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SAMIRS
ABENTEUER
- Sechs Geschichten –
Anis Hamadeh, 2005

„Samirs Abenteuer“ ist eine Serie von experimentellen Kurzgeschichten, die von dem Dreieck Deutschland, Israel, Palästina handelt, beschrieben aus der Perspektive eines Mannes namens Samir.

Inhalt:

Samir 1: Die einen können nicht vergessen, die anderen sich nicht erinnern
Samir 2: Opfer, die zu Tätern wurden
Samir 3: Demütigung führt zu Entfremdung
Samir 4: Durch die Zeit wächst eine Blume
Samir 5: Der Tag, an dem die Angst verschwand
Samir 6: Guten Morgen, die Menschenrechte bitte ...

SAMIR'S
ADVENTURES
- Six Stories –
Anis Hamadeh, 2005

"Samir's Adventures" is a series of experimental short stories which deal with the triangle Germany, Israel and Palestine, described from the perspective of a man called Samir.

Content:

Samir 1: Some Cannot Forget, Others Cannot Remember
Samir 2: Victims Who Turned to Perpetrators
Samir 3: Humiliation Leads to Alienation
Samir 4: Through Time a Flower Grows
Samir 5: The Day When Fear Disappeared
Samir 6: Good Morning, the Human Rights, Please ...

1. Die einen können nicht vergessen,
die anderen sich nicht erinnern

Anis Hamadeh, April 2005

„Denk an die Kinder!“, sagte Sarah von der anderen Seite des Tisches. Zwischen den Gläsern konnte Samir sehen, wie ihre Violinen-Finger mit dem Salzstreuer spielten. Er versuchte, sich daran zu erinnern, was „Denk an die Kinder!“ bedeutete, doch schien es ihm in diesem Augenblick, als könne er sich an gar nichts mehr erinnern. Was tat er hier? Er schaute in die Runde. Da war Ari vor seinem leeren Nudelteller. Daneben Thomas, noch essend, aufblickend, grinsend. Sarah bestellte Espresso. In drei Stunden war der Auftritt. Ach ja, der Auftritt. Frieden in Israel und Palästina. Ein Zeichen setzen. Denk an die Kinder.

Samir rutschte auf seinem Stuhl herum und zündete sich fahrig eine Zigarette an. Am Anfang war es ja gut, dachte er bei sich, da war ein Potenzial. Aber wurde es nicht langsam zur Routine, zum Mechanismus? Einen Sommer lang waren sie durch Deutschland getourt, für den Frieden im Nahen Osten. Sie spielten klassische Musik und lasen Dichtung. Standen zusammen auf der Bühne, Palästina und Israel, zusammen, in Deutschland. Eine Begegnung. Es war gut. „War es nicht gut?“, fragte Ari und Samir lächelte. Doch ja, es war gut.

Draußen nieselte es auf das Pflaster der Altstadt. Durch das Restaurantfenster sah Samir Passanten mit hochgeklappten Kragen in verschiedene Richtungen laufen. Er sehnte sich nach einem Spaziergang und begann ohne Hast, seine Sachen vom Tisch zu räumen und einzusammeln. Handy, Zigaretten, Feuerzeug, Kugelschreiber, den Flyer des heutigen Abends. „Ich will noch mal für eine Stunde ins Hotel, mich frisch machen“, sagte er in die Runde. “Treffen wir uns dann hinter der Bühne?“ Sarah und Ari nickten. Der Soundcheck lag bereits hinter ihnen und alles war vorbereitet. Die beiden waren mehr oder weniger froh darüber, dass zumindest die heutige Veranstaltung nicht in Frage stand. Ebenso Thomas. Den ganzen Tag über hatte er Samir davon zu überzeugen versucht, am Ball zu bleiben. Weiterzumachen. Die beiden hatten inzwischen so viel gesprochen, dass sie einander recht gut kannten. Samir grüßte, zahlte und ging durch die Tür.

Der feuchte Wind zog und riss sofort an seinem Mantel. Hatte er etwas übersehen? Warum fiel ihm die Entscheidung so schwer? Gleich zu Beginn hatten sie über die Situation gesprochen, Ari und er. Ari war loyal zu seinem Land Israel, jedoch gegen die Besatzung und gegen die gezielten Tötungen politischer Gegner. Er sprach vom friedlichen Nebeneinander, auch vom Sicherheitsbedürfnis und vom Terrorismus. Als Sarah und er vor einigen Jahren die Folgen eines Anschlags auf Israelis auf der Straße miterlebten, beschlossen sie, etwas für die Verständigung zu tun. So suchten sie, als sie zurück in Deutschland waren, nach einem Dichter, der die palästinensische Seite vertrat.

Samir lief durch die Straßen in Richtung des Hotels. Er kannte den Weg nur vage. Sollte er sich verlaufen, würde er ein Taxi rufen. Der Wind war nun so stark geworden, dass sich kein Regenschirm aufgespannt halten ließ. Das Jaulen und Pfeifen um ihn herum öffnete ihn; es brachte seine eigene Realität mit sich, zog ihm die Gedanken aus dem Kopf und schleuderte sie in den wirbelnden Äther. Ein Dutzend Mal hatten sie auf der Bühne gestanden, im festen Glauben, dass das Schicksal von Palästinensern und Israelis nur durch Begegnungen zum Frieden hin gelenkt werden konnte. Aber begegneten sie sich noch? Es schien, als sei alles gesagt. Man wusste, wo der jeweils andere empfindlich war, wo er tolerant war, wo er nett und wo er schwierig war. Man hatte die politische Lage diskutiert und konnte den Standpunkt des anderen referieren. War das nicht bereits viel? Man brachte Menschen zusammen, die sich ähnlich nach einem Frieden sehnten und die lange applaudierten, wenn sie das Bild der Verständigung auf der Bühne sahen. Es gab sogar Politiker und Journalisten, die sich für das Projekt einsetzten. Samir hatte nach der Sommer-Tournee einen hundertseitigen Erlebnisbericht geschrieben und zweisprachig im Internet veröffentlicht. Thomas konnte erreichen, dass Veranstalter und weitere Künstler auf das Projekt aufmerksam wurden. Insgesamt waren es Tausende, die dieses Projekt miterlebt oder zumindest davon gehört hatten.

Als er an einem Kiosk vorbeikam, verspürte Samir einen spontanen Drang nach dem Kauf eines alkoholischen Getränks, um sich aufzuwärmen und um dieses nagende Gefühl, das sich in seinen Eingeweiden festgesetzt hatte, wenigstens für einen Moment zu überwinden. Jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, kam er zu dem Schluss, dass er akzeptieren müsse, nicht verstanden zu werden, nicht wirklich verstanden zu werden. Er war kein Einzelfall, eher handelte es sich um eine Binsenweisheit. Verstand er denn die anderen? Der Kiosk verschwand hinter ihm. Verstand überhaupt irgendjemand irgendjemanden? Sätze stiegen aus seinem Inneren hoch, Sätze aus seinen vielen Nächten. Mach dir nicht so viele Gedanken, lautete einer davon. Man muss die Leute nehmen, wie sie sind, ein anderer. Was soll man denn noch tun, ein weiterer. Mit Aggression erreicht man gar nichts, ein vierter. Man muss nach vorn schauen, ein fünfter.

Samir dachte an die Kinder in Palästina und in Israel. Hatte sich irgendetwas für sie verändert, seit die drei zusammen unterwegs waren? Oder war es im Gegenteil so, dass sie den Konflikt nur zementierten, indem sie auf der Stelle traten genau wie der Konflikt selbst? Samir wollte der Welt vorwerfen, dass sie an einem echten Frieden gar nicht interessiert und dass das der einzig mögliche Grund für Krieg war, aber er wusste, dass das schwer zu beweisen war. Alle redeten doch vom Frieden. Niemand war gegen den Frieden. Es gab nur keinen Frieden, das war alles.

Immer wieder hatte er sich in den vergangenen Jahren gefragt, warum es keinen Frieden gab, wenn doch alle ihn wollten. Wie man ihn definieren und wie man ihn erreichen konnte. Dabei kam er sich vor wie ein Störenfried. Paradox. Hatte er nun den Krieg gestört oder den Frieden? Warum konnte er Deir Yassin nicht vergessen? Warum musste er wieder und wieder auf die Vergangenheit zu sprechen kommen, auf seine und die der Gesellschaft? Erneut drangen Sätze aus seinem Inneren: Du kannst die Vergangenheit nicht ändern. Komm drüber weg! Du musst es vergessen. Du musst akzeptieren, dass es nicht immer nach deinem Willen gehen kann.

Die Altstadt lag glitzernd vor ihm. Plakate kündigten Veranstaltungen zum sechzigsten Jahrestag des Kriegsendes an. Deutschlands Vergangenheit. Sollte er die auch vergessen? Millionen Tote. Man konnte nichts mehr dagegen tun, es war passiert. Es war nun einmal passiert. Ari meinte, dies könne man überhaupt nicht vergleichen. Bei dem einen ging es um die industrielle Ermordung einer Gruppe, beim anderen um Schlachten, die das Existenzrecht Israels betrafen. Zwar seien bestimmt Fehler gemacht worden, doch insgesamt waren Maßnahmen nötig, um den Staat Israel zu gründen und zu sichern. Samir entgegnete, dass er hier nichts vergleiche, sondern dass der Satz richtig war, nach dem man den Genozid nicht rückgängig machen konnte. Dass man heute nichts mehr dagegen tun konnte. „Man kann verhindern, dass es wieder geschieht“, widersprach Ari. „Was genau?“, fragte Samir nach und erhielt zur Antwort: „Dass ein solcher Völkermord wieder geschieht.“

Samir rekonstruierte das Gespräch aus dem Gedächtnis. Er hatte zu Bedenken gegeben, dass es viele Formen des Unrechts gibt. Dass Völkermord sicher die schlimmste Form sei, man darüber das andere Unrecht aber nicht aus den Augen verlieren dürfe. Zum Beispiel hat der deutsche Staat damals den Besitz von Jüdinnen und Juden beschlagnahmt und zu einem großen Teil versteigert. Genaues kann man darüber aber nicht sagen, weil die Akten zu diesem Thema vom Finanzministerium unter Verschluss gehalten und anonymisiert werden. So hatte er es kürzlich in der Zeitung gelesen und ein Professor der Politikwissenschaft hat es ihm bestätigt und auf einem Symposion thematisiert. Samir kam es so vor, als ob die deutsche Position in dieser Frage das Vergessen war. Was änderte es schon, wenn man sich zu sehr damit beschäftigte? Man riss doch nur alte Wunden wieder auf. Und selbst ultra-pro-israelische Gruppen wie „Honestly Good Guys“, die die halbe Friedensbewegung wegen angeblicher Tendenzen verdächtigten, interessierten sich weder für die Versteigerungen noch für die Akten.

Und mit den Vergleichen war es auch so eine Sache. Wenn man ein riesig großes Unrecht gegen ein winzig kleines Unrecht stellte, dann gab es nach den Gesetzen der Logik ein gemeinsames Element, nämlich das Unrecht. Sonst könnte jemand kommen und sagen, dass neben dem Genozid an den Juden alles andere nicht zählt. Dann würde alles andere nicht zählen und gewitzte Kriegsherren könnten das ausnutzen und im Dunkeln agieren. Daran konnte eine Gesellschaft nicht interessiert sein.

Vergessen oder erinnern? Er war hin- und hergerissen. Seine eigene Vergangenheit hing wie ein Gewicht an seinem Bein. Ihm wurde beteuert, dass es keine schlimmen Dinge in der eigenen Vergangenheit gegeben habe und wenn doch, dass dies nur bedauerlich genannt werden könne. Doch bringe es nichts, an der Vergangenheit festzuhalten und sich im Kreis zu drehen. Nur in der Nacht, da kamen die Träume. Was war das für eine Zerrissenheit mitten in dieser Normalität? Eine Spannung, die ihn manchmal fast zum Bersten brachte. Die ihn schon in Schwierigkeiten gebracht hatte. Troublemaker. Die anderen waren nicht so.

Mit der Tournee kam es nicht voran. Diesen Eindruck jedenfalls hatte Samir. Da waren Gespräche gewesen, aber es ging nicht weiter. Wohin auch weiter? Sollte er sich einbilden, den Krieg zwischen Israelis und Arabern beenden zu können? Was für ein überzogener, lächerlicher Gedanke! Welche Anmaßung! Größenwahn! Samir fühlte sich schlecht. Er konnte das, was er sagen wollte und musste, nicht richtig formulieren. Er verletzte damit die Gefühle anderer. Wie kannst du für den Frieden sein, wenn du so wütend und aufgebracht bist, fragte er sich selbst und kam zu keiner Antwort. Der Konflikt regte ihn auf, die Stagnation machte ihn wütend. „Die Besatzung meiner Familie in Nablus macht mich wütend“, hatte er einst zu Ari, Sarah und Thomas gesagt und dafür Verständnis geerntet. „Verständnis“, fuhr er fort, „nützt meiner Familie faktisch nicht viel.“ Wieder Zustimmung. „Wir finden das ebenso“, meinten sie, „und es ist auch zum wütend werden, dass es immer wieder Terror-Anschläge gibt. Der Krieg muss aufhören.“ Ende.

Im Hotelzimmer angekommen wärmte sich Samir einige Minuten lang auf und legte die klammen Sachen ab. Im Spiegel entdeckte er ein paar überflüssige Gesichtshaare und entfernte sie mit seiner Friseur-Schere. Er sah sich vor seinen Leuten stehen, sagend, dass er glücklich sein wolle, Verständnis erntend. Und ja, sie hatten im Rahmen ihrer Welt wirklich Verständnis. Das war nicht gespielt. Es war sinnlos, sie zu enttäuschen wegen Dingen, die er nicht erklären konnte. Wegen Parallelen, die er so sah, die anderen aber abwegig schienen oder übertrieben. Wegen Kausalitäten, die andere nicht für plausibel hielten. Er machte sich – das konnte er nicht abschalten – Vorwürfe, weil er dachte, er hätte es vielleicht besser formulieren, besser vorleben, besser machen können. An diesem Punkt ging es nicht weiter, nicht im Kleinen und nicht im Großen. So hatte er derzeit weitgehend damit aufgehört, kritisch von der Vergangenheit zu sprechen. Es war ohnehin alles gesagt, man musste sich nicht ständig wiederholen. Die Phase, die darauf folgte, war ähnlich der Phase, die er in Kürze mit Sarah, Ari und Thomas erleben würde, wenn er dieselbe Strategie verfolgte. Und das würde er tun, denn er war das sinnlose Anecken leid.

Im Grunde, so dachte er, während er sich auf das Hotelbett fallen ließ, ging es sowieso nicht um die Vergangenheit. Niemand würde etwas dagegen haben, wenn jemand von seiner schönen Kindheit erzählt oder von der Vergangenheit seines Landes. Im Grunde ging es lediglich um die Kritik, wenn man aneckte.

Er wollte Sarah und Ari nicht vor den Kopf stoßen, Thomas nicht, seinen Leuten nicht, den Deutschen, Israelis und Palästinensern nicht. Gleichzeitig fühlte er die Verantwortung, Dinge zu sagen und auch zu tun, die andere nicht gerne hörten.

Und was wäre, wenn man den Leuten den Nahost-Krieg wegnehmen würde? Man würde Millionen Menschen den Feind nehmen. Diesen Anderen, der genau so war, wie wir ihn hassten. Unser Schild, mit dem wir alles Übel von uns weg projizieren konnten. Nicht wir sind das, die sind das! Man würde eine Rechtstaatlichkeit einführen und damit Millionen von Menschen lieb gewonnene Privilegien nehmen. Rassismus würde es nicht mehr geben und die Debatte um den jüdischen Charakter des Landes würde neu aufflammen, denn zwanzig Prozent der Einwohner Israels sind nicht jüdisch. Die Flüchtlingsproblematik würde wieder aufkommen. Die Besatzung würde aufgehoben und damit wären Kontakte zwischen den Gesellschaften möglich, die den Charakter des ganzen Landes neu gestalten würden. Intellektuelle von allen Seiten würden gute Gründe für die Ein-Staat-Lösung nennen. Sämtliche militärischen Allianzen müssten hinterfragt werden, die Geschichte neu geschrieben, alle würden sich verletzlich machen und niemand könnte sich mehr auf die fürchterliche Situation berufen, wenn er aggressiv wird. Auch andere Staaten nicht. Die deutsche Vergangenheit würde wieder diskutiert werden und nicht mehr gepredigt, weil man neue Antworten brauchen würde. Die ganze Infrastruktur und Verteilung, alles würde sich ändern, wenn es im Nahen Osten zur Etablierung von Völkerrecht und Menschenrecht käme. Frieden wäre eine Katastrophe!

Samir räkelte sich im Bett und sah kurz auf die Uhr. Noch Zeit. Seit ein paar Wochen hatte er einen neuen Job, er baute eine Textabteilung in dem kleinen Betrieb eines Freundes auf. Gesellschaftlich veränderte das viel für ihn. Er war wieder in den Kapitalismus integriert und fand das einen Versuch wert. Die Leute waren nicht so schnell abgeschreckt, wenn man eine Arbeit hatte, die sie verstehen konnten. Das war viel wert. Wenn ein Armer für den Frieden in Nahost wirbt, hören ihm viel weniger zu als wenn ein Reicher das tut. Natürlich, Qualität setzt sich irgendwann durch, das ist klar, aber Werbung kostet Geld und ohne Werbung in der einen oder anderen Form glaubt es sowieso keiner. Ohne Geld glaubt es keiner. Kein Glaube ohne Geld. Wir glauben an Geld. Für die Veranstaltung heute Abend gab es eine Gage, das hatte Thomas ihm vorhin erzählt. Durfte man als Friedenskünstler Gagen nehmen? Wovon soll so einer leben? Wie wichtig ist der? Und wie wichtig wird er genommen, wenn er kein Geld hat, um sich ein anständiges Auto zu kaufen?

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Samir konnte nicht davon lassen, weil er im Kleinen das Große sah. Das Kleine, das waren all die Familienkonflikte, die individuellen Kontrolldramen. Jahrelang hatte er das studiert, denn er wollte es verstehen. Tief ins Unterbewusste war er dabei gereist. Das Große war im Land mit der Hauptstadt Jerusalem. Seit Jahrzehnten. Das Große war auch in der ganzen Welt, es war überall gleich, immer derselbe Konflikt. Dieselben Muster, dieselben Ursachen und Wirkungen auf unterschiedlichen Ebenen. Nicht überall mit Blut, nicht überall mit Toten. Aber überall mit Verdrängung und Vergessen, mit Sprachlosigkeit und Träumen, der Unfähigkeit, mit Schuld und überhaupt mit Gefühlen umzugehen, mit Rechtfertigungsstrategien und Bewusstseinsblockaden, mit reflexhafter Negation von Alternativen, mit methodischen Mechanismen und dogmatischen Normalitäten.

Andererseits: Was, wenn man den Leuten all dies nehmen würde? Samir lachte. Sicherlich würden einige Dinge aus den Fugen geraten. Die Familien würden ihre Struktur verändern. Freiwillige vor! Das Wort „Realität“ würde keinen Deutungsmonopolen mehr zum Opfer fallen. Ebenso das Wort „Normalität“. Samir lachte wieder. Er stellte sich die Verwirrung vor, wenn einiges von dem, was als normal galt, nicht mehr normal war. Er grübelte nach einem völlig unnormalen Satz. „Um das Nahostproblem zu lösen, brauchen wir ein neues, ein zeitgemäßes Familienbild.“ Irreal, surreal.

Für seine eigene Situation fand er keine Lösung. Sollte er zum Beispiel weiterhin mit den beiden auf der Bühne stehen? Bedeutete das etwas? Bedeutete ihm das etwas? Zu einem Nein konnte er sich nicht durchringen, zu einem überzeugten Ja auch nicht. Er nahm das Handy und rief Halima an. Halima war Ärztin und brachte unter anderem israelische und palästinensische Kinder in Deutschland zusammen. „Bleib dabei!“ Er hörte die sanfte Frauenstimme mit dem palästinensischen Akzent. „Wir müssen präsent sein und zeigen, dass ein Boden für Begegnungen da ist.“ Sie klang unbeirrt. Samir zweifelte. Er wusste zwar, dass man die Veränderungen, die man sich wünschte, selbst herbeiführen musste, doch tat er das? Und was konnte er anderes tun? Warten? „Warten ist nicht immer falsch“, sagte Halima, bevor sie auflegte.

Hinter der Bühne stand Ari, der israelische Pianist. Stimmen aus dem Publikum drangen gedämpft durch den Vorhang. Samir verzog das Gesicht. „Also, ich bin bereit, in der nächsten Zeit bei dem Projekt zu bleiben. Du kannst die entsprechenden Zusagen machen.“ Ari schaute ihn an und deutete eine Bewegung an, die man normalerweise auf dem Fußballfeld nach einem gewonnenen Spiel machte. „Kennst du den Spruch: Handeln ohne Streit?“, fragte Samir. „Glaubst du das geht?“ Ari wusste es nicht. Samir auch nicht. Vielleicht würden sie die Leute auf der anderen Seite des Vorhangs fragen.

