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GASTESSAY (16)
Interview mit dem jüdischen Autor John Rose über sein neues Buch,
die Wahlen in Israel und Palästina und Perspektiven für Frieden im Nahen Osten

von Phil Butland (April 2006)
Eine Kurzfassung dieses Interviews wurde am 25.04.2006 auf Seite 3 der Tageszeitung junge Welt gedruckt.

John Rose lebt in Großbritannien. Er ist Jude und Sozialist. Sein Buch "Mythen des Zionismus: Stolpersteine auf dem Weg zum Frieden", aus dem Englischen von Rosemarie Nünning, erscheint im Mai. Er wird sein Buch vom 27. Mai bis 2. Juni in Deutschland und in der Schweiz vorstellen. Weitere Infos auf der Internetseite: www.rotpunktverlag.ch. Am 27. Mai wird Rose auf den Rosa-Luxemburg-Tagen zusammen mit Fanny-Michaela Reisin von "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" und Nabil Rachid von "Palästinensische Gesellschaft für Menschenrechte" bei der Veranstaltung "Israel/Palästina nach den Wahlen - kann es Frieden geben?" sprechen. Weitere Infos auf der Internetseite: www.rosa-luxemburg-tage.de.



John Rose

Dein neues Buch heißt "Die Mythen des Zionismus". Was ist Zionismus?
Der Anspruch von Juden, sich in Palästina anzusiedeln, ohne die Rechte der Einheimischen zu berücksichtigen.

In Deutschland herrscht die weit verbreitete Meinung, dass diese Ansiedlung wegen der Verbrechen des Holocausts legitim und alternativlos war.
Der Holocaust in Deutschland ist das einzige starke Argument der Zionisten für ihre Bewegung. In den 1930er und 40er Jahren wurden rund 6 Millionen Juden in Europa systematisch ermordet. Aber warum sollen jetzt die Palästinenser den Preis dafür bezahlen?
Natürlich gab es Alternativen zur Besiedlung palästinensischer Gebiete. Die Alliierten verhinderten jedoch, dass diese umgesetzt werden konnten. Hätten sie sich nach dem Krieg ernsthaft engagiert, hätten sich die überlebenden Juden weltweit ansiedeln können. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten die Alliierten bereits nachgegeben: sie akzeptierten die Existenz des zionistischen Staates.

Aber wollte die Mehrheit der Juden damals nicht auch nach Palästina?
Um diese Frage abschließend zu beantworten, sind weitere Forschungen erforderlich. Was bislang fest steht, ist, dass gar keine Debatte über dieses Thema organisiert wurde. Hätte es in den Flüchtlingslagern eine wirkliche Diskussion gegeben, hätten höchst unwahrscheinlich so viele Juden nach Palästina umsiedeln wollen. Ich habe dazu in meinem Buch auch einen Abschnitt geschrieben.

Was hoffst du mit dem Buch zu erreichen?
Dass Europäer und Amerikaner den Konflikt zwischen Israel und Palästina besser verstehen. Ich wuchs selbst mit einem jüdischen, man kann eigentlich sagen einem zionistischem, Hintergrund auf. Der Bruch damit in den späten Sechzigern war für mich traumatisch. Viele Fragen blieben damals unbeantwortet.
Und in vielen Jahren politischer Aktivität habe ich gemerkt, dass zu einer Reihe wichtiger Fragen bis heute geschwiegen wird. In meinem Buch versuche ich, Antworten zu geben und dadurch Linke darin zu ermutigen, die Palästinenser unterstützen und politisch mit dem Zionismus brechen.

Wie kann das aussehen? Was sollte die Linke in Europa denn tun?
Wir müssen mehr tun gegen die wachsende Islamophobie, also gegen die Vorurteile und den neuen Rassismus gegenüber Menschen muslimischen Glaubens. Darüber hinaus müssen wir den imperialistischen Charakter des zionistischen Staates verstehen. Und wir müssen aufklären darüber, dass es Juden gibt, die sich für Alternativen zum Zionismus einsetzen. Die Linke in Europa muss sich mit deren Argumenten ernsthaft und gründlich auseinandersetzen.

