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ESSAY (12)
Was ist Frieden?
Anis Hamadeh, 24.12.02
Zusammenfassung

Inhalt: Einleitung - Frieden ist, wenn du Frieden hast - Kunst als Erzeuger von Frieden – Make Love Not War – Der Weg der Gewaltlosigkeit ist der Weg in die Öffentlichkeit



- Einleitung -

Krieg und Gewalt, so sagen einige Politiker, dürfen nur die allerletzten Mittel der Konfliktlösung sein, wenn alle anderen Möglichkeiten fehlgeschlagen sind. Diese Meinung ist nach zwei Seiten hin umstritten: Überhaupt darf Krieg kein Mittel der Politik sein, sagen die Tauben. Überhaupt könnten Krieg und Gewalt viel öfter eingesetzt werden, denken die Falken. In einer Sache allerdings sind sie nicht weit voneinander entfernt, denn beide sprechen wenig über alternative Ideen zu Konfliktlösungen. Wie soll man denn ohne Gewalt Frieden machen, wenn andere Leute Gewalt als ihr Argument benutzen? Welches ist denn das bessere Argument? Und gehören nicht Gewalt und Krieg zu den menschlichen Konstanten?

Vor diesem Hintergrund soll es in diesem Essay über das Wesen des Friedens gehen. Was ist Frieden eigentlich? Nach der deutschen Etymologie (Duden) ist er verwandt mit Freiheit und auch Freude. Die indogermanische Wurzel „Priti-h“ bedeutet „Freude, Befriedigung“. Die Verwandtschaft zu „frei“ liegt in der Wurzel „Prai-“, auch indogermanisch, für „schützen, schonen, gern haben, lieben“. Im Recht bedeutet es die ungebrochene Rechtsordnung als Grundlage des Gemeinschaftswesens. „Waffenstillstand“ ist auch eine Bedeutung von „Frieden“. Das Wort „zufrieden“ aus dem 17. Jh wird im Duden erklärt als „nicht beunruhigt“. Das englische „peace“, aus dem lateinischen „pax“ hat mit Übereinkunft und auch mit Ungestörtheit zu tun und Unbehelligtsein. Also mit der Abwesenheit von etwas anderem. Es wird als ein Zustand erklärt, eher als eine Handlung, eine Eigenschaft oder ein Gefühl. Im Arabischen – und analog wohl im Hebräischen (Salaam / Shalom) – gibt es eine Wurzel „sa-li-ma“, die die Unversehrtheit und Heilheit einer Person oder Sache bezeichnet.

Aus der Fülle dieser Bedeutungsmöglichkeiten ist es meist die Abwesenheit von Krieg und Gewalt, an die wir spontan denken, auch die Abwesenheit von Hunger. Es besteht ein enges semantisches Verhältnis zwischen den Gegenteilen „Krieg“ und „Frieden“ in wahrscheinlich allen Sprachen. Die Definition von Frieden als Nicht-Krieg scheint fassbarer und glaubhafter als andere sprachliche Ableitungen. Denn was Krieg ist, weiß jeder. Das sind Tote und Verletzte, Hoffnungslosigkeit, Bomben und Flugzeuge, zerstörte Häuser, Schreie, zerstörte Städte, Trauer, Panzer, Generäle, Medien und Mediensperren, und so weiter. Man kann es sich vorstellen. Kann sich ein Bild davon machen. Es ist kein schönes Bild, aber es ist ein Bild. Es gibt klare Konstellationen und klare Handlungswege. Fast alles, was im Krieg geschieht, geschieht aus einem Zwang heraus. Es herrscht dort so viel äußerer Zwang, dass man immer etwas zu tun und zu fühlen hat. Da ist das eigene Überleben, Schmerz und Trauer, oft auch Schuld. Krieg und Gewalt haben einen sehr hohen Situations- und Erlebnisgehalt.

Frieden als Abwesenheit einer Sache dagegen hat keinen sehr hohen Situations- und Erlebnisgehalt. Wenn z.B. eine Situation daraus besteht, dass eine unauffällige Person auf einem Stuhl sitzt und fernsieht, ist der Tatbestand der Abwesenheit von Krieg und Gewalt gegeben, und man könnte es also Frieden nennen. Niemand würde allerdings auf die Idee kommen, denn was ist schon Besonderes daran, wenn eine unauffällige Person fernsieht? Das soll Frieden sein? Oder was ist Frieden?

