißen Laken, sein Mund geöffnet wie ein transparentes Netz, doch es nützte nichts. Mein Atem ging jetzt an ihm vorüber, oh! wie meine Liebe an ihm vorübergegangen war all die Jahre. Und sprach er mit mir? Nein, wenn er gesprochen hätte, und wenn das Worte gewesen wären, dann hätte ich sie nicht gehört, denn er war jenseits der Rede, in dieser Stille und Einsamkeit; und was jetzt existierte, war diese riesige Menge an Konzentration, die er brauchte, um diesen einzelnen Atemzug auszudrücken.
Ich nahm die Rose und hielt sie sanft an meines Vaters Nase: „riech! Vater ... es ist Leben! riech!“
Sein Körper lag auf der Seite, der Klang von Todesklappern war an seiner Seite, der Seite, die mir am nächsten steht. Aber war er auf dieser Seite? Kaum zu glauben. Es war leichter für mich zu glauben, dass ich Engel mit langen Penissen gesehen hätte, als dass mein Vater noch auf dieser Seite der Welt war. Und doch, welche Kreatur holte da Atem, wenn nicht er, und sei er mein Vater. Oh! Vater, wie wir unsere Jahre vergeuden!
Niemals, in keinem Moment meiner Träume habe ich dich in ein solch ängstliches Tier verwandelt gesehen. Nie in meinen wildesten Albträumen sah ich ein solch verdrehtes Bild meiner selbst, und dann wieder war ich es überhaupt nicht, denn dieses Tier in all seiner hässlichen Schönheit bist du ... mein Vater!
Als er starb, wurde ich verrückt, die Schönheit einer solchen Veränderung, vom Leben, wie ich es verstand, oder zu verstehen meinte, zu etwas, das ich überhaupt nicht verstand, ließ mich zurück im Besitz seines einzigen Geschenks, von dem ich weiß, dass mein Vater es mir geben konnte,
seinen Moment des Rätsels.
Richard Watts
Translated by Anis, November 2002