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Der Pessoptimist
von Mohammad Bakri

Übersetzung von Achmed Khammas
Das 1-Personen Stück ‚Der Pessoptimist' mit der Figur Said Abu Nahs beruht auf dem gleichnamigen Roman des verstorbenen palästinensisch-israelischen Schriftstellers Emile Habibi.

      [Mohammad Bakri stimmt sich selbst und das Publikum
      mit einem palästinensischen Volkslied ein]


Willkommen Herr Doktor!
willkommen Herr Doktor!
wie geht es Ihnen?
willkommen, willkommen Herr Doktor!

In meinem Namen
und im Namen aller hier Anwesenden
danke ich der Krankenhausdirektion
die uns in die glückliche Lage versetzt hat
die Unabhängigkeit unseres Landes gemeinsam zu feiern
und die mir erlaubt hat
wie jedes Jahr als Conferencier
das Festprogramm zu gestalten
     ...also los
     ...los – klatscht für mich!

Es war ein mal
oh Ihr Hörer dieser Worte...
...doch eine Erzählung wird erst dadurch rund
daß wir den Propheten erwähnen
 – Heil und Segen sei mit ihm -
denn wollen wir nun reden
oder etwa schlafen?!

Ich also bin Said ... Abu al-Nahs [„der Glückliche ... Vater des Unheils“]
der PESSOPTIMIST
und meine Ausweisnummer lautet 222 2222

Geboren wurde ich in den Tagen der Engländer
und mein Vater und Churchill
waren richtige Busenfreunde
aber als mein Vater dann merkte
daß Churchill nicht mehr lange bleiben will
da hat er sich schnell
mit Herrn Jakob Safsarschek angefreundet
und bevor er dann gestorben ist
 – also mein Vater –
da hat er mir noch gesagt
„Wenn dir die Zeit übel mitspielt, oh Said
dann gibt es nur den Herrn Safsarschek
der die Dinge wieder ins Lot bringen kann
für dich!“
und das hat er auch getan
der Apfel fällt ja nicht weit vom Stamm
und so bin ich hier – und Ihr auch
und Ihr seid hier – und wir auch
ich bin zwar unsichtbar
aber doch nicht verschwunden
weil ich nicht wichtig bin
ich bin einfach nicht wichtig genug
ich bin ja kein großer Führer
und noch nicht mal ein Bürgermeister
ich bin nur der Kellner
und überhaupt nicht wichtig
aber ohne mich gibt es auch kein Essen
denn ich bin der
der aufträgt und wieder abträgt
und während die anderen mampfen
warte ich und schaue zu...
ich geh' und ich komm'
ich trage auf und trage ab
während du darauf wartest
schließlich will ich ja auch nur leben...

Ich bin zwar verschwunden
aber nicht tot
sondern ich habe die Wesen aus dem All getroffen
die sich ‚slow motion' bewegen
und jene waren es, die mir sagten
daß ich zwar bei euch bin
aber doch nicht anwesend
daß ich zwar unsichtbar bin
aber doch nicht verschwunden
...ist dies also ein Wunder??

In Wirklichkeit begann mein ganzes Leben in Israel mit einem Wunder
denn während der Ereignisse von '47
als mein Vater und ich
zusammen auf dem Esel
also auf unserem Volks-Mercedes
nach Akka hinunter ritten
      klack klack – klack klack – klack klack
und fast die Gleisstrecke erreicht hatten
      tack – tack – tack – tack – tack
da wurde auf uns geschossen
worauf mein Vater tödlich getroffen vom Esel fiel
und ich mich hinter dem Esel versteckte
der auch erschossen wurde
nur ich kam davon...
und deshalb habe ich mein ganzes Leben in Israel
eigentlich einem Esel zu verdanken!

Nun, nomen est omen...
so geht meine Herkunft auf eine zypriotische Tänzerin zurück
aus Aleppo
die von dem Mongolen-Herrscher Tamerlan nicht abgeschlachtet wurde
auf jener Schädelpyramide
die unten 20 Kilometer lang war
und 10 Meter hoch
da war einfach kein Platz mehr für ihren Kopf
und deshalb hat er sie mit einem seiner Reiter
nach Bagdad geschickt
damit sie dort badet und auf ihn wartet
 – ich weiß aber nicht wozu –
doch kaum war der Reiter eingeschlafen
als sie mit einem Beduinen aus dem Stamm der Tuwaisat durchgebrannt ist
der Abdschar hieß
und dieser Abdschar
der war mein aller erster Großvater
aber dieser Abdschar hat sich von ihr scheiden lassen
als er sie
      bumm – bumm – bumm – bumm – bumm – bumm
mit einem anderen erwischt hat
aus dem Dschiftitlek-Tal
der Raghif ben Amra hieß
und der wiederum
hat sich in Bi'r al-Saba' von ihr scheiden lassen
als auch er sie
      bumm – bumm – bumm – bumm – bumm – bumm
mit einem anderen erwischt hat
- aber keine Ahnung wie der hieß –
und so haben sich jedenfalls unsere Großväter von unseren Großmüttern scheiden lassen
bis Israel entstanden ist
und damit das erste Unglück über uns hereinbrach
The Big One
1948
und danach kamen dann alle diese kleinen Unglücke
 – The small Nahses –
deren letztes Oslo war...
jedenfalls hat sich unsere Familie damals zerstreut
in all den arabischen Ländern
die um Israel herumliegen
und die Israel bislang noch nicht besetzt hat
aber vielleicht passiert das ja doch noch...
hoffentlich, oh Gott!

Ich habe einen Cousin in Jordanien
der wurde Minister für Feuerzeuge
er hat dem König solange die ‚King Size' Zigaretten angezündet
bis er zum Minister für Feuerzeuge ernannt wurde.
und wir hatten auch einen Hauptmann in Syrien
und einen Leutnant im Irak
und einen Major im Libanon
doch der starb an einem Herzinfarkt
als die Intrabank Konkurs machte.
Und sogar der erste Araber
den Israel als Vorsitzenden der Kommission
zur Vermarktung von Löwenzahn, Kresse und Petersilie
im Oberen Galiläa eingesetzt hat
stammt aus unserer Familie
obwohl gesagt wird
seine Mutter
sei eine geschiedene Tscherkessin gewesen.

Meinem Vater gegenüber
 – Gott habe ihn selig –
war der Staat Israel jedenfalls sehr verpflichtet
schon bevor er entstand
was auch Jakob Safsarschek nicht vergessen hatte
denn als mein Vater
gemeinsam mit dem Esel erschossen wurde
 – Gott sei beiden gnädig –
da habe ich mich am Meer entlang nach Akka aufgemacht.

      Das Meer ist groß, oh Käpt'n
      das Meer sind Berge aus Menschen
      und seine Ufer Schüsse und Verrat
      und voll beladene Schiffe
      das Meer ist groß und trügerisch
      und die Neffen und Cousinen auch
      und ertrunkene, ertrunkene, ertrunkene Kinder...

In Akka fand ich die Menschen
nur mit ihrer eigenen Haut beschäftigt
worauf ich meine Haut in den Libanon rettete
wo ich sie zu Markte trug
und davon lebte
bis ich nichts mehr zu verkaufen hatte
und da haben sie mich gestichelt und verhöhnt im Libanon
und mir gesagt
oh du Flüchtling
der du dein Land verraten hast!
oh du Flüchtling
der du dein Land verraten hast!
da sagte ich mir, Junge
eig'ner Herd ist Goldes wert
du kannst dich nur noch
wieder nach Israel zurückschleichen.

Und so, liebe Leute
traf ich mich in Tyros, im Libanon
mit Doktor Adel
dieser Doktor Adel gehörte zu den Arabischen Rettungstruppen
die uns '48 errettet haben
und die bis heute noch immer dabei sind
uns zu retten
dieser Doktor Adel war jung
langgewachsen und gutaussehend
und konnte sich später sogar einen Goldzahn leisten
seine Praxis war im ‚Tal des Kreuzes'
damals in Palästina
und alle Mädchen aus Haifa kamen zu ihm
in seine Praxis
‚including my sister'
und als ich erfuhr
daß er zu den Rettungstruppen gehörte
da sagte ich ihm
       – ich will mich nach Israel hineinschleichen
worauf er mich fragte
       – kannst du ein Geheimnis bewahren?
       – na klar, Mensch, sagte ich
darauf sagte er
       – dann hüte deine Zunge
       – weil die so vorwitzig ist!
und ich antwortete
       – dann schneide ich sie ab!
und so, liebe Leute
setzten wir uns in das Auto vom Doktor Adel
ich saß neben ihm
und meine Schwester auf dem Rücksitz
ich sah immer wieder
daß der Doktor Adel
am Rückspiegel herumspielte
als ob der schief wäre
aber ich tat so, als würde ich nichts sehen
und als wir bei Tarschiha ankamen
verschwand gerade die Sonne
und die Dorfbewohner verschwanden auch.

Haaalt, Stop! Soldaten, halt – halt...
wir hielten an
keine Ahnung was Doktor Adel mit ihnen redete
 – keine Befehle, keine Befehle
er holte Ihnen eine Karte aus seiner Tasche
da haben sie salutiert
und er beschimpfte sie und lachte
und sie lachten und beschimpften ihn
während ich mir vor Angst fast in die Hosen machte.

In jener Nacht schliefen wir in Mi'lija bei Leuten
Freunde vom Doktor Adel
ganz frisch verheiratet –
woher ich das wußte, daß sie frisch verheiratet waren?
na, die kuckten sich immer so an
      soo...
jedenfalls wachte ich frühmorgens auf – bei Gott, oh Leute –
durch Geflüster aus dem Bett vom Doktor Adel
ich hörte eine Frauenstimme
und bekam einen Riesenschreck
ich hörte sie sagen
mach dir keine Sorgen, mein Mann wacht jetzt noch nicht auf
da war ich beruhigt und schlief wieder ein
meine Schwester hatte ja gar keinen Mann...

Am nächsten Tag aßen wir in Abu Sinan zu mittag
im Haus des Vaters von dem
der jetzt noch nicht aufwacht
und nach dem Mittagessen
mieteten sie mir einen Esel
auf dem ich dann bis Kufr Jassif geritten bin
und auf dem Rücken dieses Esels
im August 1948
wurde ich genau 24 Jahre alt
      Happy Birthday to you
      Happy Birthday to you
      Happy Birthday
      Happy Birthday
      Happy Birthday, oh Said.
      pussssst…..