- Frieden ist, wenn du Frieden hast -

Frieden ist, wenn du Frieden hast. Mit diesem Motto soll eine erste Annäherung an die Eigen-Identität von Frieden versucht werden. Sie geht von der Person aus, die die Frage stellt, und nicht von einer zweifelhaften Objektivität. Dies ist die beste Kurz-Antwort, zu der ich gekommen bin. Eine der Hauptursachen – wenn nicht überhaupt die einzige Ursache – für Kriege und Gewalt, ist mangelnde Zufriedenheit. Man kann also auch die Gewalt als (typische Folge der) Abwesenheit von Zufriedenheit verstehen und die Essenz in dem positiven Begriff suchen, anstatt in dem vielleicht nur vermeintlich erlebnisreicheren negativen Begriff.

Frieden ist Zufriedenheit... Wenn die Menschen nicht unterdrückt werden und sie sich entfalten können, dann haben sie keinen Grund zur Aggression, und die Gewalt bleibt aus. Für Zufriedenheit haben wir keine Messgeräte, wie wir sie für die Gewalt haben. Wie malt man Zufriedenheit? Wie äußert sich Zufriedenheit? Individuell verschieden. Und doch ist es hier, wo der Frieden beginnt. Mit dem Gefühl der Zufriedenheit und der resultierenden Aggressionslosigkeit. Beziehungsweise mit solchen Lebensumständen, die eine Transformation der Aggressionen in gewaltlose Handlungen ermöglichen, denn Aggressionen – sei es auf der personalen Ebene, der familiären oder der politischen – wird es immer geben. So wird es auch immer Kriege geben, die Frage jedoch ist, wie man sie führen wird, denn Krieg ist nichts anderes als ein gewalttätiger Konflikt, der in einen gewaltlosen Konflikt überführt werden kann, wenn der Konflikt in seiner Essenz erkannt ist. Krieg ist auch nur eine Frage der Definition, und muss nichts Gewalttätiges sein. Die These und Antithese von Krieg und Frieden kann also eine neue Qualität bekommen. Die Entwicklung des Schachspiels im Mittelalter, das ja den Krieg spielerisch auslebt, zeigt, welche Kraft und Autorität im gewaltlosen Krieg steckt. Man denke auch an die Schachweltmeisterschaft 1972 in Rejkjavik, als der Sieg des Amerikaners Bobby Fischer über den Russen Boris Spasski ein wichtiger Faktor im „Kalten Krieg“ wurde.

Demnach geht es beim Frieden im philosophischen Kern um die Schaffung und Erhaltung von allgemeiner Zufriedenheit, und die fängt beim Einzelnen, ja beim Ich an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die eigene Zufriedenheit auch eine gesellschaftliche Komponente hat: Wenn um mich herum Zwang und Elend herrschen, kann ich nicht wirklich zufrieden sein und das Leben genießen. Aber wenn ich hinsichtlich der Probleme in meiner Umgebung und in der Welt hilflos bin, wie soll ich dann meinen Frieden definieren? In den meisten Gesellschaften, früher wie heute, hat diese Frage zu einer Isolation des Individuums geführt, zu einer Abstraktion und Abtrennung der äußeren Welt. Im zwanzigsten Jahrhundert mag ein Abstumpfen gegenüber Gewalt durch Film und Fernsehen dazu beigetragen haben, dass gewisse Hemmschwellen durch die Vorgabe von Gewaltsituationen und Gewalt-Vorbildern gesunken sind, und dass das Gewissen als Kontroll-Instanz unserer Handlungen oftmals auch abgestumpft ist, sodass mancher in einer Situation seinen Frieden finden kann, in der ein anderer sich sorgt. Die Frage an die Mächtigen der Welt, ob sie bei ihren Taten keine Gewissensprobleme haben (z.B. im Song „Masters of War“ von Bob Dylan), klingt heute für viele verbraucht und sinnlos, aber sie ist es keineswegs. Eine Gesellschaft der Zufriedenen, die den Frieden für sich in Anspruch nehmen möchte, wird sich über solche politischen Konsequenzen bewusst sein und eine verantwortliche, wahrhaftige Zufriedenheit anstreben.

