Der Sänger und Songwriter Ozzy Balou ist nach neun Jahren im Ausland vermutlich wieder zurück in Deutschland. Das jedenfalls berichten drei Personen aus seinem damaligen engeren Umfeld. Sie erhielten gestern jeweils eine Email mit dem Titel: „Never kill a Rock'n'Roller“. Der Text der Mail war in allen Fällen derselbe, nämlich: „Liebe Dotwins, nachdem Leonard aus dem Kloster abgehauen ist, ist es fürchterlich langweilig geworden. Ich denke, dass ich jetzt auch etwas an die frische Luft gehe. Hamburg is such a chill! Nukleare Grüße von Ozzy.“
Die drei Adressaten der absenderlos verschickten Botschaft sind sich kopfschüttelnd einig über die Authentizität des Schreibens. Noch am gestrigen Abend haben sie sich kurzgeschlossen. Sie trafen sich in der Wohnung von Carl – einem der Drei – in Altona.
Ozzy Balou wurde am 16.08.1969 in Münster in Westfalen geboren. Sein Vater, ein Franzose mit marrokanischem Ursprung, arbeitete lange als Chirurg am städtischen Krankenhaus. Seine Mutter unterrichtete Geschichte und Französisch am Gymnasium. Schon früh fand Ozzy in die Münsteraner Musikszene und machte sich dort einen Namen mit der Band THE CHEAT. Ihre erste Single WATCHING THE SIGNS gelangte 1986 in mehrere überregionale Charts. Die Musikpresse prognostizierte ihm eine erfolgreiche Karriere. Aus Gründen, über die er nie gesprochen hat, verließ er das Land zum ersten Mal für längere Zeit.
Von 1987 bis 1988 lebte Ozzy in Marrakesch in Marokko. Über diese Zeit ist nichts bekannt. Als er zurückkam, gründete er in Hamburg die Band OZZY AND THE BULLETS in der Besetzung Ozzy Balou (vocals, guitar), Michael Hansmann (guitar, vocals), Oliver Marx (bass, vocals), Carl Ziegler (drums) und Maria Zigovia (keyboards, vocals). Auch Maria bekam gestern eine Mail.
Den nationalen Erfolg erreichten die BULLETS 1989 mit der Hit-Single MOVING THE HOUSE und der B-Seite SOUTHERN LINE BLUES (Stamp Records). Es folgten monatelange Studio-Sessions, die zu den Alben DEBUT und POISON führten. Währenddessen spielte die Band nächtelang im legendären Musikclub BLUESLAND, oft spontan nach einer Studiosession. Mehrere kleinere Tourneen brachten die Band durch Deutschland, Frankreich, England, Österreich und Marokko.
Im Frühjahr 1992 kam es zu Streitigkeiten in der Band, deren Ursachen bis heute nicht geklärt sind. Fest steht, dass auch die lokale Presse, die zuvor Ozzy Balou gegenüber meist positiv eingestellt war, ihre Meinung geändert hatte. Der freie Journalist Simon Brecht recherchierte damals ausführlich über die Band und Ozzy, doch hielt er in seinem Tagebuch fest, dass es seit dem Herbst 1991 nicht mehr möglich war, einen Artikel über Ozzy Balou zu platzieren, obwohl es an Neuigkeiten wahrlich nicht gefehlt hätte. Am 10.09.1992 dann brannte das BLUESLAND nach einem Anschlag völlig aus. Es gab sieben Verletzte, zwei davon trugen bleibende Schäden davon. Der Sachschaden belief sich auf mehr als zwei Millionen Mark. Die Umstände der Tat konnten nie geklärt werden. Am 14.12.1992 brach Ozzy Balou seine Kontakte in Hamburg ab und ging nach Paris. Seitdem fehlte von ihm jede Spur. Simon Brecht konnte im Januar einen letzten kurzen Artikel im Hamburger Blatt veröffentlichen. Simon war der dritte, der gestern von Ozzy Nachricht bekam.
Simon Brecht war es auch, der mich gestern um kurz vor Mitternacht anrief. Er sagte mir, dass es jetzt an der Zeit sei, die Geschichte des Ozzy Balou zu erzählen. Die Drei seien sich einig darüber, dass irgendetwas geschehen würde, denn Ozzy habe sich sicher nicht ohne Grund gemeldet, und nur, wenn jetzt eine Rekonstruktion der Ereignisse aufgenommen würde, könne man überhaupt in der Lage sein, der Konfrontation zu begegnen, denn eine Konfrontation würde es sicherlich geben, darüber war man sich gestern in Altona einig.
Da Simon DIE GESCHICHTE DER MARIANNE S. gelesen hat, in der ich schon einmal die Aufgabe des berichtenden Außenstehenden übernommen hatte, hat er mich schließlich als Unbeteiligten gebeten, diese Rekonstruktion vorzunehmen. Meine Bedenken, ich sei nicht der Richtige für diese Aufgabe, da ich von Ozzy nur eine dunkle und fragmentarische Vorstellung habe, wurden als „im Gegenteil sehr vorteilhaft“ kommentiert. Man bat mich also darum, über einen gewissen Zeitraum eine Chronistentätigkeit aufzunehmen, indem ich alle Fakten und Dokumente, die es aus Ozzy Balous Vergangenheit gibt und die mich im Laufe der Zeit erreichen werden, zusammentrage, wobei mir im Wesentlichen die Aufgabe des mitdenkenden Kompilators zukommt, der alle aktuellen Ereignisse in den Verlauf der Erzählung einflicht.
Simon übermittelte mir auch per Mail einen Brief von Maria und fügte hinzu, es sei am Sinnvollsten, die Nachrichten von Ozzy Balou gleich ins Internet zu stellen, damit Leute, die ihn von früher kennen, die Geschichte zeitgleich verfolgen können. Möglicherweise melde sich jemand, der zur Rekonstruktion beitragen könne. Für den Fall also, so Simon Brecht, dass jemand Dokumente über Ozzy Balou auf dem Dachboden hat, seien es Erinnerungen, Zeitungsartikel, Tagebucheintragungen, Fotos, Zeugenaussagen oder sonstiges, gebe es nun eine zentrale Sammel- und Auswertungsstelle, die für jeden einsehbar sei. Außerdem würde auch Ozzy die Sache auf diese Art verfolgen können und sogar eine Möglichkeit finden, sich selbst zu Wort zu melden. Diesen Argumenten habe ich nichts entgegenzusetzen. So werde ich tun, was ich kann, um Licht in das Dunkel der Geschichte des Ozzy Balou zu bringen und hoffe, dass man mit dem Ergebnis zufrieden sein kann.
Kiel, den 02.10.01
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