1. Some Cannot Forget,
Others Cannot Remember

Anis Hamadeh, April 2005

"Think of the children!" said Sarah from the other side of the table. Samir could see her violin fingers playing with the salt shaker through the glasses. He tried to remember what "Think of the children!" meant, but in this very moment it seemed to him as if he could not remember anything at all. What was he doing here? He took a look around. There was Ari in front of his empty pasta plate. Next to him Thomas, still eating, looking up, grinning. Sarah ordered some espresso. Three more hours, then there would be the appearance. The appearance, right. Peace in Israel and Palestine. Sign of hope. Think of the children.

Samir was sliding on his chair and nervously lit a cigarette. In the beginning it was really good, he thought to himself, there was a potential. But had it not changed into a routine by now, a mechanism? For a whole summer they had toured Germany, to promote peace in the Middle East. They played classical music and recited poetry. Stood together on a stage, Palestine and Israel, together, in Germany. An encounter. It was good. "Wasn't it good?" Ari asked and Samir smiled. Yes, it was good.

Outside, the rain was drizzling onto the pavement of the old part of the city. Through the panorama window of the restaurant Samir saw passers-by with turned-up collars running into divers directions. He was longing for a walk and started, without any haste, to collect his belongings from the table. Cell phone, cigarettes, lighter, pen, the flyer of tonight. "I'm gonna go back to the hotel for an hour, prepare myself for the evening", he said to the group. "Shall we meet backstage then?" Sarah and Ari nodded. The soundcheck was already done and all the technical things prepared. The couple was more or less happy about the fact that at least the current appearance was not in question. So was Thomas. The whole day through he had tried to convince Samir to stay with the project. To continue. The two had talked so much in the meantime that they knew each other quite well. Samir said goodbye, paid his bill and went through the door.

A strong wet breeze immediately started to drag and pull his coat. Was there anything he missed to notice? Why was it so difficult for him to decide? Right in the beginning they had talked about the situation, Ari and him. Ari was loyal to his country Israel, but against the occupation and against the targeted killing of political enemies. He spoke about peaceful co-extistance, also about security needs and terrorism. When a couple of years ago Sarah and him had experienced the effects of an assault against Israelis on the street they decided to do something for the mutual understanding. So, when they had returned to Germany, they looked out for a poet who could represent the Palestinian side.

Samir strolled through the streets in the direction of the hotel. He knew the way only vaguely. If he lost the way he would call a taxi. The wind had now become so strong that people could not use their umbrellas. The howling and whistling around him opened him; it came in with a reality of its own right, it took the thoughts right out of his head and shot them into the swirling air. A dozen times they had stood on stage, firmly believing that the fate of Palestinians and Israelis could only be moved into the direction of peace by way of encounters. But did they still encounter? It seemed as if everything was said. They knew the points where the respective other was sensitive, where he was tolerant, where he was easy and where he was difficult. They had discussed the political situation and were able to report the view of the respective other. Wasn't this a lot? They connected people who longed for peace in a similar way and who applauded for a long spell of time when they saw the picture of togetherness on the stage. There even were politicians and journalists who promoted the project in the public. After the summer tour Samir had written a hundred page report and published it on the internet in two languages. Thomas was able to draw the attention of event organizers and other artists to the project. All in all there were thousands who experienced this project or at least heard about it.

When he walked past a newspaper shop Samir felt a spontaneous urge for the purchase of an alcoholic drink, to warm up a little and to overcome this nagging feeling which had settled in his stomach, and be it only for a moment. Every time he thought about it he came to the conclusion that he had to accept to not be understood, not really be understood. He was not a single case, it rather was an overall phenomenon. Did he understand the others? The newspaper shop disappeared behind him. Did anybody at all understand anybody else? Phrases came up from his inside, phrases he heard in his many nights. Don't trouble yourself so much, was one of them. You have to take people the way they are, was another. What more can we do, yet another. Aggression never brings you further, a forth one. We have to look into the future, a fifth one.

Samir thought of the children in Palestine and in Israel. Did anything at all change for them since the three had been together on tour? Or was it on the contrary the case that the three only affirmed the conflict with a stagnation that was the same stagnation as the conflict itself? Samir wanted to accuse the world of not being factually interested in a proper peace and conclude that this was the only possible reason for war, but he knew that this was hard to prove. Did not everybody talk about peace? Nobody was against peace. There just was no peace, that was all.

In the past years he had asked himself again and again why there was no peace if everybody wanted it. How to define it and how to achieve it. While doing so he had the impression of being a troublemaker. A paradox. Had he disturbed war or had he disturbed peace? Why wasn't he able to forget Deir Yassin? Why did he have to come up with the past over and over again, his own past and the past of the society? Once again these phrases emerged from his mind: you cannot change the past. Get over it! You gotta forget about it. You gotta accept that things cannot always be the way you want it.

The old city was shining in front of him. He saw announcements glued to the walls, inviting to gatherings concerning the sixtieth anniversary of the end of the war. Germany's past. Should he forget about this also? Millions of deads. There was nothing left to do about it, it had happened and was over. Ari said that one could not compare that at all. One thing was about the industrial murdering of a group, the other thing was about battles relating to Israel's right to exist. There certainly had been mistakes made, but all in all measures were needed to bring the state of Israel into being and then to secure it. Samir replied that he was not comparing anything here, but that the sentence was correct after which the genocide was irreversable. That there was nothing today which could be done against it. "One can prevent it from happening again", Ari said. "What exactly?" asked Samir and the response was: "That such a genocide happens again."

Samir reconstructed the dialogue from his memory. He had suggested that there were many forms of injustice. That genocides surely were the worst form, but that there also was other injustice which had to remain in the consideration. The German government, for example, in former times had confiscated the property of Jews and to a large extend had sold it at auctions. The details are unclear, because the files about the matter are anonymized and held in secret by the Ministry of Finances. This is how he had recently read it in the newspaper and a professor of political science had verified it to him and had talked about the phenomenon at a symposion. It seemed to Samir as if the German position in this issue was forgetting. And what did it change, anyway, if one occupied oneself too much with the matter? Old wounds would open again, that was all. Even ultra-pro-Israeli groups like "Honestly Good Guys", who suspected half of the peace movement of alleged tendencies, were interested neither in the auctions nor in the files.

Then there was this thing about comparisons. When you have a gigantically huge injustice and a minimally tiny injustice then – according to the laws of logic – there is a common element which is the injustice. Otherwise somebody could come and say that nothing else than the genocide against the Jews counts. Then nothing else would count, only the genocide against the Jews and witty masters of war would be able to instrumentalize this circumstance and act in the dark. A society cannot be interested in such a thing.

Forget or remember? He was shifting between the two. His own past was chained to his leg like a weight. It was affirmed to him that there had not been any terrible instances in his own past and if so that this could only be regretted. Yet there was no point in clinging to the past and in circular moving. Only these dreams, they appeared in the night ... What kind of raggedness was this, in the middle of this normality? A tension which at times almost made him explode. Which had brought him into trouble sometimes. The others were not like that.

There was no progress in the tour. This, at any rate, was Samir's impression. There had been talks, but there was no getting further. Where further, anyway? Should he be dreaming of being able to stop the war between Israelis and Arabs? What a pretentious, ridiculous thought! What a presumption! Megalomania! Samir felt bad. He was unable to properly formulate what he wanted to say, what he had to say. He was hurting other people's feelings with it. How can you be for peace when you are so angry and excited, he asked himself and came to no answer. The conflict was irritating him, the stagnation made him angry. "The occupation of my family in Nablus makes me angry", he had once said to Ari, Sarah and Thomas and they had showed sympathy. "Sympathy", he continued, "factually does not help my family much." Again appreciation. "We think the same way", they said, "and the terror attacks are also making us angry. The war has to stop." Finish.

He entered the hotel room, warmed up for a couple of minutes and put the wet clothes aside. In the mirror he discovered some superfluous face hairs and removed them with his hairdresser's scissors. He saw himself standing in front of his folks, saying that he wants to be happy and they replied with sympathy. And yes, within the framework of their world they had sympathy indeed. It was not faked. It made no sense to disappoint them for things he could not explain. For parallels he saw where others would find a connexion incongruous or exaggerated. For causalities others would not find plausible. He could not help accusing himself, because he thought he could have formulated it better, live it better, do it better. At this point there was no going on, not in the small and not in the big. Thus in the meantime he had more or less stopped talking critically about the past. Everything was said, anyway, there was no need to repeat oneself all the time. The phase which followed was similar to the phase he would shortly experience with Sarah, Ari and Thomas also, if he pursued the same strategy. And this was what he was intending to do, for he was fed up with these meaningless confrontations.

If you really looked at it, so he thought to himself while letting his body fall onto the hotel bed, it was not about the past, anyway. Nobody would mind if someone talked about his or her beautiful childhood or about the past of their country. If you really looked at it these confrontations were merely about criticism.

He did not want to affront Sarah and Ari, nor Thomas, nor his own folks, the Germans, the Israelis and the Palestinians. At the same time he felt the responsibility to say and do things which others did not like to hear.

And what if one took the war in the Middle East away from the people? One would deprive millions of people of their enemy. This other who was exactly the way we hated him. Our shield, with which we were able to project all evil away from ourselves. This is not us, it is them! The rule of law would be established and take away dear privileges of millions of people. There would be no racism anymore and the debate about the Jewish character of the country would flame up anew, because twenty per cent of the inhabitants of Israel are not Jewish. The refugee issue would revive. The occupation would be lifted and so contacts between the societies would be possible which would restructure the character of the whole country. Intellectuals from all sides would name good reasons for the one-state solution. All military alliances would have to be questioned, history rewritten, everybody would make him- and herself vulnerable and nobody could blame it on the terrible situation anymore when people are aggressive. Other states, neither. The German past would be discussed again and not preached, because we would need new answers. The whole infrastructure and distribution, everything would change when international law and the human rights would establish in the Middle East. Peace would be a catastrophe!

Samir was lolling in the bed and glimpsed at his watch. Still time ahead. Since a couple of weeks he had a new job, creating a text department in the small company of a friend. Socially this changed a lot for him. He was reintegrated into capitalism and found it worth a try. People were not so quickly detered when you had a job they could understand. That was worth a lot. When a poor guy promotes peace in the Middle East there will be much less people to listen than when a rich guy does it. Of course, quality will prevail in the end, this is clear, but advertisement costs money and without advertisement in one form or another nobody will believe it, anyway. Without money they don't believe it. No belief without money. We believe in money. There would be a salary for tonight's appearance, Thomas had told him some hours ago. Were peace artists allowed to receive salaries? What was such a person supposed to live from? How important was he? And for how important would people take him, if he did not have the money to buy himself a decent car?

The conflict between Israelis and Palestinians. Samir was unable to forget it, because he saw the big in the small. The small consisted of all the family conflicts, the individual control dramas. For years he had studied this, for he wanted to understand. Deep into the subconscious he had traveled. The big was in the country with the capitol Jerusalem. Since decades. The big was also all over the world, it was everywhere the same, everywhere the same conflict. The same patterns, the same causes and effects on different levels. Not everywhere with blood, not everywhere with deads. But everywhere with supression and forgetting, with speechlessness and dreams, the incapability of handling guilt and feelings in general, with justification strategies and consciousness blockades, with knee-jerk negations of alternatives, with methodic mechanisms and dogmatic normalities.

On the other hand: what, if one took all this away from the people? Samir laughed. Surely a couple of things would get out of control. The families would alter their structures. Volunteers, please! The word "reality" would no longer fall victim to any monopolies of interpretation. The same about the word "normality". Samir laughed again. He imagined the confusion when some of the things, which were taken to be normal, would cease being normal. He thought about a completely unnormal phrase. "In order to solve the Middle East problem we need a new, a contemporary understanding of the family." Unreal, surreal.

For his own situation he found no solution. Should he, for example, continue to appear on stage with the two? Did it mean anything? Did it mean anything to him? He was unable to conclude with a no. Neither was he convinced of a yes. He took the cell phone and called Halima. Halima was a physician and, among other things, she arranged meetings of Israeli and Palestinian children in Germany. "Stay with the project!" He heard the soft female voice with the Palestinian accent. "We have to be present and show that there is a fundament for encounters." She sounded unperturbed. Samir was in doubt. He did know that any changes one wished to take place had to be caused by oneself, but was he doing that? And what else could he do? Wait? "It is not always wrong to wait" said Halima, before she hung up.

Behind the stage stood Ari, the Israeli pianist. Voices from out of the audience mutedly came through the curtain. Samir pulled a grimace. "Well, I am ready to stay with the project for the next spell of time. You can make the respective confirmations." Ari looked at him and intimated a movement which normally can be seen in soccer stadiums after a won game. "Have you ever heard of the saying: act without quarrel?" asked Samir. "Do you think that works?" Ari did not know. Samir neither. Maybe they would ask the people on the other side of the curtain.

2. Opfer, die zu Tätern wurden
Anis Hamadeh, Mai 2005

Der Sommer ging schon in den Herbst, als eines Abends Samir am Fenster stand und dabei zusah, wie sich die Wolken über der Hanse-Metropole zusammenzogen. War da nicht ein leises Donnern zu hören gewesen? Er öffnete das Fenster ein Spalt weit und lauschte zwischen den Stadtgeräuschen umher. Die klebrige Außenluft mischte sich in leisen Schüben in das Zimmer, nachdem sie Samirs Gesicht passiert hatte. Er stand ganz still da, lauerte. Ein Riss, ein entferntes Krachen, steigende Luftfeuchtigkeit. Sein großer Zeh begann auf dem Parkettboden zu schaben. Wie lange noch? Zehn Minuten? Dreißig?

Samir schloss das Fenster und holte die weite hellgraue Mikrofaserhose aus dem Schrank. Auch die Regenjacke in derselben Farbe, die er über das T-Shirt zog. Schon schnürte er die Sportschuhe zu und war durch die Wohnungstür verschwunden.

Es war bereits dunkel draußen, warme Luft kam schubweise um die Hecke und brachte kühle Tropfen mit. Es würde also auch Wind geben, herrlichen Wind! Im Gehen öffnete er die Arme, um das Wetter besser spüren zu können. Auf der Straße war fast niemand. Samir beschleunigte seine Schritte, als könne er dadurch die Naturgewalten ermutigen. Er wollte ein großes Wetter, dafür war er hier, er wollte, dass die heiße Luft vom Regen zerfetzt wird, dass mächtige Donnerwolken ihr Konzert gaben. Er wollte es spüren. Er wollte seinen Dämon rufen und mit ihm ringen.

Warum sind die Dinge so geschehen, wie sie geschehen sind? Welche Ursachen hat das Unrecht, warum kommt es zu Konflikten? Was war das für ein Dämon, mit dem wir zu kämpfen hatten?

Samir gelangte zum Isebek-Kanal an der Hoheluftbrücke und beobachtete eine steigende Frequenz von Regentropfen, während eine Bö die Straße heraufkam, in Begleitung eines Blitzes. Er hob die Augenbrauen, da folgte bereits das satte, ausgiebige Donnern. „Ihr habt gegessen vom Baum der Erkenntnis“, sagte der Wind. Samir nickte. Er lief die Isestraße entlang, unter der U-Bahn-Brücke. Er wollte dem Bösen widerstehen, dafür musste er es erkennen.

Samir fürchtete sich davor, über das Böse nachzudenken. Was, wenn er zu dem Schluss kam, dass es ihn selbst betraf und sein eigenes Verhalten? Hatte er nicht schon genug gelitten? Von der Seite trafen ihn die Wassergüsse am Bein und er atmete die gekühlte Luft in seine Lungen, gekühlte Luft wie aus der Wasserpfeife.

Lange hatte er in seinem Vater einen Mann gesehen, der bestimmte Dinge nicht wahr haben wollte. Dessen Aussagen zuweilen zweifelhaft und dessen Handlungen nicht immer nachvollziehbar waren. Es waren seine Mangelhaftigkeiten, bei denen Samir sich aufgehalten hatte. Was aber war mit der Schicht darunter? Samir erinnerte sich an ein Gespräch mit seinem Onkel Fauzi in Nablus. Der hatte in einer kleineren Runde erwähnt, dass Sidi, also Großvater, auch hart bestrafen konnte. Nur dieses eine Mal und ganz kurz hatte der Junge von der dunkleren Seite seines Großvaters gehört. Dieser Anhaltspunkt war es letztlich, der Samirs Vaterbild veränderte. Plötzlich ergaben Dinge einen Sinn, die vorher keinen gehabt zu haben schienen. Sein Vater musste früher in derselben Situation gesteckt haben wie er. Nun sah er in seinem Vater einen kleinen Jungen, der von seinem Vater geschlagen wurde. Dieser kleine Junge konnte nicht verstehen, warum er das erleiden musste, aber er lernte, damit zu leben. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, seinen Vater dafür zu verurteilen, eben weil es der Vater war ...

Samir verließ den Schutz der Brücke und ging mitten in das Wetter hinein. Er kehrte um, wollte denselben Weg im Nassen noch einmal gehen. Mit seinen Bewegungen versuchte er, die Elemente um ihn herum anzufeuern und gleichzeitig in sich aufzunehmen. Es war kein unangenehmer Regen, sondern ein reinigender. Samir verstand die wenigen Passanten nicht, denen er begegnete, weil sie hastig einen Zufluchtsort suchten. Spürten diese Menschen denn nicht die erfrischende Kraft, die hier verströmte und lediglich aufgesammelt werden musste?

Durchflutet von der Energie des Gewitters versetzte sich Samir in die Lage dieses kleinen Jungen, der so schrecklich behandelt worden war, ohne dies je wirklich realisiert zu haben. Er musste dieses Gefühl der Erniedrigung und des Schmerzes als einen Teil der normalen Welt aufgefasst und nicht weiter darüber nachgedacht haben. Wie würde es mit diesem Jungen weitergehen? Wohin sollte er mit dem Schmerz? Samir bog in den Eppendorfer Weg ein. Er war nun vollständig durchnässt, doch es war nicht kalt. Die Straße war leer, er konnte sich ganz den Gewalten hingeben, sie mit allen Sinnen erfassen und sich zu ihnen bewegen.

Wohin mit dem Schmerz? Dieser Junge würde seinen Vater irgendwann verlassen, doch der Schmerz würde bleiben. Er würde erwachsen werden, eine Arbeit aufnehmen, sein Glück versuchen. Denn er wollte sich ja endlich entfalten, sein wahres Selbst aus dem Stein des Lebens meißeln und polieren, seiner Erfüllung entgegengehen. Er findet eine Frau und gründet eine Familie. Als sein eigener Sohn aus dem Kleinkindalter gewachsen ist, dringen plötzlich immer wieder pochende Gedanken aus fernen fremden Zeiten in seinen Kopf. Er wird aggressiv, versteht selbst den Grund nicht, doch braucht er jetzt dringend ein Ventil. Und da geschieht es.

Nun liegt sein eigener Sohn dort in der Ecke, schmerzverkrümmt und wimmernd von den Hieben und Tritten. Der Mann geht in sein Zimmer und denkt zurück an seinen Vater, den er nicht verstehen konnte. Nun hatte er es auch getan, nun konnte er seinen Vater auf eine Weise verstehen. Zwar ist der Schmerz nie weggegangen, jedoch der Bund zwischen Vater und Sohn schien gewahrt zu sein.

Samir konzentrierte sich auf den platschenden Regen und stachelte ihn auf, indem er innerlich formulierte, dass er bis zu dieser Stufe noch leicht mithalten konnte. Ob der Regen wohl schon am Ende seiner Kräfte war? Ein Donnergrollen von vorn erregte seine Aufmerksamkeit. Er blickte in die Richtung, als mehrere mächtige Blitze den Himmel öffneten, der die ganze Stadt verschlingen zu wollen schien.

Samir reckte sich mit seinem ganzen Körper auf und streckte sich dem Himmel entgegen, dass er ihn aufnehmen solle. Er war nun ganz mit seinem Vater verschmolzen, ging durch die Wolken und folgte genau seinen Spuren. Er spürte, wie er jetzt im Herzen des Problems stand und suchte instinktiv nach einer Sache, die er sich als einen Hebel vorstellte, den er umlegen konnte, um die Maschine zu stoppen. Er war durch ein Zeitfenster gefallen und konnte die Vergangenheit ändern. Nicht die äußeren Geschehnisse, die konnte kein Mensch nachträglich verändern. Aber die Denkweisen und die daraus resultierenden Handlungsmuster, auf die hatte er jetzt direkten Zugriff.

Er hatte damit seinen Vater verstanden, ohne dabei selbst zum Täter werden zu müssen. Samir spürte, dass dies ein wichtiger Punkt war. Komm schon, alter Junge, sagte er zu sich selbst, geh weiter nach vorn. Na los doch! Er schlenderte durch die feuchten Wolken und konzentrierte sich. Was war das für eine seltsame Wahrheit, die er hier am Schopf gepackt hatte? Dies war mehr als ein Einzelschicksal, dies war ein Mechanismus, der Opfer mit offenen Wunden zu Tätern machen konnte.