In Kufr Jassif habe ich die Leute gefragt
und die zeigten mir das Büro des Militärgouverneurs
der in jenen Tagen
in der Yenni Oberschule untergebracht war
da bin ich hoch, auf dem Maulesel
oder dem Esel
drei Stufen bin ich hinaufgeritten
da rasten die Soldaten heran
und rissen ihre Waffen hoch
       – runter von deinem Esel!
       – ich bin Said Abu Nahs, der Pessoptimist
      und ich steige erst ab
      an der Schwelle von Herrn Safsarschek
       – Runter vom Esel
      du Esel!
       – Mein Vater ist der Freund von Herrn Safsarschek
       – Verflucht sei dein Vater
      und der vom Safsarschek
       – Steig ab von deinem Esel
      ich bin Abu Ishak, der Militärgouverneur

Ich stieg also ab
und sah mir den Militärgouverneur Abu Ishak genauer an
und sah, daß er kürzer war als ich, sogar ohne die Eselsbeine
worüber ich mich richtig freute
Schadenfreude ist ja die größte Freude
und dann setzte ich mich auf eine Schulbank
während er am Telefon herumbrabbelte
wovon ich aber nur zwei Wörter verstand:
Safsarschek und Al-Nahs.

Mal was zwischendurch –
ihr wißt doch wohl
was PESSOPTIMIST heißt?
Also Pessoptimist besteht aus zwei Worten
aus Pessimist
und Optimist
und dieser Begriff Pessoptimist wurde uns angehängt
ab dem Tag
als sich die erste in unserer Familie scheiden ließ
jene zypriotische Tänzerin
meine aller erste Großmutter, von der ich euch ja schon erzählt habe.

Also zum Beispiel ich
wenn ich morgens wach werde
dann preise ich Gott, daß er nichts nächtens
während ich schlief
meine Seele eingefordert hat
und wenn mir tagsüber etwas schlimmes passiert
dann preise ich Gott dafür
daß nicht etwas noch viel schlimmeres passiert ist
und auch meine Mutter – Gott habe sie selig –
gehörte zum Stammbaum der Pessoptimisten
und von ihr stammen wir alle ab.

Mein Bruder – Gott erbarme sich seiner –
der arbeitete im Hafen von Haifa
er arbeitete am Kran
und eines Tages
da hat ihn der Kran erfaßt und auf die Wellenbrecher geschmettert
sie haben ihn dann stückweise eingesammelt
in einer Decke
und uns gebracht
dabei war er gerade mal einen Monat frisch verheiratet
na ja, wir haben ihn also begraben
und die Leute kamen zum kondolieren
denn die Araber lieben dich ja ganz besonders
wenn du erst einmal tot bist
und was machte meine Mutter?
die schlug ihre Hände übereinander und rief:
       – gepriesen sei Gott!
      oh Dank Dir, Gott
      daß es so gekommen ist
      und nicht noch schlimmer
      worauf die Witwe meines Bruders sie anschrie:
       – und was bitteschön
      sollte denn noch schlimmer kommen
      als das was passiert ist
      du alter Unglücksrabe?
       – daß du ihm davonläufst
      während er noch am Leben ist
      du Kohlenstück!

und tatsächlich ist sie dann zwei Jahre später abgehauen
mit einem aus Ailaboun
aber es stellte sich bald heraus
daß der impotent war
während meine Mutter immer wiederholte
       – gut daß es so gekommen ist und nicht anders!

Nun, was sind wir also?
Optimisten
oder Pessimisten?
Wir brauchen uns darüber aber nicht zu streiten...

Doch zurück zu Abu Ishak
dem Militärgouverneur
der mit seinen Telefongebrabbel fertig war
mich neben ihn in seinen Jeep setzte
und Vollgas gab.

Bei Gott, liebe Leute, bevor wir Akka erreichten
also in der Nähe von Al-Makr
da trat Abu Ishak plötzlich so in die Bremsen
daß der aufgewirbelte Staub die ganze Gegend vernebelte
sprang aus dem Jeep
und zog seine Pistole...
und während sich der Staub langsam wieder senkte
sah ich zwischen den Sesam-Ähren eine Frau
die da hockte
und in ihren Händen ein kleines Kind hielt
und beide kuckten mit großen, großen Augen
       – woher kommst du?
      sprich, oder ich erschieße dich!
und, liebe Leute
er richtete wahrlich die Pistole auf den Kopf des Kindes
worauf in meinem Kopf keine Vernunft mehr blieb
und ich am liebsten aus dem Wagen gesprungen wäre
und ihm umgebracht hätte
aber ich traute mich nicht
       – woher kommst du?
      – ich bin aus Birwa, oh Herr
       – und du willst nach Birwa zurück...
       – ja, oh Herr... ja, oh Herr
      ich habe niemanden mehr auf der Welt, mein Herr
      wo soll ich denn sonst hin, mein Herr?
       – habe ich euch nicht gesagt, daß es kein Zurück gibt?
      ihr kennt keine Ordnung, kein Gesetz
      los, los, weg hier!

Die Frau stand auf und nahm ihren Sohn an die Hand
und verschwand gen Osten
während die Sonne unterging
die Frau und ihr Sohn liefen und entfernten sich
aber je weiter sie sich entfernten
um so größer wurden sie
je weiter weg
um so größer
und wurden größer und größer und größer
bis sie mit dem Kopf an den Himmel stießen
und in meinen Augen die Welt schlagartig dunkel wurde
und so bekam ich das erste Signal
von den Wesen aus dem All
       – wann werden die endlich für immer verschwinden?
das war Abu Ishak
und ich dache, er fragte mich
aber er redete nur mit sich selber
und dann trat er das Pedal durch bis nach Akka.

Akka, mein Liebling Akka
Akka war meine Mittelschule
und Yu'ad meine erste Liebe
      Laß wandern dein Herz wohin es will vor Sehnsucht
      die wahre Liebe nur dem ersten Geliebten gilt
      Wie viele Heime der Jüngling auch auf Erden findet
      sein Sehnen doch nur dem ersten Heime gilt


Wie ich mich in Yu'ad verliebt habe?
Yu'ad fuhr immer zusammen mit uns im Zug
der um halb Sieben von Haifa nach Beirut losfuhr
sie lernte in der Mädchenschule von Akka
nahe dem alten Stadttor, im oberen Stockwerk
und ich lernte in der Jungenschule von Akka.

Sie stieg jeden Tag in den Zug aus Haifa
stieg ein mit gesenktem Blick
und stieg aus mit gesenktem Blick
nicht so wie die Mädchen heute
mit so einem frechen Blick.

Sie stieg immer ein und setzte sich in den letzten Wagen
ich also sofort dort rein
und setze mich ihr genau gegenüber
ich kucke, sie kuckt
ich lächle, sie lächelt
und es dauerte nicht lange
bis sie mir eines Tages sagte
komm, übersetze mir mal dieses Wort aus dem Englischen...
also ich war ‚something, something' in Englisch
wirklich ganz, ganz gut
aber gerade dieses Wort
kannte ich nicht und wurde rot vor Scham
aber sie kuckte nur auf und meinte
macht doch nichts, setz dich
und ich setzte mich
und von jenem Tag an saß ich neben ihr
hin und zurück
Haifa – Akka und Akka – Haifa
hin und her im Zug
wir verliebten uns heftig
und sie sagte, sie liebt mich
weil ich so lustig bin
und so hoch lachen würde
also in Hocharabisch
weil ich so kichern würde...
nun, jedenfalls war da ein Junge aus meiner Klasse
einen schlimmeren Griesgram hat Gott wohl niemals erschaffen
der war gehässig und ganz schlimm eifersüchtig
und der verpetzte uns beim Direktor der Mädchenschule in Akka
worauf der Direktor der Mädchenschule in Akka
einen Express-Brief schrieb
an den Direktor meiner Schule – Gott habe ihn selig –
also an Herrn Raouf
und Herr Raouf sammelte alle Schüler
die im Zug nach Haifa fuhren
und hielt uns eine Ansprache
      – Haifa, Akka...
      und dazwischen liegt ein Meer!
      was dir, oh Sohn des Unheils
      in Haifa erlaubt sein mag
      das ist dir in Akka verboten
      denn Akka ist eine konservative Stadt
      schon seit Saladins Zeiten!

In diesem Moment erinnerte ich mich
an den berühmten Reisenden
Abu al-Hassan Mohammad ibn Ahmad
ibn Djubair al-Kinani al-Andalusi al-Schatibi al-Balanisi

das war einer
der mal zwei Nächte in Akka verbracht hat
zur Zeit des Saladin
und dann über Akka schrieb
daß es triefen würde vor Gottlosigkeit und Gewalt
und voller Schmutz und Unrat sei
und ich erinnerte mich an meinen Großvater
dessen erste Frau abgehauen war
und von der er uns erzählte
als wir noch klein waren
daß sie das nur gemacht hätte
weil sie aus Akka war.

Und deshalb stellte ich mich von Herrn Raouf
und sagte
      – Herr Raouf
      Yu'ad ist aber nicht aus Akka
      Yu'ad ist aus Haifa
worauf er mich am Ohr packte
aus der Klasse schmiß
und einen Brief an ihre Familie schrieb
worauf die
überhaupt nicht faul
mir einige ihrer Cousins vorbeischickten
die mir am Bahnhof eine ordentliche Abreibung verpaßten
so daß ich ziemlich angeschlagen
im Zug weg fuhr
doch meine Liebe zu Yu'ad verdoppelte sich nur
aber Yu'ad tauchte nicht mehr auf
und ich habe sie nie wieder gesehen
      aber sie blieb im Herzen meines Herzens
      sie blieb im Herzen meines Herzens
      sie blieb im Herzen, im Herzen, im Herzen meines Herzens.
      Traraaaa.....

