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FRIEDRICH HITZERS ROOM

Friedrich Hitzer (09.01.1935 – 15.01.2007), Schriftsteller, Übersetzer und Redakteur. Geboren in Ulm, Studium in den USA, der UdSSR und der BRD (Amerikanistik, Russistik, Germanistik und Lateinamerikanische Studien). 1965 war er Mitbegründer der Vierteljahreszeitschrift "kürbiskern", die er bis 1987 mit herausgab und als Chefredakteur betreute. Mit seinen Romanen (zuletzt: Lebwohl Tatjana), Essays, Erzählungen und Reportagen versucht Hitzer Brücken über die Abgründe des 20. Jahrhunderts zu spannen, die von den politischen Lügen und Vorurteilen des Kalten Krieges eingerissen wurden.

Als Übersetzer übertrug er aus dem Russischen 28 Spielfilme des klassischen Sowjetfilms von Eisenstein bis Medwedkin, Gesammelte Briefe von Dostojewski, mehrere Bücher von Tschingis Aitmatow, Daniil Granin, Michail Schatrow, Muchtar Schachanow und viele andere mehr. Zuletzt übersetzte er die Autobiografie von Alexander N. Jakowlew, Architekt der Perestroika : Die Abgründe meines Jahrhunderts, Leipzig 2003 (demnächst in einer Neuauflage im Waldemar Weber Verlag, Augsburg).

Friedrich Hitzer erhielt die russische Puschkin-Medaille 2006 für "Verdienste auf dem Gebiet der Kultur und Aufklärung, der humanitären Wissenschaften, der Literatur und Kunst, für den großen Beitrag beim Studium und dem Erhalt des kulturellen Erbes, der Annäherung und wechselseitigen Bereicherung der Kultur der Nationen und Völker."

Am 25.11.2011 verlieh die Aitmatov Academy in London den Internationalen Chyngyz-Aitmatov-Preis posthum an Friedrich Hitzer. Siehe dazu das PDF der Preisverleihung mit dem 2-Seiten-Text "Chyngyz Aitmatov and his German-speaking readers" von Friedrich Hitzer (1998). Waltraud Boxall aus Liverpool nahm den Preis für ihren verstorbenen Bruder entgegen.

Einige Stücke von Friedrich Hitzer
- Puschkin-Medaille 2006 (09.01.2007)
- Friedrich Hitzer: Leserbriefe seit 2000, aus dem Buch "Keine Angst vor der Angst. Narrationen aus einer Katakombe" (07.01.2007)
- IN MEMORIAM GHALIB JARRAR (1941 – 2004), Dokumentation der Ausweisung eines Palästinensers in den frühen Siebziger Jahren in München (22.12.2006)
- "Grassliche Rituale". Vorveröffentlichung eines Essays aus dem Buch "Keine Angst vor der Angst. Narrationen aus einer Katakombe" (09.10.2006)
- Zum Besuch des Papstes in Bayern, zur Rede in Regensburg und zur Berliner Rede von Kardinal Lehmann (27.09.2006)
- Rundbrief für "klarsichten": Ist der Wahnsinn für Sieg durch Krieg zu stoppen? (PDF-Datei, Juli 2006)

10.02.2007, Elisabeth Wöckel schreibt: Ich weiss nicht, wie weit im Kreis der Nahost-Interessierten Friedrich Hitzer als Schriftsteller bekannt ist und sein Engagement zum Thema "Middle East". Wir hatten uns für den Friedenseinsatz auf politischer Ebene im Internet gefunden, Emails getauscht und oft lange Telefongespräche geführt. Ich denke das Dokument "Siegfrieden" ist für den "Hitzer Room" heute noch so aktuell wie im Juli. "Alle "Roadmaps" und von aussen gesteuerte Vorschläge versagten, weil sie ohne die Zustimmung der Menschen Palästinas nicht wirken können. Nur die Rückkehr zum Recht führt zum Frieden: Es kann nicht oft genug wiederholt werden, allein die Wahrung des Völkerrechts und der Menschenrechte garantieren dem Nahen Osten und der Welt Frieden und Gerechtigkeit. Auf dieses schlichte Formel haben wir uns, Friedrich Hitzer und ich, dann als gemeinsame Grundlage geeinigt. Nur, von den Mächtigen in Politik und Wirtschaft ist diese Antwort des Rechts nicht gefragt. Zum Krieg vom letzten Sommer im Libanon tauschten wir Texte und Gedanken. Es widerstrebt mir, einen Nachruf für Friedrich Hitzer zu verfassen. Für mich ist er nach wie vor lebendig mit seinen Gedanken, seinen Worten und mit seinen wunderbar ruhigen Bildern von Recht und Gerechtigkeit. Nach wie vor höre ich seine Stimme, weil ein Mensch, der sich zum Leben bekennt, nicht sterben kann, auch wenn wir in einer Kultur des Todes leben. Im Nahen Osten und in Afrika.....sterben Menschen täglich zu Hunderten, sterben, weil .........sie von Westen her mit der Waffe der Religion des Geldes getötet werden....solange bis auch der Westen sterbenwird...... Denn, niemand spielt das Spiel des Todes ungestraft....."


Anis am 16.01.2007: Die Nachricht von Friedrich Hitzers plötzlichem Tod hat mich erschüttert. Wir kannten uns erst seit vier Monaten, waren schnell miteinander vertraut und wechselten oft Emails. Noch vor einer Woche hatten wir einen intensiven Austausch und ich gratulierte ihm zur Puschkin-Medaille und zu seinem Geburtstag. Er war guter Laune und wie immer sehr herzlich. Er schrieb diesen Beitrag für die "Pressezeit (5)": www.anis-online.de/journalismus/review/pressezeit/05.htm#4. Friedrich Hitzer hat sich sehr darüber gefreut, dass sein Buch "Keine Angst vor der Angst" bald erscheint und dass er diesen Room im Internet hat. Mit seinem Verlust habe ich nicht gerechnet, er hinterlässt eine Lücke und ich fühle Trauer.


IN MEMORIAM FRIEDRICH HITZER 23.01.2007:
Wenn wir mal Zeit haben und all die Internet-Untermieter bei Anis zusammenbringen zu einem Sommerfest in der Antarktis, dort Datteln verteilen und Rennen auf Kamelen veranstalten, denen die Pinguine applaudieren, dann kann ich, so lange noch da auf diesem Planeten, seufzen: Endlich haben wir die Oil-Barone samt ihrer Vasallen im Mittleren Osten besiegt und legen uns mit den weinenden Kamelen in unsere Antarktis-Jurten made in China." Das schrieb Friedrich Hitzer am 9. Januar, seinem 72. Geburtstag, an Anis, einen neu gewonnenen Freund. Als Untermieterin im Hitzer-Room war das die letzte Nachricht, die ich von ihm erhielt und zugleich fast ein Vermächtnis. Zu unser aller Glück hat Friedrich Hitzer viel hinterlassen: Er publizierte als Aufklärer im besten, altruistischen Sinne und klärte über all das auf, was derzeit nicht publiziert wird. Ich bewunderte seine Kraft, sein Wissen, sein versöhnendes Engagement und bin ihm für das Geschenk der Teilhabe dankbar. In der Hoffnung, dass Anis und andere Freunde Hitzer-Rooms der Begegnung offen halten und wir irgendwann seinen Traum eines Sommerfests in der Antarktis gemeinsam leben werden, verbleibt mit einem herzlichen Händedruck für Silvelie Hitzer – in Verbundenheit – Angela Egli – Weimar


