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GASTESSAY (17)
Ohne Syrien wird es keinen dauerhaften Frieden im Nahen Osten geben!
von Fritz Edlinger1 (23.08.2006)

Im Zusammenhang mit dem jüngsten israelischen Libanon-Feldzug ist auch wieder viel über Syrien und dessen Position im Nahen Osten gesprochen und geschrieben worden. Dabei ist für meinen Geschmack - offensichtlich von der US-amerikanischen und israelischen Propaganda beeinflusst - die ganze Problematik absolut einseitig und unfair präsentiert worden. Auch die Rede von Präsident Bashar al-Assad vor arabischen Journalisten am 15. August hat Wasser auf die Mühlen jener gegossen, welche Syrien weitgehend ausgrenzen und in die Bush'sche Achse des Bösen einreihen möchten. Sicherlich mag der Zeitpunkt und der Duktus dieser Rede nicht gerade klug und diplomatisch gewesen sein, das kann aber - wenn man die Stellungnahmen der letzten Jahre zu Syrien Revue passieren lässt - weiter nicht verwundern. Dass Syrien Israel, welches seit 1967 völkerrechtswidrig einen Teil seines Territoriums besetzt und seinen nord-östlichen Nachbarn permanent mit militärischer Gewalt droht und sogar regelmäßig den syrischen Luftraum verletzt (man erinnere sich an den provokativen Überflug der Sommerresidenz des syrischen Präsidenten durch israelische Kampfflugzeuge vor wenigen Wochen), als "Feind" betrachtet, kann ja wohl niemanden überraschen. Und dass vor diesem Hintergrund Syrien die Hisbollah unterstützt, müssten doch gerade jene, welche sich immer wieder für pragmatische Realpolitik und Wahrnehmung eigener Interessen im internationalen Kontext erwärmen, verstehen. Im Vergleich zu den Erklärungen des israelische Ministerpräsidenten Ehud Olmert, wonach der jüngste Krieg "der größte Sieg in der Geschichte Israels" sei, der "das Antlitz des Nahen Ostens verändert hat" nehmen sich die Äußerungen von Bashar al-Assad ja geradezu moderat und überlegt aus.

In diesem Zusammenhang erscheint mir aber auch die Reaktion des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, seinen geplanten Besuch in Damaskus kurzfristig abzusagen, unverständlich und kontraproduktiv. Wann sonst, als in Zeiten extremer Spannungen und den dementsprechenden verbalen Auseinandersetzungen, hätte eine politisch-diplomatische Vermittlungsmission einen Sinn? Aber ganz offensichtlich hat sich die Bundesrepublik Deutschland - ganz im Gegensatz zur Haltung der früheren Bundesregierung zum US-amerikanisch/britischen Angriff auf den Irak im März 2003 - in den letzten Jahren still und leise der US-amerikanischen Sichtweise bezüglich der Situation im Nahen Osten angenähert. Ganz offensichtlich ist Angela Merkel hier dem unwiderstehlichen "Charme" George W. Bush's erlegen. Leider hat dies aber auch eine Reihe weiterer europäischer Staaten mitgezogen, was in Bezug auf die gesamte Situation im Nahen Osten und der absolut gegebenen Notwendigkeit, nun endlich wieder einmal einen "ehrlichen Vermittler" zu finden, fatal sein könnte. Es wird derzeit wieder viel über die Notwendigkeit einer internationalen Nah-Ost-Konferenz gesprochen, auch Außenministerin Ursula Plassnik hat dies zuletzt in einigen Interviews vorgeschlagen, das Problem besteht nur darin, wer ausreichend Glaubwürdigkeit und Akzeptanz bei den primären Akteuren im Nah-Ost-Konflikt hat, eine derartige Initiative mit Aussicht auf Erfolg zu starten. Nach den Jahren der neokonservativen US-amerikanischen Außen- und Nahostpolitik kommen die USA dafür wohl kaum mehr infrage. Letztlich bleibt - zumindest in der Theorie - nur mehr Europa übrig. Und in diesem Kontext sind Signale wie jenes von Frank-Walter Steinmeier unüberlegt.