Doch zurück zu Abu Ishak
dem Militärgouverneur
Abu Ishak nahm mich also mit
an die Westküste
an den Strand
aber nicht an den von San Fransisco
sondern in das Polizeihauptquartier
das an der Westküste von Akka liegt
und übergab mich dort einem Polizeioffizier
und dieser Offizier war ein Aschkenasi
       – kannst du hebräisch?
       – ich… ich kenne niemanden in Akka
      außer Herrn Raouf
      meinen Schuldirektor
irgendwas haben sie dann herumgeflüstert
der Ashkenasi-Offizier und Abu Ishak
und schließlich brachten sie mich zur Al-Djazzar Moschee
und als wir bei der Al-Djazzar Moschee angekommen sind
war es schon Nacht
mit einem großen Vollmond.
Abu Ishak nahm mich mit hoch
die Treppen der Moschee
bis wir vor dem nördlichen Eingang der Moschee standen
wo Abu Ishak drei mal klopfte
worauf ich Bewegungen von Menschen in der Moschee hörte
und dann ein kleines Mädchen
das weinte
und dem jemand den Mund zuhielt
dann hörte ich schlurfende Schritte
die sich dem Tor näherten
das Tor öffnete sich
      knaaarrrrrrz
       – der Friede sei mit euch
       – da ist noch einer, mein Herr
      der seine Anwesenheit
      um sieben Uhr morgens
      im Polizeihauptquartier nachweisen muß
       – der Friede sei mit euch
       – und mit euch
      hinein mit dir, Said
       – Herr Raouf!? der Direktor meiner Schule...?
      ich bin Said, Herr Lehrer
      und mein Vater hatte euch gebeten
      in aller Güte auf mich acht zu geben
       – meine Güte reicht weit, mein Sohn
      komm in meine Obhut
       – und deshalb hast du mich von Yu'ad getrennt
       – Haifa – Akka – Meer...
      sagte ich mir im Stillen
      aber er hat es nicht gehört
       – los, kümmert euch um eure eigenen Sachen, Leute
       – das ist einer von uns
doch die Menschen im Innern der Moschee begannen sich um mich zu sammeln
und kamen aus allen Ecken
       – der Friede sei mit dir
       – und mit euch
       – woher kommst du?
       – wie konntest du hierher gelangen?
       – vielleicht ist er ein Spion?
       – aus welchem Ort bist du, Bruder?
       – hütet euch!
       – hütet euch vor ihm
       – ach nein, Leute, er ist ein Junge
      noch kaum erwachsen
       – wir sind aus Kuwaikat, das zerstört wurde
      und dessen Bewohner vertrieben wurden
      hast du jemanden aus Kuwaikat gesehen, mein Lieber?
       – ich bin aus Manschija
      wo kein Stein auf dem anderen geblieben ist
      hast du vielleicht jemanden aus Manschija gesehen?
       – wir sind aus Ammaa , das verbrannt wurde
      und dessen Öl sie verschüttet haben
      hast du irgend jemanden aus Ammaa gesehen?
       – Ich bin aus Birwa , von dem nur noch die Kirche steht
      hast du niemanden aus Birwa gesehen?
       – doch, ich habe eine Frau mit einem kleinen Jungen gesehen
      die sich zwischen den Ähren des Sesams versteckten
      bei Al-Makr
      und Abu Ishak hat sie vertrieben.

Die Menschen in der Moschee begannen sich zu fragen
wer diese Frau wohl gewesen sein mag
und haben vierzig oder fünfzig Namen aufgezählt
Mutter von diesem, Mutter von jenem
bis plötzlich ein alter Mann
der in einer Ecke saß und sich eine Zigarette drehte
laut sagte
       – das war Umm Al-Birwa , Leute
      die Mutter von Birwa .

      Ich rufe im Namen des Herrn, des Gewaltigen
      des Einen, des Lebenden, des Allmächtigen
            oh mein Segen, oh mein Gut
      sie bombardierten, bombardierten Kuwaikat
            oh mein Segen, oh mein Gut
      und dann war auch Birwa an der Reihe
            oh mein Segen, oh mein Gut
      Deir Al-Kassi ist verschwunden doch nicht vergessen
            oh mein Segen, oh mein Gut
      und Zieb Al-Zieb , das fraß der Wolf
            oh mein Segen, oh mein Gut
      Sahmata und Al-Safsaaf sind verschwunden
            oh mein Segen, oh mein Gut
      und Mi'aar , was warst du ein schöner Ort
            oh mein Segen, oh mein Gut
      und so weiter – und so fort...
            oh mein Segen, oh mein Gut
      was soll ich da bloß alles aufzählen...
            oh mein Segen, oh mein Gut
      das waren nur einige, ganz wenige unserer Dörfer
      die '48 alle zerstört wurden.

       – Herr Lehrer!
      was machen Sie denn hier, mein Herr?
       – ich sammle die Zerstreuten, mein Sohn
      und die Wahrheit ist, mein Sohn
      daß sie wirklich unsere Dörfer zerstört
      und die Bewohner vertrieben haben
      aber in ihren Herzen ist Mitleid
      wie es unsere Vorfahren von deren Besatzern nicht erleben durften
       – bei Gott, Ihre Worte sind wie Honig
      aber wie meinen Sie das, Herr Lehrer?
      erklären Sie es mir
       – nimm ein Beispiel, mein Sohn
      wie ich es euch auch im Geschichtsunterricht beigebracht habe
      als der verdammte mamelukische Führer Kalawun die Stadt Akka besetzte
      da hat er zweitausendsechshundert Köpfe rollen lassen
      und deshalb wurde dieser Führer
      auch als der ‚Tausender' bezeichnet
       – aha, also daher kommen die ‚Aluf'
      die Tausender-Grade
      in der israelischen Armee, Herr Lehrer?
       – um Gottes Willen, aber nein, mein Sohn
      der Tausender-Grad kommt von dem Führer der Eintausend in der Thora
      denn dies hier sind keine Mameluken
      sondern Rückkehrer in ihre Heimat
      nach einer Abwesenheit von zweitausend Jahren
       – was für ein erstaunliches Erinnerungsvermögen sie haben müssen
      Herr Lehrer
       – sie sind gekommen, mein Sohn
      sie sind gekommen.

      Plötzlich hörten wir Schläge an dem Tor der Moschee
      und eine Stimme von außen, die rief:
       – alle rauskommen
      und in die Dörfer zurückgehen
      alle rauskommen
      und in die Dörfer zurückgehen
      nur Said und der Lehrer nicht.

Im Innern der Mosche begannen die Leute hin und her zu hasten
und die Schukria
die Frau die ihre Tochter erstickt hatte
als sie ihr den Mund zuhielt
hob ihr Mädchen auf und wollte aus dem östlichen Tor verschwinden
in Richtung des dunklen Bazars
       – wohin gehst du?
       – morgen begrabe ich sie neben meiner Mutter
      und dann verlasse ich mich auf Gott, mein Bruder
einige der Leute flüchteten aus dem südlichen Tor
       – he, wohin verschwindet Ihr denn
      sie wollen uns doch in unsere Dörfer zurückbringen
       – laß uns los, Bruder
      jene die unsere Dörfer zerstört haben
      wollen uns nicht wieder dorthin zurückbringen
      -und wir haben auch keinen Jakob Safsarschek
      der sich um uns kümmert, wie bei dir
      los Leute
      bevor sie uns alle abschlachten...
und diejenigen, die in der Mosche blieben
traten aus dem Haupttor heraus
und trugen ihre Kinder und ihre Habseligkeiten
unten warteten Soldaten der israelischen Verteidigungsarmee
die packten alle auf Lastwagen
und haben sie irgendwo im Norden abgeladen
und bis heute
sind sie noch dort im Norden.
Flüchtlingslager
im Libanon und in Syrien.

Herr Raouf und ich blieben alleine in der Moschee zurück
du hättest eine fallende Nadel hören können
       – los, geh schlafen, mein Sohn
       – ich bin aber nicht müde
ich fühlte mich eigentlich ganz froh so alleine
während die Menschen umherirrten
und wer noch nicht umherirrte
dem halfen die Soldaten dabei, umherzuirren
nur ich blieb alleine
und standhaft in meiner Heimat
und das alles wegen Jakob Safsarschek
dem Freund meines Vaters?
ist der etwa ein Zauberring?
oder Aladains Wunderlampe?

Doch es gibt ein Geheimnis um meine Standhaftigkeit in meiner Heimat
und ich bin bereit
euch dieses Geheimnis zu verraten
wenn mir jemand netterweise eine Zigarette gibt...

Was ist also das Geheimnis meiner Standhaftigkeit in der Heimat?

In unserer Familie ist es üblich
nur geduckt herumzulaufen
und den Kopf zwischen die Beine zu stecken
fragt mich mal, warum?
tja, keine Ahnung
sie suchen vielleicht einen Schatz da unten
zwischen ihren Beine
der ihr ganzes Leben verändert...
jedenfalls hatte ich einen Onkel Said
 – Gott hab ihn selig –
der lebte zu Zeiten der Türken
der ging einmal aus und hielt seinen Kopf... wo?
na, zwischen die Beine gesteckt!
er lief und lief und lief und lief
und bumms!
knallte er mit dem Kopf gegen eine alte Mauer
und machte ein Loch rein
er schaute es sich an
bohrte noch etwas herum
und blickte dann durch die Öffnung
durch die er eine Treppe sah
die in eine Höhle führte
jedenfalls ging er schließlich diese Treppe hinunter
und es war sehr dunkel.