- Kunst als Erzeuger von Frieden -

Vor einiger Zeit besuchte ich eine orientalische Veranstaltung mit Musik und Tanz. Der Hauptsaal war mit Matratzen und Teppichen ausgelegt, auf dem die zahlreichen Gäste um die Tanzfläche herum saßen. Am Kopfende war eine schmale Bühne, auf der die Musiker saßen und spielten. Eine Tänzerin ging auf die Fläche und tanzte ein Solo im Melaya-Stil. Der ganze Raum war ausgefüllt mit dieser Situation. Ein Zauber lag in der Luft. Die Rhythmen der ägyptischen Trommeln versetzten die Tänzerin in eine leichte Trance, die sich in verminderter Form auf die Zuschauer übertrug, sodass die Beats doppelt auf das Publikum wirkten, direkt und indirekt. Es war ein gemeinsames Erleben, in dem viel Kraft steckte. Als der Tanz zuende war und der Regen des Applauses die Situation feiernd beendet hatte, wusste ich, dass diese Tänzerin etwas gemacht hatte. Sie hatte Frieden gemacht. Das war Frieden. Und es hatte einen sehr hohen Situations- und Erlebnisgehalt.

Ein Kollege fragte mich, was Kunst eigentlich mit Frieden zu tun hätte. Er gab die Frage eines Songwriters weiter, der darüber nachdachte, inwiefern er mit seinen Songs überhaupt etwas für den Frieden tun könne. Die archaische Rolle des Künstlers in der Gesellschaft lässt sich vielleicht anhand einer Gegenüberstellung von Elvis und Hitler veranschaulichen. Während Hitler die Massen durch autoritäres Verhalten und insbesondere durch die lächerliche Theorie von der „Herrenrasse“ zur Gewalt verführte, verführte Elvis sie durch musikalisch-friedliches Verhalten und die Magie seines liebenden Herzens. Beide hatten eine große Autorität in ihrer Zeit, und nach Dylan hatte der Nachfolger John Lennon auch die politische Chance dieser Friedenskunst erkannt und gelebt. Es gibt keinen Zweifel daran, dass etwa die Beatles Frieden durch Eigen-Identität und Kunst gestiftet haben. Von diesen Erfahrungen kann jeder Künstler profitieren, insbesondere in unserem Internet-Zeitalter, in dem fast mühe- und kostenlos jeder sein eigenes weltweites Medium haben kann.

Die Verantwortung der Kunst heute liegt auch im Überwinden der vorherrschenden gesellschaftlichen Entfremdung und Abstumpfung. Die Sinne sollen wieder angesprochen werden, das ist eine wichtige Aufgabe für Friedenskunst. Damit die Menschen sensibler werden für das Leid anderer. Damit sich unser Bewusstsein weitet und wir auch unser Gewissen wiedererlangen. Dass wir die Lebensnähe bekommen, die wir sonst halb-bewusst in der Gewalt suchen. Projektionsflächen soll die Kunst bieten, um damit Feindbilder zu ersetzen. Und Kunst, diese durch sich selbst legitimierte Urkraft, ist auch einer der wesentlichen Orte, an denen sich Autoritäten bilden, die sich – ebenso wie auch die Philosophie und auch der Sport – ihre Unabhängigkeit glaubhaft bewahrt haben.

Dies sage ich in einer Zeit von hoher und nicht absehbarer Kriegsgefahr. Der notwendige Diskurs kann nicht von den Militärs, den Politikern, den Unternehmern und den Journalisten allein geführt werden. Sie alle stecken in Abhängigkeiten und sind mehr oder weniger unfrei und schnelllebig. Früher haben die Religionen einen Großteil dieser Autorität innegehabt, doch dann hat jemand gedacht, Galileo, Darwin oder Freud hätten die Schriften überflüssig gemacht. Später wurde auch noch Nietzsche so verstanden, dass man dachte, „Gott ist tot“ bedeutet, es gäbe keinen Gott. Im Zarathustra-Buch jedoch geht es eher darum, dass man Gott nicht braucht, um Gott zu gefallen. Seine Existenz ist hier gar nicht die Frage, der Mensch ist es, nach dem gefragt wird.

Der Philosoph Schleiermacher brachte in einem früheren Jahrhundert den Begriff „Kunstreligion“ auf und verwies damit auf die Verwandtschaft künstlerischer und religiöser Wesensmerkmale, die beide „spirituell“ genannt und die beide als friedlich erkannt werden können. In beiden jedoch lauern auch Gefahren: Es hat dunkle Popstars gegeben wie den Verbrecher Charles Manson, die einen gewalttätigen Kult verbreitet haben, ähnlich wie zeitgenössische rassistische Bands und deren CDs es tun. Es hat ebenfalls die Allmacht der Kirche mit all ihren bekannten Gewalt-Exzessen gegeben, bevor es die Demokratie und die Menschenrechte gab. Die Idee des engagierten Künstlers, im Grunde so, wie Sartre sie in seinem „Was ist Literatur?“ beschrieben hat, scheint aktuell wie schon lange nicht mehr.