Am 9. August veröffentlichte die International Herald Tribune einen Leitartikel mit dem Titel "Der Preis dafür, nicht mit Assads Syrien gesprochen zu haben". Darin wird die Politik von Präsident Bush, Syrien und dessen Präsidenten zu ächten und jegliche Gesprächskontakte abzulehnen, kritisiert. Weiters wird dort die Meinung vertreten, dass von Syrien absolut nicht zu erwarten sei, sich mit den US-amerikanischen Forderungen auseinanderzusetzen, wenn es nicht wisse, welche möglichen Vorteile es sich dafür erwarten könne. Und daher sei es nötig - so die anerkannte liberale US-Zeitung -, dass die USA Syrien hochrangige Gespräche anbieten müssen und zwar sofort. Auch der frühere israelische Botschafter in Washington und Chefverhandler Israels bei den israelisch-syrischen Geheimgesprächen Mitte der 90er Jahre Prof. Itamar Rabinovich hat sich in den letzten Tagen für konstruktive und direkte Gespräche mit Syrien ausgesprochen.2

Eine faire und korrekte Einschätzung Syriens ist notwendig

Syrien wird seit Jahren als Bedrohung und als Teil der "Achse des Bösen" (Bush jun.) betrachtet und entsprechend behandelt. Dabei wird im ideologischen Übereifer eine Reihe von Tatsachen unterdrückt, welche diesem oberflächlichen Befund widersprechen. Zu Zeiten von Bush sen. war dies noch anders, siehe auch die Teilnahme Syriens an der von den USA geführten Militäraktion zur Befreiung Kuweits (Aktion "Desert Storm"). Einer der absoluten internationalen Top-Experten auf diesem Gebiet, der ehemalige CIA-Spezialist für Syrien und Libanon, Robert Baer3, hat erst in einem Kommentar in "Newsweek" (Ausgabe vom 14. August) unter dem Titel "Appointment in Damascus" auf die durchaus konstruktive und rationale Verhaltensweise Syriens hingewiesen. Anhand einiger Beispiele aus den 80er und 90er Jahren enthüllt Baer, dass es Syrien war, welches durchaus im Interesse der USA und anderer westlicher Staaten terroristische Aktionen verhinderte bzw. diese friedlich beilegte und dabei mitunter auch direkte Konfrontationen mit dem Iran nicht scheute. Der US-Experte betont auch die stabilisierende Rolle Syriens im Libanon. Seiner Meinung nach war es ein verhängnisvoller Fehler, Syrien im Vorjahr aus dem Libanon zu verdrängen, ohne eine wirkliche Alternative zu haben. Seiner Einschätzung nach ist die aus der Zedernrevolution hervorgegangene Regierung weitaus schwächer als jene, die 1975 den libanesischen Bürgerkrieg nicht verhindern konnte. Er zitiert in seinem Kommentar schließlich einen ungenannten syrischen Freund, der meinte, dass die Vertreibung Syriens aus dem Libanon dort dem Iran Tür und Tor geöffnet habe. Nun, die Einschätzung der aktuellen Lage im Libanon mag Widerspruch hervorrufen, aber die Darstellung der Rolle Syriens in der Region einmal aus einer anderen, zweifellos aber höchst kompetenten, Sicht präsentiert zu bekommen, ist schon interessant.

Unerwähnt bleibt bei den schon fast rituellen Syrien-Bashings auch die Tatsache, dass Syrien im Falle des Irak aber auch bei der aktuellen Libanon-Krise durch die Betreuung von Hunderttausenden Flüchtlingen immer wieder konkrete humanitäre Beiträge leistet und damit auch zu einer gewissen Entspannung beiträgt.

Ein besonders zynisches Beispiel dieser Kampagne gegen Syrien ist jenes, das ihm die brutale und blutige Niederschlagung des Aufstandes der Muslimbrüder im Februar 1982 in der Stadt Hama vorwirft. Nun hat der damalige syrische Präsident Hafes al-Assad bei der Bekämpfung der frühen Islamisten tatsächlich keine Skrupel gehabt und es sind auch zahlreiche unbeteiligte BewohnerInnen der Stadt getötet oder verwundet worden. Der sofortige und massive Einsatz der Armee gegen die Islamisten war sicherlich ein Verbrechen und stellt absolut kein Ruhmesblatt in der jahrzehntelangen Herrschaft von Hafes al-Assad dar. Dass ihm bzw. dem syrischen Regime aber das heute besonders von jenen vorgeworfen wird, welche in ihrem "Kreuzzug gegen den islamistischen Terror" gerade dabei sind, den gesamten Nahen und Fernen Osten in den Abgrund zu stürzen, ist zynisch und in seiner Absicht leicht zu durchschauen. Abgesehen davon, dass der im selben Jahr stattgefundene Angriff Israels auf den Libanon (Schlagwort Sabra und Shatila), der ein Vielfaches an menschlichem Leid und materiellen Schaden verursacht hat, von den im Kampf gegen die "Achse des Bösen" engagierten Rittern gnädig übersehen und vergessen wird. Diese absolut unerfreuliche und durch nichts zu entschuldigende Hama-Affäre ist aber auch aus einem anderen, absolut aktuellen, Gesichtspunkt interessant: Auch heute noch stellt sich die Situation in Syrien so dar, dass die Islamisten wenn überhaupt die einzige Alternative zum Regime der Baath-Partei darstellen. Das scheint den Kreuzrittern in Washington und ihren Knappen in Tel Aviv offensichtlich völlig gleichgültig zu sein. Sie haben offensichtlich vom völligen Fiasko der US-amerikanischen/britischen Irakpolitik absolut nichts gelernt und streben hurtig den nächsten "regime-change" an, ganz egal welche Auswirkungen das für die Menschen in den damit (zwangs) -beglückten Staaten hat.