So machte er sein Feuerzeug an
und lief und lief und lief
bis er ans Ende der Höhle kam
wo er einige Gräber fand
er öffnete eins
und fand neben den Knochen schwere Halsreifen aus Gold
die er in seine Unterhose steckte
wo sich – oh Freigiebigkeit Gottes –
noch viel Patz befand
also öffnete er ein weiteres Grab
und fand einen kleinen Schädel
und eine Statue aus gegossenem Gold
von Chan Möngke
dem Bruder des großen Hülägü
der an Durchfall starb
während er das große chinesische Reich angriff
doch vor Freude verlor mein Onkel sein Feuerzeug
und es wurde stockfinster
und er fand den Weg hinaus nicht mehr
da rief und schrie er nach seiner Frau
dachte wohl, sein Haus wäre direkt über ihm
jedenfalls schrie er so laut
daß ihn seine Frau tatsächlich hörte
und er ihr sagen konnte
wo er war
er beschrieb ihr
wie sie durch die Öffnung, die zur Höhle führt
zu ihm heruntersteigen könne
und beschwor sie beim Grabe ihres geliebten Vaters
niemandem ein Sterbenswörtchen davon zu sagen
nicht einmal seinem Bruder
dem Sohn seiner eigenen Eltern
und sagte ihr, sie solle ein Feuerzeug mitbringen
und so begann seine Frau zu suchen
fand aber weder Wand noch Loch
ging daraufhin wieder nach Hause
steckte ihren Kopf unter das Bett
und begann nach ihm zu rufen
       – heeee! Said!
       – ja, wo bleibst du denn?
       – was für eine Wand?
      und was für ein Loch?
       – Gott möge das Grab Deines Vater verfluchen
      du schaffst es ja, das Meer auszutrocknen
      oh, Gott möge Unheil über den bringen
      der mir durch dich Unheil gebracht hat
      doch Morgenstund hat Gold im Mund
      ich werde meinen Weg schon noch finden
      und wehe dir...
      daß du bloß niemanden etwas davon erzählst!
       – gut, gut...
      und möge dein Glaube verflucht sein!
Der Morgen kam, dann der Mittag
und schließlich wurde es dunkel
aber mein Onkel Said hatte noch immer nicht herausgefunden
da bekam seine Frau Angst
und erzählte es seinen Geschwistern
die daraufhin loszogen
um ihn zwischen ihren Beinen zu suchen
sie hatten Angst davor
es den offiziellen Stellen zu erzählen
damit diese den Schatz des Chan Möngke nicht beschlagnahmen
und so haben sie lange zwischen ihren Beinen herumgesucht
seit der Zeit der Türken
und während der Tage der Engländer
bis dann Israel gegründet wurde
und bis heute suchen sie ihn immer noch zwischen ihren Beinen

Genau deshalb suche ich nach gar nichts zwischen meinen Beinen
ich weiß nämlich sehr genau
was da zwischen meinen Beinen ist
und so laufe ich herum
die Beine auf dem Boden – aber den Kopf im Himmel
und warte auf die Wesen aus dem All
vielleicht kommen diese ja und holen mich
und verändern mein ganzes Leben
das nicht einmal eine Zwiebelschale wert ist
denn was ist das Leben eines Menschensohnes von uns wert
ohne ein Gramm Würde?

Jedenfalls, liebe Leute
bin ich dann früh morgens
aus der Djazzar Moschee raus
und habe mich in den Gassen von Akka herumgetrieben
ich lief umher, bis die Sonne unterging
da sah ich von weitem
etwas leuchten und blinken
an und aus
an und aus
und erinnerte mich sofort an das linke Auge meines einstigen Arabisch-Lehrers
das auch immer an und aus ging
als ich nämlich anfing, bei ihm Unterricht zu haben
da dachte ich immer, daß er mich anblinzelt
damit ich an die Tafel soll
worauf er sagte
zurück an deinen Platz, du Klotz
ich stehe auf zur Tafel
und er sagt
zurück an deinen Platz, du Klotz...
ich ging jedenfalls auf das Licht zu, das mich anblinzelte
und war bald in Al-Fakhoura
und das Licht, das ich gesehen hatte, war der dortige Leuchtturm
       – Said, oh Said!
      komm näher, komm her...

Aus dem Leuchtturm kam ein alter, hochgewachsener Mann
größer als der Leuchtturm selbst
in einem weißen und blauen langen Überwurf
wie die Farbe des Mondlichts auf den Wellen
er kam näher und ich ging näher
er kam näher und ich ging näher
und dann trafen wir uns auf der Mitte der zerstörten Mauer von Al-Fakhoura
vor Angst wollte ich mich küssend auf seine Hände stürzen
aber er streckte mir nur seine Hand hin
an der ich mich festklammerte
und zum aller ersten mal in meinem Leben
fühlte ich mich in Sicherheit
       – hast du mich nicht gesucht, Said?
       – ein ganzes Leben lang, oh Meister
      seid Ihr nun also gekommen?
       – wir haben euch niemals verlassen, Said
      wir warten nur darauf, daß ihr zu uns kommt
      hm – also, was willst du, Said?
       – errettet mich, oh Meister!
       – vor wem denn?

Ich zog meine Hand aus der seinen
und erinnerte mich an die Worte meines Vaters
ich solle niemals jemandem vertrauen
vielleicht hatte ihn der Militärgouverneur ja geschickt
um mich auszuspionieren
       – wie heißt Du, Meister?
       – wir benennen uns niemals mit Namen
      aber wenn du magst
      dann kannst du mich den Erlöser nennen
       – gut, dann erlöse mich, Meister!
       – erlöse dich doch selber!
      also wenn dir dein Leben nicht gefällt
      das ‚nicht einmal eine Zwiebelschale wert ist'
      du aber nicht mutig genug bist
      um den Preis für deine Erlösung zu zahlen
      weil er so hoch ist
      dann erinnerst du dich an mich und kommst her?
      oh Schande
      ich schau mir die anderen an und werde sehr böse mit dir, oh Said!
      was fehlt dir denn?
      du stehst doch erst am Anfang deines Lebens
      und wirst dem Tod doch nicht entrinnen
      als daß du dich um dein Leben zu fürchten brauchst
       – ja-ja, gut
      dann gehe ich morgen nach Haifa
      und in die Heimat zurück, oh Meister
      was empfiehlst du mir zu tun?
       – mein Rat wird dir nichts nutzen
      aber ich will dir diese Geschichte erzählen:
      in einem der vielen Wälder Persiens
      lag zwischen den Bäumen eine Axt herum
      aber ohne Stiel, ohne Griff
      die Bäume hatten Angst
      und meinten
      da liegt eine Axt herum
      bestimmt nicht absichtslos!
      worauf das kleinste Bäumchen sich aufrichtete
      und sagte
      aber es gibt für uns nichts zu befürchten
      solange nicht euer Holz
      ihr Großen
      in ihr Loch eindringt...
       – hm, also das verstehe ich nicht ganz, Meister
      wann kann ich dich wieder sehen, oh Meister?
       – wann immer du willst, kannst du mich hier treffen
       – um wieviel Uhr?
       – wenn du zusammenbrichst, oh Said
      wenn du zusammenbrichst
       – oh Meister, oh Meister
      oh, oh Meister
He, es ist ja schon hell
und um sieben Uhr früh
muß ich meine Existenz nachweisen auf dem Polizeihauptquartier...
ich hockte mich also ab halb sieben davor
und genau zwei Minuten vor sieben
ging ich hinein und fragte nach dem Herrn Militärgouverneur
worauf sie mich bei einer Tasse Tee
bis um vier Uhr nachmittags warten ließen
um vier kam dann ein blonder Soldat
in einen Militärtransporter der Armee
der völlig staubig und lehmverschmiert war
und setzte mich neben sich und nahm mich mit
nach Haifa
zu Jakob Safsarschek
dem Freund meines Vaters

      Er nahm mich mit zu Jakob
      der auf uns wartete
      in seiner Militäruniform
             – fang, fang, fang den Hut
      er küßte mich von hier und von hier
      drückte mir zehn Pfund in die Hand
      setzte mir symbolisch ein Käppchen auf
      und machte mich zu einem der ihren
             – fang, fang, fang den Hut
      nimm und freue dich, mein Auge
      nimm und freue dich, mein Auge
      dein Vater hat uns sehr gedient
             – fang, fang, fang den Hut
und so begann ich Eselsfleisch zu essen
also Mortadella-Würstchen
aus den in den Dörfern hinterbliebenen
und daraufhin geschlachteten Eseln
      ich habe Eselsfleisch gegessen
      ich habe Eselsfleisch gegessen
      im Restaurant vom Baron György
            – fang, fang, fang den Hut
      bis sie mir ein neues Haus fanden
      bis sie mir ein neues Haus fanden
      eines von den verlassenen arabischen...
             – fang, fang, fang den Hut

Jakob hat mich dann als Arbeiterführer eingesetzt
als Funktionär der Union palästinensischer Arbeiter
die heute die Arbeiterpartei heißt
also die Histadrut
und er fand eines der arabischen Häuser für mich
die verlassen waren im Nisnas-Tal
eines dieser arabischen Häuser
die sie zubetoniert hatten
und als Besitztümer des abwesenden Feindes bezeichneten
Rechush Natush
ich wollte mein Haus ausstatten
und bin also in die verlassenen Häuser hinein
durch die verbliebenen Löcher
von hier ein Tisch
von da ein Stuhl
von dort ein Kissen
also, es gab da Häuser in die ich hinein bin
liebe Leute
da fand ich bereits gefüllte Kaffeetassen
doch die Leute hatten keine Zeit mehr gehabt
sie auszutrinken
da trank ich den Kaffee
und steckte mir die Tassen in die Taschen.

Von Haus zu Haus
habe ich mir ein Haus geschaffen
      worauf die Kommunisten sauer wurden
      und darüber in ihrer Zeitung schrieben
       – fang, fang, fang den Hut
also in der ‚Union'
worauf ich mich wichtig und bedeutend fühlte
immerhin, die Kommunisten schrieben schließlich über mich!
       – fang, fang, fang den Hut

Jakob hatte mich ja als Arbeiterführer eingesetzt
wie ich Euch schon erzählt habe
und nun schrieben sie in der Zeitung über mich
ich fühlte, daß ich kein irgend jemand mehr war
sie schrieben ja schließlich in der Zeitung über mich
und da ergoß sich plötzlicher Mut in meine Adern
wie ein Erguß von Bananen und Äpfel und Trauben
und ich erinnerte mich an unser Haus
am Rand von Haifa
gleich gegenüber der katholischen Kirche.

      Ich schulterte also meine Angel
      nahm den Bus und kein Taxi
             – fang, fang, fang den Hut

stieg dann aus dem Bus
überquerte schnell die Schienen
 – besser als daß mich ein Zug überfährt
ich verletzt werde und sterbe –
und ging
um nach unserem Haus zu schauen.