Samir kannte beides: den Schmerz und die Aggression, die aus dem Schmerz geboren wird. Er hatte sich gewehrt gegen beides, doch konnte er beides nicht loswerden. Das war ihm in diesem Augenblick sehr bewusst, da er auf den Wolkenspuren seines Vaters wandelte und sah, wieviel Ähnlichkeit die Erfahrungen der beiden hatten, wie viel Verständnis und Nähe zwischen den beiden bestand. Samir bemerkte, dass er in seinem Leben ganz andere Vorstellungen von Nähe und Verständnis entwickelt hatte als sein Vater. Das war eine andere Art von Verständnis, wenn man dieselbe Scheiße erlebt hatte. Das war eine andere Art von Nähe als die, die Samir von der Liebe her kannte.

Er fand sich in der Nähe des Isebek-Kanals wieder und wusste aufgrund des Getöses um ihn herum nicht genau, ob er dort lag, saß oder stand. Der Himmel hatte ihn wieder ausgespuckt. Er war ein Gestrandeter, ein Geretteter, ein Entkommener. Sein Kopf war an der linken Stirnseite aufgeschlagen, das würde eine Narbe geben. Einen himmlischen Schmiss. Samir lachte und betrachtete, wie das Blut vom Regen sofort weggespült wurde und sich hellrot verflüchtigte. Er hielt sich am Geländer fest, leicht in den Knien zitternd, und atmete mehrmals tief durch.

Er resümierte, dass Opfer nicht zwangsläufig zu Tätern wurden, denn er hatte soeben einen alternativen Weg gefunden, um die Aggressionen zu bewältigen. Es gab also Alternativen. Langsam stapfte er weiter. Im folgenden Blitz meinte Samir erkennen zu können, dass es einen Riss gab zwischen der trivialen Beobachtung der Kette der Gewalt, bei der sich immer der nächstschwächere gesucht wurde, um die Aggression weiterzutragen auf der einen Seite und der Tragweite der Erkenntnis, dass es einen Mechanismus gab, der Opfer systematisch in die Gefahr brachte, selbst zu Tätern zu werden, auf der anderen Seite. Täter vielleicht minderer Delikte als denen, denen sie selbst zuvor zum Opfer gefallen waren. Und doch Täter. Menschen, die übersahen, dass sie nicht einfach tun durften, was sie wollten, nur weil sie ihre Handlungen begründen konnten. Solche Menschen konnten auch Kriege mittragen, die eine parallele Dramaturgie aufwiesen.

Was für ein harter Schlag für alle Opfer, denn sie müssen zusätzlich die Last der inneren Täterabwehr tragen. Müssen sich zusätzlich anstrengen, um auf dem richtigen Kurs zu bleiben. Nicht wie die, die nie geschlagen worden sind. Die eine unbeschwerte Kindheit hatten. Die haben es leicht, auf der Bahn zu bleiben. Sie besitzen diesen Stachel nicht, der sie quält in der Nacht, der an ihnen zieht.

Warum hatte man nichts von all dem gehört? In der Schule, in der Familie, im Fernsehen? Warum wurde man nicht gewarnt? Wenn wir an Opfer dachten, dann gehörte dieses Element nicht zu unserem Assoziationsfeld. Dieses Merkmal, diese Gefahr, die Samir in sich selbst jetzt so deutlich wahrnehmen konnte, sie schien einfach so mitzulaufen, nicht fassbar zu sein, ein Geheimnis zu sein.

Er ging jetzt auf der Hoheluftchaussee in Richtung Grindelhof. Das Wetter hatte noch nicht nachgelassen. Wie konnte man Opfer sein und gleichzeitig Täter? Wie sollte man eine solche Person behandeln, als Opfer, als Täter, neutral, mal so mal so, wie? Wie mit ihnen sprechen? Er passierte das große Kino, das den Wassermassen trotzte, und ihm fiel der Film „Uhrwerk Orange“ ein, ein Klassiker, in dem ein brutaler Täter im zweiten Teil dieselben Qualen erlitt, die er selbst anderen zugefügt hatte. Dies führte zu seiner Läuterung.

Samir lief und lief, stemmte sich den Winden entgegen. Er brauchte seinen Vater nicht dieselben Qualen spüren zu lassen, denn der Vater hatte sie ja bereits erfahren. Samir machte es anders, er gab all dem Schmerz nachträglich einen Sinn. Keine Berechtigung, aber wenigstens einen Sinn. Etwas musste nämlich damit geschehen, damit der Stachel aus der Wunde treten konnte.

Im Land seiner Väter gab es viel Gewalt, überdurchschnittlich viel Gewalt. Denn zusätzlich zu den Familientragödien gab es dort den alten Konflikt zwischen Juden und Arabern, zwischen jüdischen Israelis und arabischen Palästinensern. Dieser Konflikt war so schwerwiegend, dass er in Hunderttausende von Familien eingriff und sie mit Hass konfrontierte. Auch die Juden brauchten damals nach dem Zweiten Weltkrieg einen Sinn, um weiterleben zu können und sie fanden ihn in der Idee eines sicheren Judenstaates und der Vorstellung eines wehrhaften Bürgers dieses Staates. Alles andere war damals sekundär oder irrelevant gewesen. Wie aber sah das heute aus, mit dem Wissen, das wir heute hatten?

Samir dachte an seinen Vater. Wie sollte er mit ihm nun umgehen? Musste er sich überhaupt Gedanken darüber machen oder würde es sich von selbst ergeben? Er fühlte wieder Nähe, nach all den Jahren der Entfremdung. Er ahnte, dass die Situation nicht so aussichtslos und verfahren war, wie sie schien. Der Regen ließ nach. Innerhalb von Minuten wurde es ganz still. Samir schüttelte sich das Wasser aus der Kleidung, hielt kurz inne und kehrte dann zurück nach Haus. Als er einschlief, stellte er sich eine pfirsichgelbe Sonne vor, wie sie heiß über der Stadt aufging. Vielleicht schon morgen.

2. Victims Who Turned to Perpetrators
Anis Hamadeh, Mai 2005

Summer was already changing into fall, when one evening Samir stood at the window and watched the clouds gathering above the Hansa metropole. Wasn't this a gentle thunder he heard from over there? He opened the window a little and listened around in the city noises. The sticky outdoor air entered the room in fine batches after having passed Samir's face. He stood still there, lurking. A crack, a remote crash, increasing humidity. His big toe started to scrape on the parquet floor. How long would it take? Ten minutes? Thirty?

Samir closed the window and fetched the large light grey microfiber trousers from out of the cupboard, followed by the rain jacket in matching color, he wore it over the T-shirt. Soon he corded up the sports shoes and disappeared behind the apartment door.

It was already dark outside. Warm air was coming around the hedge in breezes, carrying cool drops. So there would also be wind, wonderful wind! He opened his arms while walking in order to be able to capture the weather better. There was almost nobody on the street. Samir accelerated his paces as if he could encourage the forces of nature by doing so. He wanted a big weather, this was what he was here for. He wanted the hot air to be shredded by the rain, that mighty thunderclouds gave their concert. He wanted to sense it. He wanted to call his demon and wrestle with him.

Why did things happen the way they happened? What are the causes of injustice, how do conflicts come into being? What demon was this with whom we had to fight?

Samir reached the Isebek canal at the Hoheluft bridge and detected an increasing frequency of raindrops when a gust climbed up the street, accompanied by a lightning. He lifted the eyebrows and there already followed a full, substancial thunder. "You have eaten from the Tree of Knowledge", the wind said. Samir nodded. He strolled through Ise Street, under the subway bridge. He wanted to resist evil, therefore he had to recognize it.

Samir was afraid of thinking about evil. What if he came to the conclusion that he was concerned himself, that his own behavior was concerned. Didn't he suffer enough? Some water showers hit his leg from the side and he breathed the cooled air into his lungs, cooled air like from the water pipe.

For a long time he had seen in his father a man who did not accept the reality of some issues. Someone whose statements at times were doubtful and whose actions were not always plausible. It was his deficiencies on which Samir had focussed. But what about the deep layer? Samir remembered a talk with his uncle Fawzi in Nablus. Fawzi had mentioned in a smaller circle that Sidi, i.e. grandfather, was a hard punisher sometimes. Only this one time and without details the lad had heard about the darker side of his grandfather. In the end, it was this clue which changed Samir's image of his father. Suddenly things made sense which before did not seem to make any sense at all. His father must in former times have been experienced the same situation himself. Now he saw a little boy in his father who was beaten by his father. This little boy was unable to understand the reason why he had to suffer this, but he learned to live with it. It would never have occurred to him to blame his father for it, simply because it was the father ...

Samir left the shelter of the bridge and entered the weather straight. He returned, wanted to walk the same way one more time, this time wet. With his movements he attempted to devil the elements around him and to consume them at the same time. It was not an unpleasant rain, it was a cleansing rain. Samir did not understand the few passers-by who he met on the way, as they hastily searched for a shelter. Didn't these people feel the refreshing power that was emitting here and that only had to be collected?

With the energy of the tempest flooding through his body Samir imagined himself to be in the position of this little boy who had been treated to badly without ever really having realized this fact. He must have taken this feeling of humiliation and pain as a part of the normal world and did not further think about it. What would the future of this boy look like? Where to go with the pain? Samir entered the Eppendorfer Road. He was now entirely drenched and soaking wet, yet it was not cold. The street was empty, he could completely devote himself to the powers around, embrace them with all the senses and move to them.

Where to go with the pain? This boy would desert his father one day, but the pain would remain. He would grow up, take up a job, try his luck. Because finally he wants to unfold, to chisel his true self out of the stone of life and to polish it, on his way to fulfilment. He finds a woman and founds a family. When his own son is grown out of the childhood perpetual thoughts from far, strange times begin to thump in his head. He becomes aggressive, does not understand the reason himself, but he needs a vent now, urgently. And there it happens.

Now his own son is lying there in the corner, cranked from the pain and whining because of the hits and kicks. The man goes into his room and thinks back of his father whom he has been unable to understand. Now he had done it, too, now he could understand his father in a way. Apparantly the pain has never disappeared, but the bond between father and son seemed to be kept up.

Samir concentrated on the splashing rain and spurred it on by mentally formulating that up to this level he was well able to keep up. Maybe the rain was unable to give more? A roaring frontal thunder attracted his attention. He was looking in the direction when several mighty lightnings opened the sky which seemed to attempt to devour the whole city.

Samir streched his body and reached out to the sky for the sky to absorb him. He was united with his father now, he ran through the clouds and followed his traces exactly. He felt how he was now in the heart of the problem and instinctively looked out for something he conceptualized as a lever he could throw to stop the machine. He was fallen through a time-window and able to change the past. Not the external events, nobody could change them afterwards. But the mentalities and the resulting action patterns, they had opened for direct access.

In this way he found an understanding for his father without having to become a perpetrator himself. Samir sensed that this was a major issue. Come on, old boy, he said to himself, continue the journey. Get on! He strolled through the moist clouds in concentration. What a strange truth was this that he had grabbed by the hair here? This was more than an individual destiny, this was a mechanism that could turn victims with open wounds to perpetrators.

Samir knew both: the pain and the aggression born out of the pain. He had resisted both, but was unable to get rid of either one. He was very aware of that in this moment, walking in the cloud traces of his father's, realizing the amount of similarity in the respective experiences of the two, the amount of understanding and closeness between them. Samir noticed that he had developed different conceptions of closeness and understanding in his life, different from his father's. That was a different kind of understanding when you go through the same kind of shit. It was a different kind of closeness from the one Samir knew from love.

The next thing was that he found himself near the Isebek canal. Due to the bluster around him he did not know exactly whether he was lying, sitting or standing there. The sky had spat him out again. He was stranded, he was saved, he had escaped. His forehead was dripping blood on the left side, this would leave a scar. A celestial duelling scar. Samir laughed and watched the blood instantly being rinsed away by the rain and vanishing in light red. He grabbed the handrail, his knees slightly shivering, and took several deep breaths.

He resumed that victims do not necessarily become perpetrators, for here he had found an alternative way to master the aggressions. So there were alternatives. Slowly he tramped on. In the following lightning Samir thought he could recognize a gap between the trivial observation of the chain of violence in which the weak was victimized by the strong to the effect that aggression was handed down like a chain on the one hand and the scope of the knowledge that there was a mechanism that systematically brought victims into the danger of becoming perpetrators themselves, on the other. Perpetrators perhaps of lesser crimes than those they themselves had been exposed to before as victims. And still perpetrators. People who ignored the fact that they could not just do what they wanted only because they were able to bring reasons for their actions. Such people would also accept wars with a parallel dramaturgy.

What a heavy blow for all victims, for they had to carry the additional burdon of constantly protecting themselves against the inner perpetrator. They have to make an additional effort in order to keep the balance. Not like those who never have been beaten. Who had an easy childhood. For those it is easy to keep the balance. They do not own this thorn that tortures them at night, in a demanding way.

Why hadn't we heard anything about all this? In school, in the families, on TV? Why hadn't we been warned? Whenever we thought of victims this element was not a part of our associations. This feature, this danger Samir was now perceiving so clearly within himself, it seemed to just be there without words, without shape, like a secret.

He now went on the Hoheluftchaussee in the direction of the Grindelhof. The weather was not over yet. How could someone be a victim and at the same time a perpetrator? How should such a person be treated, as a victim, as a perpetrator, neutrally, in alternation, how? How to talk with them? He passed the big cinema which braved the masses of water and he remembered the film "Clockwerk Orange", a classic in which a brutal perpetrator in the second part of the film suffered the same tortures he had brought upon others before. This led to his purification.

Samir ran and ran, planting his feet firmly against the winds. He did not need to have his father feel the same tortures for the father had already experienced them. Samir did something else, he gave a belated meaning to all this pain. Not a justification, but at least a meaning. For something had to be done so that the thorn could step out of the wound.

In the country of his fathers there was a lot of violence, an above-average amount of violence. For in addition to the family tragedies there was the old conflict between Jews and Arabs, between Jewish Israelis and Arab Palestinians. This conflict was so grave that it was inflicted upon hundreds of thousands of families, confronting them with hate. The Jews, too, needed a meaning after World War II, in order to live on, and they found it in the idea of a secure Jewish state and the notion of a well-fortified valiant citizen of this state. Everything else had been secondary or irrelevant. But how were we to assess the situation today, with the knowledge we had today?

Samir thought of his father. How should he deal with him now? Was it necessary at all to ponder about this or would it work out by itself? He sensed closeness again, after all these years of alienation. He had a feeling that the situation was not as hopeless and complicated as it seemed. The rain decreased. Within minutes there was complete silence. Samir shook the water out of his clothes, paused for a while and then returned home. When he fell asleep he imagined a peach-yellow sun as it rises hot above the city. Maybe tomorrow already.

3. Demütigung führt zu Entfremdung
Anis Hamadeh, Juni 2005

„Hast du uns etwas zu sagen?“ Seine Stimme war ruhig, kontrolliert, bestimmt. Joana runzelte die Augenbrauen. Was ging hier vor? „Was meinst du?“, fragte sie verwirrt. Sie sah Muhammad an, dann Heinz, suchend. „Du kannst es jetzt sagen oder wir bitten Tony und Basim dazu.“ Noch immer wusste Joana nicht, worum es überhaupt ging. Hastig lief sie die letzten Stunden in ihrer Erinnerung zurück. Sie war zur Firma gefahren, hatte vorher mal wieder stundenlang den Autoschlüssel gesucht. Übermüdet war sie auch, denn die vergangenen Wochen waren dramatisch. Auch dies war nicht ungewöhnlich für Joana, schon seit dem letzten Sommer ging es drunter und drüber.

Zuerst hatte sie in einem Büro für ein mittleres Unternehmen in Westdeutschland gearbeitet, nachdem in ihrer Heimat Leipzig so viel schief gegangen war. Durch Bekanntschaften traf sie jemanden, der sie einstellte. Sie war immer noch kräftig, immer noch sexy und wollte arbeiten. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Firma in Westdeutschland ihr kein Geld zahlte, bis sie nach drei Monaten buchstäblich mittellos auf der Straße stand. Dort fand sie Muhammad in elender Verfassung und erbarmte sich ihrer. Er nahm sie mit nach Haus, wo seine Frau ihr erst einmal eine warme Mahlzeit brachte. Joana aß, ruhte sich aus und erzählte dann und erzählte, während Muhammad und seine Frau Brigitte aufmerksam und mitfühlend zuhörten. Joana ging es danach besser. Sie brauchte jemanden, zu dem sie Vertrauen fassen konnte, nach all diesen Enttäuschungen. Früher hatte sie ein Haus gehabt, einen Mann und Kinder. Aus dem Traum wurde nichts, die Kinder, heute erwachsen, blieben im Osten und Joana traf diesen Mann aus dem Westen und versuchte einen neuen Start, wollte vieles vergessen und noch einiges erreichen.

Zum ersten Mal seit längerem fühlte sie sich wieder wohl, hier bei dem Ehepaar. Acht Monate war das jetzt her. Für die beiden im Haus war es eine nette Abwechslung und sie mochten die etwas flippige, offene, herzliche Art von Joana. Da genügend freie Zimmer vorhanden waren, ließen sie sie sich erst einmal erholen. Ein solcher Mensch sollte eine Chance bekommen, da waren sich Brigitte und Muhammad einig. Nach einiger Zeit überließ er ihr dann die Dachwohnung, die er im Ort besaß. Joana musste irgendwo bleiben und nahm dankbar an, wenn die Wohnung auch schon seit Monaten leer gestanden hatte und zunächst nicht sehr einladend war. Muhammad füllte ihr den Kühlschrank und half ihr aus. Eines Tages hatte er sogar ein Bett und einen Schlafzimmerschrank für sie gekauft. Joana hatte nicht danach gefragt, sie wollte es eigentlich auch nicht, denn sie hatte noch Möbel im Osten und traf solche Entscheidungen auch gern selbst. Das ärgerte Muhammad zwar etwas, aber er sagte nichts. Er sagte auch nichts, als Joana sich manchmal tagelang nicht meldete und auch nicht zu Besuch kommen wollte, obwohl er sie gern gesehen hätte.

Joana liebte es, Auto zu fahren. Es gab Wochenenden, an denen sie kurzerhand zu ihrer Tochter fuhr oder an andere entfernte Orte. Sie musste manchmal einfach raus, fliehen vielleicht, verarbeiten vielleicht. Den Punkt suchen, an dem das Leben feststeckte. Ihre Hände brauchten Bewegung, sie musste doch arbeiten. Sich beschäftigen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie gearbeitet, in Büros und im Außendienst. Einmal hat sie sogar auf kurzfristige Anfrage eine ganze Nacht lang in der Bar von Tony ausgeholfen, obwohl sie so etwas vorher noch nie gemacht hatte. 30 Euro hatte sie dafür bekommen. Das war, als sie bereits in der Firma war. Sie wollte natürlich nicht umsonst wohnen, auch wenn Muhammad darauf bestanden hat. Also fuhr sie in Muhammads Firma und machte sich dort nützlich. Sie wollte sowieso arbeiten, sollte sie da mit einem schlechten Gewissen in der Wohnung hocken? Mit Tony, Basim und Heinz kam sie gut zurecht und Arbeit war genug da.

„Im Lager fehlt Ware.“ Muhammads Stimme war ruhig, kontrolliert, bestimmt. Basim und Tony waren inzwischen ins Büro gekommen und saßen um Joana herum, um ihr mitzuteilen, dass sie der Ansicht waren, dass Joana regelmäßig Ware aus dem Lager gestohlen hat. Seit einigen Wochen würden sie die Stückzahlen bestimmter Produkte beobachten und sie seien nach dem Ausschlussprinzip zu dem Ergebnis gekommen, dass nur Joana in Frage komme.

Joana saß da wie in einem Traum oder einem Film. Sie fiel aus allen Wolken. „Wir haben Ware in deiner Tasche gefunden“, fuhr Muhammad fort. „Aber die ist doch aufgeschrieben als Eigenbedarf. Brigitte hat es mir gegeben und Samir“, erwiderte sie schnell, während es sie zunehmend irritierte, dass ihre Tasche geöffnet worden war. Muhammad und Heinz standen auf und gingen mit ihr zur Abschreibliste, die Samir kürzlich neben dem Fotokopierer eingerichtet hatte. Tatsächlich, die Ware war dort mit dem heutigen Datum aufgeschrieben. „Wieso bekomme ich als Chef das nicht mit, warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?“ Muhammad war noch immer wütend. Er war enttäuscht darüber, dass er ausgerechnet von Joana bestohlen wurde, der er so viel Gutes getan hatte.

„Du hast dir doch von Basim Geld geliehen“, fuhren die vier Männer fort, als sie wieder im Büro saßen. Joana bestritt das. Basim hatte ihr kürzlich etwas Geld zugesteckt, das stimmte wohl. Es wäre schon in Ordnung so, sie solle nicht darüber reden. Da hatte sie es genommen. Auch Muhammad hatte ihr hin und wieder etwas gegeben, für Sprit und nur so. Sie hatte es angenommen, warum denn nicht? Sie arbeitete auch, machte Kaffee, oft war auch am Wochenende etwas zu tun.