Wir trauern um FRIEDRICH HITZER

Es ist sicher in seinem Sinn, wenn wir die von ihm geplante Veranstaltung am 26.01.2007 um 18.00 Uhr im Bürgerhaus-Gräfelfing nicht absagen.Es werden zwei Dokumentarfilme gezeigt:

IRAK – KEIN FRIEDEN OHNE GERECHTIGKEIT
und
NACH DEM KRIEG – LEBEN IM IRAK (im Krieg)

Diskussion mit den Filmautoren
STEFANIE LANDGRAF und JOHANNES GULDE
Regisseure
TERRA MEDIA CORPORATION

Moderation: Wir danken Herrn Pfarrer
ECKHART BRUCHNER
für die spontane Zusage.
Herzliche Grüße
Nabil Preuß, 82166 Gräfelfing

Puschkin-Medaille 2006
Literaturnaja Gaseta, No. 52, 27.-31. Dezember 2006
Rubrik "Literarischer Kurier", Seite 8

"Am Vorabend des Neuen Jahres verlieh der Generalkonsul Russlands in der bayerischen Hauptstadt, Alexander Karatschevstsev, in feierlicher Umrahmung die Puschkin-Medaille an die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands – Tatjana Lukina, Tatjana Erschowa, Friedrich Hitzer, Hermann Rumschöttel und Arkadi Polonski. Seit Verleihung dieser Auszeichnung durch den Präsidenten der Russischen Föderation im Jahr 1999 erhielten sie 289 Personen. Darunter 34 nicht russische Staatsangehörige. Die Puschkin-Medaille wird verliehen für "Verdienste auf dem Gebiet der Kultur und Aufklärung, der humanitären Wissenschaften, der Literatur und Kunst, für den großen Beitrag beim Studium und dem Erhalt des kulturellen Erbes, der Annäherung und wechselseitigen Bereicherung der Kultur der Nationen und Völker."



In memoriam Alexander Puschkin (1799 – 1837)

Zur Erinnerung an die
Verleihung der Puschkin-Medaillen
durch den Generalkonsul der Russischen Föderation in München
und Frau Tamara Karachevtseva
Residenz, Sternwartstraße 22,
Dienstag, 5. Dezember 2006, 17 Uhr

ER SENKTE DIE PISTOLE
Eine Weihnachtsgeschichte von Friedrich Hitzer

Russische Fassung für Radio Swoboda/Liberty,
Redaktion Serge Jourenien, Prag/Wolfratshausen 1995
Deutsche Erstveröffentlichung im Isar-Loisach-Boten,
Weihnachtsausgabe 2005

Ein Wort des Dankes zur Puschkin-Medaille

Alexander Puschkin begleitet mich seit der Zeit, als ich mit dem Studium des Russischen begann. Zu den ersten Werken der russischen Klassik, die ich im Original las, gehört Puschkins Novelle Wystrel. Ich las mich durch das Meisterwerk Wort für Wort und Satz für Satz, versuchte mich in ersten Übersetzungen sowohl ins Deutsche, meine Muttersprache, als auch ins Englische, die Sprache des Landes, in das ich einmal auswandern wollte, in die Vereinigten Staaten von Amerika. Ich blieb nicht dort, aber der Schuss saß, wie die Novelle Puschkins zu deutsch heißt, seitdem mir mein erster Sprachlehrer, Juri Harjan, half, in diese mysteriöse Geschichte eines Duells, bei dem kein Toter zurückblieb, einzudringen. Juri, damals George gerufen, hatte die schrecklichen Duelle zwischen Deutschen und Russen im 20. Jahrhundert überlebt – Besatzer aus Deutschland verschleppten ihn als Schüler von der Straße weg, und 1945 nahm ihn eine junge Amerikanerin der Armee in die Staaten mit, wo ich ihm über den Weg lief, er mich fragte, ob ich nicht russisch lernen wollte, und ich zurückfragte, warum ich das soll, und er mir freimütig sagte, Fred, I have no students. Zurück in Deutschland nahm mich der Philosoph Fedor Stepun als letzten Doktoranden der Russischen Geistesgeschichte an. Ihn hatten Beauftragte der Regierung Lenin-Trotzki unter Androhung der Erschießung 1923 außer Landes verwiesen. Noch immer verharrte ich in der Klassik des 19. Jahrhunderts, mühte mich ab mit Tjutschew, den Puschkin als Dichter entdeckte, einen jungen Kammerherrn an der russischen Gesandtschaft in München. In die Höhen und Tiefen, die dem zweiten Dreißigjährigen Krieg 1914 bis 1945 folgten, geriet ich durch die Faszination an den Dichtern in Moskau, die riesige Säle, Plätze und Stadien füllten. An den Tagen der Poesie. Djen poesie, hieß das. Am Majakowski-Denkmal, im großen Tschaikowski-Saal, dem Kommunistischen Auditorium der alten Moskauer Universität oder oben auf den Leninbergen, die jetzt wieder wie früher Sperlingshügel heißen. In meiner Wahrnehmung war dieser Frühling des lyrischen Wortes, der musikalischen Kaskaden und der Sehnsucht nach Freiheit, Anmut und Schönheit der Nachhall von Puschkin und Tjutschew und vielen anderen. Ich konnte nie das trennen, was die Politik des Wahnsinns und der Gewalt zerstörten. Die Erneuerer der russischen Dichtkunst waren später meine Gäste in Schwabing – Jewtuschenko, Wosnesenski, Roschdestwenski, Winokurow, vor allem Bulat Okudschawa und Bella Achmadulina, aber auch ältere Kulturschaffende wie Simonow und Romm, Karmen und Ginsburg, Granin und Tschuchrai. Ich hatte mir vorgenommen, diese Stimmen meinen Freunden hier zu vermitteln, sie sollten Russland im O-Ton hören und nicht in den schrillen Tönen über Russland.

Bei Reisen in andere Länder achtete ich auf die Mosaiksplitter russischer und deutscher Kultur, die eben jene Politik des Wahns und der Gewalt über alle Kontinente verstreut hatte. Deutschland und Russland gehören ja zu den Ländern, von wo viel zu viele Menschen gezwungen waren, die Heimat zu verlassen. Im Sommer 1962 streifte ich, als Dolmetscher und Reisebegleiter deutscher Spezialisten bei einem Weltforum für Kinderärzte in Portugal, durch die Altstadt Lissabons und suchte ein Antiquariat auf. Dort fand ich die berühmte Werkausgabe Puschkins, herausgegeben von A. S. Suworin in Petersburg 1887. Voller Ehrfurcht erwarb ich die sechs Bände der acht Werkteile von Alexander Sergejewitsch Puschkin und dachte wie bei anderen seltenen Büchern wie der ersten Werkausgabe des Philosophen Wladimir Solowjow an das Schicksal der ehemaligen Besitzer, die im kleinen Gepäck auf der großen Flucht in Estoril und Lisboa gelandet waren und wer weiß, was für ein Leben nach dem Verlust der Heimat fristeten. Die wenigstens hielten sich so wie Vladimir Nabokov, den ich noch in den USA erlebte und mich immer wunderte, warum man in Deutschland, wo er ja zum Schriftsteller heranreifte, so wenig über Nabokovs Berliner Zeit weiß.