Doch zuerst besuchte ich meine Tante Umm As'ad
eine alte Frau
und ziemlich kurzsichtig
die immer die katholische Kirche fegte
schon seitdem wir klein waren
und tatsächlich fand ich sie
noch immer dabei
die Kirche zu fegen
und sagte, Gott sei's gelobt
ich stürzte mich auf ihre Hand um sie zu küssen
doch sie dachte
ich sei jemand vom statistischen Amt
einer von jenen Beamten, die zählen
was uns noch geblieben ist
und die gezählt so falsch aussprachen
so daß es wie gezähmt klang
deshalb zog sie ihre Hand weg und sagte mir
       – ich bin schon gezähmt, mein Herr
      was wollt Ihr von mir?
      wollt Ihr mich etwa jeden Tag von neuem zähmen?
      ich bin schon gezähmt, gezähmt
      unser Vater Priester hat mich gezähmt
      verstehst ihr nicht, gezähmt, gezähmt!
      unser Vater Priester hat mich gezähmt
      hat das ganze Viertel gezähmt
      und das ganze Dorf
       – ich bin Said, meine Tante
      hast du mich denn schon vergessen?
       – welcher Said?
       – der Sohn des Unheils
       – Sohn des Unheils?
      oh, wo bist du, mein Liebling, wo?
ich umarmte sie, damit sie mich fand
       – wie geht es deiner Mutter, Kleiner?
      und was macht die Milch
      panscht ihr sie immer noch mit Wasser?
       – unser Haus, Tante
      was ist mit unserem Haus passiert?
       – ist bewohnt, Kleiner
       – von wem?
       – von Juden
       – und kennst du sie?
       – Gott zerstöre ihre Heime
      die sind doch einer wie der andere
       – meinst du, sie machen mir auf
      wenn ich klopfe
      damit mir abschauen kann
      was aus unserem Haus geworden ist, Tante?
       – das weiß ich genausowenig wie du, mein Liebling
      komm, ich mache dir eine Tasse Kaffee
       – nein, nicht nötig
      vielleicht das nächste mal.

Ich küßte die Hand meiner Tante Umm As'ad
und ging, um mir unser Haus anzuschauen
ich sah davor eine Wäscheleine hängen
und so traute mich nicht hinein
sondern tat so
als würde ich am Meeresufer spazieren gehen
und die frische Luft genießen
hin und her – hin und her
bis eine Frau aus dem Haus trat und mich sah
und irgend etwas mit irgend wem redete
worauf ein Mann, wohl ihr Gatte
aus dem Haus trat
und zusammen mit seiner Frau die Wäsche abnahm
also wirklich!
gab es – bei Gott – je einen Mann
der die Wäsche seiner Frau abnahm?
das war bestimmt ein Plan
wer weiß, was die da gegen mich vorbereiteten
ich floh
ging schneller
um noch den Bus zu erwischen
auf der Straße sah ich jüdische Arbeiter –
woher ich wußte, daß es Juden waren?
na, die alle waren khakifarben gekleidet
und ich wollte wissen
wie spät es ist
aber wie sagt man bloß auf Hebräisch
wieviel Uhr ist es?
ach ja, ma scha'a
       – ma scha'a?
       – acht
       – acht?
oh, acht ist ja auf deutsch...!
jedenfalls ging ich in Richtung Nisnas-Tal
und nahm mir fest vor
Hebräisch zu lernen
da half alles nichts
und tatsächlich, nach zehn Jahren
hielt ich meine erste Rede in Hebräisch
vor dem Bürgermeister von Haifa
sie haben die Rede sogar aufgenommen
und im Lokalblatt veröffentlicht
worauf mich die Kommunisten wieder einmal beschimpften.

[Ende des ersten Teils – Pause]

[Der zweite Teil]

Während eines Frühlings
in den fünfziger Jahren
ging ich angeln bei Djisr Al-Sarka
am Meeresstrand
und dieses Djisr Al-Sarka
ist bei Gott ein seltsamer Ort
denn dieses Djisr Al-Sarka
und auch der Ort Al-Fredies
haben standgehalten
obwohl sie zu den kleinsten Ortschaften gehörten
zwischen Haifa und Jaffa
während Al-Teirah, Kafar Lam und Jabbaa
Igzem und Sarfand und Umm Khaled
das nördliche Jalila und das südliche Jalila
Khirbat Al-Sababdeh und Khirbat Al-Burj
Al-Tantoura, Kissaria, Ain Al-Hod und Ain Al-Ghazal
und Zammarien
während alle diese anderen Orte
vom Antlitz der Erde verschwunden sind –
nur nicht Al-Fredies und Djisr Al-Sarka .

Al-Fredies blieb bestehen aus einem Grund
der ‚in der Seele Jacobs verborgen' blieb
wie es im Koran so schön heißt
doch nicht etwa der des Jakob Safsarscheks
dem Freund meines Vaters
sondernd der von Jacob de Rothschild
diesem geizigen englischen Millionär
der Sichron Jaakov gebaut hat
und die Bewohner von Sichron Jaakov
sind alle Aschkenasim
die aus Europa gekommen sind
die haben Wein angebaut
und an die arabischen Könige und Emire verkauft
in der weiten arabischen Wüste
und so blieb Al-Fredies bestehen
wegen seinen Söhnen
die in den Weinbergen gearbeitet haben
von Sichron Jaakov
wobei wir nicht böse sein dürfen
auf die Araber von Al-Fredies
die in den Weinbergen gearbeitet haben
denn wer hat die Straßen gebaut?
und wer hat die Häuser gebaut?
wer hat die Bunker gebaut
und all die anderen Verteidigungsanlagen?
wer hat die Baumwolle angepflanzt, geerntet und gesponnen
und die Stoffe gewebt
mit denen sich die arabischen ‚Herrschaften'
der Dynastien Raghdan und Basman einkleiden konnten?
wer hat denn in der berühmten israelischen Textilfabrik ATA gearbeitet
außer den Arabern?
es war sogar die Rede davon
daß die Arabische Nationalunion
aus dem Stoff von ATA
eine einheitliche Kleidung schneidern wird
für alle Teilnehmer der Arabischen Gipfeltreffen
damit sich alle gleichen
wie die Zähne eines Kamms
denn kein Araber ist besser als ein Fremder
außer...?!
na, außer durch seine Monarchien
und durch seine Kopfbedeckungen Kufija und Akal
jene Symbole von Ritterlichkeit und Arabertum
und wenn dann das arabische Blut in Wallung gerät
was passiert dann wohl?
gar nichts
dann schimpfen sie nur
auf all die ausländischen Importe
nur nicht auf die Monarchien und die Kufija
und nicht auf Kneipen, Flugzeuge und Autos
Dollars und Fotos und Untertänigkeit
Handküsse und Thronfolger
Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter
Unmoral und Korruption
im Zeitalter des Entblößens und des blinden Gehorsams
so daß sie sogar sagen
entblöße dich für den Krieg und opfere dich
und entblöße dich für den Frieden und opfere dich
und rufe: hoch lebe der König!

Wer hat denn die Erde gepflügt und bepflanzt
in Israel
außer den Arabern
die in Israel geblieben sind
und die nie erwähnt worden sind
in jenen Reden
in denen herumgetönt wurde
wir schmeißen sie alle ins Meer!

Einmal, so hat Jakob mir erzählt
gab es Streit unter den Aschkenasim von Sichron Jaakov
ob man denn seine Frau am Sabbat vögeln darf
oder ob dies Avoda ist, also Arbeit?
ist es ein lustvoller Spaß – oder Arbeit?
sie gingen also zum Rabbi und fragten ihn
       – Spaß oder Arbeit?
der Rabbi dachte lange, lange nach
       – nein, das ist Spaß und erlaubt
da sagten sie
       – und wie sollen wir das verstehen?
und er antwortete
       – wenn das nämlich Avoda ist
      also Arbeit
      dann müßtet ihr die Araber aus Al-Fredies holen
      um diese Arbeit zu tun!

Jakob und ich brüllten vor Lachen
Jakob lachte, weil er die Aschkenasim nicht mochte
und ich lachte um zu lachen
und so blieb also Al-Fredies bestehen
und wurde nicht zerstört...
aber Djisr Al-Sarka
ist eine ganz andere Geschichte
denn als die Armee'48 dort einrückte
um den Ort zu besetzen
diese unbezwingbare israelische Armee...
 – also hat das eigentlich schon mal jemand ernsthaft probiert
und sie tatsächlich nicht bezwungen?! –
jedenfalls
als die Armee in den Ort einrückte
da war er völlig leer
und die Armee dachte
die Leute wären geflüchtet
aber die waren gar nicht geflüchtet
wißt Ihr wo die waren?
die waren am Krokodilfluß um Fische zu fangen.

Ich habe sie gesehen, wie sie in den Fluß hinabgestiegen sind
kurz vor Sonnenuntergang
und sich in Reihen aufstellten
die Männer vorne und die Frauen hinten
ihre Hände in das Wasser des Flusses streckten
und zappelnde Fischer herauszogen
alle machten das gleiche
außer einem Mädchen
einem blondem, mit blauen Augen
diese stand alleine auf einem Felsen
und fing keine Fische wie die anderen Dorfbewohner
aber jedes mal
wenn einer einen Fisch fing
bebten ihre Lippen und ihre Augen füllten sich mit Tränen
und in diesen Augen sah ich
Verwirrung und Fremdheit
und überschäumendes Leben und Rasse
was mein Interesse für sie weckte
doch als sie merkte, daß ich mich für sie interessiere
tat sie so, als würde sie es nicht bemerken
doch da war ein Junge aus Djisr Al-Sarka
der sich immer neben mich setzte
und hinuntertauchte
wenn sich mein Angelhaken im Schlamm verfing
um ihn wieder loszumachen
den fragte ich
       – he, warum fängt das Mädchen da keine Fische
      wie die anderen aus dem Dorf?
und er antwortete mir
       – kümmere dich nicht um sie, Mann
      die ist ein Flüchtling hier
      die ist aus Al-Tantoura
      das zerstört wurde
      und ihre Onkel wohnen hier bei uns
      aber die ist verrückt
      kümmere dich nicht um sie
      mal lacht sie, mal weint sie
      außerdem liest sie ständig Bücher
      kümmere dich nicht um sie
ich fragte ihn
wer diese Onkel sind
die in Djisr Al-Sarka wohnen
er solle das mal für mich herausfinden
und in der darauf folgenden Woche
am Samstag
als ich zum Fischfang ging
kam dieser Junge zusammen mit vielen, vielen anderen Kindern
und alle fingen an Steine nach mir zu werfen
also ging ich zurück nach Hause ins Nisnas -Tal
sperrte mich in mein Zimmer ein
und sagte mir
Junge, wer kein Glück hat
der sollte besser weder kommen noch gehen!
du hast die aus Tantoura verloren
genau wie du Yu'ad verloren hast.