Samir betrat das Büro, nach etwas suchend. „Wenn ich Geld brauche, dann würde ich euch doch fragen“, sagte Joana und Samir sah sie gedankenverloren an. Er hatte gefunden, was er suchte und ging pfeifend wieder ins Lager, wo er gerade an den Regalen schraubte. In den letzten Wochen hatte er viel geschafft, endlich war Platz im Lager und man stolperte nicht mehr alle fünf Meter über etwas. Man fand jetzt auch Dinge wieder. Samir fragte sich, wie Basim und Tony hier in den vergangenen drei Jahren überhaupt hatten arbeiten können. Er selbst war erst seit ein paar Monaten hier. Nachdem er sich nach fünf Jahren des Streits mit seinen Eltern wieder vertragen hatte und außerdem dringend einen Job brauchte, fragte er, ob er vielleicht in der Firma gebraucht würde. Man könnte ja die Energien zur Abwechslung mal verbinden, statt sie gegeneinander zu gebrauchen. Abu Samir, wie Samirs Vater Muhammad auch genannt wurde, war begeistert und stimmte sofort zu. Auch Brigitte fand, dass es eine gute Idee sei. So traf Samir auch Joana.

Die beiden hatten sich von Beginn an gut verstanden. Es war nicht viel los in der Stadt und Joana half Samir beim Umzug. Sie kauften Teppiche und strichen die Wände. Am Liebsten wäre Joana gleich mit eingezogen, es gefiel ihr gut in Samirs neuer Wohnung. Er spielte Gitarre und war irgendwie anders als die Leute aus der Umgebung. Für einen Moment vergaß sie ihre Sorgen und freute sich ebenso wie Samir darüber, dass sie zusammen arbeiten konnten und einander als Freunde hatten. „Dream-Team“, meinte Heinz anerkennend. Joana und Samir hatten schon bei der Renovierung der Wohnung gemerkt, dass sie beide gern aktiv und produktiv waren und sich gegenseitig Kraft gaben.

In letzter Zeit hatte sich das Verhältnis leicht abgekühlt. Samir beschäftigte, dass Joana diese Aussetzer hatte. Einmal vergaß sie ihre Jeansjacke mit Brieftasche beim Frisör und kam dann in eine Polizeikontrolle. Typisch! Oder sie fuhr Hals über Kopf zu ihrer Tochter, weil die Probleme hatte, und kam völlig entnervt und geschlaucht zurück. Handy liegen lassen. Autobatterie. Überhaupt Autogeschichten. Dann lief das Klo mehrmals über, sie hatte etwas Falsches hineingetan. Ebenso der Herd, der ihr neulich einen Kurzschluss verursacht hatte. Es war irgendwie der Wurm drin. Und Samir kam nicht mehr an sie heran. Noch am Wochenende hatte er seinen Eltern gesagt, dass er Joana nicht erreiche und sich im Moment etwas über sie ärgere, da sie nicht reagiere. Joana hatte Samirs Mutter Brigitte vor ihrer überstürzten Abreise in den Osten ein Aquarell gemalt, das war noch feucht, als Samir es zusammen mit dem Kuchen übergab, wie Joana es gewünscht hatte. Er hatte Joana ein Buch gekauft, „Die Prophezeihungen von Celestine“, weil er ihr helfen wollte und dieses Buch viele Antworten hatte. Er las ihr daraus vor und sie wusste es auch zu schätzen, doch schafften sie es nur bis zur Seite 40. Im Moment hatte sie Besuch von einem Bekannten auf der Durchreise und damit wieder keine Zeit.

Samir schraubte das letzte Regalblech fest und sammelte die Werkzeuge zusammen. Es hatte etwas Befreiendes für ihn, Ordnung zu schaffen. Auf dem Weg zum Waschbecken begegnete ihm eine völlig verheulte Joana im Flur, die nach draußen wollte. Sie erkannte Samir durch die Tränen und drehte sich zu ihm hin. „Sie sagen, dass ich geklaut habe.“ Dann heulte sie wieder. Es war nicht das erste Mal, dass Samir mit solchen dramatischen Äußerungen von Joana zu tun hatte, aber was hatte sie da gesagt? Er fragte noch einmal nach und sprach mit ihr. Sie hielt es jedoch nicht lange aus, entschuldigte sich und lief davon. In Samirs Kopf drehte sich alles. Wie betäubt ging er ins Zimmer des Vaters und sah ihn an. „Na“, sagte Muhammad wissend, „was hat Joana dir erzählt?“

+++

„Es handelt sich um ein besonderes Verhältnis. Sie hat ja auch den Schlüssel von deinen Eltern und dein Vater hat auch oft ihren Kühlschrank gefüllt.“ Heinz versuchte Samir zu besänftigen. „Wir haben daraus gelernt. So etwas wird nicht wieder passieren.“ Er wünschte sich sehr, mit Samir zu arbeiten, denn Samir arbeitete sauber, systematisch und schnell. Man konnte mit ihm auch über religiöse Fragen sprechen. Das Verhältnis war gut und immer offen gewesen, was wiederum Samir sehr sympathisch fand. „Heinz, wenn er in ihrer Abwesenheit in ihre Wohnung geht und nach gestohlener Ware sucht, ohne sie zu fragen oder zu informieren, dann ist das Einbruch. Ebenso das Öffnen ihrer Handtasche.“ Samir war ungehalten. Er hatte erfahren, dass sein Vater unmittelbar vor dem gestrigen Verhör in Joanas Wohnung gewesen war. Joana sagte, dass Muhammad sich von ihr mittags in der Firma verabschiedet hatte mit den Worten, er gehe zum Steuerberater. Muhammad erklärte später, er sei dann noch zur Bank gegangen und da sei ihm spontan eingefallen, dass er noch den Sicherungskasten in Joanas Wohnung wegen des Herds überprüfen musste. Das lag auf dem Weg. Er habe vergessen gehabt, sie vorher anzurufen.

Samir schämte sich für seinen Vater. Wenn im Lager gestohlen wurde, dann musste man das doch zusammen besprechen. Da hatten sich die vier Männer ohne sein Wissen und ohne Joanas Wissen wochenlang Gedanken gemacht und es für sich behalten. Und plötzlich explodierte die Sache so. Inzwischen hatte Muhammad gemerkt, dass sein Verdacht nicht zu beweisen war. Er entschuldigte sich bei diesem zweiten Gespräch auch bei Joana. Die ging dann auch nicht gleich wieder fort, sondern arbeitete zunächst weiter, was Samir anerkennend zur Kenntnis nahm. Nach einigen Stunden aber kam sie auf Samir zu und meinte, dass sie doch erst mal gehen müsse und das alles verarbeiten. Samir sprach weiter mit Heinz: „Für mich sieht es so aus, als hättet ihr gerade einen Schuldigen gebraucht und euch den Schwächsten gesucht. Der Klassiker.“ Heinz widersprach. Er zählte auf, was Joana alles falsch gemacht hat und dass sie nah am Wasser gebaut sei. „Das stimmt wohl, aber was hat das mit der Beschuldigung zu tun? Und mit dem Einbruch?“ Samir schüttelte den Kopf.

Es folgte eine Phase der Abwesenheit von der Firma sowohl von Joana als auch von Samir. Samir hatte immer noch keinen richtigen Arbeitsvertrag, weil durch einen Übersetzungsfehler in einem Vertrag im Februar eine größere Geldmenge gebunden wurde, die dem kleinen Betrieb zu schaffen machte und auf ihm drückte. Joana erschien nicht mehr in der Firma, weil sie die Demütigungen der letzten Tage erst langsam verstand und Muhammad nicht mehr vertrauen konnte, trotz seiner knappen Entschuldigung. Sie fühlte sich auch noch immer verdächtigt und Samir konnte das nicht entkräften, denn er hatte selbst in der Firma gehört, dass es immer noch offene Punkte geben solle. Sie sei vor einigen Wochen mit Ware von Tony gesehen worden, die sie angeblich für die Website fotografieren wollte und hätte sich dabei auffällig verhalten. Als Tony im Februar die Firma zum Essen eingeladen hatte, hatte er Joana und Samir nicht eingeladen. Tony sprach nicht viel und sah einem nicht in die Augen, wenn er einem die Hand gab.

Samirs Energieniveau sank rapide. In den ersten beiden Nächten konnte er kaum Schlaf finden. Sein Trauma war wieder aufgebrochen. Abu Samir hatte mit Joana genau dasselbe gemacht, was er früher mit ihm gemacht hatte. Nur ohne körperliche Gewalt. Er hatte es also wieder getan, bestätigt. Er tat es also immer noch. Samir schämte sich fürchterlich für seinen Vater.

Jahrelang hatte er versucht, ihm zu erklären, dass Demütigungen zu Entfremdung führen. Und dass man Menschen nicht kaufen kann. Nun beging Muhammad vor seinen Augen einen Einbruch, ein Mobbing und eine Lüge, ohne verstehen zu wollen, dass er das nicht durfte. Seine Mitarbeiter schwiegen und rationalisierten, dass sich Joana sowieso dauernd in einer Opferrolle sah und dass sie im Grunde alle ausnutze. Vielleicht hatte sie Samir verhext. Es waren vier Männer, mit denen man Pferde stehlen konnte, oder musste. Auch Brigitte sagte Samir zu dem Thema nur: „Na, hat sich Joana wieder eingekriegt?“ Muhammad klagte schon seit Monaten darüber, dass er keine Miete bekomme. Dass Joana in der Firma arbeite sei ja schön und gut, aber es sei ein anderer Topf. Bei seinem letzten Gespräch mit ihm sagte Samir, dass er ihm die Geschichte mit dem Sicherungskasten nicht abnehmen könne. „Tja“, meinte Muhammad nur und zuckte mit den Schultern, „ich habe mich entschuldigt, was soll ich denn noch machen?“ Darauf Samir: „Aber ich kann dir nicht mehr vertrauen.“ Wieder ein Schulterzucken.

Das Problem für Samir war nicht nur der Einbruch, das Mobbing und die Lüge, vielmehr konnte Samir seinem Vater nun auch andere Dinge nicht mehr glauben, Dinge, die er in der Vergangenheit gesagt hatte. Dass er sich an die Gewalt, die er seinem Sohn angetan hat, nicht mehr erinnern konnte.

In den folgenden Wochen kristallisierte sich heraus, dass Joana unter diesen Umständen nicht mehr in die Firma kommen konnte und dass auch Samir für zwei Wochen Abstand brauchte. In die Firma ging er nur noch einmal und sah kurz seinen Vater. Sie führten ein sehr ruhiges, kurzes Gespräch, in dessen Verlauf Samir fragte: „Warum geraten wir immer wieder so aneinander?“ Muhammad zuckte mit den Schultern. „Ich habe wirklich Grenzen, über die ich nicht kann“, fuhr Samir fort, „ich kann nicht alles mitmachen.“ Heinz vertrat inzwischen den Standpunkt, dass Joana nicht mehr zurückkommen solle. Dass die Sache vorbei sei. Es sei nie im Gespräch gewesen, dass Joana hier fest arbeiten solle. Dies hatte Samir von seinem Vater allerdings anders gehört. Heinz wollte auch seine Tochter in den Betrieb bringen, stellte das aber nicht in einen kausalen Zusammenhang.

Während der Fall für Muhammad, Heinz, Basim und Tony abgeschlossen war, blieben Joana und Samir jeweils zu Haus, wobei sich der Druck auf die beiden erhöhte, da sie für die Zukunft sorgen mussten und nun von der Geldquelle abgeschnitten waren, für die sie gearbeitet hatten. Bevor Samir die Stadt wegen eines Termins verließ, schrieb er Muhammad und Heinz eine Email, in der er fragte, warum das Resultat der Aktion für Joana so war, als wäre sie schuldig, obwohl sie doch nicht geklaut hat, wie festgestellt werden konnte. Muhammad hatte Joana inzwischen brieflich mitgeteilt, dass sie ab sofort eine Miete von 350 Euro zu zahlen habe und dass ihre Behauptungen falsch seien. In seiner Mail schrieb Samir, dass sein Gewissen ihm verbiete, solche Dinge mitzutragen, und dass die Situation erst dann als geklärt gelten könne, wenn Joana in diesem Fall ihre Seelenruhe habe, gerade noch als einzige Frau unter Männern. Wenn es nicht anders ginge, dann müsse Samir die Geschichte eben aufschreiben, um zu verdeutlichen, was hier passiert ist. Bei solch schweren Regelverstößen mit Folgen könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Als Samir in die Stadt zurückkam, rief er Joana an, um die Lage zu peilen. Sie hatte Beruhigungsmittel genommen und konnte nicht zu ihm fahren. Einige Tage zuvor hatte sie einen Unfall verschuldet, als sie aus der Einfahrt ein Auto rammte. Sie war kurz im Krankenhaus mit einem Schock gewesen, völlig mit den Nerven runter. „Warum tut er das?“, heulte sie in den Hörer und meinte damit nicht den Unfall, sondern den Vorfall. Sie hatte inzwischen das Wohnungsschloss ausgewechselt. Samir erklärte ihr, dass er seinen Vater schon lange kenne und wisse, dass er sich schon immer Schwächere gesucht hat und dass er selbst diese Rolle jahrzehntelang habe spielen müssen. Dass er deshalb viel Schmerz erlebt und ihn verlassen hatte. Joana hörte zu und ihre Tränen flossen nicht mehr. „Bedenke auch bitte“, sagte Samir, „dass es hier nicht nur um dich geht. Er spricht hier auch mit mir, bloß dass er mit mir so eine Nummer nicht mehr durchziehen kann. Nun erwartet er mein Einverständnis, dass er sich nach Belieben jemand anderen suchen darf für sein Drama. Deshalb müssen wir jetzt zusammenhalten. Du kannst natürlich bei mir einziehen, solange es dauert. Vermutlich werde ich die Stadt wieder verlassen müssen, vielleicht kannst du meine Wohnung dann übernehmen.“ Samir redete lange mit Joana. Er machte sich Vorwürfe, sie fast eine Woche allein gelassen zu haben. Ihre psychische Verfassung war ganz schlecht. Heinz habe sie wegen eines Gesprächs angerufen, als sie im Krankenhaus war. Als sie sagte, dass sie am Montag in die Firma kommen wolle, wenn Samir auch dabei ist, um noch einmal über alles zu sprechen, lehnte Heinz ab. Auf Samirs Ankündigung, die Geschichte aufzuschreiben, falls das zur Klärung der Situation nötig sei, reagierte Heinz entsetzt. „Ich habe leider das Gefühl, dass Deine Emotionen nicht zulassen, den Sachverhalt objektiv zu beurteilen.“ Wenn er ihnen Bedingungen stelle, sei das Erpressung. Samir solle nicht zur Firma kommen, bevor das geklärt sei, sondern vorher mit den beiden sprechen.

Auf dieses Gespräch konnte er wohl verzichten, es war klar, was los war. Sie schoben es auf seine Emotionen, genau wie bei Joana. Sein Bestehen auf einer gerechten Auflösung der Situation wurde Erpressung genannt. Er sollte sich hier zur Gruppe bekennen, seine Loyalität beweisen. Er sollte lernen, was im Leben wichtig war. War ihm eine blonde Heulsuse aus dem Osten vielleicht wichtiger als eine berufliche Zukunft? Wichtiger als sein eigener Vater? Wichtiger als die finanzielle Grundsicherung? Er dachte an den Koranvers, in dem steht, dass man die Eltern immer ehren muss. Auf diesen Vers hatte sein Vater hingewiesen, als der Sohn ihm klarmachen wollte, dass die beiden sich wegen seiner Gewalt entfremdet hatten. Es hatte sich also nichts geändert. Samir würde diese Geschichte schreiben und sich dann akut nach einer neuen Erwerbsquelle umsehen müssen.

Und Joana? Sie brauchte nur ein bisschen Heimat, dann würde sie schnell wieder auf dem Damm sein. Erst mal musste sie aus der Wohnung raus und einen Job finden. Die beiden würden ins Ungewisse gehen müssen und sich gegenseitig helfen. „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.“ Samir lachte ins Telefon. „Übrigens ist so ähnlich der Irakkrieg entstanden.“ „Wirklich?“, fragte Joana. – „Oh ja, nicht nur der.“

3. Humiliation Leads to Alienation
Anis Hamadeh, Juni 2005

"Is there anything you want to tell us?" His voice was calm, controlled, dominant. Joana's eyebrows shriveled. What was going on here? "What do you mean?" she asked in confusion. She looked at Muhammad, then at Heinz, searching. "You can say it now or we can ask Tony and Basim in to join us." Joana still did not know what the matter was. Hastily she recalled the events of the past few hours. She drove to the company, before it had taken her ages again to find the car key. Tired and exhausted she was, too, for the last weeks had been dramatic. Another thing not uncommon for Joana, her world had in a way been upside down since last summer.

At first, she had worked in an office for a medium sized company in western Germany after that things in her home town of Leipzig had gone all wrong. Through contacts she met somebody who employed her. She was still strong, still sexy and she wanted to work. It turned out, though, that the company in western Germany did not pay her any money until after three months she literally stood on the street without any means. There Muhammad found her in her miserable condition and had mercy with her. He took her home with him and his wife offered her a warm meal. Joana ate, relaxed, and then she told her story and talked and talked while Muhammad and his wife Brigitte listened with attention and compassion. Joana felt better afterwards. She needed somebody to trust after all these disappointments. In former times she had had a house, a husband and children. The dream did not come true. The kids, grown-ups today, remained in the east and Joana met this man from the west and tried a new start. There was a lot she wanted to forget about and a lot she still wanted to achieve.

For the first time in a long while she felt easy again, here with this couple. This was eight months ago by now. It had been a nice change for the two people in the house and they liked the open-minded and cordial character of Joana's. As there were enough free rooms in the house they let her recover at their place for a couple of days. Such a human being should get a chance, Brigitte and Muhammad agreed. After a while he let her dwell in the attic apartment that he owned in the village. Joana needed a place to stay and accepted greatfully, even if the apartment had not been inhabited for some months and at first glance did not appear to be too inviting. Muhammad filled the fridge for her and supported her. One day he even bought a bed and a bedroom cupboard for her. Joana had not asked for it, she actually did not even want it, because she still had her furniture in the east and besides she used to make such decisions herself. Muhammad was a little upset about that, but he did not say anything. He also did not say anything when Joana was absent sometimes for days and when she did not like to come over for a visit, although he desired to see her.

Joana loved to drive her car. There were weekends when she just drove away, to her daughter or to other remote places. Sometimes she just had to get out, maybe to flee, maybe to cope with life. To search for the point where life was stuck. Her hands needed motion, she wanted to work. To be occupied with something. She had worked her whole life through, in offices and outdoors. Once she had even worked for a whole night in Tony's bar, on short-term demand, although she had had no experience in this kind of job. 30 euros is what she got for that. That was when she was already in the company. For of course she did not want to dwell in the apartment for nothing, even though Muhammad had insisted. So she went to Muhammad's company and made herself useful there. She wanted to work anyway, so should she be squatting in the apartment with a bad conscience? She got along well with Tony, Basim and Heinz and there was enough work to do.

"There is ware missing in the store." Muhammad's voice was calm, controlled, dominant. Basim and Tony had meanwhile entered the office and sat around Joana to inform her about their opinion that Joana had regularly stolen ware from the store. Since a couple of weeks they had observed the quantities of certain products and by exclusion principle had come to the conclusion that only Joana could be the one who stole these things.

Joana was sitting there like in a dream or a film. She was completely confused. "We found ware in your bag", Muhammad continued. "But this ware is written off as a home requirement. Brigitte gave it to me and Samir", she replied quickly while it increasingly puzzled her that her bag had been opened. Muhammad and Heinz stood up and took her to the list with the things that were written off. Samir had recently introduced this list and placed it next to the copy machine. Indeed, the ware was mentioned there with the date of today. "Why do I as the boss not know this, why didn't you tell me?" Muhammad was still angry. He was disappointed that Joana of all people had stolen things from him while he had been so good to her.

"You did borrow money from Basim, didn't you?" the four men continued when they were all back in the office. Joana denied that. Basim did give her some money recently, that was true. It would be alright like that, she was told, and don't even mention it. There she took it. Muhammad, too, had given her some money sometimes, for fuel and just like that. She had taken it, and why not? She worked, made coffee, and often there was work on the weekends.

Samir entered the office, looking for something. "But when I need money I would ask you", said Joana and Samir looked at her in thoughts. He had found what he was looking for and returned whistling to the store where he was just fixing some shelves. In the last weeks he had accomplished a lot, at last there was space in the store and people did not have to stumble about things every five meters anymore. Also, things could systematically be found now. Samir asked himself how Basim and Tony had managed to work here in the past three years, at all. He himself had only been here for some months. He had reconciliated with his parents after five years of quarrel and he also urgently needed a job, so he asked whether he was needed in the company. Maybe it was possible to combine the energies for a change instead of using them to fight each other. Abu Samir, as Samir's father Muhammad was also called, was enthusiastic about the thought and instantly agreed. Brigitte also found that this was a good idea. This was how Samir met Joana.