Bücher wie die Werke Puschkins in der Edition Suworins, dritte Auflage, sind mir Zeugnisse eines unvergänglichen Daseins, zu dem man immer wieder aufs Neue zurückkehrt, sich der Menschen erinnert, die an ihnen ihre Freude hatten oder Trost suchten. Und so kam es zu der Erzählung, die ich für Serge Jourenien erst auf russisch verfasste. Sie erhielt den Titel – On opustil pistolet. Sergei lektorierte sie für seine Sendung bei Radio Swoboda 1995. Als mich die Redaktion der Zeitung Isar-Loisach-Bote, die Regionalausgabe des Münchner Merkur im bayerischen Oberland, vor einem Jahr um eine Weihnachtsgeschichte bat, konnte die deutsche Fassung der Erzählung unter dem Titel Er senkte die Pistole zum ersten Mal erscheinen – mit dem Abdruck eines Kupferstichs aus der Werkstatt Utkins für Suworins Werkausgabe, angefertigt nach dem Porträt von Kiprenski noch vom lebenden Puschkin, daneben ist das Porträt der Frau Puschkins, Natalja, zu sehen, das ein nicht so bekannter Künstler im Stil jener Zeit anfertigte.

Zum Gedenken an Alexander Puschkin und zum Dank für die erwiesene Ehre der Verleihung der Puschkin-Medaille habe ich eine Mappe anfertigt, der die russische und die deutsche Fassung meiner Erzählung Er senkte die Pistole beiliegt. Die Mappe enthält auch eine Kopie des Blattes, das ich aufspürte in einem Schloss abseits der elsässischen Weinstraße im Städtchen Soultz. Auf einer Reise ins Elsaß im Dezember 1994 entdeckte ich zufällig das Schloss, aus dem der Mann stammte, der Puschkin im Duell erschoss – Georges Charles Baron van Anthes, später le Baron van Heeckeren, Ambassadeur à la cour de Russie. Für mich wurde daraus eine Variation zu der Novelle Wystrel . Ein Spiel mit den Namen Silvelie - meine Frau begleitet mich, den Erzählenden, im Auto und in der Erzählung, in der Puschkins mysteriöser Held Silvio sich weigert, auf den Duellanten zu schießen. Unversehrt durch die erste Kugel des Gegners, senkt Silvio die Pistole, statt zu schießen spuckt er voller Verachtung Kirschsteine aus. Kurzum Puschkin hat den Ritus, durch das Spiel um Leben oder Tod die Ehre wiederherzustellen, ad absurdum geführt, ohne zu ahnen, dass er einem Duell, das zahlreichen Intrigen gegen den Dichter am Hof folgte, zum Opfer fallen würde – tödlich getroffen von d'Anthès, wie er in Bella Achmadulinas lyrischer Klage heißt.

Die sieben Mappen, die ich mit Hilfe meiner Frau Silvelie vorbereitete, sind mein Geschenk an alle hier Ausgezeichneten, sowie an den Generalkonsul der Russischen Föderation in München und seiner Frau Tamara Karatchevtseva und den Präsidenten der Russischen Föderation, Herrn Wladimir Putin.

Wolfratshausen/München, 5. Dezember 2006
Friedrich Hitzer

PS vom 6. Dezember 2006:

Die Namen der in München ausgezeichneten Puschkin-Medaillen-Träger:
Tatjana Erschow, Leiterin der Tolstoi-Bibliothek, München
Tatjana Lukina, Schauspielerin, Präsidentin von MIR e.V., Zentrum der russischen Kultur in München
Dr. Arkadi Polonski, früher Kiew, jetzt München, Doktor der Technischen Wissenschaften, Spezialfach Kybernetik, Erforscher Tjutschews und der Familien Ostermann-Tolstoi
Prof. Dr. Hermann Rumschöttel, Generaldirektor der Bayerischen Staatsarchive, München
Friedrich Hitzer, Schriftsteller und Übersetzer, Wolfratshausen

Nach Angaben des Generalkonsuls der Russischen Föderation in München, Herrn Alexander Karatchevtsev sind in diesem Jahr 15 Persönlichkeiten, wohnhaft in Deutschland, ausgezeichnet worden, darunter die oben erwähnten 5 im Freistaat Bayern. Die Medaille wird seit 1999 verliehen. Unter den seither 289 ausgezeichneten Persönlichkeiten waren 34 Angehörige anderer Staaten. F.H.

Leserbriefe seit 2000
(Aus dem Buch "Keine Angst vor der Angst. Narrationen aus einer Katakombe")

Inhalt: NONSENSE (01.01.2000) - "Außenpolitik in der SZ" (Nov. 2002) - Joachim Käppner: "Die ferne Verteidigungslinie" SZ vom 26.08.2005 - Zu Stefan Kornelius, SZ vom 21.09.2005 - Norman Solomon: Was kostet der Warfare State? (19.09.2005) - Offener Brief an Franziska Augstein, SZ (11/2005) - An das Bayerische Fernsehen, Redaktion quer (11/2005) - Nichts Neues vom "Deutschland-Komplex"/"Der Pakt mit dem Osten" (SZ vom 13.12.2005) - An das Bundespräsidialamt. Zum Jahreswechsel 2005/2006 - Rundbrief für klarsichten übers Internet (01/2006) - An die Evangelische Akademie, Tutzing: Bonhoeffer oder Teltschik ... (03/2006) - An die Redaktion des 3-SAT, Zur Sendung "20 Jahre Historikerstreit" (06/2006)

DAS IST NICHTS FÜR UNS
Leserbriefe ab 2000 für Medien der Gleichschaltung und des Nonsense

NONSENSE                                                                                                          1. Januar 2000

BACK BAKC BAKC BACK
LACK LAKC LAKC LACK
KACK KAKX KAKC KACK
SACK SAKC SAKX SACK

   WEM WEMM WEM WEMM
   DEM DEMM DEM DEMM
   BLEMM BLEM BLEM BLEMM
   SEM SEMM SEMM SEM

      BIMM BIM BIMM BIM
      KIMM KIM KIM KIMM
      XIM XLIMM XIMM XWIMM
      SIM SIMM LSIM WSIMM

         COM COMM COM COMM
         DOM DLOM DLSOM DOMDOM
         MOM MOLM MOMM MOXXOM
         VOM VOM VOM VOM

            BLUFF BLUFF BLUFF BLUF
            DRUFF DRUFF DRUFF DRUF

PLEASE CORRECT ALL MISTAKES
THANK YOU VERY MUCH
BROTHER MOTHER SISTER INCORPORATED, New York Times for Süddeutsche Zeitung

November 2002

An die Chefredaktion der Süddeutsche Zeitung

Ein Leserbrief zu "Außenpolitik in der SZ"

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich abonniere die SZ seit Anfang der 60er Jahre und weiß, dass Pluralität der Meinungen in der Demokratie ein wichtiges Merkmal anspruchsvoller Zeitungen ist und unterschiedliche Qualitäten der Recherche zu einer Zeitung ebenso gehören wie das Mosaik der Geschmäcker und Fähigkeiten der Journalisten.

Umso mehr erstaunt mich, dass in der letzten Zeit die Innenpolitik der SZ, die meines Erachtens zum Besten auf dem deutschen Markt der Tagespresse gehört, die Außenpolitik Ihres Blattes dermaßen in den Schatten stellt. Haben Sie denn überhaupt noch eine Redaktion, die auf Qualität und Glaubwürdigkeit der Beiträge achtet? Mir fällt auf, dass qualifizierte Information in dem Maß schwindet wie die subjektive Kommentierung zunimmt und sich leider so oberflächlich gibt wie das SZ-Magazin und die neue SZ am Wochenende. (Geben Sie einen Rabatt, wenn ich auf beide Beilagen verzichte?)