Kunst ist oft auch eine Verarbeitung von Gewalt und wirkt damit heilend auf den Künstler und das Publikum. Auch die Offenheit, die Fantasie und die Freiheit geben Orientierungs-Muster vor, Friedensmuster. Wege zur Zufriedenheit. Werte, die vom Materialismus unabhängig und für jeden erreichbar sind. Kunst transzendiert Konflikte und kann durchaus auch einige lösen und dazu beitragen, dass sie gelöst werden. Kunst zeigt Leben, wie es ist, als Bewusstseinserweiterung und Erlebnis, und sie zeigt die Möglichkeiten des Lebens, indem sie die Wünsche der Gesellschaft träumt. So jedenfalls – kann es sein. Eine Verführung zum Frieden.

- Make Love Not War -

Frieden und Krieg sind beide ansteckend. Während Krieg und Gewalt sich auf ihre offizielle Notwendigkeit berufen und damit ihren Erfolg haben und sich verbreiten, sind es beim Frieden die Wunscherfüllung und die Freiheit des Ausdrucks, die Schönheit und das Streben nach Vollkommenheit, die eine Anziehungskraft ausüben und die gesellschaftliche Stimmung beeinflussen. Aber es ist nicht einfach, Liebe und Frieden zu ertragen. Wenn jemand zum ersten Mal Liebe erfährt, mag sich die Frage stellen, warum er oder sie vorher in einer solch lieblosen Welt hat leben müssen. Sie erfahren vielleicht, dass viele der Zwänge, unter denen sie gelebt haben, eine Lüge gewesen sind, unnötige Beschwernisse und unnötiger Verzicht und Schmerz. Interessanterweise fürchten sich daher die Menschen vor Liebe mehr als vor Gewalt. Sie ertragen eher Gewalt als Liebe und ziehen sie der Liebe vor. Sie glauben das nicht? Hier sind ein paar Beispiele:

Das Kollektivbewustsein unserer Gesellschaften wird wesentlich vom Fernsehen strukturiert. Vergleichen wir die Anzahl der Gewaltszenen bzw. -filmen mit der Anzahl von Liebesfilmen, so wird deutlich, dass wir Gewalt bei Weitem bevorzugen. Beim Betrachten dieser Filme fällt auf, dass der Held oder die Heldin so gut wie immer durch Gewalt zu ihrem Ziel kommen. Unsere Helden sind also Gewalttäter. Wählen wir zwischen zwei Filmen: Im ersten schießt der Hollywood-Star Bruce Willis jemandem mit einem High-Tech-Gerät den Arm ab, im zweiten vergnügt sich der Erotik-Star Dahlia Grey mit Freunden in ästhetischer Weise auf einem großem Sofa. Werden nun gemischte Gruppen mit diesen beiden Filmen konfrontiert, ist absehbar, dass die Wahl auf den Gewaltfilm fallen wird und nicht auf den Liebesfilm. Und je größer die Gruppe sein wird, desto eher wird der Liebesfilm abgelehnt werden. Unsere in der hochzivilisierten Welt unterdrückte (unzufriedene) Sexualität ist uns so peinlich, dass wir sie auch im Bild und im Film meist durch Gewalt substituieren.

Ein ähnliches Phänomen kommt bereits bei den Gebrüdern Grimm vor. Vor 190 Jahren, im Jahr 1812, erschien die erste Auflage von Grimms Märchen. Obwohl die Brüder aus Kassel in ihrem Vorwort schreiben, dass sie die Geschichten nicht verändert, sondern nur gesammelt und geschliffen haben, kann man in den späteren Auflagen erkennen, wie bestimmte Teile der Märchen umgeschrieben wurden. Im „Zeitzeichen“ des Deutschlandfunks hieß es dazu, dass die in armen Verhältnissen lebenden Grimms diese Veränderungen vorgenommen hatten, weil sich das Buch dann besser verkaufte. Dabei gab es zwei Tendenzen: Auf der einen Seite wurden Gewaltszenen ausgemalt und hinzugefügt (Rumpelstilzchen, Hänsel und Gretel u.a.), auf der anderen Seite wurden erotische Szenen entfernt oder verharmlost (z.B. Rapunzel). Massenkompatibilität also zu Gunsten von Gewalt. Es scheint auch Parallelen in der Publikationsgeschichte von „1001 Nacht“ zu geben, also kein westliches Phänomen zu sein.

