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GASTESSAY (19)
Die so genannte Autonomie-Behörde muss demontiert werden
Von Oslo zur martialischen Auseinandersetzung in Palästina

Samieh Jabbarin. Yafa, Palästina. 03.06.2007

Lasst uns hoffen, dass die tragischen inneren Kämpfe zwischen Fatah und Hamas in den besetzten Gebieten dem Sarg des Osloer Abkommens den letzten Nagel verpassen werden. Diese Kämpfe sind zweifellos eine direkte Folge dieses gefährlichen Vertrags, dessen Rational, heute ist das klarer denn je, war und bleibt die Zerstörung des palästinensischen Widerstandes und die Schaffung einer bürgerlichen Führung, die es vermag, die Palästinenser mit dem Wenigsten zu befrieden, einem zerstückelten Staat, ohne international anerkannte Grenzen, ohne geografische Kontinuität, ohne Anbauland, ohne Souveränität. Doch viel schlimmer als das alles ist die Tatsache, dass Israel, natürlich als Gegenzug für dieses NICHTS, eine 'historische Aussöhnung' mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn anstrebt. Eine Aussöhnung, die ihm eine absolute Existenzlegitimation in der Region auf dem Tablett serviert. Diese 'historische Aussöhnung' wird dank dem Verrat mit jedem Tag realer.

Erst am 24.05.07 hat die israelische Armee mehr als 30 hochrangige Hamas-Mitglieder gefangen genommen, darunter auch den palästinensischen Minister für Unterricht und Kultus Nasser Shaer, sowie mehrere Parlamentarier und Bürgermeister der Städte Nablus, Qalqiliya und Beita.
Der unverständliche Optimismus und die politische Blindheit der Hamas grenzen nun ans Lächerliche. Was soll noch passieren, bis die Hamas einsieht, dass dieser Weg (die Oslo-Bahn) der Falsche ist, bis sie endlich die Finger von dieser aus Luft gebastelten 'Autonomie'-Behörde lässt und sie auf die Müllkippe der Geschichte wirft, und bis sie begreift, dass es ihre eindeutige historische Pflicht ist, zusammen mit den anderen Widerstandsgruppen auf die kämpferischen Mitteln zurückgreifen soll, die wir aus der Prä-Oslo-Ära kennen.

Schon 1993, kurz nachdem Schimon Perez, der damalige Außenminister Israels und Mahmud Abbas, der damalige Sekretär der Exekutive in der PLO das Osloer Abkommen unterschrieben hatten (13 September 1993), sagte der damalige israelische Premierminister Itzhak Rabin in einem Interview zur israelischen Zeitung Haaretz, in Bezug auf die harsch ablehnende Haltung der israelischen Rechte gegenüber diesem Abkommen, „...Ich verstehe den Aufruhr (der Rechten, S.J.) nicht, denn alles, was sich jetzt ändern wird, ist, dass die Palästinenser nun die schmutzige Arbeit (Der Kampf gegen die Widerstandsgruppen, S.J.) für uns bewältigen werden, das ist alles, was sich ändern wird!“. Rabin hatte Recht.

Denn beim einfachen Versuch, die Ziele (aus palästinensischer Perspektive) aufzuzählen, die „dank“ dieses Abkommens erreicht worden sind, werden wir allzu schnell mit der nüchternen Wahrheit konfrontiert, dass NICHTS erreicht worden ist. Eher im Gegenteil. die Realität der Post-Oslo-Ära in Palästina ist weit tragischer und schlechter, in jeder Hinsicht, im Vergleich zur Zeit vor der Osloer Übereinkunft.
Die Staatlichkeit wird immer mehr zu einem Traum, der uns in Verlegenheit bringt. Israel scheut sich vor keinem Mittel, den Palästinensern jegliche Hoffnungen auf einen unabhängigen und souveränen Staat zu rauben. Die Belege dafür sind erdrückend. Zum Beispiel die Apartheid-Mauer, die droht, noch den Rest (22%) vom historischen Palästina zu entwenden. Eine Mauer, die die Bewegungsfreiheit der Palästinenser unmöglich macht. Oder die Siedlungen, die eher ausgebaut werden anstatt, wie formell vereinbart, abgebaut. In mindestens einem Fall kann man schon nicht mehr von einer Siedlung sprechen, sondern von einer Stadt. Ariel, das 1978 als kleine Siedlung mit 40 Familien auf palästinensischem Boden in der Westbank gegründet wurde, zählt heute über 20 000 Einwohner. Diese „Siedlung“ hat längst ein Rathaus, ein großes Industriegebiet und eine Hochschule, die Studenten aus dem ganzen Land anzieht.

Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage unbeantwortet, was das für Ziele sind, die erreicht wurden? Bei genauer Betrachtung wird schnell sinnfällig, dass keine der erklärten Ziele erreicht worden sind. Das heißt jedoch nicht, dass die Realität des heutigen Palästina ähnlich ist wie die Realität vor der Osloer Übereinkunft. Denn sie ist, aus palästinensischer Sicht, schlechter, viel schlechter. Man kann nämlich bei genauer Betrachtung fünf verschiedene „Verdienste“ des Osloer-Abkommens ausmachen:

1) Israel ist nicht mehr verantwortlich (wie es die Genfer Konvention hinsichtlich einer Besatzungsmacht vorsieht) für die etwa 3,5 Millionen Palästinenser, die in den besetzten Gebieten leben, weder ökonomisch noch sozial noch sicherheitsmäßig. Seitdem die Palästinenser diese Gebiete „verwalten“, ist Israel von jeglichen Pflichten in diesen Gebieten befreit. Jedenfalls den Europäern und den Amerikanern gegenüber, wohl aber nicht dem Internationalen Recht, wie der Genfer Konvention! Die Konsequenz dessen ist, dass nun der palästinensische Staat, der kein Staat ist, dafür verantwortlich ist, sich um Bildung, Nahrung, Sanitätsdienst, Sicherheit und Arbeit zu kümmern. Doch gleichzeitig, können wir beobachten, wie Israel alles tut, um die Palästinenser davon abzuhalten, diese Aufgaben zu bewältigen. Beispiele für die Hindernisse, die Israel den Palästinensern in den Weg stellt, sind die Steuergelder (wir sprechen hier von mehreren hundert Millionen Dollar) der palästinensischen Arbeiter, die Israel für sich behält oder der immense Druck, den Israel auf die Europäer ausgeübt hat, keine Gelder der „Hamas Regierung“ zu geben und das Einfrieren von allen Bankkonten der Hamasbewegung oder von anderen Institutionen, die sich mit dieser Bewegung solidarisch verhalten. Das heißt, Israel hat sich dieser (im internationalen Recht vorgeschriebenen) Verantwortung entzogen und gleichzeitig hindert sie die palästinensische Seite daran, der schweren Aufgabe Herr zu werden.

Diese neue Realität hat die Palästinenser, die alles verloren haben, zu Bettlern gemacht. Das ist zweifellos ein Novum in der modernen Geschichte, dass sich ein Volk unter Besatzung selbst und allein um seine Ökonomie kümmern muss.

2) Die Anerkennung Israels! Noch ein Novum der modernen Geschichte. Die politische Führung eines besetzten Volkes spricht sich für das Existenzrecht (wohlgemerkt auf dem Boden des Besetzten) des Besatzers aus, noch bevor die grundlegenden Fragen des Konflikts gelöst sind. Manche würden meinen, dass es diese schon länger gibt, mindestens seit der neunzehnten Sitzung des palästinensischen Nationalrats in Algier, bei der die PLO die Gründung des Staates Palästina verkündete und die UN-Resolutionen 181 und 242 anerkannte. Diese Behauptung stimmt, doch da ist ein kritischer Unterschied zwischen der damaligen Anerkennung und der, die im Osloer Abkommen offiziell verabschiedet wurde. Denn diese ist eine mit exekutiven Konsequenzen.

3) Eine der direkten und vielleicht eine der gefährlichsten Konsequenzen dieses Vertrags ist die „Normalisierung“ der Existenz Israels in der Region. Umso schlimmer, wenn diese Normalisierung vom direkten Opfer (den Palästinensern) gewährt wird. Diese Entwicklung hat mit einem Tabu gebrochen und führte zu weitreichenden Folgen in der ganzen Region, insbesondere aber in den arabischen Ländern. Diese Länder bemühten sich nicht einmal, ihre tiefe Begeisterung vom „Neuen Nahen Osten“ à la Uncle Sam zu verbergen. Sie konkurrierten untereinander, wer sich schneller mit den Israelis ablichten lässt. Während einige dieser Länder sich erst einmal mit begrenzten diplomatischen Beziehungen begnügten, hat mancher (Jordanien!) über Nacht einen „Friedensvertrag“ mit Israel unterschrieben. Diese Normalisierung hat den arabischen Ländern den letzten Trumpf aus der Hand gerissen. Eigentlich war es der einzige Trumpf, den die Araber in ihrer Konfrontation mit Israel besaßen. Es erübrigt sich auszuführen, wie sehr diese neue Dynamik Israel stärkte.
Überdies hat diese Veränderung die Region schon damals in zwei Lager entzweit. Lange vor dem 11. September gab es zwei klare politische Lager. Das eine umfasste alle Staaten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die der amerikanischen Doktrin folgten, während sich im zweiten Lager solche befanden, die nicht bereit waren, diese Doktrin ohne Gegenzug der anderen Seite hinzunehmen oder solche, die aus ideologischen Gründen diese Doktrin ablehnten (das waren die wenigen).

4) Die Apartheid-Mauer. Über die Mauer ist viel geschrieben worden. Dennoch sollte man vielleicht erwähnen, dass die Ausführung dieses lang ersehnten Projekts seitens Israels undenkbar wäre ohne die Gewissheit Israels, dass die Autonomie-Behörde ihm keineswegs im Wege steht.
Es ist lange kein Geheimnis mehr, dass ein führender palästinensischer Politiker (Ahmad Qurei) der letzten Jahrzehnte, der auch zeitweise das Amt des Premierministers bekleidete, die Israeli mit Beton belieferte für den Bau dieser Mauer.