Wie meinst du das, dass Israel ein imperialistischer Staat ist?
Die israelische Besatzung Palästinas und die US-geführte Besatzung des Irak sind zwei Seiten einer Medaille, wenngleich die Situation in Palästina noch komplizierter ist.
Die offizielle Geschichte der Gründung Israels sagt, dass der winzige israelische Staat von vielen arabischen Armeen angegriffen wurde. Dies stimmt nicht. 1948 waren die arabischen Armeen schwach und hätten niemals einen Schlag gegen Israel durchführen können. Vielmehr stand die jordanische Monarchie schon auf der Seite Israels.
Um die Gründung des Staates Israel zu verstehen, müssen wir zurück zur Balfour-Deklaration von 1917, die den Staat Israel versprach. Diese Deklaration wurde hauptsächlich von drei Personen gestaltet: Balfour, Lloyd George und Churchill - der den britischen Einfluss im Mittleren Osten verstärken wollte.

Manche werden deine Bedenken über die Gründung Israels teilen. Sie werden aber einwenden, dass die Juden nun schon seit 60 Jahren in dieser Gegend leben.
Dies ist auch absolut korrekt. Juden sind fest verankert im Mittleren Osten. Gerade deshalb ist es nicht logisch, dass zwei getrennte Staaten für Juden und Araber nötig sein sollen. Israel entwickelt sich in einen Apartheid-Staat. Die Mauer zwischen Israel und dem besetzten Westjordanland ist der deutlichste Beweis dafür.

Aber lässt sich die Situation in Israel wirklich mit der Apartheid in Südafrika vergleichen?
Du hast mich eben gebeten, das Wort Zionismus zu erklären. Lass mich die Definition noch ein bisschen ausweiten: Zionismus privilegiert Juden auf Kosten von Muslimen. Das ist institutionalisierter Rassismus, ähnlich wie früher während der Apartheid in Südafrika, nur noch komplizierter. Selbst israelische Palästinenser haben nur sehr wenige Rechte. Und die etwa 5 Millionen Palästinenser in Flüchtlingslagern und die ausgewanderten Palästinenser haben gar keine Rechte in ihrer Heimat. Wenn wir dafür eine Lösung wollen, dann müssen demokratische Wahlen organisiert werden, an denen alle Israelis und alle Palästinenser gleichberechtigt teilnehmen können und an deren Entscheidung muss man sich dann auch halten.

Laut deutscher Regierung haben wir eine besondere historische Verantwortung gegenüber Israel.
Es ist ein Problem, wenn aus dem Schuldgefühl wegen der deutschen Geschichte Unterstützung für den Staat Israel wird. Natürlich müssen wir über den Kampf gegen Antisemitismus sprechen. Ich möchte dabei aber an Karl Marx erinnern, der ganz richtig gesagt hat, dass kein Volk frei sein kann, das ein anderes versklavt. Er meinte damals England und Irland, aber seine Aussage passt heute genauso auf Israel und Palästina.
Doch es gibt noch eine andere Entwicklung: Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, wanderten eine Million Juden aus. Die meisten wollten in die USA, aber die US- und die israelische Regierungen verhinderten das. Sie versuchten, alle nach Israel zu holen. So gelangten viele nach Deutschland, das für Juden immer eine große Bedeutung hatte. Die wichtigste jüdische Sprache in Europa ist Jiddisch, dessen Wurzeln im Deutschen liegen. Die beste Lehre aus dem Holocaust ist, die junge jüdische Gemeinde in Deutschland zu begrüßen und alles dafür zu tun, um sie zu schützen.