Auch die Basisfrage des Journalismus, was eine „Nachricht“ ausmacht, kann ehrlicherweise nur so beantwortet werden, dass die Nachricht dazu neigt, Gewalt, Zwang und Unglück zu thematisieren oder auch nur zu benennen. Damit bekommen die Bilder des Krieges und der Gewalt eine überproportionale Präsenz in unserem Bewusstsein, die unsere Normalität bestimmt. Friedensarbeit ist in diesem Zusammenhang die Verbreitung von Bildern des Friedens und der Kreativität. Vorurteilen gegenüber einer angeblichen Schmutzigkeit der Liebe, insbesondere in ihrer körperlichen Form, ist dabei entschieden entgegenzutreten und zu entkräften. Der Schmutz an der Liebe ist die Gewalt und die Vorteilsnahme, mit der manche Menschen sie vermischen.

- Der Weg der Gewaltlosigkeit ist der Weg in die Öffentlichkeit -

Der Glaube an die Überlegenheit der Gewalt steckt tief. Er hat mit Schutzbedürfnissen zu tun, dem Verteidigen der Fleischtöpfe und einem Gefühl der Ohnmacht. Er basiert auf der Verräter-Theorie, die besagt, dass ein einziges Schwarzes Schaf genügt, um eine gewaltlose Politik zunichte zu machen. Die Verräter-Theorie greift aber an zwei Stellen zu kurz: Sie betrachtet das „Schwarze Schaf“ von Außen und mit Misstrauen, bringt sich also um die Möglichkeit, die „Zufriedenheitsstruktur“ des Gewalttäters zu analysieren und darauf einzuwirken, um so die Gewalt zu stoppen. Außerdem vernachlässigt sie die alternative Gewaltbekämpfung, die der Öffentlichkeit. Es gibt nämlich nichts, wovor Unrecht mehr Angst hat als vor der Öffentlichkeit. Im Krieg ist immer ein Geheimnis, im Frieden liegt immer auch die Abwesenheit von Geheimnissen. Und es gibt ein weiteres triftiges Argument, das den Glauben an die Unbesiegbarkeit der Gewalt relativiert, denn schließlich ist es ein Glaube, und der kann durch einen anderen Glauben übertroffen werden. Das Lebenswerk von Gandhi und anderen Friedensleuten zeigt das deutlich. Frieden liegt immer auch nah an den Personen, die diesen Frieden verkörpern.

Um zu zeigen, dass Öffentlichkeit stärker ist als Gewalt, sei erneut – diesmal in positivem Zusammenhang – auf die Presse verwiesen. Der investigative Journalismus ist das beste Beispiel von außerstaatlicher friedlicher Gewaltbekämpfung. Die so genannte öffentliche Meinung ist eine starke Kraft, die durch Überwindung des herrschenden Isolationismus zur stärksten Waffe für den Frieden werden kann. Dem liegt einzig das Bewusstsein zu Grunde, dass jetzt kein Frieden herrscht. Meine Frage „Was ist Frieden?“ zielt letztlich auf die Bewusstmachung der Tatsache, dass Frieden etwas ist, was wir erst schaffen müssen. Etwas, das wir uns in jeder konkreten Situation selbst neu erträumen müssen.

Leichter ist es in der Welt- und der Staats-Politik. Wenn dort Frieden in erster Linie als Nonkilling und in zweiter Linie als Gewaltlosigkeit unter Berücksichtigung struktureller und kultureller Gewalt verstanden wird, reicht das aus, um die Welt zu einem schönen Ort zu machen. So ist der Frieden zur Hälfte die Abwesenheit von Zwängen und den Bildern von Zwängen und zur Hälfte der leere Raum einer offenen Situation, der individuell und kreativ gefüllt werden muss, um seine Bedeutung zu bekommen, ähnlich wie es sich mit der Freiheit verhält, deren eine Hälfte passiv ist (frei von) und deren andere aktiv ist (frei zu).