The two had liked each other from the beginning. It was quite boring in the village and Joana helped Samir when he moved to settle in the area. They bought carpets and painted the walls. Joana would have liked to move here, too, it was nice in Samir's new apartment. He played the guitar and was somehow different from the people in her surroundings. For a moment she forgot about her sorrows and was, like Samir, happy that they could work together and that they had each other as a friend. "Dream team" Heinz had said in appreciation. While doing up the apartment together Joana and Samir realized that they both liked to be active and productive and that they gave each other strength.

Recently, their relationship had cooled down a little. Samir was worried about Joana having those skip-overs. Once she left her jeans jacket with the wallet at the hairdresser's and subsequently got into a police check. Typical! Or she drove head over heels to her daughter, who had problems, and then returned completely enervated and exhausted. Forgetting the mobile phone. Car batteries. Car stories in general. Then the loo overflew several times, she had put something wrong into it. The stove made problems, too, the other day it had caused a short-circuit. There was something wrong on a general level. And Samir lost touch. Only last weekend he had told his parents that he could not reach Joana anymore and that he was a bit upset about it, as she did not react. Before her hasty departure to the east Joana had painted a picture with watercolors for Samir's mother Brigitte, it was still wet when Samir had delivered it together with the pie, like Joana had wished. He had bought Joana a book, "The Celestine Prophecies", because he wanted to help her and this book provided many answers. He read it out for her and she appreciated that, still they had only managed to reach page 40. At the moment she had a transit visitor and thus again no time.

Samir screwed the final tin shelf on and collected the tools. It had a liberating effect on him when he established order. On his way to the sink he met a completely tear-stained Joana in the hall, on her way out. She recognized Samir through the tears and turned to him. "They say I have stolen." Then she cried again. It was not the first time that Samir was confronted with such dramatic utterances by Joana, but what was that she was saying there? He asked her to confirm what she said and talked to her. Yet she was not able to stay, apologized and ran away. Samir was confused. Benumbed he entered his father's room and looked at him. "So", Muhammad said knowingly, "what did Joana tell you?"

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"This is a special relationship. She does also have the key to your parents' house and your father did also often fill the fridge for her." Heinz tried to calm Samir down. "We have learned our lesson. Such a thing will not happen again." He really wished to continue working with Samir for Samir worked in a clean, systematic and fast way. One could even talk with him about religious issues. The relationship had been good and always open which in turn was something highly appreciated by Samir. "Heinz, when he enters her apartment in her absence, looking for stolen goods, without asking her permission and even without information, then this is called a burglary. The same is true for the opening of her bag." Samir was angry. He had learnt that his father had been in Joana's apartment immediately before the trial yesterday. Joana told him that Muhammad had said goodbye to her at noon in the company telling her he was going to see the tax counselor. Later, Muhammad asserted that he went to the bank afterwards and there it spontaneously came to his mind that he still had to check the fuse box in Joana's apartment because of the stove. It was on his way, he said. He had forgotten to phone her before he went in.

Samir was ashamed of his father. If there was an incidence of theft in the store then this was something that they had to discuss together. But these four men had pondered and worried for weeks and they had not informed him and Joana, but had kept their suspicions to themselves. And suddenly the thing exploded like that. Meanwhile Muhammad had noticed that his suspicion could not be proven. In this second talk he apologized to Joana. She, in turn, did not leave straight away, but resumed her work. Samir acknowledged this with respect. But some hours later she came up to Samir and said that she would have to go home now and digest all the things that happened. Samir continued the discussion with Heinz: "It seems to me as if you happened to need someone to take the blame and that you chose the weakest person of the group. The classic." Heinz denied that. He listed the things Joana had done wrong in her life and that she was quick with tears. "This might be so, but what does this have to do with the allegations? And with the burglary?" Samir shook his head.

It followed a phase of absence from the company for both Joana and Samir. Samir still did not have a real working contract. There was a bigger amount of money on ice due to a translation mistake in a contract in February. This worry was pressing on the small company. Joana did not appear in the company anymore, because she had only gradually understood the humiliations of the last days and was unable to trust Muhammad anymore, despite his short apology. She still felt under suspicion and Samir could not rebut this, for he himself had heard in the company that there still would be open issues. Some weeks ago Tony saw her with ware which she allegedly was about to photograph for the website. He said she had behaved in a suspicious way. When Tony had invited the company to dinner in February he had not invited Joana and Samir. Tony did not talk much and he did not look into your eyes when he shook hands with you.

Samir's energy level sank rapidly. In the first two nights he could hardly find any sleep. His trauma had reopened. Abu Samir had done the very same thing with Joana that he had done with himself in former times. Only without physical violence. So he did it again, confirmed it. Samir was terribly ashamed of his father.

For years he had tried to explain to him that humiliations lead to alienation. And that one cannot just buy people with money. Now Muhammad openly committed a burglary, a mobbing and a lie without wanting to understand that he was not allowed to do that. His co-workers remained silent and rationalized that Joana always put herself in the role of the victim, anyway, and that in the end she was using everybody for her own advantage. Maybe she had put some witchcraft on Samir. They were four men with whom you could steal horses, like in the German saying Abu Samir sometimes quoted. Brigitte, too, in this issue had only this to say to Samir: "Well, did Joana cool down again?" For some months Muhammad had complained about not receiving a rent for the apartment. It would be fine and well that she worked in the company, but this would be a different pot. In the last conversation with him Samir said that he could simply not believe the story with the fuse box. "Well", Muhammad replied and shrugged his shoulders, "I did apologize, what else is there that I could do?" And Samir: "But I cannot trust you anymore." Again a shrug.

The problem for Samir was not only the burglary, the mobbing and the lie, rather it became impossible for him now to believe his father several other things, things he had said in the past. Like the forgetting of violence he exerted on his son.

In the following weeks it became clear that Joana was unable to come to the company anymore under these circumstances and that Samir, too, needed a two-weeks break. He only went to the company one more time and saw his father for a short time. They had a very calm, short talk in the course of which Samir asked: "Why is it that we always have such arguments?" Muhammad shrugged his shoulders. "I really have limits", Samir continued, "I cannot participate in everything." Meanwhile, Heinz was of the opinion that Joana should not return. That it was over. There would never have been an agreement for Joana to get a steady job. This, however, was not what Samir had heard from his father. Heinz also wanted to bring his daughter in the company, but denied a causal context.

While the case was closed for Muhammad, Heinz, Basim and Tony, Joana and Samir stayed at their respective homes, feeling an increasing pressure as they both had to care for the future and were cut off the monetary source for which they had been working. Before Samir left the city for an appointment he wrote an email to Muhammad and Heinz asking them why the result of the whole affair for Joana was the same as if she was guilty, although she did not steal as it turned out. Meanwhile, Muhammad had informed Joana in a letter that from now on she had to pay a rent of 350 euros and that her allegations were wrong. In his mail Samir wrote that his conscience makes it impossible for him to accept what happened and that the situation could only be regarded as settled when Joana had her piece in this matter, especially as the only woman among men. If there was no other way Samir would have to write down the whole story to make clear what happened here. In such cases where the rules were violated in such a severe way and with late effects one could not just turn to the routine as if nothing ever happened.

When Samir came back to town he called Joana to make up his mind about the situation. She had taken suppressants and could not drive. A couple of days earlier she had caused an accident when she ran into a car while driving out the entranceway. For a short while she had been in the hospital with a shock, her nerves were bad. "Why is he doing this?" she cried into the phone and referred to the incident, not the accident. In the meantime she had exchanged the lock of the apartment. Samir explained to her that he knew his father for a long time and knew that he had always picked weaker people to victimize them and. He himself had to play this role for decades. That this had been the reason for much pain and the reason why Samir had left him before. Joana listened and her tears ceased to flow. "Please also consider", said Samir, "that this behavior is not only because of you. He is also talking to me here, only that he cannot play this game with me anymore. Now he expects my approval for his free choice of another victim for his drama. Therefore we have to stick together now. You can certainly move to my place as long as this situation lasts. I will probably have to leave the city again, maybe you can take over my apartment then." They had a long conversation. He felt responsible for leaving her alone for almost a week. Her psychic state was really bad. She said Heinz had phoned her for a conversation when she was in the hospital. When she said that she wanted to come to the company on Monday, in Samir's presence, to talk it all over, Heinz declined. On Samir's announcement to write the story down should this be necessary to clarify the situation Heinz reacted horrified: "Regrettably, I have the impression that your emotions do not allow you to take an objective look at the facts." If he was posing conditions on them then this would be blackmail. Samir should not enter the company before this point is clarified, but talk to the two before.

He could well do without this talk, it was obvious what was going on. They blamed it on his emotions, just like with Joana. His insisting on a just solution of the situation was called blackmail. They wanted him to commit to the group, to prove his loyalty. He was to learn what was important in life. Was a blonde crybaby from the east more important to him than a career? More important than his father? More important than financial security? He thought of the verse in the quran which says that you always have to honor the parents. His father had mentioned this verse when his son wanted to explain to him that the two had alienated because of his violence. So there was no change, at all. Samir would write this story and then would have to find himself a new job quickly.

And Joana? She only needed a bit of a home, then she would recover and be able to go on. First of all she had to leave the apartment and find herself a job. The two would have to go into the uncertain and help each other. "Something better than death we will find anywhere." Samir laughed into the phone. "By the way, the war on Iraq started in a similar way." "Really?" Joana asked. – "Oh yes, and not only this."

4. Durch die Zeit wächst eine Blume
Anis Hamadeh, Juni 2005

Samir lief barfuß auf dem Rasenpfad durch den Garten, den er vor einigen Jahren angelegt hatte. Er führte bis hin zum Meer. Alle möglichen Arten hatte er hier angepflanzt, manche im Freien, manche unter dem Sicherheitsglas. Er blieb vor einer Gruppe von Mumienrosen stehen, die in Blüte stand, ebenso wie die anderen Rosen seit ein paar Tagen ihre Blüten öffneten, auch die Azaleen und Rhododendren. Hier im Eingangsbereich des Gartens war der Boden sehr fruchtbar und brachte Obstbäume und Gemüse hervor. Samir hatte verschiedene Pfade angelegt, auf denen er sich bewegte, je nach dem, in welcher Stimmung er sich befand. Heute früh war er mit einer großen Wasserflasche im Rucksack aufgebrochen, denn er wollte den ganzen Weg bis zum Strand gehen. Dort gab es eine Höhle, die für Samir eine besondere Bedeutung hatte. Er konnte dort mit seinen Ahnen sprechen.

Überall in diesem Garten gab es versteckte Winkel und besondere Plätze. Die Vormittagssonne war bereits heiß geworden, als Samir den schattigen Teich erreichte, den er den Silberteich nannte, weil er, wenn das Licht günstig war, in silbernen und goldenen Farben leuchtete. Er setzte sich auf den Steg, kühlte seine Füße und zündete sich eine Zigarette an. Es war windstill und durch die Blätter der umliegenden Bäume blitzten weißgelbe Sonnenstrahlen. Würde es ihm gelingen, Kontakt aufzunehmen? Er horchte in sich hinein und spürte seine Last, seine Fragen und die Zweifel, die ihn zu dieser Reise motiviert hatten. Auch die Hoffnung spürte er, die in zu dieser Reise veranlasst hatte. Denn seit ein paar Tagen fühlte sich Samir mit seinem Schicksal wieder verbunden. Was auch immer dies für ein Schicksal sein mochte, er lebte jedenfalls nicht daran vorbei, das merkte er wieder. Und wollte mehr darüber wissen.

Auf der nächsten Etappe seines Weges begegnete er dem markierten Bambus. Viele Orte des Gartens hatte er mit Farben und Zeichen versehen, teils um nachahmend an seiner Umgebung teilzuhaben, teils um Kunst daraus zu machen. Samir liebte Kunst. Auf dieser Strecke waren Bambuspflanzen in Abständen von etwa fünfhundert Metern angelegt. Es war ein wiederkehrendes Motiv, das ihn heute daran erinnerte, wie sich Situationen wiederholten, während man auf seinem Weg ging. Zunächst blieb Samir bei jedem Bambus stehen und horchte in sich hinein. Irgendwann begann er aber, sich darauf zu konzentrieren, wie er sich in den Zwischenräumen zwischen den Bambuspflanzen fühlte, wenn er sie durchschritt. In seiner Familie war er auch immer wieder an dieselbe Stelle gekommen, in den Konflikt gekommen. Er hatte den Konflikt nicht lösen können und war jedes Mal weitergegangen, bis er wieder an dieselbe Stelle kam. Er war nicht im Kreis gelaufen, denn es war jedes Mal anders weitergegangen, doch in den Konflikt kam er immer wieder, mit allem Schmerz und aller Not, die das mit sich brachte.

Mit jedem seiner Schritte wurde Samir leichter. Er spürte Freiheit unter dem klaren sonnigen Himmel. Da waren keine Fesseln mehr an seinen Füßen. Doch bevor er die Höhle erreichen würde, musste er noch einige Schatten aus seinem Bewusstsein verbannen. Sein Geist war abgelenkt von den Erstaunlichkeiten seines Vaters, Darth Vader. Samir wusste jetzt, dass sein Vater verloren war, schon lange verloren gewesen war. Seit Neuestem verlangte er von Joana eine rückwirkende Miete seit letztem August. Samir hatte bis heute nicht erfahren, was Joana eigentlich vorgeworfen wurde und warum Darth Vader nicht wenigstens ihre Arbeitszeit verrechnete. Immerhin hatte sie in der ganzen Zeit für ihn gearbeitet, wobei Darth selbst ihr eine schnellstmögliche Anstellung in Aussicht gestellt hatte. Auch die Wohnung war seine Idee gewesen, nicht ihre. Er hatte die ganze Zeit über Grauzonen geschaffen, in denen Joana abhängig gehalten wurde (, die es sich hat gefallen lassen, was allerdings keine gute Entschuldigung war). Nie hatte Darth von sich aus klare Verhältnisse geschaffen. Mit Samir wollte er es auch so machen und hatte ihn tiefer und tiefer in sein Loch gezogen, bis hin zu Schwarzgeldzahlungen im Mai, just als er Joana ebenso massiv wie unberechtigt des Diebstahls bezichtigt hatte. Samir hatte sich aus seinen Fängen gelöst, bevor es zu spät war. Er holte die Wasserflasche hervor, nahm einen Schluck und befeuchtete seinen Nacken, Gesicht und Füße. Da war kein Vertrauen mehr zwischen ihm und Darth. Nach all dem glaubte er ihm gar nichts mehr.

Am nächsten Bambus ließ er sich auf die Knie fallen und nahm trockene Erde auf, die er aus seiner Hand rieseln ließ. Sein Geist war getrübt, weil er wollte, dass der Patriarch fiel. Er wollte eine neue Welt aufbauen und in dieser Welt gab es keinen Platz für Gewalttäter. Gleichzeitig war ihm klar, dass ihn diese Einstellung von der Gesellschaft entfernen konnte. Darth Vader wurde von der ganzen Familie geschützt ebenso wie von seinen Untertanen in der Firma. Er wurde auch von der Gesellschaft geschützt. Samir hatte jahrelange Erfahrung damit, wie die Gesellschaft darauf reagierte, wenn man sie damit konfrontierte. Es perlte ab wie Wasser von einer Regenjacke. Er musste mit seinen Ahnen sprechen!

Als er das Dickicht des Waldes erreicht hatte, war der Nachmittag bereits angebrochen. Die Nacht würde lang werden, Samir wollte eine Mahlzeit einnehmen. Am Vormittag hatte er Früchte und Beeren auf dem Weg gesammelt und gleich gegessen. Nun suchte er sich einen starken Ast und brach ihn aus dem Baum heraus. Aus seiner Tasche holte er eine Schnur sowie Pfeilspitzen, die er vorbereitet hatte und ein Messer. Innerhalb von Minuten hatte er sich einen Bogen und zwei Pfeile gebaut. Hinter dem Wald lag in einer Senke die Hütte, von dort aus konnte man bei gutem Wetter die Brandung hören. Dort wollte er seine Mahlzeit zubereiten. Samir bewegte sich lautlos durch den Wald und fand einige Pilze, die er einsteckte. Er hielt seine Nase in die Luft und suchte dann wieder den Boden ab. Für einen Moment war ihm, als sei er nicht allein, als wären die anderen bei ihm. Er drehte sich unwillkürlich um, doch da war niemand. Samir setzte sich an einen Baum und holte ein ockergelbes Farbpigment aus der Tasche, das er mit etwas Wasser anrührte. Er bemalte damit seine Stirn, Wangen, Brust, Arme und Beine. Es folgte eine rotbraune Farbe, die er ebenfalls anlegte und eine dunkelgraue. Danach versah er auch den Baum mit farbigen Zeichen, betrachtete ihn lange und bemalte dann den Bogen und die Pfeile. Wieder schien es ihm, als sei er nicht allein, doch da war niemand sonst.

Plötzlich hatte er eine Wahrnehmung und drehte den Blick fließend nach links. Es war ein Hase, er stand etwa fünfzig Meter entfernt, reglos und aufmerksam, er hatte Samir aber nicht gewittert. Nach ein paar Sekunden senkte der Hase den Blick und schnüffelte am Boden herum. Der Mann sah ein letztes Mal auf den Baum, strich über seine Rinde und bewegte sich dann mit großer Langsamkeit und in geduckter Haltung in Richtung des Hasen, ohne ihn dabei auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen. Wie eine Schlange kam Samir näher und folgte dem Hasen in den Wald ...

Da waren nur er, die anderen und das Tier. Es war ein großes Tier, sie würden tagelang davon leben können. Aus dem Fell wollte er Schuhe machen für seine Frau, die zu Hause auf ihn wartete. Das Paar, das sie jetzt trug, war schon alt geworden und sie würde sich darüber freuen. Er hörte Trommeln aus der Ferne, sie sollten die Jäger ermutigen und ihnen Erfolg bringen. Samir rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. Da waren keine anderen, da waren auch keine Trommeln. Vor ihm verschwand der Hase in einem Gebüsch. Der Mann war jetzt nur noch sieben Meter von dem Tier entfernt. Er richtete sich hinter einem Baum auf und spannte den Bogen. Während er sich mit unendlicher Langsamkeit um den Baum drehte und den Pfeil in immer genauere Position brachte, konnte er das Fell des Tieres durch die grünen Blätter hindurch sehen. Gleich würde es wieder hervorkriechen und weiterhoppeln. Der Jäger schloss die Augen und sprach zu dem Geist des Hasen. Anders als bei den Menschen hatte nicht jedes einzelne Tier einen Geist, sondern die gesamte Art hatte einen einzigen Geist, der in jedem Individuum gleich war. Er bat den Geist des Hasen um Erlaubnis, ihn zu schießen, um seinen Hunger zu stillen und wusste genau, wann er die Augen wieder öffnen musste. Das Tier hoppelte gelangweilt aus dem Gebüsch und wurde sofort von dem Pfeil erlegt. Es sank zusammen und war tot. Der Jäger trat heran, dankte dem Hasengeist für die Gabe und machte sich ohne Umschweife daran, das Tier auszunehmen und oben am vormaligen Bogen mit der Schnur zu befestigen, die er am unteren Ende gelöst hatte. Mit diesem Bündel erreichte er die Senke. Er schnitt die Vorderläufe an den Gelenken ein und band sie außen an die Hütte. Dann zog er mit Kraft das Fell ab, suchte Feuerholz zusammen und bereitete den Hasen zu, mit Salz. Dazu aß er die Pilze. Er dachte an die Höhle, die er am Abend erreichen würde.

Selbst wenn es ein Mörder ist, muss man ihm die Tür aufmachen, wenn es ein Familienmitglied ist ... Samir erinnerte sich an die Worte von Darth Vader und fragte sich, wie lange dieses Denken schon in den Köpfen seiner Ahnen sein mochte. Er würde zwar nicht ausschließen, die Tür für einen Mörder zu öffnen, aber dieser Satz war wirklich seltsam, so als könnte man damit Dinge tolerieren, die nicht tolerabel waren. Würden sie überhaupt mit ihm reden? Er hatte über seinen Vater geurteilt. Allein das. Er hatte das klingonische Kriegerethos verletzt. Dies war nicht nur das palästinensisch-klingonische Ethos, das gern mit den Umständen der Besatzung erklärt wurde, oh nein, dies betraf ebenso das deutsch-klingonische Ethos, eine feine, verborgene Sehnsucht nach den Beats älterer Zeiten, die Samir nicht entgangen war.