In Deutschland gibt es innerhalb der jüdischen Gemeinde auch Organisationen, die Palästinenser unterstützen.
Ja, solche Organisationen gibt es in ganz Europa. In Deutschland etwa die "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost". Die fortschrittlichste Bewegung in Israel sind die Refusniks. Sie verweigern den Wehrdienst, weil sie nicht in den besetzten Gebieten kämpfen wollen.
Wenngleich sie die zionistische Ideologie nicht abzulehnen, ermöglichen sie vielen jüdischen Jugendlichen den ersten Schritt dahin, sich für die Rechte der Palästinenser einzusetzen. Ich bin zwar überzeugt, dass es unmöglich ist, gleichzeitig Zionist zu bleiben und die Palästinenser zu unterstützen. Doch die Aktionen dieser Organisationen haben wichtige Diskussionen ermöglicht.

Wie kann es Frieden geben im Nahen Osten?
Letztlich brauchen wir eine integrierte Gesellschaft, in der Juden, Muslime und Christen die gleichen religiösen Rechte haben, und Juden und Araber die gleichen politischen Rechte. Um das zu erreichen, müssen wir vom Standpunkt des Einzelnen beginnen, wie der Sozialist Edward Said richtig gesagt hat: Wenn du die Rechte jedes Einzelnen schützt, ist dies der erste Schritt auf dem Weg zum Frieden.
Das heißt, dass wir für die besetzten Gebiete eine Lösung brauchen und auch für das geteilte Jerusalem und die Flüchtlinge. Das wird nur in einem gemeinsamen, demokratischen, nichtreligiösen Staat möglich sein mit gleichen religiösen und politischen Rechten für Juden und Araber.

Ist der Wahlsieg des neuen israelischen Ministerpräsidenten Olmert ein Schritt zum Frieden? Er versprach immerhin die Auflösung einiger israelischer Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten.
Auch sein Vorgänger Scharon hat einige Siedlungen aufgelöst, aber gleichzeitig die Mauer um die besetzten Gebiete gebaut. Ein ernsthaftes Friedensangebot würde mindestens bedeuten, die Mauer abzureißen, die Teilung Jerusalems aufzuheben und die palästinensischen Flüchtlinge zurückkehren zu lassen. Nichts davon steht in Olmerts Programm.

Die israelische Regierung behauptet, dass sie nicht mehr mit der palästinensischen Autonomiebehörde verhandeln könne, weil sie von der Hamas gestellt wird.
Das zeigt, dass die israelische, aber auch die westlichen Regierungen, die das gleiche behaupten, Demokratie verachten. Die Mehrheit der Palästinenser hat Hamas gewählt. Und Hamas macht ein konkretes Angebot: "Hudna" auf Arabisch, auf Deutsch "Waffenruhe". Als Teil der Hudna hält Hamas bereits seit einem Jahr einen Waffenstillstand ein und bietet dies auf Dauer an.
Wenn Israel und der Westen Demokratie wirklich wollen, müssen sie solche Angebote ernst nehmen.

Nun hat die EU aber auf die Wahl von Hamas mit der Einstellung der Zahlungen an die palästinensische Autonomiebehörde reagiert. Welche Folgen hat das?
Es ist schockierend, dass die palästinensische Autonomiebehörde nur durch Geld von anderen Staaten existieren kann, weil Israel die palästinensische Wirtschaft erdrosselt. Die russische Regierung hat zwar angeboten, auszuhelfen.
Doch Hamas hat völlig zu Recht von arabischen Staaten verlangt, sie zu unterstützen. Allerdings ist unklar, wie viel Hilfe von dort kommen wird. Der Druck der arabischen Straße wird entscheidend sein, denn die arabischen Regierenden haben den Palästinensern nie konsequent geholfen.

Was wird geschehen, wenn die Autonomiebehörde kein Geld bekommt?
Es könnte vollständiges Chaos ausbrechen. Deshalb müssen die arabischen Regierungen einschreiten. Die USA und die EU lassen die Palästinenser leiden, indem sie die Unterstützung verweigern.
Sie nutzen das, um Spannungen zwischen der vorherigen Regierungspartei Fatah und der Hamas zu erzeugen.