(Umfang: 2.700 Wörter / 18.000 Zeichen)

What is Peace?
Anis Hamadeh, December 24, 2002
Abstract

Contents: Introduction - Peace is When You Have Peace – Art as a Generator of Peace - Make Love Not War – The Path of Nonviolence is the Path into the Public



- Introduction -

War and violence, say some politicians, may only be the very last means of conflict settlement, when all other means have failed. This opinion is controversial in respect to two different sides: war and violence must not be a means of politics at all, the doves say. War and violence should, on the contrary, more often be resorted to, the hawks think. In one thing, anyway, they are not far from each other's positions, for both hardly talk about alternative ideas for conflict settlement. How can we make peace without violence, if others use violence as their argument? What is the better argument? And aren't violence and war part of our humanity?

On this background the talk will be about the character of peace in this essay. What really is peace? According to the German etymology, "Frieden" (peace) semantically has to do with "freedom" and also with joy ("Freude"). The Indo-Germanic root "priti-h" means "joy, satisfaction". The relationship to "free" lies in the root "prai-", also Indo-Germanic, for "protect, treat with consideration, care for, like, love". In law, "Frieden" means the unbroken juridicial order as the basis for community life. "Cease-fire" is another meaning of "Frieden". The German adjective "zufrieden" (content, satisfied) from the 17th century is explained in the standard dictionary "Duden" as "not troubled, calm". English "peace", derived from Latin "pax", has to do with agreement, undisturbance and being unmolested. Meaning that it primarily is about the absence of something else. Generally, peace is seen as a state, rather than an action, a property or a feeling. In Arabic – and analogously probably in Hebrew (salaam / shalom) – there is a root "sa-li-ma" which denotes the being intact and the entirety of a person or a thing.

Among all these variations in the semantic field it mostly is the absence of war and violence that spontaneously comes to our minds, and the absence of famine. There is a close semantic relationship between the opposites "war" and "peace" in probably all languages. The definition of peace as nonwar seems more concrete and credible than other linguistic derivations. For everybody knows what war is. War is deads and injured, hopelessness, bombs and planes, destroyed houses, screams, destroyed cities, grief, tanks, generals, media and media control, and so on. One can imagine that. One can build up a picture with this. It is not a nice picture, but it is a picture. There are clear constellations and clear action paths. Almost everything of what happens in wars, happens by force, people feel obliged to do these things. Forced action is prevailing in a way that people always have something to do and something to feel. There are the own survival, pain, grief, and often guilt. War and violence have a high situational and experiential content.

Peace as the absence of a thing, however, does not bear such a high situational and experiential content. When e.g. a situation is defined by an unobtrusive person sitting on a chair watching TV, then the evidence of the absence of war is given, and one could call it peace. Yet, this would not occur to anybody, for what is special about an unobtrusive person watching TV? Is this peace? Or what is peace?



- Peace is When You Have Peace -

Peace is when you have peace. With this motto, a first approach to the self-identity of peace is attempted. It centers around the person who poses the question, and not around a doubtful objectivity. This is the best short answer I can think of. One of the main causes – if not the only cause at all – of war and violence is lacking Zufriedenheit, i.e. contentment. So we can also view violence as the (typical consequence of) absence of contentment and search for the essence in the positive concept. And maybe the negative concept is not really the one that is richer in experience and sensation.

Peace is contentment... When people are not oppressed and when they can unfold, then they don't have a reason for aggression, and there will be no violence. We just do not have the measuring instruments, as we have them for violence. How does one paint peace and contentment? How does contentment show? It is individually different. And yet here is where peace starts. With the feeling of contentment and the resulting lack of aggression. Or, respectively, it begins with those circumstances of life which make a transformation of the aggression into nonviolent acts possible, for there will always be aggressions, be it on the personal, the familiar, or the political level. Analogously, there will always be war, the question is how it will be led, for war is nothing but a violent conflict and can be transformed into a nonviolent conflict, if that conflict is recognized in its essence. War is a matter of definition, too, and the thesis and anti-thesis of war and peace can be brought on a different level. The development of chess in the Middle Ages, a game which lives war in a playful way, shows how much power and authority can be to nonviolent war! Also think of the chess world championship in 1972 in Rejkjavik, when the victory of the American Bobby Fischer over the Russian Boris Spasski became an important factor in the "cold war".