Und – bei Gott –
während ich so völlig betrübt und vergraben da saß
stürzte plötzlich Jakob herein, ohne an die Tür zu klopfen
       – was hast du in Djisr Al-Sarka gemacht?
       – Fische fangen, ist das verboten?
       – und was willst du von den Mädchen aus dem Ort?
       – he, ich wußte doch nicht
      daß das ein kommunistisches Mädchen ist!
Jakob brach in schallendes Gelächter aus
über mich
und ich lachte auch über mich
       – es besteht keine Gefahr
      daß sich jemand als Kommunist entpuppt
      in so einem isolierten Ort hinter Sand, Dunkelheit und Spinnweben
       – was meinst du mit Spinnweben?
       – die sind alle eine einzige Sippschaft
      sie sind verbandelt und verwoben miteinander wie die Spinnweben
       – und das Mädchen aus Tantoura ?
       – sie heißt eigentlich Bakija
      und es besteht keine Gefahr
      denn ihre Onkel gehören zu uns.

Er beruhigte mich jedenfalls
daß sie sich nicht als Kommunistin entpuppen würde
und versprach mir
mich mit ihr zu verheiraten
genau wie er mir zuvor versprochen hatte
nach Yu'ad zu schauen
jedenfalls habe ich Nachts nicht mehr geschlafen
sondern bin los, um die arabischen Arbeiter aufzusuchen
die in Haifa die Häuser bauten
und die auch in den Häusern in Haifa schliefen
ich weckte sie mitten in der Nacht
und verabreichte ihnen eine Gehirnwäsche
gegen die Kommunisten
und wenn ich dann morgens eingeschlafen bin
sind sie los zu ihrem Tagewerk.

So ging die Geschichte
bis zu den ersten Knesset-Wahlen '51
als Jakob plötzlich bei mir im Büro erschien
       – ich beneide dich, Sohn des Unheils
      ich beneide dich!
       – um was beneidest du mich?
       – die Kommunisten haben 16 Stimmen in Djisr Al-Sarka bekommen
      und unser großer Boß hat beschlossen
      dich hinzuschicken
      um den Baum der kommunistischen Partei
      mitsamt seinen Wurzeln auszureißen
       – und wie?
       – wir werden dich mit Bakija verheiraten!

Und noch bevor ein Monat herum war
verheirateten sie mich tatsächlich mit Bakija
und in der Hochzeitsnacht...
      mach dich bereit, du Schöne, du Schmuckstück
      du Blume eines herrlichen Gartens
      tam-tiriram – tam-tiriran...
      steh auf und schau hinaus in den Salon
      wie es wohl deinem Bräutigam geht
      oh, du Licht, du Licht, du Licht meiner Augen...

       – Oh Liebling meines Herzens
      oh mein Leben...
       – warte mal, Said, ich liebe dich
      genau wie du mich liebst
      denn du bist meine einzige Hoffnung
      die mir auf der Welt verblieben ist
      aber ich muß dir mein Geheimnis verraten
      mein Geliebter:
      bei unserem Ort Tantoura
      inmitten einer Felshöhle im Meer
      ruht eine verschlossene Eisentruhe voller Gold
      das Gold meiner Mutter, meiner Großmutter und meiner Schwestern
      das mein Vater für uns versteckt hat
      und der mir auch sagte wo
      bevor er starb
      wir müssen es holen, mein Geliebter
      denn ich möchte nicht
      daß meine Kinder mit gebeugten Rücken aufwachsen, mein Geliebter
      ich habe mich daran gewöhnt
      in Freiheit zu atmen, mein Geliebter
       – he, was erzählst du da
      von wegen in Freiheit atmen, mein Geliebter...
      machst du dir keine Sorgen um den großen Boß mit der Sonnenbrille?
      oder um die Regierung?

Und so hörte ich plötzlich
daß es in diesem Land auch Leute gibt
die keine Angst vor der Regierung haben
oder vor den Leuten der Regierung
doch bestimmt hat jeder von diesen Leuten
irgendein Tantoura irgendwo
und eine verschlossene Goldkiste
schließlich habe auch ich jetzt ein Tantoura
und eine verschlossene Goldkiste
jedenfalls – um es kurz zu machen –
schlief sie auf meinem Arm ein
worauf auch dieser einschlief
während ich nur an Tantoura dachte
und an die Kiste...
Doch ohne nun eine lange Geschichte daraus zu machen
 – obwohl die Geschichte wirklich recht lang war –
wurde uns das Haus im Nisnas -Tal irgendwann zu klein
und ich fand ein etwas besser geeignetes Haus
am Hang
in Schderot Hazionutin Haifa
ich zahlte die Ablösesumme
hatte nun aber nicht mehr genug Geld
um einen Wagen zu mieten
und so zog ich meine Sachen
die ich aus den anderen verlassenen arabischen Häusern gezogen hatte
Stück für Stück zu Fuß hinüber
und – bei Gott – als ich da lief
hielt plötzlich neben mir ein Wagen an
und ein Mann stieg aus
der wahrlich Unglücksbote hieß
der zog einen Stift und ein Papier hervor und sagte
       – wir...
er sagte ‚wir', dabei war er doch alleine...
      wir sind die Wärter des Eigentums der abwesenden Feinde
      Rechush Natush
ich verstand aber nicht
was Rechush Natush heißen soll
       – ich bin der Freund von Jakob
       – nein, nein, nein, ich will eine Bestätigung
      einen Beweis
      daß diese Sachen deine sind
      und nicht geklaut
       – mein Bruder
      wer und wann trägt denn jemand
      eine Bestätigung mit sich herum
      daß die Kleider, die er an sich hat
      seine Kleider sind und nicht geklaut?
       – nein, nein, nein, das ist Staatseigentum
      das ist Rechush Natush
       – aber lieber Onkel
      wir sind doch alle Rechush Natush!

jedenfalls ließ er nicht ab von mir
bis Jakob erschien
und mich aus der Hand der Regierung befreite
aber sicher fühlte ich mich doch nicht
und fürchtete
daß mich dieser Rechush Natush nicht in Ruhe lassen würde
und jedes mal
wenn es Nachts klopfte
sprang ich erschrocken auf und sagte
das ist jetzt der Rechush Natush!
und nachdem mir meine Frau Bakija
die Geschichte von Al-Tantoura
und der Kiste erzählt hatte
selbst wenn nur jemand von den Nachbarn anklopfte
um uns zur Verlobung seiner Schwester einzuladen
schreckten Bakija und ich auf
       – sie haben das Geheimnis entdeckt!
       – nein, haben sie nicht!
       – sie haben es!
       – nein, haben sie nicht!
haben es, haben es nicht
haben es, haben es nicht
haben es, haben es nicht
sie wurde jedenfalls schwanger und gebar einen Sohn
und wollte den Jungen Fathi nenne, nach ihrem Vater
 – Gott habe ihm selig, dem Fathi  –
doch da kam der große Boß
der mit der Sonnenbrille
also der Schin Bet
der Mossad
und meinte
       – Fat'khi... Fat'h?! Nein!
worauf wir sofort zum Innenministerium sind
und den Jungen von Fathi, dem Eroberer
zu Walaa, dem Loyalen
gemacht haben
und weil ich ja wußte
daß die Geburtenbeschränkung bei den Arabern in Israel
aus einem Gefühl der Loyalität
gegenüber dem Staat entspringt
haben wird außer Walaa auch kein weiteres Kind gezeugt
denn wie das arabische Sprichwort schon sagt
bedächtig bleibt unversehrt – und eilen heißt bereuen
und so geduldete ich mich
bis mein Sohn Walaa 14 Jahre alt wurde
und schön wie ein Weidensproß.

Ich nahm ihn mit an das Ufer bei Al-Tantoura
ließ ihn auf einem Felsen stehen
und gab ihm eine Angel
während ich mir die Kleider auszog
und in der Nähe der Ruinen von Al-Tantoura schwimmen ging
und nach der Höhle tauchte
von der mir meine Frau Bakija erzählt hatte
doch ich sah nur die bunten Fische
und hörte meinen Sohn Walaa nach mir rufen
       – nach was suchst du denn, Papa?
       – nach dem Goldenen Fisch, mein Sohn
       – meinst du, du findest ihn?
       – vielleicht, mein Sohn
      wenn du mir nicht soviel Fragen stellst
      und ich noch etwas tiefer tauchen kann
       – hat denn hier schon jemand vor dir
      den Fisch gefunden, Papa?
       – ja, mein Sohn
      ich hörte die Leute davon reden
       – und was machen wir mit ihm
      wenn wir ihn finden, Papa?
       – dasselbe, was die anderen gemacht haben
      mein Sohn
       – und was haben die anderen gemacht, Papa?
       – das haben sie mir nicht gesagt
      mein Sohn
       – komm, laß uns gehen, Papa.

Ich konnte nie verstehen
warum es Walaa immer so eilig hatte
den Strand wieder zu verlassen
bis er mir einmal sagte
       – warum hast du denn Angst davor, Papa
      daß dich jemand sieht, wie du den Goldenen Fisch suchst?
       – hmm, besser daß mir keiner zuvorkommt
      und ihn vor mir findet
       – gut, aber wenn du den Goldenen Fisch findest
      und die Regierung davon erfährt
      nimmt sie ihn dir dann nicht weg
      so wie sie Großmutter und Großvater
      Tantoura weggenommen haben?
       – wer hat dir denn das erzählt, mein Sohn?
       – meine Mutter, Papa
       – verflucht sei der Vater deiner Mutter, mein Sohn!

Und in jener Nacht gab es einen Streit zwischen mir und meiner Frau
aber nur ganz leise und flüsternd
besser, Walaa hört uns nicht
und ich machte ihr klar
daß sie ihm klar zu machen hat
daß er niemandem vertrauen darf
sich mit niemandem befreunden darf
mit niemandem reden darf
mit niemandem gehen darf
und daß er niemanden glauben darf
ich machte ihr gerade klar
daß sie ihm klar zu machen hat
daß er mit niemanden über diese Sache reden darf
als plötzlich Walaa auf Zehenspitzen herein kommt
       – seid still
      die Milchfrau ist da
      paßt also auf
      man sagt, sie arbeitet für den CIA!