Manchmal erstaunt mich, wie, trotz der extremen, zumeist seichten Subjektivität, Klischees dominieren. Folgen die Leute einer Sprachregelung oder einem vorauseilenden Gehorsam? (Über die USA, Russland und Zentralasien, speziell Afghanistan – eine Fundgrube: Avenarius, das Multitalent, beherrscht ja den Kreml, Afghanistan und Tschetschenien wie weiland ein Chefkommentator der alten Prawda).

Über Russland schießen bei Ihnen fast alle wieder aus einem Rohr – in die Richtung des alten, vertrauten Feindes seit 1914. Da behauptet eine Dame (Neubert), eine kritische Sicht des Ribbentropp-Molotow-Paktes und dergleichen gäbe es in Russland nicht mehr. Hat Frau Neubert einmal von der Sammlung gehört, die dort in jeder Uni-Bibliothek vorliegt und ausgesprochen sensationelle Dokumente (“Russland. 20. Jahrhundert”), enthält? Hat sie die heftigen Diskussionen in Russland deshalb verschlafen, weil etwa diese Dokumentation in Deutschland – auch in Ihrer Zeitung – bis heute ignoriert wird?

Repräsentanten des demokratischen Russland – vor allem der schwere und noch nicht ausgestandene Kampf, das dieses Russland führt – kamen und kommen bei Ihnen nicht vor: Als ich Ihnen 1995 Informationen über die Hintergründe des ersten Tschetschenien-Krieges der 90er Jahre aus erster Hand anbot (ein Interview mit Sergei Kowaljow – er stand in Grosny als Menschenrechtsbeauftragter in der Administration von Jelzin, als dieser Bomben abwerfen ließ -), haben Sie nicht einmal geantwortet. Der Eindruck bei Menschen wie Kowaljow bis heute: Der Krieg passte ganz gut in ein bestimmtes Schema des Westens mit seiner Doppelmoral – je mehr sich die Russen selbst zerstören, desto besser. Die unterschiedlich argumentierenden Gegner des barbarischen Krieges im Kaukasus sind bei Ihnen ebenso wenig gefragt wie engagierte Demokraten, stören diese doch das Bild eines Landes, das man sich stets im Hinterhof der Weltgeschichte wünschte – 1917 durch den aus Deutschland finanzierten Putsch der terroristischen Bolschewiki (mit über 60 Millionen Goldmark!); ab 1991 dirigiert von autoritären Säufern und Tölpeln, ab 1999 von Putin und seinen Tschekisten, ein Land, das gemäß Ihrer bevorzugten Darstellungen heute besiedelt wird von Mafiosi, Prostituierten, Killern und Dummköpfen. Kein Wunder also, dass “70 Prozent der russischen Wirtschaft in den Händen der osteuropäischen Mafia” sind (Kahlweit, SZ v. 05.11.02). Der Terrorakt in Moskau gilt Ihnen als eine quasi freiheitliche Inszenierung “mutmaßlicher tschetschenischer Rebellen” (Ihr Aufmacher am 23.10.02). Frei nach der Devise: Der Putin ist doch selbst schuld! Dann kommt hinzu, dass die Russen das Unheil gar nicht bemerken, vor dem sie jedoch die fürsorgliche SZ aus München warnt (“Wie immer betrunken, lagen der einbeinige Kriegsinvalide Andrej, sein Freund Sergej und dessen Frau Maja mit ihren ewig blau geschlagenen Augen zu dritt in einem Bett, der Pittbull Rem friedlich zwischen ihnen dösend”, Avenarius, SZ v. 25.10.02 – man sieht, der SZ-Mann ist ein kenntnisreicher Beobachter von Moskauer Bettszenen – über Wodkagelage in Treppenaufgängen hat er sich ja schon zuvor ausgelassen!).

Wären Sie beleidigt, wenn man Ihrem Blatt vorsätzlichen Rufmord und Volksverhetzung unterstellte? (“Natürlich sind nicht alle reichen Russen in vornehmen Hotels Kriminelle – und doch ...”, Kahlweit über “Baden-Baden und anderswo”, s.o.) Wollen Sie etwa das Baden-Badener Fünf-Sterne-Hotel Brenner unter Druck setzen, wenn nichtrussische Reiche (von Düsseldorf über Dallas bis Riad) sich künftig weigern, unter einem Dach mit Russen zu schlafen, die dort mit “blondierten” Minderjährigen ihre Nächte verbringen und deren teure Kleider in die Mülltonne werfen?

Was wollen Sie eigentlich mit all dem erreichen? Angst schüren? Hass entfachen? Unter intelligenten Leuten sich endgültig blamieren? Deutsche Kaufleute daran hindern, in Russland zu investieren? Oder rechnen Sie mit Konflikten in der Zukunft, auf die man das deutsche Publikum einstimmt – zum Beispiel auf einen Befreiungskrieg im Kaukasus? (Als Nebenschauplatz des künftigen Befreiungskrieges im Irak, dann vielleicht im Iran usw?) Ihr Blatt wird doch in Russland gelesen, da kann man über Satelliten auch jeden Sinn und Unsinn unseres Fernsehens empfangen. Glauben Sie im Ernst, kritische Leute - erneut “unter dem Joch des Kreml” wie weiland zu Sowjetzeiten – seien der Meinung, Sie engagierten sich für Russlands Demokratie?

Nein, ich fürchte es ist viel einfacher und kann schon bei Katharina II, der Zarin aus Zerbst, nachgelesen werden, als sie sich weigerte, einen “hochbegabten deutschen Mann” mit einem hohen Amt auszustatten: “Wie alle Deutschen hat er einen Riesenfehler – sie haben nicht genug Achtung vor Russland.”

Oder wie Dostojewski später schrieb: “Die ungewöhnliche Unkenntnis der Europäer in fast allem, was Russland betrifft, überraschte mich außerordentlich ... Ich stelle nur fest: Selbst die wildesten und erstaunlichsten Nachrichten über das gegenwärtige Leben in Russland finden beim Publikum den uneingeschränkten und naivsten Glauben ... Jeder weiß, dass es in Europa einige Periodika gibt, die speziell dazu bestimmt sind, Russland zu schaden.”

Dostojewski hat hier unrecht: Solche Periodika schaden nicht nur Russland, sondern auch Deutschland. Denn gerät – wie das bestimmte deutsche Eliten ab 1915 anstrebten – Russland heute in die Hand seiner chauvinistischen Isolationisten (damals waren des die bolschewistischen), dann scheppert es sogar in den Räumen der SZ-Chefredaktion.

PS: Zum Versand des Leserbriefes an die SZ und Moskowskie Nowosti

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich erlaube mir, Ihnen den Leserbrief unmittelbar zuzuleiten, betrifft er doch etwas Grundsätzliches, das Sie dem Text des Briefes selbst entnehmen können. Das heißt: Diese Sache betrifft nicht nur die Verantwortung namentlich gezeichneter Artikel, sondern die Chefredaktion insgesamt.