In this definition, peace in its philosophical core is about the creation and maintenance of general contentment, starting with the individual, starting even with the I. It is to be considered here that the own contentment also has a social and political dimension: when there is force and misery prevailing in my surroundings, I cannot really be content and enjoy life. But how am I to define my peace, if I am helpless in view of the problems of my surroundings and the world? In most societies, in former times as well as today, this question has led to the isolation of the individual, to an abstraction and a separation of the outside world. In the twentieth century, the indifference towards violence in films and TV may have supported the lowering of certain inhibition thresholds, by the presentation of violent situations and violent role-models. The conscience, too, as the control entity of our actions, may have become object to indifference, so that some of us can find their peace in a situation, where somebody else would rather be troubled. The question posed to the powerful in the world, if they don't have any problems with their conscience ( e.g. in the song: "Masters of War" by Bob Dylan), may sound used up and meaningless for some people, but it is not! A society of content people, which claims to live in peace, will be aware of such political consequences and will aim at a responsible and veracious contentment.




- Art as a Generator of Peace -

Some time ago I attended an oriental festival with music and dance. The main room of the building was covered with mattresses and carpets on which the numerous guests sat around the dance floor. At the head of the room there was a narrow stage on which the musicians sat and played. A dancer went out on the floor and danced a solo in Melaya style. The whole room was filled with this situation. There was some magic in the air. The rhythms of the Egyptian drums brought the dancer into a slight trance that spread over to the audience in a lesser form, so that the beats were effecting the audience in two ways, directly and indirectly. It was a shared experience of great power. When the dance was over and when the rain of applause had finished the situation in a celebrating way, I knew that this dancer had accomplished something. She had made peace. That was peace. And it had a very high situational and experiential content.

A collegue asked me what art has to do with peace. He reported the question of a songwriter who was pondering about in how far he could do something for peace with his songs, at all. Perhaps, the archaic role of the artist in a society can be illustrated with the juxtaposition of Elvis and Hitler. Whereas Hitler had tempted the masses to be violent, with authoritarian behavior and especially with the ridiculous theory of a "master race", Elvis had tempted them with musical peaceful behavior and the magic of his loving heart. Both had a huge authority in their times, and after Dylan it was his follower John Lennon who also realized and lived the political chance of this peace art. There is no doubt that e.g. the Beatles have made peace through the power of their self-identity and their art. Every artist today can profit from these experiences, especially in our internet age in which everybody can set up their own worldwide medium with little cost and effort.

The responsibility of art today lies also in the mastering of the prevailing social alienation and indifference. Let the senses be touched again! This is an essential task of peace art. So that man might become more sensitive for the pain of others. And so that our consciousness expands and that we regain our conscience. To regain the vicinity of life which otherwise we half-consciously find in violence. Art be a projection field to replace stereotypes of an enemy. And art, this self-legitimating archaic power, like philosophy and like sports, is one of the main areas in which such authorities develop which have kept their independence in a credible way.

This I say in times of great and unpredictable dangers of war. The necessary discourse cannot be led by the military, the politicians, the business people and journalists alone. They all have their dependencies and are more or less unfree and living a quick life. In former times, it had been the religions that held most of this authority, but then somebody thought that Galileo, Darwin, or Freud had made the scriptures superfluous. Later, people understood Nietzsche in a way that they thought, "God is dead" means that there is no God. Yet the Zarathustra book rather is about that you don't need God to please God. His existance is not the question here, it is the human who the book deals with.

The philosopher Schleiermacher brought up the concept of "art religion" ("Kunstreligion") in a former century and with this referred to the kinship of artistic and religious characteristics, which both can be called "spiritual" and can be recognized as being peaceful. Both also harbor dangers: there had been the dark popstars, like the criminal Charles Manson, who propagated a violent cult, similar to contemporary racist bands and their CDs. There had also been the omnipotence of the church with all its known violent excesses, before democracy and the human rights. The idea of the engaged artist, basically in the way formulated by Sartre in his "What is Literature?", seems to be a topical issue again.

Art also often is a digestion of violence and thus has a healing effect on the artist and the audience. And there are the openness, the fantasy and the liberty to generate orientation patterns, peace patterns. Ways to contentment. Values that are independent from materialism and accessible for everyone. Art transcends conflicts and can actually solve some and contribute to their solutions. Art shows life the way it is, as a broadener of awareness and as an experience, and art shows the possibilities of life by dreaming the wishes of society. This, anyhow, is how it can be. A temptation of love.