Tatsächlich
die Sprichwörter lügen nicht
wenn dein Sohn heranwächst, dann verbrüdere dich mit ihm
denn was uns mit unserem Sohn Walaa passierte
war das gleiche
wie was dem Bauern passierte
der ein sehr hübsches Mädchen heiratete.

Also da war einmal ein Bauer
der heiratete ein hübsches Mädchen
aber er war dermaßen eifersüchtig auf sie
vor den Blicken der Leute
daß er sich eine große Kiste nahm
und sie da hineinpackte
die Kiste mit einem großem Schloß sicherte
und das ganze dann auf seinen Rücken hob
wohin er auch ging
blieb sie immer in der Kiste
und eines Tages
als er gerade beim Pflügen seines Landes war
und dabei die Kiste auf seinem Rücken trug
in der sie hockte
kam der Emir Badr Al-Zaman vorbei
und wunderte sich sehr
       – was hast du denn da auf deinem Rücken, Bauer?
       – bei Gott, da ist mein Weib drin
       – laß herunter, das will ich sehen!
der arme Bauer läßt also die Kiste von seinem Rücken runter
macht sie auf
und erwischt seine Frau
mitsamt dem Nachbarn
in der Kiste...

Das also ist die orientalische Phantasie
und gäbe es nicht diese orientalische Phantasie
dann wäre wohl kein einziger Araber im Land geblieben
nicht einen einzigen Tag mehr nach '48
denn schau doch
was die Araber Israels machen
am Unabhängigkeitstag
sie hängen israelische Flaggen aus
eine Woche vor den Feierlichkeiten
bis zwei Wochen danach
und du kannst einen arabischen Fahrer
an seiner Flagge erkennen
also wer eine große Flagge am Auto hat
der ist Araber.

Einmal
in den Tagen der arabischen Phantasie
also während der Zeit der Militärverwaltung
da stand ich im Militärgericht von Nazareth
als ein Junge aus dem Saal kommt und nach mir ruft
und sagt
       – Onkel, Onkel, der Richter ruft nach dir
ich gehe also hinein
       – guten Tag, Herr Richter
da springt der Junge auf und sagt
       – das ist mein Vater
ich blieb still
was sollte ich ihm auch sagen
der Richter schaut sich die Papiere an
und verurteilt mich zu 50 Pfund Strafe
oder drei Monate Gefängnis
weil mein Sohn nach Haifa gefahren ist
ohne eine Genehmigung des Militärgouverneurs
ich bin dann raus um ihn zu suchen
hätte ihn erwürgen können
doch da komm ein Mann auf mich zu und meint
      – bei Gott, laß' gut sein
      orientalische Phantasie eben
      orientalische Phantasie!

Doch mein einziger Sohn Walaa
der hat einen anderen Weg gefunden
um seine orientalische Phantasie zu beleben
denn die ganze Zeit über
in der meine Frau und ich beschäftigt waren
mit der Kiste und mit Tantoura
und mit dem Flüstern und dem Verstecken
wuchs Walaa heran und wurde ein etwas eigenartiger Jüngling
der nur ganz, ganz, ganz wenig redete
als ob sein Mund mit einer Nadel vernäht wäre
aber wenn er dann mal redete
dann hatte ich Angst vor seinen Worten.

Im Herbst '66
da saß ich einmal im Büro
als plötzlich Lärm von Fahrzeugen und Soldaten ertönte
die mit gezogenen Waffen hereinstürmten
und vorneweg der große Boß
der mit der Sonnenbrille
und mit ganz, ganz finsterem Gesicht
während Jakob den Kopf hängen ließ
worauf meine Beine vor Angst schlotterten
mein Blick verschwamm
und ich nur noch Köpfe, Köpfe, Köpfe sah
aufgerissene, schreiende Münder
und schwarze Gewehre
und alle schrieen herum
       – du Hurensohn!!
ich lachte laut auf
       – aber so redet man doch nicht, Leute...
und fand mich plötzlich zwischen ihren Beinen wieder
die mich wie einen Fußball traten
ich wachte erst durch einen Eimer Wasser wieder auf
und verstand zwischen all den Beschimpfungen
daß mein einziger Sohn Walaa
der kleiner Fliege etwas zuleide tun konnte
ein Freischärler geworden sei
und daß ich verantwortlich bin
und daß seine Mutter
diese Giftschlange aus Al-Tantoura
die besser mit ihrer Familie hätte verschwinden sollen
ebenfalls verantwortlich ist
und daß sogar Jakob verantwortlich ist
weil er ein Esel sei
der sich mit orientalischer Kochkunst beschäftigt hat
und dabei seine nationale Pflicht vergessen hätte
und bestimmt haben wir uns alle
gegen den großen Boß verschworen
und gegen die Regierung
um sie zugrunde zu richten
aber nun werden sie uns zugrunde richten
denn der Staat weiß schon, wie er zu seinem Recht kommt
und zwischen der einen und der anderen Beschimpfung
und den ganzen Boxhieben und Tritten
verstand ich
daß mein Sohn Walaa eine Freischärler-Zelle gegründet hätte
und sich in den Ruinen von Al-Tantoura verschanzt
       – wir sind gekommen, du Sohn des Unheils
      um dir genauso zu dienen
      wie du uns gedient hast
      los jetzt, hol die Mutter deines Sohnes
      und kommt zusammen zu den Ruinen
      von Al-Tantoura
      bevor auch euer Leben ruiniert wird
      und sagt ihm, daß er sich freiwillig stellen soll
      aus Barmherzigkeit seiner Mutter und dir gegenüber!

Liebe Leute,
keiner weiß so sehr
wie teuer ein Kind ist
als derjenige
der eines verloren hat
ich wollte mich also aufrichten
doch meine Beine weigerten sich, mich zu tragen
also haben mich zwei Soldaten vom Stuhl gehoben
und in Jakobs Wagen verfrachtet
Jakob steuerte den Wagen
und die ganze Fahrt über
vom Büro bis nach Hause
sprach er kein einziges Wort mit mir
meine Frau Bakija schaute vom Balkon herab
und als sie mich mit dem Militär, mit den Soldaten sah
da fing sie an Wasserfälle zu heulen
sie brachten sie herunter und setzten sie neben mich in den Wagen
aber ich traute mich nicht, ihr die Tränen abzuwischen.

Wir kamen an das Ufer von Al-Tantoura
als die Sonne gerade unterging
die Soldaten blieben in einiger Entfernung zurück
und umstellten die Ruinen
während meine Frau Bakija und ich
vor den Ruinen von Al-Tantoura stehen blieben
       – setz dich, oh Said
      ich habe ihm mit meiner Milch gesäugt
      ich werde mit ihm reden

und so setzte ich mich auf eine verfallene Mauer
schaute aufs Meer hinaus
und sah doch kein Meer
ich schaute auf die untergehende Sonne
und ging selber auch unter
und fühlte mich sehr, sehr allein
meine Frau Bakija ging einen Schritt näher
und dann noch einen Schritt
       – mein Sohn, Walaa, schieß nicht, ich bin deine Mutter
      Wiederstand ist zwecklos!
      sie haben dich entdeckt
       – wie?
       – sie haben mir dein Versteck gezeigt, mein Sohn
       – ich habe mich doch gar nicht versteckt, Mutter
      ich trage meine Waffe
      weil ich euer Verstecken leid war!
      du Frau, die du da stehst, wer bist du?
       – deine Mutter, oh Walaa
      gibt es denn ein Kind, das seine Mutter verleugnet?
       – meine Mutter...
      und kommst mit ihnen?
       – sie haben mich doch hergebracht, mein Sohn
      gemeinsam mit deinem Vater
      hier ist er
      er sitzt auf der zerstörten Mauer
       – und warum redet er nicht?
       – er hat noch nicht gelernt, zu sprechen
      mein Sohn, mein Liebling
       – was willst du, Mutter?
       – ich bin gekommen, mein Sohn
      dich zu überzeugen, deine Waffe wegzuwerfen
      und aufzugeben
       – warum?
       – aus Barmherzigkeit deinem Vater gegenüber
      und mir
       – hahahaha!
       – du lachst, oh Walaa?!
du lachst über den Leib der dich getragen und gehütet hat?!
       – nein, Mutter, ich lache nur darüber
      daß die sich nicht schämen
      über Barmherzigkeit zu reden
      obwohl sie selbst mit niemandem Erbarmen haben
      hast du deshalb so Angst vor ihnen?
       – nein, mein Sohn, um dich habe ich Angst
      mein Liebling, komm
      wirf deine Waffe weg, mein Sohn
      und komm heraus
       – du Frau, die du mit ihnen gekommen bist
      wohin willst du, daß ich heraus komme?
       – komm heraus in die Weite, komm an die Luft
      diese Höhle ist eng und erstickend
      du wirst darin sterben
       – ersticken? Ich bin doch in diese Höhle hinein
      gerade um in Freiheit zu atmen
      und wenn es nur ein einziges mal in meinem Leben ist, Mutter!
      als ich klein war
      da habt Ihr mich zum schweigen gebracht
      wenn ich geweint habe
      und als ich größer wurde
      da suchte ich stets nach dem Sinn eurer Worte
      verstand aber nichts außer Geflüster
      ihr habt mir gesagt
      paß in der Schule auf und rede nicht viel
      vertraue niemandem
      befreunde dich mit niemandem
      zieh mit niemandem herum
      und rede mit niemandem
      ich sagte euch
      daß mein Lehrer
      der Erzieher unserer Klasse
      mein Freund ist
      doch ihr habt gesagt
      hüte dich vor ihm
      der soll dich nur ausspionieren
      und als ich die Geschichte von Al-Tantoura gehört habe, Mutter
      da habe ich sie beschimpft
      und ihr habt gesagt
      paß auf, rede nicht so viel
      und als sie mich beschimpften
      da habt ihr auch gesagt
      paß auf, rede nicht so viel
      und wenn ich morgens aufgewacht bin, Mutter
      da bist du gekommen und hast mir gesagt
      du hast geträumt, als du geschlafen hast
      und mit lauter Stimme geredet
      paß auf und rede nicht so viel
      paß auf und träume nicht so viel
      paß auf, paß auf
      paß auf, paß auf
      ich will aber nicht mehr aufpassen!
      diese Höhle ist eng
      aber weiter als euer Leben, Mutter
      sie ist eine Sackgasse
      aber sie ist der Weg in meine Freiheit, Mutter
       – der Tod?
      der Tod als einziger Weg in die Freiheit?
       – ich schämte mich für euch, Mutter
      und senkte den Kopf
      wenn ich zwischen den Menschen war
       – du schämst dich wegen uns, oh Walaa?
      dabei haben wir uns doch nur darum bemüht
      leben zu können
      damit du aufwachsen und leben kannst
      komm also heraus
      dann wirst du leben
       – ihr seid nicht stark genug
      um mich hier heraus zu holen!
       – wir sind doch nicht deine Feinde
      oh Walaa
       – ihr seid aber auch nicht bei mir, Mutter
       – paß auf, mein Sohn
       – sag das noch mal, Mutter
      paß auf, mein Sohn – paß auf, mein Sohn
      aber ich bin jetzt frei, Mutter!
       – hör mal, Walaa, wenn wir frei wären
      dann wären wir einer Meinung
      du würdest kein Gewehr tragen
      und ich würde dir nicht sagen müssen
      paß auf
      wir wollen es werden
      aber wir sind es noch nicht
       – und wie sollen wir es werden?
       – wie die Natur
      auf die Nacht folgt die Morgendämmerung
      und niemand kann das ertragen
      was du hier tust
       – ich will es ertragen!
       – mein Sohn, mein Liebling
      gibt es denn etwas Schöneres
      als die Blüte einer Damaszenerrose
      die sich ein Jüngling hinter das Ohr steckt?
       – aber wenn die Rose gepflückt wird
      dann wird sie welken und stirbt
       – laß mich dich umarmen, oh Walaa
       – und wann kommt die Erlösung, Mutter?
       – gedulde dich, oh Walaa
       – ich habe mich ein Leben lang geduldet
       – gedulde dich noch weiter
       – ich kann mich aber nicht noch mehr gedulden
      ich sehe um mich herum nur die Höhle
      und nur die Finsternis
       – in der Höhle?
       – mein ganzes Leben ist eine Höhle!
       – gut, dann komm heraus ans Licht der Sonne
       – und wo ist mein Platz unter der Sonne?
       – die Welt ist schön
      so viele Völker haben ihren Platz unter der Sonne gefunden
      und sind frei geworden
       – nein, Mutter      mein Leben mit euch ist kein Leben
      es hat keinerlei Bedeutung
      denn wenn das Leben billiger wird als der Tod
      dann hat es einfach keinen Sinn mehr
       – was für eine Waffe hast du denn, mein Sohn?
       – ein Maschinengewehr
      das ich hier in der Kiste fand...
      aber Mutter, Mutter, Mutter!
      du schützt sie hinter deinem Rücken
      Mutter, bei meiner Liebe zu dir
      du beschützt sie hinter deinem Rücken, Mutter
       – nein, oh Walaa
      in der Kiste ist noch ein Maschinengewehr
      ich komme zu dir
      und ich werde dich mit meiner Liebe beschützen
      mein Sohn!