Vor ein paar Jahren hat Ihr Blatt - während einer Tagung zum Thema “Russland” unter Putin bei der Evangelischen Akademie in Tutzing – ein Interview mit Herrn Viktor Loschak, Chefredakteur der Moskowskie Nowosti, aufgenommen und veröffentlicht (ob das in der Form geschah, wie es Ihr Mitarbeiter ablieferte, kann ich nicht beurteilen – das Resultat schien mir merkwürdig, zumal ich Herrn Loschak bei der Tutzinger Tagung betreute, auch als Übersetzender).

Aus diesem Grund schicke ich eine Kopie dieses Schreibens und meines Leserbriefes auch an Hr. Viktor Loschak nach Moskau zu seiner Kenntnis und zur freien Verfügung für eine Veröffentlichung. Vielleicht haben Sie es vergessen: Die Zeitung Moskowskie Nowosti war und bleibt eines der Flaggschiffe für Freiheit und Demokratie in Russland, deren Probleme ich auf den Seiten der SZ seit langem vermisse, ja darin eigentlich nie zur Sprache kamen. Das sage ich aus gutem Grund und Kenntnissen aus meiner Übersetzung der Autobiographie von Alexander N. Jakowlew.

Nachtrag2003/2005

Die Moskowskie Nowosti veröffentlichte den Beitrag, die Süddeutsche Zeitung, München, reagierte nicht. Statt dessen rief Thomas Avenarius, SZ-Korrespondent in Moskau, bei mir an und beteuerte, er habe nichts gegen eine Veröffentlichung. Ob er nicht an einem öffentlichen Streitgespräch in München teilnehmen wolle, fragte ich ihn. Im Prinzip ja, antwortete er wie weiland der Sprecher von Radio Eriwan, aber das hängt davon ab, wann ich wieder im Land bin. Er ist offenbar nie ins Land gekommen und berichtet seit seinen Abenteuern zwischen Moskau, Grosny, Afghanistan und anderswo bekanntlich aus Kairo über die heißen Punkte im Nahen Osten, Mittleren Osten und da und dort über Arabisches und Islamisches – ohne Kenntnis der Sprachen.

Brief an die Süddeutsche Zeitung, August 2005
Joachim Käppner: "Die ferne Verteidigungslinie", SZ vom 26.08.2005

Nicht nur die Deutschen haben sich “mit den Auslandsmissionen ihrer Armee” schwer getan, wie Käppner sein Plädoyer für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan einleitet. Er wiederholt das, was Donald Rumsfeld in seinem Briefing für ausgesuchte Journalisten vor kurzem aufzählte und angab, warum die US-Regierung jetzt mehr Truppen in den Irak und nach Afghanistan entsendet. Das Echo in Deutschland darf da nicht fehlen. Ich halte es für keinen Zufall, dass der deutsche Meinungsartikel die Durchhalteparolen der US-Administration variiert, womöglich unfreiwillig und auf dem Umweg über Berlin. Sie stammen inhaltlich aus den Spinnereien(meine Bezeichnung für die PR-Studios der spin doctors) von Karl Rove, Chefstratege des Präsidenten Bush jr., oder I. Lewis Libby, Oberassistent des Vizepräsidenten Cheney. Gelogen wird mehr denn je. Kein Wunder nach dem politischen und militärischen Fiasko aller “Friedensmissionen” seit der Wende 1989/91. Die Los Angeles Times vom 25.08.05 (Tom Hamburger und Sonni Efron) lässt einen auf das auseinanderbrechende Lügengebäude auf allen Ebenen der Macht in Washington blicken. Rumsfeld bleibt es allerdings noch immer vorbehalten, draufzuhauen: “Americans are a tough lot and will see their commitments through”. In freiem Teutonensprech: “Amerikaner sind knallhart und stehen bis zum Letzten” (William Branigin, The Washington Post, 23.08.05). Was das Letzte sein soll, ist in den USA jedenfalls umstrittener denn je. Vor der Ranch des Präsidenten in Texas (wo Bush, wie die New York Times am 24.08.05 vorrechnete, seit seiner Präsidentschaft 339 Tage Urlaub verbrachte) wartet seit Wochen Cindy Sheehan, die vom Präsidenten erfahren will, weshalb ihr Sohn im Irak sein Leben verlieren musste. Auch in den Publikationen, die das Spinnereigewebe über die wirklichen Gründe der Interventionskriege auseinandernehmen, hört sich die deutsche Werbung für die “Friedensmissionen” im Ausland etwas makaber an. Verlangt doch Käppner von den Betroffenen die “Bereitschaft, Rückschläge und Opfer zu ertragen”, um dabei zu unken: “Die Bundeswehr wird noch sehr lange in Afghanistan bleiben.” Woher weiß er das? Kennt er die Sorgen der deutschen Soldaten und ihrer Angehörigen im Einsatz? Kennt er die Fehleinsätze der Deutschen, die schon ums Leben gekommen sind? Warum berichtet er nicht über die blutigen Ziele der deutschen Sondereinheiten des “Kommandos Spezialkräfte” (KSK)? Und teilt den SZ-Lesern zumindest mit, dass sie “unter Geheimschutz” operieren und auf wachsenden Widerstand in der Bevölkerung stoßen?

Während Käppner wie die seligen PK-Leute der Wehrmacht (immer weit weg von der Front) philosophiert, erfahre ich dagegen aus der New York Times vom 22.08.05, dass sich die Kampftaktiken im Irak und Afghanistan vernetzen, die Verluste der Amerikaner seit 2001 dort die größten sind. Hängt seine “Prognose” über die lang anhaltende “Friedensmission” am Hindukusch vielleicht mit den Großmanövern Russlands und Chinas, demnächst (im Oktober) mit Indien zusammen? Sollen sich die Deutschen etwa dem “Krieg gegen den Terror” der Russen, Chinesen und Inder anschließen? Oder steht ihnen ein anderer Befehl ins Haus? Im Zusammenhang mit den russischen TU-95 und TU-22M, den Langstreckenbombern, die bei der russisch-chinesischen “Friedensmission 2005" dabei waren. Ihm und anderen sei deshalb ein amerikanisches Buch zur Aufklärung empfohlen, das wichtige Fakten und Aussagen aus erster Hand über die Interventionskriege der letzten Jahrzehnte verarbeitet: War Made Easy. How Presidents and Pundits Keep Spinning Us to Death von Norman Solomon, John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jersey, 2005. Solomon erinnert unfreiwillig an Szenarien deutscher “Friedensmissionen” in der Vergangenheit, die uns längst eingeholt hat: Von Jugoslawien über den Kaukasus (Tschetschenien, Abchasien, Georgien) bis Afghanistan und Irak. Wenn Deutsche etwas nicht vergessen sollten (von Hitlers geostrategischem Irrwitz abgesehen, den die neuen PK-Journalisten gar nicht kennen), dann die Tatsache: Kriege lassen sich in der Etappe leicht begründen, von auftrumpfenden Politikern wie Blitze über fremde Territorien schleudern (mit Bomben gegen die Zivilbevölkerung), aber ziemlich schwer beenden, weil unter anderem aus dem einen regionalen Fiasko das nächste probiert wird – bis es zu Flächenbränden und Weltkriegen kommt. Die sinnlosen Kosten und Zerstörungen auch der neuen “Friedensmissionen”, genau: brutaler, völkerrechtswidriger Interventions- und Eroberungskriege will ich erst gar nicht ansprechen ...