- Make Love Not War -

Peace and war are both contagious. Whereas war and violence legitimate their claims with their official necessity and have success with this and prosper, peace is an attraction for its fulfilment of wishes and the freedom of expression, the beauty and the search for perfection, an attraction which effects the social climate. But it is not easy to bear love and peace. When someone experiences love for the first time, the question may come up why he or she had to live in such a loveless world before. Maybe they find out that many of the pressures under which they had lived, had been a lie, unnecessary aggravations and needless abstinence and pain. Interestingly, people for this reason are more afraid of love than of violence. They rather bear violence than love and prefer it to love. You don't believe this? Here are some examples:

The collective consciousness of our societies is widely structured by TV. When we compare the percentage of violent scenes and films to the percentage of love films we will find that we prefer violence by far. Watching those movies you can notice that the hero or the heroine almost every time reach their goals with violence. So our heroes are violent people. Let us choose between two movies: in the first one, Hollywood star Bruce Willis shoots somebody's arm off with a hightech weapon, in the second one, the erotic star Dahlia Grey is enjoying herself in an esthetical way with friends on a large sofa. Now, if mixed groups are confronted with these two films, it is predictable that their choice will fall on the violent movie and not on the love movie. And the larger the group is, the more readily the love film will be rejected. Our sexuality, which is suppressed (uncontent) in the highly civilized world, is so embarrassing to us that we tend to substitute it with violence, also in pictures and movies.

A similar phenomenon occured as soon as in the Grimm brothers. 190 years ago, in the year 1812, the first edition of Grimm's fairytales was published. Although the Grimm brothers wrote in the preface that they had not changed the stories, but only gathered and polished them, we can find in later editions that certain passages of the tales were rewritten. The radio program "Zeitzeichen" of the Deutschlandfunk explained that the Grimms, who were living under poor conditions, had made these changes so that the book would sell better. This happened with two tendencies: on the one hand, violent scenes were enriched and added (Rumpelstilzchen, Haensel and Gretel a.o.), on the other hand, erotic scenes were canceled or belittled (e.g. Rapunzel). This means mass compatibility to the favor of violence. There also seem to be parallels in the history of the publication of the "Arabian Nights", so it rather is not a western phenomenon.

Moreover, the basic question of journalism, the one about what makes news news, can honestly only be answered in the way that news tends to make a subject of violence, pressure, and mischief, and to highlight them. Thus we have an overproportional amount of war pictures and violent pictures in our consciousness and they define our notion of normality. Peace work in this context is the distribution of peace pictures and creative pictures. There has to be a clear stand against the prejudice of an alleged dirtiness of love, especially in its physical form, and the arguments have to be formulated to neutralize such allegations. The dirt of love is the violence and the advantage thinking with which some people mix it.



- The Path of Nonviolence is the Path into the Public -

The belief in the superiority of violence is deeply rooted. It has to do with the need of protection, the defense of the meat pots, and a feeling of powerlessness. It bases on the traitor theory which says that a single black sheep is enough to destroy a nonviolent policy. Yet the traitor theory is too short in two points: it regards the "black sheep" from outside and with suspicion, so it deprives itself of the option of analyzing the "contentment structure" of the violent perpetrator, and to have an effect on it to stop the violence. The other point is that the traitor theory neglects the alternative weapon against violence, and that is publicity. For there is nothing that injustice fears more than the public. There is a secret in every war, and there is the absence of secrets as a part of every peace. And there is another sound argument against the belief in the invincibility of violence, for it is a belief, and thus it can be surpassed by another belief. The life and work of Gandhi and other peace people shows this convincingly. Peace always is close to the people who impersonate this peace.

To indicate that the public is stronger than violence we can again point to the press, this time in a positive context. The investigative journalism is the best example for a non-administrative peaceful victory over violence. The so-called public opinion is a strong power, which, by mastering the prevailing isolationism, can become the most powerful weapon for peace. The fundamental motivation for this is the consciousness that there is no peace now. My question "What is Peace?" in the end aims at the awareness of the fact that peace is something that we will have to create and build first. Something that we will have to re-dream anew in each concrete situation by ourselves.

It is easier in world and state politics. When on these levels peace is primarily understood as nonkilling, and secondarily as nonviolence under consideration of structural and cultural violence, then this will suffice to make the world a beautiful place. So half of peace is the absence of pressure and the images of pressure, while the other half of peace is the empty space of an open situation which is to be filled individually and creatively in order to find its meaning, similar to freedom, the one half of which is passive (free from or of) and the other one active (free for or to).

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