Auch hier wäre Europa gefragt

Aus meiner Sicht gibt es unter den gegebenen Verhältnissen eigentlich nur eine Kraft in der internationalen Politik, welche diesem Wahnsinn ein Ende bereiten oder zumindest den ernsthaften Versuch dazu unternehmen kann: Europa. Und auch hier ist mehr Skepsis als Hoffnung angesagt. Europa ist uneins, gerade manche der großen europäischen Staaten (hier sind neben Großbritannien als traditioneller Schildknappe der USA zuletzt auch Deutschland und Frankreich zu nennen) verfolgen Eigeninteressen und die EU hat zudem auch - außer seinem Scheckbuch - kaum geeignete Instrumente für ein wirkungsvolles internationales Krisenmanagement. Betrachtet man aber die anderen main-players in der internationalen Politik, so existiert keine Alternative. Europa wird - ob es nun will oder nicht - sich dazu durchringen müssen, sich stärker einzubringen. Dies könnte in der aktuellen Krise im Nahen Osten zum Beispiel einmal damit beginnen, dass man seine eigenen Traditionen nicht länger verleugnet sowie die an sich bereits zur Verfügung stehenden Mittel auch tatsächlich einsetzt. Mit dem Hinweis auf europäische Traditionen meine ich Instrumente wie die Mittelmeerpolitik, auch wenn diese nunmehr in die Neue Nachbarschaftspolitik aufgegangen ist, in deren Rahmen noch mehr für den Auf- und Ausbau demokratischer Strukturen und zivilgesellschaftlicher Netzwerke getan werden. Syrien ist hier ein ganz gutes Beispiel. Dort sind in den letzten Jahren Dutzende Euro-Millionen dafür ausgegeben worden, um personelle, finanzielle und organisatorische Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche und letztlich auch politische Reform zu schaffen. Und mit dem Einsatz bereits bestehender Instrument meine ich - ganz offen und ungeschminkt - zum Beispiel auch die Anwendung von völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Paragrafen in bestehen Abkommen. Es ist aus meiner Sicht höchst an der Zeit, dass die EU Israel für seine jahrzehntelangen und wiederholten Verletzungen internationaler Rechtsnormen die in den verschiedenen Verträgen vorgesehenen Konsequenzen androht, und diese schließen Sanktionen absolut mit ein. Aber solange auch europäische Staaten Israel jene Waffen liefern, die es dann gegen die palästinensische oder libanesische Bevölkerung einsetzt bzw. nichts gegen den US-amerikanischen Waffennachschub in aktuellen Kriegssituationen, wie es zuletzt auch wieder im Falle des israelischen Überfalles auf den Libanon der Fall war, ist eine wirklich entscheidende nahostpolitische Initiative Europas kaum zu erwarten. Man sollte aber zumindest nicht die Hoffnung aufgeben. Denn die Alternative ist fortgesetztes Blutvergießen an der Südgrenze Europas.


1: Fritz Edlinger ist Generalsekretär der "Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen", Herausgeber der Zeitschrift INTERNATIONAL und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Fragen der internationalen Beziehungen, der Nah-Ost-Politik und der Entwicklungszusammenarbeit. (zurück)
2: Siehe www.bitterlemons-international.org. Edition 31, Volume 4 - August 17, 2006. (zurück)
3: Robert Baer ist Autor des Buches "Der Niedergang des CIA", 2002 bei Bertelsmann erschienen. Seine letzte Veröffentlichung ist "Sleeping With the Devil: How Washington Sold Our Soul for Saudi Crude". (zurück)
 
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