Antwort an den Absender, 29.08.2005

Sehr geehrter Herr Hitzer, ich möchte Ihnen auf Ihren Leserbrief antworten, in dem Sie meinen Kommentar zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan sehr kritisch bewerten. Dazu möchte ich gerne zwei Dinge anmerken.

Erstens gehen die Meinungen hier schlicht auseinander, wenn Sie die meine – die Mission ist nötig – für einen Ausdruck von schlechtem Journalismus halten, ist Ihnen das unbenommen. Wie Sie richtig anmerken, werden auch innerhalb der Redaktion unterschiedliche Standpunkte über die Auslandseinsätze der Nato geäußert. Ich darf Ihnen übrigens versichern, dass ich ganz ohne Instruktionen des amerikanischen Verteidigungsministers ausgekommen bin.

Zweitens aber habe ich mich wieder einmal gewundert, wie schnell andere Meinungen gleich in Nazi-Nähe gerückt werden. Es gibt aus meiner Sicht viele respektable Argumente gegen den Hindukusch-Einsatz der Bundeswehr, auch wenn ich sie nicht teile. Eine sachliche Auseinandersetzung ist aber nicht möglich, wenn Sie meine Argumente mit der Wehrmachtspropaganda gleichsetzen. Ich mag auch gar nicht mit Ihnen über diese Unterstellung rechten, darf aber eines zu bedenken geben: Der Afghanistan-Einsatz wird von einer gewaltigen Mehrheit des Parlaments getragen und demnächst wohl auch verlängert – denken fast alle Abgeordneten wie Wehrmachts-Propagandisten? Außerdem, und das meine ich ganz errnsthaft, sehe ich die Gefahr, die Naziverbrechen zu relativieren, wenn das Dritte Reich zum Vergleich mit jeder Meinung herhalten muss, die einem nicht passt. Mit freundlichen Grüßen

gez. Joachim Käppner, Stv. Ressortleiter Innenpolitik Süddeutsche Zeitung

Brief an den Stv. Ressortleiter Innenpolitik, Dr. Joachim Käppner, 31.08.2005

Sehr geehrter Herr Dr. Käppner,

für Ihren Brief vom 29. August 2005 will ich mich postwendend bedanken und zugleich bedauern, dass Sie auf meine Warnungen, die ich unter anderem Freunden und verantwortungsbewussten Kollegen in den USA verdanke, nicht eingehen. Außerdem habe ich ausdrücklich geschrieben, dass ich eine zeitliche Übereinstimmung mit den Äußerungen Rumsfelds über die Truppenverstärkungen in Afghanistan feststelle, die Sie “womöglich unfreiwillig und auf dem Umweg über Berlin” weitergeben und zugleich – ohne nähere Begründung – einen langen Einsatz deutscher Soldaten mit Opfern am Hindukusch erwarten. Ihr Kollege Peter Blechschmidt hat diesen Gedanken in der SZ vom 31.08.05 bekräftigt: “Struck warnt, die deutsche Bevölkerung müsse sich auf Tote bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr einstellen. Dennoch denkt er nicht an einen Abzug aus Afghanistan, sondern strebt vielmehr eine Ausweitung der Mission am Hindukusch an.”

Dass dieser hohe Grad von Übereinstimmung zwischen Rumsfeld und Struck, Käppner und Blechschmidt nicht zufällig besteht, können Sie vielen Analysen britischer und US-amerikanischer Autoren entnehmen. Im Unterschied zu den meisten Deutschen (leider auch in der SZ, nicht nur bei FAZ und Welt, Bild, Focus, Spiegel) weigern sie sich, die Wünsche der Exekutiven – ihre Chefredaktion inbegriffen – zu variieren. Sie decken den Sonder-Sprech für die Interventionskriege vom alten Balkan über den Kaukasus bis zum neuen Balkan (vorerst Afghanistan und Irak) auf. Wirklich unabhängige Journalisten, die selbstständig recherchieren, werden allerdings in Zeiten der Mächte, die uns dem neuen Militarismus ausliefern, immer seltener. Ein Beispiel: Solomon erwähnt in seinem Buch War Made Easy die drei größten Sender der USA, ABC, CBS, NBC, die von September 2002 bis Februar 2003 die 414 Stories zur Einstimmung der Bevölkerung auf den Überfall des Irak zu 90 Prozent nach Vorgaben aus dem Weißen Haus, dem Außenministerium und Pentagon ausrichteten. Dem Muster folgten, wie leicht nachzuweisen ist, die Deutschen - in den Exekutiven der Politik, Wirtschaft und Medien – seit dem Bombenkrieg gegen Jugoslawien.

In allen Fällen sehe ich den Tatbestand der neuen PK-Mentalität – ohne NS-Ideologie und NS-Embleme. Die besten PK-Leute waren übrigens diejenigen, die nicht Hitler, sondern den Krieg und das Geschehen des Krieges befürworteten und “nützliche” Argumente fürs Kriegführen formulierten. Manche von ihnen haben nach 1945 Bestseller verfasst - denken Sie an Lothar Günther Buchheim und Hans-Hellmut Kirst. Der beliebte Antikriegsbuchautor der Zwanzigerjahre, Ernst Glaeser (Jahrgang 1902), gehörte zu ihnen nach Rückkehr aus der Emigration. Er überwinterte fern von der Front als Kommentator für die Medien der Luftwaffe. Genau diesen unsterblichen Typus habe ich, um es militärisch auszudrücken, im Visier. Das Pentagon nennt sie embedded. Was tun die Eingebetteten? Sie schreiben positiv und allgemein fürs Handwerk des Tötens, bedenken nie, ja verdrängen das Ende und schwören die Mütter, Schwestern, Söhne, Väter stets darauf ein, dass sie Opfer bringen müssen. An die Opfer der Bombenkriege gegen die Länder, die “befreit” werden sollen, denken Sie nicht. Sie spielen den Part der Propaganda-Kriegs-Korrespondenten aus der sicheren Ferne und wenden sich schweigsam ab, wenn sie erfahren, was die “Kollateral-Schäden” an Verstümmelung, Zerstörung und Vernichtung für lange Zeit bedeuten.

Wer den Bombenkrieg gegen Afghanistan (Jugoslawien, Irak u.a.) nicht schonungslos beschreibt, wie das meine amerikanischen Freunde tun, verhält sich so wie die deutschen PK-Helden, die einst aus der Etappe über Stalingrad oder Leningrad berichteten. Erst verkündeten sie die Botschaften, dass es einen raschen Sieg gebe, dann kamen die Meldungen über erste Opfer, die sie für unvermeidlich hielten. Und die Eskalation des sinnlosen Krieges und der Methoden der gegenseitigen Vergeltung (stets gegen den Terror) wuchs immer mehr. Wenn Struck von “seinen Soldaten” redet – so die SZ von heute – kommt mir alles wieder hoch, woran ich mich als Kind erinnere und was ich als Werkstudent in den Berichten der Heimkehrer aus sowjetischem Gewahrsam exzerpierte (bei der “Kommission der deutschen Kriegsgefangenengeschichte”, erst im Osteuropainstitut, dann in der Martiusstraße in München).