5) Die Kampfhandlungen zwischen Fatah und Hamas (Hauptthema dieses Artikels). Es ist (war!) eine palästinensische Tugend und eine der im palästinensischen Nationalkampf tief verankerten Errungenschaften, innere bewaffneten Kämpfe, insbesondere innerhalb Palästinas, vehement abzulehnen. Wenn man auf die Geschichte des palästinensischen Widerstandes innerhalb Palästina zurückschaut, wird diese Hypothese klar bestätigt.
Es muss betont werden, dass diese Hypothese für die Zeit vor Oslo gilt. Die neue Realität, die das Osloer Abkommen hervorbrachte, rief neue Spielregeln ins Leben. Wie schon erwähnt, das große Dogma der Osloer Ära ist die Aufteilung der politischen Kräfte im Nahen Osten in zwei Lager. Auf der einen Seite stehen die „Freunde“ Amerikas und auf der Anderen die Feinde des amerikanischen Imperialismus. (Das Motto lautet bekanntlich: „You are with us or against us“). Somit tauchten in Palästina politische Tendenzen auf, die denen im Irak, Libanon oder im Iran in nichts nachstehen. Die palästinensische Straße war entzweit: Du bist entweder für Widerstand oder für „Diplomatie“, wobei Diplomatie in diesem Kontext bedeutet, die USA als „fairen“ Vermittler zu akzeptieren, gegen „Terrorismus“ aktiv vorzugehen (das heißt, auch mit der Waffe) und mit Israel ohne Vorbedingungen zu verhandeln.

Das sind die Voraussetzungen und Bedingungen, die in Palästina vorherrschten, als Hamas (aus Gründen, die mir bis heute unerklärlich sind!) sich dafür entschied, an den Wahlen teilzunehmen. Seither „regiert“ die Hamas einen Staat, den es nicht gibt, sie verfügt über keine Gelder und die meisten ihrer Minister sitzen in Haft. Die meisten europäischen Länder lehnen diese legitime Regierung ab. Ganz zu schweigen von Israel und den USA, die sie mit aller Macht zu bekämpfen versuchen.

Doch gefährlicher als das war die Tatsache, dass sich nun die USA und Israel (dank dem Osloer Abkommen) in Palästina echte Alliierte geschaffen haben, die ihr Bestes geben, um diese Regierung zum Scheitern zu bringen. Die Liste der Namen dieser Alliierten ist lang. Vielleicht reicht es zunächst, die großen Köpfe zu nennen, wie Mahmud Abbas, dessen Unverschämtheit solche Ausmaßen erreichte, dass er sich nicht davor scheut, Waffen aus Israel (direkt aus Israel) zu bekommen, um sie gegen sein eigenes Volk zu richten. Er bemüht sich nicht mal, das Geschehen heimlich zu halten. Ahmad Qurei, der Beton an Israel verkauft, damit Israel den Bau der Mauer bewältigen kann oder Mohammed Dahlan, der sich mit amerikanischem Geld eine Mafia eingekauft hat, deren Aufgabe ist, einen Bürgerkrieg anzustiften und ihre Taschen mit schmutzigem Geld zu füllen.
Die Terminologie dieser neuen Bande ist (und das ist kein Zufall) dem Isra-amerikanischen Lexikon entnommen. Widerstand ist in ihrem Munde „Terrorismus“, die Flüchtlingsfrage ist eine „Entschädigungsfrage“ und die USA sind ein „fairer Vermittler“, der für Demokratie und Freiheit im Nahen Osten steht.

Diese Entwicklungen zeigen, dass das Osloer Abkommen gescheiter ist. Darüber hinaus zeigen sie, dass Israel mit diesem Abkommen alles andere verfolgte als einen echten Frieden mit den Palästinensern. Also weder Frieden noch Staat! Was tun?

Obwohl Hamas eine Behörde regiert, die ein Produkt der Oslo-Übereinkunft ist, kann sie immer noch als Widerstandsbewegung angesehen werden. Darum richtet sich der Appell an sie, endlich von dieser Behörde zurückzutreten und diesen Weg (Oslo-Doktrin) klar und öffentlich abzulehnen. Das Warten ist unverständlich, denn wir sehen, dass dieser Weg nur zum Schlechten, zur Kapitulation führt. Es ist die Pflicht der Stunde, dass Hamas als eine Widerstandsbewegung die anderen Widerstandsgruppen aufsucht und mit ihnen eine politische Allianz gründet, die erstens die Wiederbelebung und das Reformieren der PLO anstreben und zweitens der israelische Okkupation Paroli bieten soll. Es ist an der Zeit, dass die Palästinenser die so genannte Autonomie-Behörde demontieren und sie auf die Müllkippe der Geschichte werfen.

 
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