Er wollte lieber an den Garten denken, in dem er frei war und den er gestalten konnte, wie er wollte. Hier wohnte weit und breit niemand. Samir sprach selten von „seinem“ Garten, weil der Ort keine Grenzen hatte. Er ging über in Wälder, Wiesen und Strand und überall hatte Samir seine Spuren hinterlassen, Räume gestaltet, Objekte geschaffen, Kanäle gezogen und Pflanzen ausgesucht. Die Tiere reagierten manchmal auf seine Kunst. Ganz ohne Mühe hatte er sich in dem Gebiet bewegt und einfach das getan, was er wollte. Irgendwann hatten sich Strukturen ergeben, die er miteinander verband und ergänzte. In dieser Natur hatte er starke Inspirationen erfahren und unmittelbar zurück nach außen gebracht. Manchmal wünschte sich Samir, einen Kopfmenschen hierher in diesen Garten zu entführen und ihm diese ganze Pracht sinnlich vorzuführen. Er würde ihm die Gegend zeigen wie ein Museumsführer, wie ein Touristenführer. Sehen Sie nur, würde er sagen, hier kann man sich wohl fühlen. Und der touristische Kopfmensch würde bestimmt zustimmen. Ja, würde Samir dann sagen, es ist ein wunderbarer Ort. Und das hat alles mit Vernunft überhaupt nichts zu tun! Und der Kopfmensch würde etwas zum Nachdenken haben.

Der Jäger saß satt im Schatten in der Nähe der Feuerstelle und reinigte das Hasenfell mit Wasser aus dem Brunnen. Er würde es hier zurücklassen, so wie den Rucksack, wenn er sich zum letzten Stück des Weges aufmachen würde. Aber jetzt war er noch zu faul. Er streckte die Beine aus und döste. Während sein Geist durch den Garten lief, lächelte sein Körper bei geschlossenen Augen. Er wollte immer in diesem Garten sein, hier war die Harmonie des Lebens hergestellt. Es war eine reale Welt, nicht so wie die meisten anderen, in denen Gewalt die Luft zerstört hatte, wie er es nannte. Andere Welten mochten ähnlich aussehen, ähnlich riechen und ähnlich schmecken, aber normalerweise wurden dort Spannungen aufgebaut, wodurch die Kunst nicht frei fließen konnte. Der gesamte spirituelle Verkehr wurde behindert, so, als wäre ständig das Telefon besetzt oder als würde es abgehört. Die Menschen gaben ihre Natürlichkeit auf, weil sie glaubten, dass sie es so tun mussten. Sie sahen sich sehnsuchtsvoll Filme an, aber das war Samir zu abstrakt. Es war ihm bereits zu abstrakt, Gott für die Mahlzeit zu danken, obwohl seine Spiritualität monotheistisch geprägt war. Das Ganze war für ihn Eins, es war Gott. Je stärker seine Inspirationen waren, desto stärker tendierten sie dazu, alle Dinge zu verbinden zu einem zu machen, zu einem Unendlichen. Gott war nicht getrennt von der Welt und Samir war nicht getrennt von Gott.

Er löschte die Glut, band sich die Wasserflasche an den Gürtel und steckte das Feuerzeug in die Hosentasche. Weiter ging die Reise. Auch in dieser Senke und darum herum hatte er Blumen gepflanzt und Orte gestaltet. Einiges davon war bereits verwittert, anderes, wie die Objekte aus aufgetürmten Steinen, stand noch da wie früher. Schon bald erreichte er die grasigen Hügel, die in Sanddünen übergingen. Auf dem Hügel stehend kam ihm die Luft des Meeres entgegen. Er hörte aus der Ferne Möwen rufen. War er nicht ganz früher schon einmal hier gewesen? Hatte nicht hier einst ein Dorf gestanden, mit Häusern aus Stein und Schafherden, die über die Hügel zogen? War nicht dort hinten ein Hafen gewesen und war er nicht selbst mit Schiffen von dort losgezogen und wieder zurückgekehrt? Samir wusste es nicht, ihm kamen schemenhafte Gesichter in den Sinn, die er nicht zuordnen konnte.

Bevor er die Grotte betrat, ließ sich Samir vom Ozean die Farbe vom Körper waschen. Der ganze Strand war menschenleer, der Sand noch heiß im Abendlicht. Hier in der Bucht war durchaus Platz für ein paar Schiffe, aber es waren keine da. Nichts, keine Angler, keine Gespräche, überhaupt keine von Menschenhand geschaffene Sache. Samir war ein Teil dieser Welt wie die Wellen um ihn herum und der Sand unter seinen Füßen. Die letzten Sonnenstrahlen trockneten ihn, dann betrat er die Höhle und entzündete die Fackeln, die in er in einem Loch in der Wand deponiert hatte. Die Grotte hatte mehrere Räume, Samir hatte sie erkundet, als er zum ersten Mal hier war. Es war ein magischer Ort. Der Raum, in dem er jetzt die Fackeln verteilte, war mit feinem Sand ausgelegt. An seiner Frontseite war eine Wand mit Malereien, die aus einem anderen Jahrtausend stammten. Der Mann strich mit den Fingern über die Wand, die fast glatt war und einen heimeligen Geruch an sich hatte. Ohne den genauen Grund dafür zu kennen, wusste Samir, dass an diesem Ort vor Urzeiten schon die Menschen Kontakt zu den Ahnen hergestellt hatten. Welches Geheimnis war das, das die Urmenschen kannten? Oder war es in Wirklichkeit nur Spinnerei und Einbildung? Eine rauschhafte Übertreibung und grobe Missdeutung von angeblichen Zeichen. Könnte sein. Wie aber stand es mit dem Erleben der beteiligten Personen? Da war subjektiv etwas, etwas Substanzielles, oder vielleicht nicht?

Mit der rechten Ferse schlug Samir einen Rhythmus in den Sand. Um diesen Ort zu öffnen, musste er ihn bewegen. Sich in die Trance begeben. Mit jedem vierten Schlag summte Samir einen Ton, den er modulierte, bis er auf den Hall in der Höhle abgestimmt war. Er experimentierte mit dem Ton, fügte einen Auftaktton dazu und ließ den Rhythmus auf seinen Kopf übergehen, der jetzt wie im Tanz nach vorn und zurück ruckte. Er sah wieder die Schafherden auf den saftigen Hügeln und einige Menschen am Rand, die sich zu unterhalten und zu scherzen schienen. Er zoomte sich näher heran und erkannte, dass er selbst einer dieser Leute war. Er trug Sandalen und ein sandfarbenes Gewand, auf seinem Kopf lag ein Tuch. Sein Alter Ego war ungefähr sechzig Jahre alt, er zeichnete mit einem schmalen Stock etwas unter sich in den Boden. Zwei Kinder saßen um ihn herum, die dazwischenriefen. Er sprach mit den Kindern. Samir konnte in seiner Vision nicht erkennen, was da auf den Boden gezeichnet wurde. Plötzlich hob der andere den Blick, als hätte er etwas bemerkt. Ohne dass seine Lippen sich bewegten, sprach der andere: „Wir sind vor vielen tausend Jahren hier her gekommen und es liegen noch viele tausend Jahre vor uns.“ Sein Gesichtsausdruck war kraftvoll und gelassen. Samir konnte in seine Augen sehen, sie waren klar und aufgeräumt. Lange sah er hinein, saugte sich fest an diesem Bild, wollte diese Augen nie mehr vergessen. Es war Befreiung darin, es war Heimat darin. „Durch die Zeit wächst eine Blume.“ Die Hügel verschwanden, die Schafe huschten weiß über die Erde und zerstreuten sich. Die Gegend zog an ihm vorbei, er drehte sich, fand den Ton wieder und stieß ihn rhythmisch aus, ihn dieses Mal als Bremse verwendend, bis er sich wieder in die von Fackeln erleuchtete Höhle zurückbrachte und erschöpft zu Boden fiel.

Dies musste einer seiner Vorfahren gewesen sein, dachte Samir. Er hatte nicht wirklich mit ihm sprechen können… oder doch? War es nicht, als hätte der andere ihm erzählt, dass es auch andere Zeiten gegeben hat, Zeiten, in denen es diese Spannung in der Luft nicht gab? Damals, als die Menschen ihre Impulse noch hinterfragten und sie noch nicht leugneten. Als sie Wahrheit noch im Kontrollverlust der Trance suchten und nicht in der vermeintlichen Kontrolle eines selbst geschaffenen Koordinatenkreuzes. Selbst die Heiligen Schriften waren in Trancen entstanden, ohne Kontrollverlust wäre so etwas gar nicht denkbar. Wie sollte man die Religion verstehen können, wenn man sie an Worten und Riten festnagelte und versuchte, die Welt in ein Schema zu pressen und sie ihrer Lebendigkeit zu berauben, aus Furcht vor einer Strafe, die keiner so genau erklären konnte? Jedes Buch, so dachte Samir, war eine Abstraktion, es konnte verwendet werden, um damit um die Ecke zu denken und alles Mögliche zu rechtfertigen. Dafür war das Buch nicht da, Samir war sich sicher. Er wollte es erlebend verstehen, er wollte die Welt, sich selbst und in all dem Gott erleben, anstatt über ihn zu lesen. Der Weg war noch weit.

Als Samir zurück in der Stadt war, zog er einen Anzug an und ließ sich die Haare schneiden. Er sprach über die Dinge, über die auch die Stadtbewohner sprachen und antwortete artig auf die Frage, ob Künstler nicht immer auch große Egoisten seien. Aber lieber erzählte er von einem Garten, der gerade in Blüte stand, und einem Gärtner, der dort lebte.

4. Through Time a Flower Grows
Anis Hamadeh, Juni 2005

Samir went barefoot on the lawn path through the garden he had created a couple of years ago. It led far to the sea. He had planted all possible kinds of plants here, some in the open air, some under the security glass. He lingered a while in front of a group of mummy roses that were standing in bloom, just like the other roses have opened their blossoms, the azaleas and rhododendrons, too. Here in the front area of the garden the soil was most fertile and it generated fruit trees and vegetables. Samir had made different paths on which he moved, depending on the mood he was in. This morning he had departed with a huge bottle of water in his rucksack, for he intended to walk all the way to the beach. There was a cave which was particularly important for Samir. He was able to speak with his ancestors there.

This garden was full of concealed corners and special places. The morning sun had already begun to turn hot when Samir arrived at the shadowy pond which he called the Silver Pond, because it shone in silvery and golden colors when the light was favorable. He sat down on the footbridge, cooled his feet and lit a cigarette. There was no wind and white yellow sunrays were shimmering through the leaves of the surrounding tres. Would he manage to get in touch with them, with his ancestors? He listened inward and sensed his burdon, his questions and doubts which had motivated his journey. He also sensed his hope which had caused the start of the journey. Because since a couple of days Samir has been in touch with his fate again. Whatever fate that might be, he did not live aside from it anymore, this is what he realized. And he wanted to know more about it.

On the next hop of his way he encountered the marked bamboo. There were many places in the garden which he had supplied with colors and signs, partly in order to participate in the life of his surroundings in a mimicry way, partly to transform it into art. Samir loved art. On this course bamboo plants were growing in 500 meter intervals. It was a repetitive motif which today reminded him of how situations recurred over and over again while one was walking on his way. At first, Samir stopped at each bamboo and listened inward. Yet at one point he began to concentrate on how he felt in the spaces in-between the bamboo plants when he traversed them. In his family, too, he had over and over again arrived at the same place, in the conflict. He had not been able to solve the conflict and has gone on every time until he reached the same place again. He had not moved in circles, for every time it went on in a different way, yet every time he got back into the conflict, with all the pain and trouble that entailed.

With each of his paces Samir became lighter. He sensed freedom under the clear sunny sky. There were no more chains around his feet. But before he would reach the cave he would have to ban some shadows from his consciousness. His mind was distracted by the peculiarities of his father, Darth Vader. Samir now knew that his father was lost and had been lost for a long time. Latest news was that he now demanded a retroactive rent from Joana, dating back to last August. Samir had not learned until today what exactly it was that Joana was accused of and why Darth Vader did not reckon up her working time, at least. For she had worked for him the whole spell through, while Darth himself had made her believe she would get a contract as soon as possible. The apartment, too, was his idea, not hers. The whole time through he had created grey zones with which Joana was kept in dependency (who, in turn, had let it happen, a circumstance, however, that was not a good excuse). Darth had never initiated to clear the situation. He wanted to do the same thing with Samir and had taken him deeper and deeper into his hole, up to black money payments in May, just when he had accused Joana of theft, as massively as it was unjustified. Samir had liberated himself from his clutches before it was too late. He took out the water-bottle, had a swallow and moistened his neck, face and feet. There was no more faith between him and Darth. After all this he did not believe him anything anymore.

In front of the next bamboo he let himself fall on his knees, took up some dry earth with his hand and let it drizzle on the ground. His mind was clouded, because he wanted the patriarch to fall. He wanted to create a new world and in this world there was no place for violent perpetrators. At the same time it was clear to him that this attitude could bring him away from society. Darth Vader was protected by the whole family as well as by his vassals in the company. He was also protected by society. Samir had years of experience with the reactions of society when he had confronted them with the matter. It just pearled off like water from a rain jacket. He had to talk with his ancestors!

The afternoon had already begun when he reached the thicket of the woods. The night would become long, Samir wanted to have a meal. In the morning he had collected and eaten some fruits and berries on the way. Now he was looking for a strong bough and broke it off the tree. From his bag he got a cord as well as arrow tops he had prepared earlier, and a knife. Within minutes he had built himself a bow and two arrows. Behind the woods in a hollow there was a shack. When the weather was clear one could hear the breakers from over there. He intended to prepare his meal there. Samir moved silently through the woods and found some mushrooms which he collected. He held his nose into the air and then again searched the ground. For a moment he had the impression that he was not alone, that the others would be with him. He turned around spontaneously, but there was nobody. Samir sat down by a tree and took out an ocher yellow pigment which he mixed with some water. He colored forehead, cheeks, breast, arms and legs. A reddish brown color followed, he put it on his body, then a dark grey one. Afterwards he marked the tree with colored signs, watched it for a while and also colored bow and arrows. Again it was to him as if he was not alone, but there was nobody else around.

Suddenly he noticed something and turned his eyes fluently to the left. It was a hare, it was standing in a distance of about fifty meters, motionless and attentive, he had not sensed Samir, though. A couple of seconds later the hare looked down and snooped around on the ground. The man looked at the tree for a last time, stroking over the bark, and then bent down and moved with great slowness in the direction of the hare, fixing it with his eyes all the time. Samir approached like a snake and followed the hare into the woods ...

There were only him, the others, and the animal. It was a big animal, they would be able to live from it for days. The furry skin would be for his wife who waited for him at home. He would make some new shoes for her. The pair she had now was already worn-out and she would be very glad about it. From far he heard drum-beats, they were meant to encourage the hunters and to bring them success. Samir rubbed his eyes and shook his head. There were no others around, and there were no drums. In front of him the hare disappeared in a bush. The man was now only seven meters away from the animal. He stood up behind a tree and bent the bow. While turning around the tree with infinite slowness and bringing the arrow into the right position he was able to see the fur of the animal showing through the green leaves. It would soon creep out again and hop on. The hunter closed his eyes and talked to the spirit of the hare. Differently from humans animals did not have a spirit for each individual, but one spirit for the whole kind which was the same in each token. He asked the spirit of the hare for admission to shoot it in order to still his hunger and he knew exactly when to open his eyes again. The animal tediously came out of the bush and was immediately struck by the arrow. It broke down and was dead. The hunter approached, thanked the spirit of the hare for the gift and started to empty the animal without hesitation and to attach it to the top of the former bow, with the cord that he had untied at the bottom. With this bundle he arrived at the hollow. He slit open the wrists of the fore-legs and tied them to the outside of the shack. Then he pulled off the skin with power, searched for fire-wood and prepared the hare with salt and the mushrooms. He was thinking of the cave he was going to reach in the evening.

Even if it is a murderer you have to open the door for him, if it is a family member ... Samir remembered the words of Darth Vader and asked himself for how long this thinking might have been existant in the heads of his ancestors. He would not exclude opening the door for a murderer, only this sentence was really strange, like tolerating things which were not tolerable. Would they speak with him at all? He had judged upon his father. This alone. He had violated the Klingon warrior's ethos. This was not only about the Palestinian-Klingon ethos which was often explained with the circumstances of occupation, oh no, this was also concerning the German-Klingon ethos, a fine, consealed longing for the beats of former times, something which did not escape Samir's attention.

He rather wanted to think about the garden in which he was free and which he could form and shape just like he wanted to. There was nobody living here in the whole area. Samir rarely called it "his" garden, because the place had no borders. It changed into woods, meadows and beach and Samir had left his traces everywhere, shaping spaces, creating objects, digging channels and selecting plants. Sometimes the animals reacted to his art. Without effort he had moved around in the area, just doing what he wanted. After a while there were structures showing and he connected and supplemented them. In these natural surroundings he had received strong inspirations and immediately brought them back to the outside. Sometimes Samir wished that a head person would elope with him here into this garden and he would present to him all this splendidness with all the senses. He would show him the area like a museum's guide, like a tourist guide. Look, he would say, isn't it pure joy? And the touristic head person surely would agree. Yeah, Samir would then reply, it is a marvelous place. And all that has nothing to do with reason! And the head person would have something to think about.

The hunter was sitting in the shadow near the fire-place and cleaned the fur of the hare with water from the well. He would leave the fur here, together with the rucksack, when he would continue to walk the final part of his way. But right now he was still too lazy. He stretched his legs and had a nap. While his mind was running through the garden his body smiled with eyes closed. He wanted to be in this garden always, here the harmony of life was extant. It was a real world, not like most of the others in which violence had destroyed the air, as he used to call it. Other worlds might look similar, smell similar and taste similar, but it was normally so that tensions were created there so that art could not flow freely. The whole spiritual traffic was disturbed, as if the telephone was continuously busy or as if it was tapped. The humans gave up their naturality, because they believed they were obliged to. In their longing they watched movies, but this was too abstract to Samir. It was even too abstract for him to thank God for the meal, although his spirituality was monotheistic in nature. The whole was one to him, it was God. the stronger his inspirations were the more they tended to connect all things with each other and make it one infinite thing. God was not separated from the world and Samir was not separated from God.

He extinguished the fire, attached the water bottle at his belt and put the lighter into the pocket of his trousers. The journey went on. In this hollow, too, and all around it Samir had planted flowers and shaped places. Some of it was already crumbled away, other parts, like the objects made of piled-up stones, were standing there like before. Soon he reached the grassy hills which changed into sand dunes later on. Standing on the hill he sensed the ocean breeze in his face. From far he heard seagulls cry. Had he not been here before, in very early days? Hadn't there been a village right here, in former times? with houses made of stone and flocks of sheep moving over the dunes? And over there, hadn't there been a harbor once and hadn't he himself departed from there with ships and later returned? Samir did not know, vague faces appeared in front of his inner eye and he could not coordinate them.

Before he entered the grotto Samir had the ocean wash the color off his body. The entire beach was void of people, the sand still hot in the evening light. Here in the bay there was space enough for a couple of ships, without question, but there were none. Nothing, no fishing people, no conversations, not one thing created by humans, at all. Samir was one part of this world, like the waves around him and the sand below his feet. The last sun rays dried him, then he entered the cave and lit the torches he had deposited in a hole in the wall. The grotto had several rooms, Samir had explored them when he was here for the first time. It was a magic place. The room, in which he now distributed the torches, was furnished with fine sand. On the front side there was a wall with paintings dating back to a different millenium. The man ran his fingers over the wall which was almost even and had a cosy smell. Without knowing the reason for it, Samir was certain that this was a place where people in very old times had contacted their ancestors. What kind of secret was it that the first humans had knowledge of? Or was it in reality only craziness and imagination? An intoxicated exaggeration and broad misinterpretation of some alleged signs. Could be. But what about the actual experiences of the involved people? There was subjectively something, something substantial, or wasn't there?

Samir beat a rhythm into the sand with his heel. In order to open this place up he had to move it. He had to go into the trance. With every forth beat Samir hummed a tone that he modulated until it was equalized with the reverberations in the cave. He was experimenting with the tone, added an upward beat and let the rhythm enter his head which now was jolting forth and back like in a dance. He saw the flocks of sheep again on the juicy hills and some people in the periphery who seemed to talk and to joke. He zoomed closer to the scene and realized that he was one of those people himself. He was wearing sandals and a sand-colored gown, on his head a headscarf. His alter ego was about sixty years of age, he was drawing something into the ground beneath him with a narrow stick. Two children were sitting around him, shouting comments and and asking questions. He talked to the children. In his vision Samir was unable to see what it was that was drawn onto the ground. Suddenly the other one lifted his head as if he had noticed something. Without any motion of his lips the other one spoke: "Many thousands of years ago we came to this place and there are many thousands of years ahead of us." The expression in his face was powerful and calm. Samir could see inhis eyes, they were clear and merry. He looked into them for a long spell of time, absorbed the picture, never wanted to forget these eyes anymore. In them was liberation, was home. "Through time a flower grows." The hills disappeared, the sheep slipped white and hurriedly over the earth and dispersed. The area moved away from him, he turned around, rediscovered the tone and articulated it rhythmically, using it this time as a brake, until he brought himself back into the illuminated cave and fell on the ground in exhaustion.