Wenn Sie persönlich die Auslandseinsätze deutscher Soldaten befürworten, tragen Sie auch die Verantwortung für die Folgen Ihrer Publizistik. Wie Sie das tun, ist Ihre Sache - ob mit oder ohne Jüngstes Gericht. Bitte warten Sie aber nicht darauf, bis die Särge der Gefallenen nicht mehr gezählt werden. Über die fast 2000 deutscher Soldaten mit posttraumatischen Zuständen nach Auslandseinsätzen habe ich nichts aus Ihrer Feder gelesen. Auch nicht darüber, was Barbara Ehrenreich in ihrem 1997erschienenen Buch Blood Rites. Origins and History of The Passions of War beschreibt – die Kriege der Neunzigerjahre und die “chirurgisch sauberen” Bombenkriege gegen Jugoslawien und den Irak betrafen Abertausende von Frauen, Kindern und Alten. Nach Chris Hedges, der diese Tatsachen ebenfalls recherchierte (What Every Person Should Know About War, New York 2003), betrafen diese Kriege nicht die Tschetniks, Taliban oder Saddams Schergen, sondern 75 bis 90 Prozent der Zivilbevölkerung. Die Zeitschrift Lancet veröffentlichte 2004 eine Studie der John Hopkins und Columbia University, wonach im Verlauf von 18 Monaten Bombardements des Irak über 100.000 Iraker, zumeist Frauen und Kinder ihr Leben verloren – von den Verstümmelten und für immer Gezeichneten gar nicht zu reden. Die SZ hat nie über diese Opfer geschrieben.

Nein, verehrter Herr Dr. Käppner, hier geht es nicht mehr um bloße Meinungen, sondern um Fragen von Leben oder Tod, dem pathologischen Wahn geostrategischer Panditen an der Spitze der Macht, die erneut Menschen in sinnlosen Kriegen verheizen. Mich erinnert das an Gloster in König Lear: “Es ist der Fluch der Zeit, dass Tolle Blinde führen”. Dazu gehören leider auch die Abgeordneten des Bundestags, die sich vor dem Bombenkrieg gegen Jugoslawien und Afghanistan gegenüber dem Schicksal anderer Völker wie Blinde aufführten, gleichzeitig durch neoliberale Ideologen gegen das eigene Volk erpressen ließen.

Mit freundlichen Grüßen und guten Wünschen

Friedrich Hitzer

Nachtrag an Dr. Joachim Käppner.

Sie antworten freundlich und bestimmt, was ich hoch achte und zugleich betone, dass Vergleiche stets auch Unterschiede mitdenken lassen. Als Kind des Krieges, der Jagdbomberangriffe aus Bordwaffen auf den am Boden gehenden kleinen Zweibeiner überlebte, fühle ich unter der Haut, dass die Kriege seit 1990 vorwiegend Zivilisten töteten und ganze bewohnte Landstriche in den Ruin bombten. Vielleicht erkundigen Sie sich auch bei Mira Beham, die einmal in der SZ arbeitete, bis sie so einen Bombenhagel ablehnte und gegangen wurde. Womöglich ist all das erst der Auftakt zu dem, was George Soros (in einem Gespräch mit dem ORF) als Weltherrschaft durch Gewalt in verschiedenen Formen und Etappen meint. Normon Solomon ist härter als der Banker. Auch Daniel Ellsberg, mit dem ich mich über die “Kriege aus der Luft” lange unterhielt. Deshalb ist für mich jeder Artikel “aus der Etappe” genau das, womit Sie nicht gleichgesetzt werden wollen. Aber ohne diese “Etappe” kann keine Politik Kriege führen, weder Wilhelm II noch Hitler, weder Johnson noch Bush, auch kein Schröder, Scharping und Fischer. Letztere wussten, was sie riskierten, weil man in Washington nicht um den heißen Brei herumredet und dies schon vor dem 11. September 2001. Das Project for The New American Century ist sogar im Internet nachzulesen. Und Robert Bowman, einst Chef des SDI-Programms, mit dem ich korrespondierte, hat auch kein Blatt vor den Mund genommen, als er vor den Kriegen warnte.

Sie schreiben viele Artikel, die ich gerne lese und mir merke – etwa Ihre einfühlsame Erinnerung an Simon Wiesenthal, mit dem ich (als Gründungsmitglied und Mitherausgeber des PDA, später PDI) indirekt zu tun hatte. Aber das andere Thema ist zu ernst. Ich schlage Alarm, weil ich – Bürger der Bundesrepublik und Besitzer der US-Green Card (seit 1956) – fürchte, dass wir auf dem besten Weg sind, die Verhängnisse der Vergangenheit unter neuen, selbstverständlich wiederum “edlen Zielen” zu wiederholen – dieses Mal nicht als Hegemon, sondern als Vasall, der dann und wann ein wenig murrt.

Deshalb schicke ich Ihnen den vollen Text meines Leserbriefs, den die SZ gekürzt veröffentlichte, meine Übersetzung des Artikels “Was kostet der Warfare State” Norman Solomons und die jüngste Übersetzung Solomons von Bush jr. – in Fragmenten aus dem Propagandaschwall des Präsidenten in die Sprache des blutigen Alltags, die Frontsoldaten und ihre Gegner im Irak, in Afghanistan (in Tschetschenien auf russisch), dann und wann im Kosovo anwenden. In den Zeitungen und im Fernsehen aber zumeist flüchtig und unpräzise weitergegeben werden – zumeist jedoch mit silence of language (Richard Keeble – der englische Kenner von George Orwell parexcellence).

Freundliche Grüße und beste Wünsche

IN DER WUTH TUT NIEMAND GUT (altes deutsches Sprichwort)

Zu Stefan Kornelius in der SZ vom 21. September 2005

Wenn Papier schreien könnte, wären die Ausbrüche des Stefan Kornelius übers “Kummerland, Schlummerland” in jedem Buchstaben seiner Beschimpfung der Deutschen zu hören. Deutschland sei “zu einem politischen Gnom geschrumpft”, “derart verbacken”, “kompliziert und undurchschaubar”, “ideologisch aufgeheizt und zum Stillstand verdammt”, dass dem tobenden Redaktor (auf gut schwyzerisch) nur noch Schlechtes einfällt. Da der Wüterich keine Namen nennt, kann man sich aussuchen, wen er zwischen Isar und Spree, Rhein, Elbe und Oder meint.

Nun denn, über Deutschlands Wahlvolk raufen sich derzeit nicht nur Meinungsforscher, die ewig gleichen Gäste der Talkshows und die meisten Leitartikler, die gern dunkel munkeln, die Haare. Aber wenn ich aus der Münchner Sendlinger Straße den Schrei des Stefan K. vernehme – “Die Welt denkt anders!” -, ist schon zu fragen: Was ist mit dem Mann los? An welche Welt denkt er? Etwa an die der “Aktienkurse und Wahlkurven”, die (auf der gleichen Seite 4) sein Kollege Martin Hesse beschreibt? “Wichtiger als die Farbe der Politik”, heißt es da, ist “die Politik der Konzerne ... Die richten sich nämlich nicht nach den Bedürfnissen des Volkes sondern nach den “globalen Kapitalmärkten”. Und Hesse raunt leiser als Kornelius: Die kommende Regierung würde den “Teufelskreis” durchbrechen, damit “Siemens und andere Globalisierungsgewinner wieder in Deutschland investieren”. Ausgerechnet Siemens, dessen Heuschreckenbosse am Tag nach der Wahl rund 10.000 Menschen entlassen.