Bakija verschwand gen Meer
und die Soldaten stürmten vor
ein wilder Schußwechsel begann
und ich saß wie versteinert da
ohne zu verstehen was da passierte
und hörte nur den großen Boß brüllen
       – keine Schießerei!
      ich will sie lebend!
      sie sind dort getaucht!
      sie sind dort getaucht...

Plötzlich brachten sie große Scheinwerfer
und Froschmänner
doch in dem Moment kam Jakob
und legte meinen Kopf auf seine Schulter
nahm mich mit zum Wagen
und brachte mich nach Hause, nach Haifa.

Am nächsten Tag ging ich nicht zur Arbeit
zum Teufel mit der Arbeit
für wen soll ich denn noch arbeiten? für wen?
als es plötzlich an der Tür pochte
      bumm bumm bumm
       – guten Morgen, oh Said
       – willkommen, Jakob
       – hör mal, Said, du mußt zurück an die Arbeit
      aber unter einer Bedingung
      das was gestern passiert ist
      mußt du vollständig vergessen
       – gut, gut...
      dann versetze dich doch mal in meine Lage
      wenn sie deine Frau und deinen Sohn umgebracht hätten
      würdest du das vergessen?
      wie willst du also
      daß ich das vergesse?
       – wer hat dir denn gesagt, das sie umgebracht worden sind?
      sie haben herumgesucht
      aber niemanden gefunden
      auch heute am hellichten Tag haben sie gesucht
      und niemanden gefunden
      sie haben es also geschafft und sind geflüchtet!

In Wahrheit war Jakob einfach ein guter Kerl
und ich tat ihm leid
ich fühlte, daß ich ihm leid tat
aber er traute sich nicht, es zu sagen
und ich?
ich vertraue ja nicht einmal meiner eigenen Mutter
und hatte ihm deshalb auch nie die Geschichte von der Kiste erzählt
und von Al-Tantoura
und sagte mir deshalb im Stillen
die haben sicherlich beschlossen
lieber zu sterben
als aufzugeben
und deshalb habe ich selber beschlossen
gar nicht wissen zu wollen
was wirklich mit ihnen passiert ist
weil die Hoffnung
sie am Leben zu wähnen
für mich viel besser ist
als eine Bestätigung ihres Todes
wie eng wäre das Leben ohne die Weite der Hoffnung!
und seit jenem Tag
gehe ich an die Küste von Al-Tantoura
zahle mein Touristenbillet
nehme die Angel
und tu so als würde ich Fische fangen
ich stelle mich auf den selben Felsen
auf dem Walaa gestanden hat
und tu so als würde ich angeln
dabei rufe ich ihn in meinem Herzen
vielleicht hört er mich ja, bei Gott
Blut ist dicker als Wasser
vielleicht hört er mich und kommt heraus
      ehhhhh, Walaa
      heeeeee, mein Sohn
      ehhhhh, oh Walaa
      komm doch heraus, mein Sohn
      ich habe solche Sehnsucht nach dir...

als plötzlich ein kleiner jüdischer Junge neben mir sagt
       – Onkel, Onkel
      welche Sprache sprichst du denn da?
       – Arabisch
       – und mit wem redest du?
       – mit den Fischen
       – aha, die Fische verstehen also Arabisch?
       – ja, die großen Fische
      die schon hier waren
      als die Araber noch hier waren
       – und die kleinen Fische verstehen Hebräisch?
       – ja, die verstehen Hebräisch und Arabisch
      und alle anderen Sprachen
      denn das Meer ist weit und grenzenlos
       – grenzenlos?! ...oj wa-woi!
was in Hebräisch soviel heißt wie ... oh Weh!
       – Itzik, komm her, der Vater des Jungen rief nach ihm
       – Papa, Papa
      das hier ist unser Herr Salomon!
ich nahm einen kleinen Fisch und gab ihn ihm
       – nimm, der ist für dich
       – oh, spricht der Hebräisch?
       – noch nicht, der ist noch zu klein
worauf er ihn wieder ins Meer warf
damit er wachsen könne
und Hebräisch lernt
während ich mir im Stillen sagte
oh Gott, würden doch alle Kinder
kleine Kinder bleiben
dann hätte wohl nie eine Mutter ihren Sohn verloren
und ich fragte mich
ob unser großer Boß
der mit der Sonnenbrille
und seinesgleichen
nicht auch irgendwann einmal kleine Kinder gewesen sind...?

Und nach zwei Tagen
als ich auf den Basar im Nisnas-Tal ging
um einige Dinge einzukaufen
da höre ich zwei Jünglinge
der eine rief den anderen heran
und flüsterte ihm zu
       – Mensch, ich hab gehört
      es gibt da eine Gruppe bei den Freischärlern
      die sich Al-Tantoura nennt
      die verwenden eine geheime Chiffre
      in den Sendungen der Stimme Palästinas aus Kairo
worauf ich nach Hause rannte
Fenster und Türen verrammelte
das Transistorradio umarmte
und nach Al-Tantoura zu suchen begann.

Und am 5. Juli 1967
am Tag der Katastrophe
da hörte ich wie die Stimme Israels
im arabischen Programm
alle Araber aufforderte
weiße Fahnen zu hissen
was mich verwirrte, weil ich nicht wußte
welche Araber sie meinten
die Araber von '47
oder die Araber von '48
oder die Araber von '67
da sagte ich mir, Junge
sicher ist sicher
mach lieber mit, dann passiert dir nichts
es ist ja nur ein Stück Fahne
warum sollten sie deshalb böse auf dich werden?
bei Gott, ich folgte also der Aufforderung
und zerriß das weiße Bettlaken
band es um den Besenstiel
und hißte das Ganze auf dem Dach unseres Hauses
in Schderot Hazionut.

Am nächsten Tag wachte ich früh auf
und fragte mich
ob denn mein Signal schon verstanden worden sei
doch kaum war das Laken im Tageslicht zu erkennen
als schon Jakob erschien
       – nimm das sofort da runter, du Maulesel!
       – der Rundfunksprecher hat das aber so gesagt
       – Mensch, der Sprecher meinte doch die Araber
      im Westjordanland
      während du hier in Haifa bist
      was also geht dich das an?
       – man kann des Guten nie genug tun!
       – aha, das bedeutet also
      daß du Haifa als besetzte Stadt betrachtest
      und sie vom Staat abtrennen willst
       – das ist mir so nie in den Sinn gekommen
      das ist nur deine Deutung
       – Mensch, mir ist völlig egal
      was dir in den Sinn gekommen ist
      mir ist nur wichtig
      was dem großen Boß in den Sinn kommt
      und der sagt, daß du nicht dumm bist
      sondern nur so tust
      daß du nicht ein Quentchen Treue in dir hast
      sondern nur so tust
      daß du den Staat nicht ein Quentchen liebst
      sondern nur so tust
      denn warum hast du außer Yu'ad sonst niemanden geliebt
      und außer Bakija sonst niemanden geheiratet
      und außer Walaa sonst kein anderes Kind gezeugt?
       – und warum hat dich der große Boß nicht auch gefragt
      warum ich ausgerechnet als Araber geboren wurde
      und warum ich keine andere Heimat
      als ausgerechnet diese Heimat hier gefunden habe?
       – komm mit und frag ihn selbst!

Er holte mich vom Dach herunter
nahm mir die Fahne und den Besenstiel weg
und brachte mich hierher
und seitdem bin ich hier
und ihr auch
ihr seid hier
und wir auch...

ENDE

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