This must have been one of his ancestors, Samir thought. He had not really talked with him ... or did he? Wasn't it as if the other had told him about the existance of different times, times in which there had not yet been this tension in the air? In former ages, when people still had questioned their impulses instead of denying them. When they had still been searching for truth by losing control in a trance and not in the putative control of a system with coordinates created by themselves. Even the Holy Scriptures came into being with trances, such a thing would not remotely be possible without. How were we to understand religion when religion was nailed to words and rites in the attempt to press the world into a scheme and to deprive it of its vitality in fear of some kind of punishment which nobody could explain too well? Every book, Samir thought, was an abstraction. It could be used to think around the corner with it and to justify all kinds of things. This was not what the book was about, Samir was sure. He wanted to understand it in experience, he wanted to experience the world, himself and God, rather than to read about him. The way was still long.

When Samir was back in the city he wore a suit and had his hair cut. He talked about the things about which the city people talked and replied in a well-behaved way when they asked him whether it was true that artists were always big egoists, too. But he rather liked to tell them about a garden that stood in bloom and about a gardener who was living there.

5. Der Tag, an dem die Angst verschwand
Anis Hamadeh, Juli 2005

Samir lief durch seine Erinnerung und durch das Damaskustor in Jerusalem. Er schlenderte durch die Altstadt, sah sich die Auslagen der Händler an, die Anwohner, die Touristen, die Sicherheitsleute. 6000 Jahre Geschichte hatte dieser Ort erlebt, dies war kaum vorstellbar. Viele Plätze gab es hier in Jerusalem, an die Samir sich erinnern konnte. Die alte Hippie-Herberge, in der er einst für ein paar Tage geblieben war. Die Wohnung der deutschen Professorin, wo ein Treffen mit der Studentengruppe stattgefunden und man über die Architektur und Ornamentik des Felsendoms gesprochen hatte. Samir hatte auch die Aufführung eines Stücks von Kafka gesehen, im Hakawati-Theater. Kafka auf Arabisch, das war eine erstaunliche Erfahrung gewesen. Bei einem anderen Besuch saß er Wasserpfeife rauchend mit seinem Kumpel Albert in den Straßen der Altstadt. Alberts Vater war Altertumshistoriker und sie hatten einen Rundgang mitgemacht und sich die Geschichte der Stadt erklären lassen. Auch durch eine unterirdische Wasseranlage waren sie gegangen, barfuß durchs Wasser, unter der Stadt. Samir hatte „Somewhere over the Rainbow“ angestimmt, weil die Akustik fantastisch war. Als Albert und er so in der Gasse saßen und Backgammon spielten, hörte Samir plötzlich eine altvertraute Stimme, die seinen Namen rief. Es war Emma, eine jüdische Engländerin, mit der er in Alexandria studiert und die er seit Jahren nicht gesehen hatte. Eine zufällige Wiederbegegnung. Mit ihr verabredete er sich für den Abend.

Emma ging mit ihm durch einen kleinen Pfad, den Samir weder kannte noch wiederfinden würde, wenn er noch einmal hier wäre. Sehr lange liefen sie nicht, dann erreichten sie den Westteil der Stadt. Dort gab es eine Fußgängerzone, Straßenmusikanten und westliche Imbiss-Restaurants. Von dieser Welt hatte Samir bislang nichts gewusst. Er hatte schon gewusst, dass es auch ein jüdisches Jerusalem gibt, aber nicht, wie es dort war. Hatte es vielleicht verdrängt, wollte nicht daran denken, weil damals viele einheimische Menschen gehen mussten, damit der neue Staat entstehen konnte. Heute lebten siebzig Prozent der Palästinenser außerhalb des Landes und sie durften nicht zurück in ihre Heimat, auch wenn das internationale Recht es so vorsah. Deshalb ging Samir nicht mit derselben Unbeschwertheit durch die Straßen von Westjerusalem, auch wenn er diesen Teil der Stadt faszinierend und inspirierend fand. Besonders mit Emma neben ihm, die ständig etwas Lustiges im Sinn hatte und keck die Konventionen sprengte, wenn sie sich zum Beispiel als Frau in ein arabisches Café setzte, ohne mit der Wimper zu zucken oder wenn sie vor ihren jüdischen Freunden betont positiv über Araber sprach. Sie erzählte auch schon mal einen Witz, der bei der einen oder anderen Gruppe auf Entsetzen stoßen konnte.

Als er mit Emma durch Westjerusalem spazierte, bemerkte Samir, dass die Mülleimer auf der Fußgängerzone oben vergittert waren, damit keine Bomben hineingesteckt werden konnten. Im Laufe der Jahre hatte er gelernt, dass auch die israelische Gesellschaft, nicht nur die palästinensische, mit gewichtigen Ängsten lebte. Auch die vielen Checkpoints und Sperrungen wiesen darauf hin. Oft hatte es gewalttätige Anschläge gegeben, hier und in anderen Städten des Landes. Die Bevölkerung war sensibel geworden für jede verdächtige Bewegung. Es war die Furcht vor Gewalt und sogar die Furcht, die Existenz zu verlieren. Dennoch war viel Leben in den Straßen von Westjerusalem und die Menschen hatten einen Alltag.

Samir durchquerte den Park auf dem Weg zu seiner Wohnung, war aber in Gedanken noch in Jerusalem. Was hielt ihn eigentlich davon ab, wieder ins Land zu fahren? Ihm wurde bewusst, dass er schon lange nicht mehr da gewesen war, weder in Jerusalem noch sonstwo im Land. Dabei kannte er so viele Leute dort: seine Familie in Nablus und die ganzen Leute, die er in den letzten Jahren über das Internet kennen gelernt hatte, Muslime, Christen, Juden. Eigentlich sollte er jetzt wieder hinfahren, dachte er, und all die Leute besuchen. Mit ihnen reden und Reportagen schreiben, die Kommunikation öffnen und Leute zusammenbringen. Es gab einige israelisch-palästinensische Gruppen, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzten, Friedensdörfer und Kultur-Initiativen, Institutionen wie Givat Haviva. Es gab Inseln der Begegnung und künstlerische Auseinandersetzungen. Da waren genügend Ansatzpunkte, um weiterzukommen.

Er stieg die Treppe zu seiner Wohnung hinauf und kramte in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel, obwohl er damit gerade erst die Haustür aufgeschlossen hatte. Warum zog es ihn nicht wieder hin ins Heilige Land? Hatte er keine Sehnsucht? In den letzten Wochen war ihm klarer geworden, dass es unsichtbare Mauern gab, die ihn daran hinderten zu fahren. Er musste darüber nachdenken, denn am Wochenende würde er wieder mit Ari und Sarah auf der Bühne stehen und sich für die Verständigung zwischen Palästinensern, Israelis und Deutschen einsetzen. Er wollte, dass der Krieg zu Ende ging. Dass die Wunden heilten, die in den Gesellschaften entstanden waren.

Mit diesen Gedanken im Kopf nahm er den Telefonhörer in die Hand und rief Ari an. „Kennst du das auch“, fragte er ihn, „wenn man manchmal vor seiner eigenen Gruppe Angst bekommt? Nicht die Art von Angst, bei der man sich unter dem Bett versteckt und sich an seinen Teddybären klammert, sondern ich meine die Art, die dazu führt, dass man den Kontakt zu Leuten nicht pflegt, die einem eigentlich wichtig sind. Wenn da zu viele Dinge sind, über die nicht gesprochen wird.“ Ari überlegte eine Weile. Samir wusste nicht genau, warum er Ari gefragt hatte, aber er wollte keinen Palästinenser fragen und auch keinen Deutschen. Dann sagte Ari: „Ich bin wahrscheinlich nicht repräsentativ, weil auch ich schon lange außerhalb des Landes lebe. Aber Sarah und ich fahren fast jedes Jahr hin und leben bei den Menschen dort. Es gibt durchaus solche Problempunkte, besonders zwischen der Kibbuzbewegung und den konservativen Likud-Leuten. Ich bin im Kibbuz aufgewachsen, meine Erziehung war humanistisch. Wir haben gelernt, dass man andere Menschen mit Respekt und Toleranz behandelt, egal welche Hautfarbe oder Religion sie haben. Deshalb bin ich zum Beispiel auch gegen die Siedlungen und gegen die Besatzung. Der Staat Israel ist dabei für mich etwas Positives, weil er Heimat und Sicherheit für mich bedeutet, trotz aller Probleme, die es sicherlich gibt. Ich sehe viele Errungenschaften meines Landes, was Wissenschaft und Kultur angeht.“

Noch einmal setzte sich Samir in Gedanken ins Flugzeug und flog in das Land. In seiner Hand war ein Geigerzähler, ein Messinstrument, das knackende Laute von sich gab, wenn Spannung und Gewalt in der Luft lagen. Je näher er kam, desto lauter und intensiver wurden die Geräusche. Am Flughafen angekommen, konnte er in dem Lärm kaum die Anweisungen der Sicherheitskräfte verstehen. Hier war überall Spannung und Verdächtigung. Man fragte ihn, wo genau er hin wollte und wieso und warum. Man durchsuchte ihn, weil er verdächtig war, so wie jeder. Unwillkürlich begann auch er zu verdächtigen und misstrauisch zu sein. Diese Sicherheitsbeamten waren vielleicht zuvor Soldaten gewesen und mit Panzern in arabische Städte gefahren. Doch der Geigerzähler hörte nicht auf, Alarm zu schlagen, selbst als Samir nach Stunden durch die von Blüten geschwängerte Luft gefahren und in Nablus angekommen war. Er spürte Angst.

Samir war überzeugt davon, dass zum Frieden mehr gehörte als ein paar Entscheidungen von Politikern. Es gehörte ein Menschenbild dazu, eine Mentalität, eine Bereitschaft. Der Schmerz, den er in der Stadt seiner Verwandten unter der Oberfläche gespürt hat, war enorm und mit Worten kaum zu beschreiben. Viele Bewohner der Stadt mussten diesen Schmerz von sich trennen, um emotional überleben zu können. Dadurch verloren sie den Kontakt zu ihrem eigenen Selbst. Es war ein Teufelskreis. Man konnte ihn nicht auflösen, indem man sich auf eine einzige Gruppe konzentrierte, man musste das Prinzip der Angst überall gleichzeitig zu Bewusstsein bringen. „Unter der Besatzung ist es sehr schwer zu überleben“, hatten ihm Leute aus Nablus zu Recht gesagt, „Hoffnungslosigkeit und Armut machen unsere Gesellschaft kaputt. Ist es da notwendig, dass du die palästinensische Gesellschaft kritisierst? Wir haben so viel verloren und sind auch jetzt nicht frei. Der Druck von außen ist sehr groß. Wir stehen unter Kriegsrecht und haben kaum Handlungsspielraum.“ Samir wusste das. Er konnte aber diese Ängste nicht ignorieren, denn sie standen für etwas Allgemeines, etwas Wichtiges.

Mit Ari lief Samir an der Mauer entlang, an der Mauer, die zwei Gesellschaften trennen sollte. Sie sprachen nicht. Sie gingen zusammen, mal auf der einen Seite der Mauer und dann wieder auf der anderen Seite. Als Ari sagte, er sei vielleicht nicht repräsentativ, dachte Samir, er sei es noch weniger. Aber wer war in diesem Konflikt schon repräsentativ? Natürlich, in der Hauptsache ging es um die Leute, die dort lebten und die von den politischen Verhältnissen unmittelbar betroffen waren. Aber auch die sahen ihre jeweiligen Ausschnitte und auch die lebten mit Konstrukten und interpretierten die Nachrichten individuell. Außerdem wünschten sie sich, dass die Welt dazu beiträgt, dass es zum Frieden kommt, denn allein schafften sie es nicht. Dies zumindest war eine Meinung, der sich weite Teile auf beiden Seiten anschließen konnte.

In seiner Wohnung angekommen schaltete Samir den Fernseher ein und sah, wie die israelische Armee die illegalen Siedlungen im Gazastreifen räumte. Wann würde es zum Frieden kommen? Was musste geschehen, damit es einen wirklichen Frieden gab? Die Meinungen zu diesem Thema gingen weit auseinander, auch zwischen Samir und Ari. Eines allerdings glaubte Samir beisteuern zu können, um zu erklären, was ein Leben ohne Angst bedeuten konnte und warum Frieden eine Situation war, die für jeden und jede Freiheit bedeutete. Es war eine Vision, ein Bild, das ihm einmal im Traum erschienen war und das er nie mehr vergessen konnte.

Es war in Jerusalem. Aus der ganzen Welt waren Menschen zusammengekommen, um das größte Fest zu feiern, das die Menschheit jemals gefeiert hat. Nicht nur in der Altstadt und im Westteil der Stadt, nein, die Feiern breiteten sich über das gesamte Land aus und wurden über Satellit in die Welt übertragen. Überall spielten Musikgruppen und lasen Dichter, man aß und trank, diskutierte und schrieb, in den Straßen tanzten die Menschen. Es war der Tag, an dem die Sicherheitsängste überwunden waren. Immer wieder hatten sich nämlich einige Leute aus den gegnerischen Gruppen Gedanken über die Kernpunkte des Konflikts gemacht und Wege entwickelt, um sie systematisch und ohne Gewalt zu lösen. Man hatte einen einheitlichen Maßstab gefunden, nach dem man die gewalttätigen Extremisten aller beteiligten Seiten in die Mitte zurückbringen und nach dem man seine Ängste sinnvoll hinterfragen konnte. Die meisten der Extremisten gingen ganz von allein zurück, als sie sahen, dass sie keinen Boden mehr für ihre Ideen hatten. Es blieben ein paar Unverbesserliche zurück, mit denen man aufgrund der überwältigenden Mehrheitsmeinung leicht fertig wurde. Es stellte sich heraus, dass immer weniger Sicherheitsmaßnahmen nötig wurden und dass sich die gesamte Lage dadurch entspannte und immer weiter entspannte. Das Jerusalemer Fest kam dadurch ganz von selbst in Bewegung. Es war der Tag, an dem die Angst verschwand. Wie ein Schleier fiel sie von den Leuten ab und vor ihren Augen zeigten sich Horizonte, die kaum jemand geahnt hatte. Die Energien, die jahrzehntelang gegeneinander gerichtet waren, befruchteten sich jetzt und brachten eine neue Welt hervor. Für diesen Tag, so dachte Samir, wollte er sich bereit machen und damit beginnen, seine eigenen Ängste zu hinterfragen. Der Tag, an dem die Angst verschwinden würde, war der Tag, an dem aus Stacheldraht Notenlinien wurden. Von diesem Tag wollte er berichten, denn es war ein großer Tag.

Anmerkung:

Buch Micha (um 750 v. Chr.), Kapitel 4,1-5
Das kommende Friedensreich Gottes
„In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. 3Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat's geredet. Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich!“
Vergleiche auch: Jesaja 2,2-4 / Lukas 24,47

Danke Pfarrer Dr. Ulrich Luig aus Mainz für den Hinweis.

5. The Day When Fear Disappeared
Anis Hamadeh, Juli 2005

Samir traveled through his memory and through Damascus Gate in Jerusalem. He strolled through the Old City, observing the goods of the street-traders, watching the local people, the tourists, the security people. This place had faced 6000 years of history, this was hardly imaginable. There were quite some places here in Jerusalem Samir could remember. The old hippy hostel where he had stayed for a couple of days once. The apartment of the German professor where a group of students had gathered and people talked about the architecture and ornaments of the Dome of the Rocks. Samir also had witnessed the performance of a piece by Kafka, in the Hakawati Theater. Kafka in Arabic, that really was a special experience. During another visit he had sat outdoors with his mate Albert, smoking a water-pipe in the streets of the Old City. Albert's father was a historian of antique times and they went for a tour and had the history of the city explained to them. They had also walked through a subterranean canal construction, barefoot in the water, underneath the city. Samir had intoned "Somewhere over the Rainbow", because the acoustics were phantastic. Then, while Albert and him were sitting in the alley way playing backgammon, Samir suddenly heard a familiar voice calling his name. It was Emma, a Jewish Englishwoman with whom he had studied in Alexandria and whom he had not seen for years. An accidental re-encounter. They agreed to meet in the evening.

Emma took him with her through a narrow path which Samir neither knew nor expected to find again, would he come here another time. They did not walk for long then they reached the western part of the city. There were pedestrian zones, street musicians and western snack restaurants. Until now Samir had not known anything about this world. He did know that there also was a Jewish Jerusalem, but he had no idea of how it looked like. Maybe he had repressed the thought of it, because back then many native people had to go away so that the new state could be created. Today, seventy percent of the Palestinians were living outside the country and they could not return to their homeland, even if international law wanted it so. Therefore Samir was unable to walk the streets of West Jerusalem with the same lightheartedness, even though he found this part of the city fascinating and inspiring. Especially with Emma by his side. She often did amusing things and boldly crossed the conventions. For example, when she as a woman sat down in a traditional Arab coffeshop without turning an eyelid, or when she spoke deliberately positively about her Arab friends in the presence of her Jewish friends. Sometimes she also recounted a joke which risked to evoke some horror in one group or the other.

Walking through West Jerusalem with Emma Samir noticed that the litter-boxes on the pedestrian zone had bars on their tops so that no bombs could be deposited inside. In the course of the years he had learned that the Israeli society, too, not only the Palestinian, lived with severe fears. The many checkpoints and closures were also pointing to this fact. There had often been violent assaults, here and in other cities of the country. The population had become sensitive for every kind of suspicious action. It was the fear of violence and even the fear to lose the existance. Despite this, there was a lot of life in the streets of West Jerusalem and people had their daily routines.

Samir traversed the park on his way back to his apartment, but in his mind he still was in Jerusalem. What was it that kept him away from the country? He became aware of the fact that he had not been there for a long time, neither to Jerusalem nor anywhere else in the country. And this although he knew so many people there: his family in Nablus and all the people who he met over the last years on the internet, Muslims, Christians, Jews. He normally should go there again now, he thought, and visit all these people. Talk with them and write reports, open the communication and bring people together. There were some Israeli Palestinian groups that promoted a peaceful co-existance, peace villages and cultural initiatives, institutions like Givat Haviva. Islands of recounter and artistic exchange existed. There were enough starting-points for progress.

He climbed up the stairs to his apartment and searched for the key in his pockets, although he had just used it to open the latch-door. Why wasn't he attracted to visit the Holy Land again? Did he not miss the country? During the last weeks it had become clear to him that there were invisible walls preventing him from traveling. He had to think about it, because in the weekend he would stand on stage again with Ari and Sarah, promoting the understanding between Palestinians, Israelis and Germans. He wanted the war to end. He wanted that the wounds healed which had come into being in the societies.

With these thoughts on his mind he grabbed the telephone receiver and called Ari: "Do you know this feeling, too", he asked him, "to sometimes be afraid of the own group? I don't mean the kind of fear where you hide under the bed and embrace the teddy bear, but the kind which leads to neglecting the contact to people who originally are important to you. When there are too many things about which people don't talk." Ari thought for a while. Samir did not know exactly why he had asked Ari, but he did not want to ask a Palestinian and neither a German. Then Ari said: "Probably I am not representative, because I, too, have been living outside the country for a long time. But Sarah and I go there almost every year and live with the people there. There surely are such problematic points, especially between the kibbuz movement and the conservative Likud people. I was raised in a kibbuz, my education was humanistic. We learned that people are to be treated with respect and tolerance, no matter what skin color or religion they may have. Therefore, for instance, I am against the settlements and against the occupation. The State of Israel, however, is something positive for me, because it means home and security for me, despite all the problems that surely exist. I see a lot of achievements of my country concerning science and culture."

Once again Samir took a seat in the plane and traveled into the country in his mind. In his hand there was a Geiger counter, a measuring instrument which exerted cracking sounds whenever tension and violence were in the air. The closer he came the louder and more intensive the sounds became. When he arrived at the airport he was almost unable to hear the instructions of the security forces in the noise. Everywhere around there was tension and suspicion. They inquired where exactly he wanted to go and why and what for. They checked him, because he was suspicious, just like everybody else. Involuntary, he also started to suspect and to be distrustful. Those security officers over there may have been soldiers before. Maybe they had entered Arab cities with their tanks. But the Geiger counter did not cease to alert and alarm, even when Samir had entered Nablus after hours of riding through a scent of blossoms. He sensed fear.

Samir was convinced that there was more to achieving peace than a couple of decisions by some politicians. A humanistic philosophy belonged to it, too, a mentality, a readiness. The pain he had sensed under the surface in the city of his relatives was enormous and hardly to be decribed in words. Many inhabitants of the city had to separate this pain from themselves in order to survive emotionally. In this way they lost the contact to their own selves. It was a vicious circle. It was impossible to overcome this circle by concentrating on one single group, it was necessary to bring the principle of fear to awareness in all the groups simultaneously. "It is hard to survive under occupation", the people from Nablus had rightly told him, "hopelessness and poverty are destroying our society. Is it necessary under these circumstances that you criticize the Palestinian society? We have lost so much and are not free now, either. The pressure from outside is very heavy. We are living under martial law and hardly have any choices." Samir knew that. Yet he was unable to ignore these fears, for they were standing for something general, something significant.

With Ari Samir went along the wall. The wall which was built to separate two societies. They did not talk. Together they went, on the one side of the wall and then on the other. When Ari said that he might not be representative Samir thought that he himself might be even less representative. But who was representative in this conflict, anyway? Of course, it was mainly about the people who lived there and who were immediately concerned with the political conditions. But those also saw their respective segments of reality and those also lived with constructions and interpreted the news individually. Besides, they wished that the world contributed to the peace process, for they could not make it alone. At least, this was a view which majorities on both sides could endorse.