Könnte daraus ein Bürgerkrieg entstehen?
Ich halte das für äußerst unwahrscheinlich. Denn eine der großen Errungenschaften der palästinensischen Bewegung ist ein unglaublich starker Gemeinschaftssinn.
Hamas bemüht sich sehr um eine Öffnung für politische Positionen, die Hamas bislang nicht vertreten hat. Sie hat die linke PFLP zur Zusammenarbeit eingeladen und sie versucht, die PLO, den Dachverband der palästinensischen Bewegungen, über religiöse Grenzen hinweg aufzubauen. Das ist wichtig für die Palästinenser auf der ganzen Welt, die eine vereinte Antwort auf die israelische Aggression wollen.

Auf der Kairo-Konferenz gegen Krieg und neoliberale Globalisierung betonten die Delegierten von Hamas, ihr Ziel sei, dass Muslime und Juden gemeinsam leben können.
Hamas befindet sich in einem Lernprozess. Sie diskutieren ernsthaft, wie Juden und Muslime Seite an Seite leben können und viele erinnern daran, dass Araber und Juden in der gesamten Region jahrzehntelang friedlich zusammengelebt haben. Darüber habe ich übrigens auch in meinem Buch "Die Mythen des Zionismus: Stolpersteine auf dem Weg zum Frieden" geschrieben.

Ist die Vorstellung, dass Juden und Araber friedlich zusammenleben, nicht ein Schritt in Richtung einer Ein-Staat-Lösung?
Letztlich ist das die einzige Lösung. Auf dem Weg dahin mag es Hindernisse zu überwinden geben, doch die Probleme der Region lassen sich nur in einem Staat lösen, wo jeder und jede gleichberechtigt leben kann. Die dringende Flüchtlingsfrage etwa kann nur gelöst werden in einem einzigen demokratischen säkularen Staat.

Es mag ja nett sein, eine solche Lösung zu diskutieren, aber wie können wir sie erreichen? Schließlich sehen gerade viele Linke Hamas als reaktionäre islamische Terror-Organisation. Wie kann es mit ihr eine fortschrittliche Lösung geben?
Der politische Islam wird im Westen vereinfacht dargestellt. Wir müssen einen Schritt zurücktreten, um die ganze Situation zu bewerten - einschließlich der zunehmenden Islamophobie.
Der Aufstieg des politischen Islam im Nahen Osten fand in einem Vakuum statt, das durch das Scheitern des arabischen Nationalismus und des prosowjetischen Kommunismus entstand. Islamistische Organisationen sprachen sich danach als einzige für nationale Befreiung aus.
Gleichzeitig sahen sie sich zu intensiven Auseinandersetzungen über den weiteren Weg nach vorn gezwungen. Das erleben wir nach 25 Jahren Islamischer Republik in Iran, und ähnlich auch bei Hamas und der Muslimbruderschaft in Ägypten.

Wie werden diese Auseinandersetzungen denn geführt?
Da gibt es die Traditionalisten, die beginnen, Verbündete außerhalb der eigenen Reihen zu suchen. Dann gibt es die stärker werdende Frauenbewegung. Frauen setzen innerhalb ihrer Organisationen Forderungen nach Frauenrechten auf die Tagesordnung. Auch über die Auslegung der Religion wird heftig debattiert, in Palästina, Iran und Ägypten.
Um zu verstehen, was gerade passiert, können wir Iran als Modell nehmen. Dort haben sich muslimische und nichtreligiöse Frauenrechtlerinnen zusammengeschlossen, um Reformen für mehr Gleichberechtigung zu fordern.

Wird Hamas Frauen stärker unterdrücken?
Wer das glaubt, übersieht, was innerhalb von Hamas diskutiert wird. Die Frauen empfinden sich den Männern gegenüber als ebenbürtig. Weibliche Hamas-Mitglieder fordern Rechte in ihren Gruppen. Die Auseinandersetzungen über die Gleichberechtigung von Frauen sind Teil einer größeren Debatte über die Zukunft der gesamten Bewegung.

 
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