When he had arrived in his apartment Samir turned on the television and saw how the Israeli army was dissolving the illigal settlements in the Gaza Strip. When would peace come? What was necessary to happen so that there could be real peace? Opinion was divided on the matter, also between Samir and Ari. Yet there was one thing which Samir thought he could contribute in order to explain what a life without fear could mean and why peace was a situation that meant freedom for everybody. It was a vision, an image that once had appeared to him in a dream and that he could not forget anymore.

It was in Jerusalem. From all over the world people had come together to celebrate the greatest festival humanity had ever celebrated. Not only in the Old City and in the western part of the city, no, the festivities spread over the entire country and were televized into the world via satellite. Everywhere there were bands playing music and poets who read from their works, people ate and drank, had discussions and wrote things down, in the streets people were dancing. It was the day when the security fears were mastered. For again and again some people from each of the opposing sides had thought about the central issues in the conflict and developed methods to solve them systematically and without violence. They had come up with a unitary standard with which the violent extremists of all concerned sides could get back to the center of society and with which people were able to question their fears in a sensible way. Most of the extremists returned by themselves when they saw that they had no more ground for their ideas. Some incurables remained, but they were easy to deal with, due to the overwhelming opinion of the majority. It turned out that less and less security measures were necessary and hence the whole situation relaxed and relaxed more. In this way, the Jerusalem Festival started almost by itself. It was the day when fear disappeared. It fell off from the people like a veil and horizons showed in front of their eyes, horizons hardly imagined before by anybody. The energies, which for decades had worked against each other, would now inspire each other and bring about a new world. For this day, Samir thought, he wanted to prepare himself and start with questioning his own fears. The day when fear would disappear was the day when barbed wire turned to lines of a stave. He wanted to tell about this day, because it was a great day.

Note:

Book of Micah (ca. 750 BC), Chapter 4,1-5
"But in the last days it shall come to pass, that the mountain of the house of the LORD shall be established in the top of the mountains, and it shall be exalted above the hills; and people shall flow unto it. And many nations shall come, and say, Come, and let us go up to the mountain of the LORD, and to the house of the God of Jacob; and he will teach us of his ways, and we will walk in his paths: for the law shall go forth of Zion, and the word of the LORD from Jerusalem. And he shall judge among many people, and rebuke strong nations afar off; and they shall beat their swords into plowshares, and their spears into pruninghooks: nation shall not lift up a sword against nation, neither shall they learn war any more. But they shall sit every man under his vine and under his fig tree; and none shall make them afraid: for the mouth of the LORD of Hosts hath spoken it. For all people will walk every one in the name of his god, and we will walk in the name of the LORD our God for ever and ever."
Confer also: Yesaya 2,2-4 / Luke 24,47

Thanks to Reverend Dr. Ulrich Luig from Mainz for the hint.

6. Guten Morgen,
die Menschenrechte bitte ...

Anis Hamadeh, Juli 2005

Eines Morgens, als Samir sich mit dem Kaffeebecher in der Hand an den Rechner setzte, fiel ihm eine Email auf, die er von mehreren Networkern erhalten hatte. Die Überschrift lautete: „Die palästinensische Zivilgesellschaft ruft zum Boykott, zur Desinvestition und zu Sanktionen gegen Israel auf, solange bis es das Internationale Recht und die universellen Prinzipien der Menschenrechte einhält.“ Schnell las er den Inhalt des Aufrufs. Die Palästinenser forderten ihr Menschenrecht. Da es über all die Jahre nicht möglich gewesen war, Israel zur Einhaltung des Rechts zu bewegen, würde, ähnlich wie in Südafrika, nur ein Boykott zum Frieden führen können. Konkret gefordert wurde das Ende der Besatzung und der Kolonisierung arabischen Landes und der Abbau der Mauer, die Anerkennung der Grundrechte der arabisch-palästinensischen Bürger Israels auf volle Gleichberechtigung und die Anerkennung, der Schutz und die Förderung der Rechte palästinensischer Flüchtlinge auf Rückkehr zu ihrem Land und Eigentum, wie es in der UNO-Resolution 194 vereinbart wurde. Der Aufruf war unterschrieben von fast zweihundert palästinensischen Organisationen, Samir kannte mindestens die Hälfte der Namen auf der Liste.

Er ging mit dem Kaffee zum Fenster und dachte daran, dass dieser gewaltlose Boykottaufruf vielen Deutschen und vielen Israelis in der Seele weh tun würde, sie würden ihn abscheulich finden. Sie würden nicht verstehen, warum ihr Land Israel so stark abgelehnt werden konnte, denn sie hatten ein positives Bild von Israel im Kopf. Dann dachte Samir an seine Familie, der er vor Jahren von den Problemen mit den Eltern erzählt hatte, als er die Familie noch wieder zusammenbringen wollte. Die Kritik an den Eltern hatte ihnen in der Seele weh getan, sie fanden es abscheulich und wurden wütend, als sie es hörten. Sie hatten nicht verstehen können, warum die Eltern so stark abgelehnt wurden, denn sie hatten ein positives Bild von ihnen im Kopf.

Samir seufzte. Hier in Deutschland konnte man einen solchen Boykottaufruf gegen Israel oder gegen Eltern nicht öffentlich vertreten, man wurde dann eher selbst boykottiert. Es ging dabei nicht um die rechtliche Situation, sondern darum, dass bestimmte Leute und Dinge einfach jenseits der Kritik standen. Die deutsche Gesellschaft KONNTE sich nicht gegen Israel aussprechen, weil es dann wieder gegen Juden gehen würde, also in den Nationalsozialismus hinein. So dachten seltsamerweise viele Leute, besonders in der Öffentlichkeit. Ebenso KONNTE man sich in Deutschland und anderswo nicht gegen die Elterngeneration aussprechen, weil die Elterngeneration der Jugendgeneration das Leben geschenkt hat, sie durchgefüttert und ihr Studium bezahlt hat. Es spielte also faktisch keine Rolle, was die Eltern noch taten, sie waren nun einmal, wie sie waren und würden sich nicht ändern. Man musste sich zumindest mit ihnen arrangieren.

Draußen war es heiß, ein herrlicher Sommertag. Samir schaltete den Fernseher ein und sah einen Bericht über das antike Alexandria. In der Ptolemäerzeit war es der progressivste Ort der Welt gewesen, mit einer unglaublichen Bibliothek und kulturellen Vielfalt. Samir liebte die Geschichte. Es gab so viele Dinge in der Welt zu entdecken, so viel zu tun in dieser kurzen Lebensspanne. Aber die Menschen saßen auf ungelösten Konflikten und konnten sich nicht auf die Schönheit der Welt konzentrieren. Sie würden es bestimmt gern, doch es gab eine Massenarbeitslosigkeit, es gab Terrorismus, es gab Klimakatastrophen, es gab Aids. Samir fühlte sich betrogen. Er sah die Massenarbeitslosigkeit nicht als ein Problem, das man „lösen“ konnte, denn es war bereits vor vierzig Jahren absehbar, dass unser Wirtschaftssystem darauf hinauslief. Man hatte sich einfach nicht darum gekümmert, genau wie sein Vater sich einfach nicht darum gekümmert hatte, dass er gar nicht das Geld hatte, um seinen Sohn in der Firma einzustellen, nur hatte er es nicht zugeben wollen und so war es zwangsläufig zu schweren Problemen gekommen.

Er ging ins Badezimmer und übergab sich. Wenn es eines gab, das die deutsche Gesellschaft nicht wollte, dann war das die Rückkehr in die Nazizeit. Wenn es etwas gab, das Samir selbst nicht wollte, dann war es dasselbe. Ein übermütiger konservativer Journalist hatte ihm einmal erklärt, dass es in Deutschland nicht mehr dazu kommen könne, weil wir eine freie Presse hätten. Viele Leute schienen zu denken, dass allein mangelnder Judenhass das Gegenteil von Nationalsozialismus war. Wieder musste er sich übergeben. Er hatte sich mit den Mechanismen der Nazi-Ideologie beschäftigt. Ohne Zweifel war die industrielle Ermordung der Juden das Schlimmste, was historisch aus dieser Ideologie erwachsen war. Aber die Nazi-Ideologie brauchte nicht unbedingt Juden, sie brauchte einen Begriff von Nicht-Ariern. Noch genauer gesagt: Sie brauchte Nichtwirs. Wir gegen die anderen, die Nichtwirs. Das war die zentrale Botschaft der Nationalsozialisten. Es war ein obrigkeitsstaatliches Klassensystem, in dem Gehorsam verlangt wurde. Das Staatsgebiet wurde durch Eroberungen erweitert, es gab rassistische Gesetze, Verfolgung, Vertreibung, Enteignung, Ermordungen und Kriege. Rassistische Arroganz, In-Group-Arroganz.

Samir hatte sich von seinen Eltern getrennt, weil er genug hatte von der Arroganz, den Ungerechtigkeiten und Lügen. Er wollte nichts mehr damit zu tun haben, es war eklig. Natürlich hatten die Palästinenser Recht mit ihrem Boykottaufruf. Genauso wie seine Eltern erst jetzt überhaupt verstehen konnten, dass sie etwas falsch gemacht hatten, wo Samir sich angewidert abgewendet hatte, genauso würde auch Israel erst dann beginnen zu verstehen, wenn die Welt laut Nein sagte. Nein zu rassistischen Gesetzen, Verfolgung, Vertreibung, Enteignung, Ermordungen und Kriegen. Nein zum obrigkeitsstaatlichen Klassensystem, Nein zu militärischen Eroberungen.

Sein Magen war jetzt fast leer. Was sollte er tun? Er war Deutscher, er kannte Rassismus und er wusste auch, was familiäre Macht war. Er musste das ablehnen, denn es führte zu bösen Situationen. Er konnte sich als Deutscher nicht so verhalten. Eine Networker-Freundin hatte ihm geraten, eine Therapie zu machen, um mit seinem Familienkonflikt zurecht zu kommen. „Warum rätst du den Palästinensern nicht auch, in eine Therapie zu gehen?“, hatte Samir zurückgefragt und zur Antwort erhalten, dass man dies nicht vergleichen könne, weil eine Gruppe andere Möglichkeiten habe, sich bei Ungerechtigkeiten zu solidarisieren. Da verstand Samir, wie tief dieses Zwei-Klassen-System in der Gesellschaft verankert war. Denn natürlich gab es keinen Unterschied des Unrechts, nur weil jemand allein und nicht in einer Gruppe war.

Ein Boykott gegen Israel. Samir spülte seinen Mund aus und setzte sich in den Sessel, um sich zu erholen. Man konnte Israel nicht boykottieren, weil man so etwas nicht tat. Der Status Quo war der, dass Palästinenser Menschen zweiter Klasse waren. Man sagte ihnen: Ihr könnt (in unabsehbarer Zeit) einen (nicht lebensfähigen) Staat haben, aber dafür dürfen die Flüchtlinge nicht zurück. So als würde man sagen: Ihr dürft Stroh essen, aber ihr dürft nicht schlafen. Sie hatten die Menschenrechte noch nicht, mussten sie sich erst verdienen. Beweisen, dass sie Menschen waren. Er fragte sich, wie der Mainstream diese offensichtliche Ungerechtigkeit rationalisierte. Wie er es schaffte, so kaltblütig zu sein.

Er erinnerte sich daran, wie die Gesellschaft reagierte, wenn jemand sich gegen seine oder ihre Familie auflehnte. Vielleicht gab es gleiche Muster. Im Lauf der Zeit hatte er vier Leute kennen gelernt, die von ihrer Familie wegen mangelnder Loyalität in die Psychiatrie gebracht worden waren oder wo zumindest der Versuch gemacht wurde. Der Akt der Isolation wurde damit begründet, dass der Kritiker kein gesunder Mensch war, kein normaler Mensch war, kein Mensch war. Die Kritik wurde nicht als Kritik ernst genommen, sondern als Krankheit. So musste man sich nicht inhaltlich damit auseinandersetzen. Aber das waren Extremfälle gewesen, meistens reichte es aus, die Kritik für eine Weile zu ignorieren, bis sich die Emotionen des Kritikers anstauten und entluden. Dann konnte man sagen, dass der Kritiker aus Emotionen heraus handelte und also irrational war. Es kam bei all dem darauf an, dass Eltern jenseits der Kritik standen, aber das wollte der Mainstream nicht wahrhaben. Er dachte sich tausend Dinge aus, um zu einer anderen Lösung zu kommen.

Mit Palästina war es ganz ähnlich. Der Mainstream fand immer etwas, das Palästinenser irrational erscheinen ließ. Nein nein, das waren doch keine Kritiker, das waren eher Extremisten, Terroristen, Fanatiker, Hassprediger, Israelfeinde, Unzivilisierte, und so weiter. Deshalb konnte man auch so kaltblütig mit ihnen umgehen. Vielleicht wollten sie gar nicht ihre Menschenrechte, sondern waren in Wirklichkeit gegen Juden. So wie bei diesem Boykott. Wenn Israel boykottiert würde, würden sich doch die Nazis freuen. Also ging es nicht. Wenn Palästinenser Menschen wären, würden sich doch die Nazis freuen, weil sie es für sich interpretieren würden. Es gab gute Gründe dafür, warum die Dinge so waren, wie sie waren.

Samir hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden. Er hatte Fehler gemacht, andere hatten Fehler gemacht, die Dinge waren, wie sie waren. Zu seinem Schicksal gehörte, dass er Veränderung wollte und sich nicht einschüchtern ließ. Er hatte sich von der Gesellschaft ein wenig zurückgezogen, weil er nicht mehr so oft verletzt werden wollte. Es gab derzeit keine andere Möglichkeit. Wenn man ihm nicht zuhörte, konnte er nicht bleiben, dieses Schweigen schmerzte ihn. Er kannte außerdem die Gefahr, die von ihm selbst ausgehen konnte, wenn er sich bei anderen Leuten unverstanden fühlte. Er wollte zurück in den Garten und hoffte, dies bald zu können und den Schmerz hinter sich zu lassen. Er war sich sicher, dass es Wege dahin gab. Das Wichtigste war zu wissen, wo man stand und warum und Samir wusste, wo er stand und warum.

6. Good Morning,
the Human Rights, Please ...

Anis Hamadeh, Juli 2005

One morning, when Samir sat down at the computer with the coffee mug in his hand, he noticed an email which several networkers had sent to him. The title was: "Palestinian Civil Society Calls for Boycott, Divestment and Sanctions against Israel Until it Complies with International Law and Universal Principles of Human Rights." Quickly he read the content of the call. The Palestinians demanded their human right. As through all the years it had been impossible to have Israel follow the law the only way to peace would be a boycott, like in South Africa. The concrete demands were the ending of occupation and colonization of all Arab lands and dismantling the Wall; recognizing the fundamental rights of the Arab-Palestinian citizens of Israel to full equality; and respecting, protecting and promoting the rights of Palestinian refugees to return to their homes and properties as stipulated in UN resolution 194. The call was signed by almost 200 Palestinian organizations, Samir knew at least half of the names on the list.

He went to the window with the coffee and thought that this nonviolent call for a boycott would hurt many Germans and many Israelis deeply, they would find it horrible. They would not understand why their country Israel could be rejected so hard, because they had a positive image of Israel in their heads. Then Samir thought of his family whom he had told about the problems with the parents years ago, when he had still tried to bring the family together again. The criticism of the parents had hurt them deeply, they found it horrible and got angry, when they heard about it. They could not understand why the parents were rejected so hard, because they had a positive image of them in their heads.

Samir sighed. Here in Germany it was impossible to publically support such a boycott call against Israel or against parents, rather they boycotted you when you tried. This had nothing to do with the legal situation, but with the fact that certain people and things just stood beyond any criticism. The German society COULD not call against Israel, for this would mean a suffering of Jews and thus a revival of National Socialism. Strangely, many people thought like that, especially in the public. And just as well the German society and other societies COULD not call against the parents generation, because the parents generation had given life to the youth generation, it had nourished it and paid for its education. Thus it was factually immaterial what the parents did apart from that. They were the way they were and they would not change. At least, one had to arrange with them.

It was hot outside, a beautiful summerday. Samir switched on the television and saw a report about the old Alexandria. In Ptolemeic times it had been the most progressive place in the world, with an incredible library and cultural diversity. Samir loved history. There were so many things to discover in the world, so much to do in this short span of a lifetime. But people sat on unresolved conflicts and could not concentrate on the beauty in the world. They would surely like to, but there were mass unemployment, there was terrorism, there were climate catastrophes, there was aids. Samir felt betrayed. He did not regard mass unemployment as a problem that could be "solved", for it had been visible even forty years ago that our economic system would develop in this direction. People had simply not cared, just like his father had simply not cared about the fact that he did not have the money to employ his son in the company, only that he did not want to admit that and so it had become unevitable that severe problems occurred.

He entered the bathroom and threw up. If there was one thing the German society did not want at all, then it was the return to the Nazi period. If there was one thing that Samir did not want himself, then it was the same thing. Once, a bold conservative journalist had explained to him that it could not happen again in Germany, because we had a free press. Many people seemed to think that only a lack of hatred against Jews would be the opposite of National Socialism. Again he had to throw up. He had analyzed the mechanisms of the Nazi ideology. Doubtlessly, the industrial murder of the Jews was the worst thing that historically had developed out of this ideology. But the Nazi ideology was not dependent on Jews in the first place, it was dependent on the concept of non-Aryans. And even more precisely: it needed non-wes. We against the others, the non-wes. That was the central message of the National Socialists. It was a magisterial class system in which obedience was demanded. The state territory was expanded through conquests, there were racist laws, prosecution, expulsion, dispossession, murder and wars. Racial arrogance. Ingroup arrogance.

Samir had separated from his parents, because he had enough of the arrogance, the injustice and the lies. He did not want to have anything to do with it anymore, it was disgusting. Of course the Palestinians were right with their call for a boycott. Just like his parents were able to see that they had done something wrong at all only now that Samir had turned away in detestation, this was how Israel would only be able to begin to understand, as soon as the world would loudly say no. No to racist laws, prosecution, expulsion, dispossession, murder and wars. No to the magisterial class system, no to military conquests.

His stomach was almost empty now. What was he supposed to do? He was German, he knew what racism was and he also knew what family power was. He had to reject it, because it led to evil situations. As a German he was unable to behave like that. A networking friend of his had advised him to go into a therapy in order to cope with his family conflict. "Why don't you advise the Palestinians, too, to go into therapy?" Samir had asked back and he received the answer that one could not compare these things, because a group would have other possibilities to be in solidarity with each other in cases of injustice. It was then that Samir realized how deeply rooted this two-classes system was in society. For of course there was no difference in injustice only because one was alone and not in a group.

A boycott against Israel. Samir rinsed his mouth and sat in the armchair to regenerate. One could not boycott Israel, because one did not do that. The status quo was that Palestinians were second-class people. They were told: you can (sometime in the future) have a (non-viable) state, but in exchange the refugees must not return. As if they told them: you are allowed to eat straw, but you are forbidden to sleep. They did not yet have the human rights, they had to earn them first. Prove that they are human beings. He asked himself how the mainstream rationalized this obvious injustice. How it managed to be so cold-blooded.

He remembered how the society reacted when someone revolted against his or her family. Maybe the patterns were the same. In the course of time he had met four people who were brought into psychiatry by their families for lack of loyalty, or at least the attempt was made. The act of isolation was justified with the notion that the critic was no sane human being, no normal human being, no human being. Criticism was not taken seriously as criticism, but as a disease. In this way people did not have to confront themselves with the content of the criticism. But those had been extreme cases, it mostly sufficed to ignore the criticism for a while until the emotions of the critic dammed up and unloaded. Then they could say that the critic acted out of emotions and thus was irrational. The point was that parents remained beyond criticism, only that the mainstream refused to believe this. They thought of a thousand other things to come to a different conclusion.

It was quite similar with Palestine. The mainstream always found something to make Palestinians appear irrational. No no, those were not critics, they rather were extremists, terrorists, fanatics, preachers of hate, enemies of Israel, uncivilized people, and so on. This was why they could be handled in such a cold-blooded way. Maybe it was not their human rights, which they wanted, maybe they only wanted to harm Jews. Like with this boycott. If Israel was boycotted the Nazis would be happy. Therefore it did not work. If Palestinians were human beings the Nazis would be happy about it, because they would interpret it in their own way. There were good reasons why things were the way they were.

Samir had accepted his fate. He had made mistakes, others had made mistakes, things were the way they were. Part of his fate was that he wanted change and that he could not be intimidated. He had withdrawn from society a little, because he did not want to be hurt so often anymore. There was no other choice at the moment. When people did not listen to him he could not stay, this silence brought pain to him. He also knew the danger that he could be for others when he felt misunderstood. He wanted to return to the garden and hoped that he could do so soon and leave the pain behind. The most important thing was to know where one was situated and why and Samir knew where he was situated and why.

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