Die Welt, die ich kenne, hat sehr wohl verstanden, dass die Deutschen genau diesen Kräften des Absahnens und Abzockens eine Abfuhr erteilten. Vor allem haben das meine amerikanischen Freunde verstanden, die auf dieses Deutschland genauso setzen wie die Franzosen, Holländer, Italiener, Russen und Engländer – eigentlich alle, denen der Sozialstaat als Vorbild für eine humane und vernünftige Weltinnenpolitik dient, aber nicht die Politclowns des globalen Turbokapitalismus.

Natürlich verstehe ich die Wut des Außenpolitikers, der dem Präsidium der IP angehört, jener Elitezeitschrift (“Internationale Politik”), die in der aktuellen Ausgabe die Hegemonialtheorie der Bushianer abhandelt (“Zerfallende Staaten”) und die Vorteile disktutiert, wie man sich die Märkte und Staaten, wenn es sein muss, auch militärisch, erobert und aufteilt (die Prinzipien des “Westfälischen Friedens” werden elegant weggefegt, fast so wie die nicht geschützten Behausungen im Mississippi-Delta durch Katrina). Wer so denkt und gleichsam die Richtlinien für die Medienmentalitäten vorgibt (neben Stefan Kornelius tun das im Club dieser “Welt”: Friede Springer, Michael Rogowski, Eberhard Diepgen, Horst Teltschik, Hans-Dietrich Genscher und im Beirat die Elite des Neokonservativ-Neoliberalen Kartells aus Washington und den deutschen Filialen). In diesem Heft findet man wenigstens den Text derer, die in den USA zwar in arge Bedrängnis geraten, aber in Deutschland – auch in der SZ – nach wie vor durch gute Platzierung gleichgeschalteter Ansichten beschworen wird. Die kritischen Stimmen aus dem Amerika, das ich verehre – eine lege ich bei: Norman Solomon mit seinem Artikel aus dem Internet-Kommunikationsforum, wo keine Meinungsmonopole herrschen – da erfahre ich weitaus mehr über die reale Welt. In Solomons Beitrag über die “Kosten des Warfare State”, dem auch das deutsche Establishment finanziell, politisch und publizistisch frönt, erfahre ich genau das, weswegen ich persönlich auf die deutschen Wählerinnen und Wähler stolz bin und den Satz, den Solomon für die Amerikaner wählte, hier paraphrasiere: “Das Volk der Bundesrepublik Deutschland ist den Politikern in Berlin und den leitenden Redakteuren aller Leitmedien weit voraus.”

NORMAN SOLOMON

WAS KOSTET DER WARFARE STATE

Die New York Times begann diese Woche mit einem Leitartikel, der die Mediengesinnung des Warfare State kennzeichnet.

Das Editorial am Montag warnt vor den grässlichen Folgen eines wachsenden Defizits, das die Steuersenkungen auslösten und sich mit den “Vor-Katrina-Prioritäten des Mr. Bush vermengten”. Diese Prioritäten beziehen einen Militärhaushalt ein, der jetzt rund 500 Milliarden US-Dollar im Jahr verschlingt. Aber die Times widmet in ihrem Editorial kein einziges Wort über die Militärausgaben des Irak-Krieges.

Warum erwähnt man nicht die Option eines amerikanischen Rückzugs aus dem Irak, wo die US-Kriegsmühen den Steuerzahlern bereits 200 Milliarden US-Dollar aus der Tasche gezogen haben? Schön, wer das Sagen hat, was in die Leitartikel der New York Times kommt – genau so wie in die übrigen Großzeitungen des Landes - kann sich nicht dazu überwinden, für ein rasches Ende der US-Militärrolle im Irak einzutreten.

Grimmige Kritik an der Politik des Weißen Hauses ist eine Routine und durchaus kompatibel mit einer Unterstützung des Militarismus. Als die Times die Bush-Administration wegen des Handling der Hurrikanfolgen in einem Leitartikel vom 2. September verurteilte, enthielt der letzte Absatz den unzweideutigen Satz: “Amerika braucht zweifellos eine aktive Militärdienstarmee.”

Jetzt kreischen die Steuerkonservativen im Kongress laut auf, was die Bundesausgaben für die Golfküste dem Defizit antun werden. Die Widersprüche zwischen der Humanrhetorik und der Kosten für die Todesmaschine sind greller denn je. Die Inlandsbelastungen des US-Militarismus sollten auf den Tisch kommen und nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Das Volk der Vereinigten Staaten ist den Politikern in Washington und den leitenden Redakteuren im New York Times-Gebäude weit voraus. Am Samstag berichtete die Times über die Ergebnisse einer Umfrage, die sie gemeinsam mit CBS-News durchführte. Die Unterstützug für den Irakkrieg ist landesweit auf den bisher tiefsten Punkt gefallen (“Nur noch 44 Prozent meinen, die USA hätten richtig entschieden, gegen den Irak militärisch vorzugehen.”) Die Umfrage fand noch etwas heraus: “Bei den Dutzenden von Milliarden US-Dollar für Hurrikan Katrina und den monatlichen 5 Milliarden $ für den Irakkrieg meinen 8 von 10 Amerikanern voller Sorge, damit werde Geld abgezweigt, das man eher in den Vereinigten Staaten verwenden sollte.”

Die enorme finanzielle Last der anhaltenden US-Militärintervention im Irak könnte sich für die rechts gerichteten Eiferer, die derzeit die Staatsmacht an der Pennsylvania Avenue halten, verheerend auswirken. Aber die liberalen Eliten, die sich weigern, einen schnellen Rückzug der US-Streitkräfte aus dem Irak einzufordern - seien es die Führer der Demokratischen Partei im Kongress oder die Angehörigen des Herausgebergremiums der New York Times – nehmen nicht die Position ein, diese Frage auf die Tagesordnungen zu setzen.

Die Öffentlichkeit sollte immer öfter die Art der Einsicht zu hören bekommen, die Präsident Dwight D. Eisenhower im Jahr 1953 aussprach: “Jedes angefertigte Gewehr, jedes vom Stapel gelassene Kriegsschiff, jede abgefeuerte Rakete bedeutet letztlich Diebstahl an denen, die hungern und leiden, frieren und nichts zum Anziehen haben. Diese Welt in Waffen gibt nicht nur Geld aus. Sie verschleudert den Schweiß ihrer Arbeiter, den Genius ihrer Wissenschaftler, die Hoffnungen ihrer Kinder. Das ist, im wahren Sinn des Wortes, überhaupt keine Art zu leben. Unter der Wolke des Krieges hängt die Menschheit an einem Kreuz aus Eisen.”

Es liegt an der Antikriegsbewegung, die Verbindungen zwischen Kriegskosten und wirtschaftlichem Elend direkt anzusprechen, worüber es in der Times-CBS-News-Umfrage heißt, dies bereite über 80 Prozent der Öffentlichkeit große Sorgen. Dazu gehört die Freigebigkeit, mit der das Pentagon seine Vertragspartner ausstattet – die Konzerne, die in den Kontext des Militarismus gehören, der viele Amerikaner und weitaus mehr Iraker tötet. Dieser Augenblick der Geschichte bietet eine entscheidende Gelegenheit, die Opposition gegen den Irakkrieg auszuweiten und damit gegen den ganzen Warfare State.

Veröffentlicht von www.truthout.org am 19. September 2005

Aus dem Englischen von Friedrich Hitzer

An die bessere Hälfte der Süddeutschen Zeitung, November 2005

Sehr geehrte Franziska Augstein,

Sie schreiben - leider – selten in der SZ, die ich zu meinem Leidweisen immer schneller zu Ende lese, um mich dann den Internet-Zeitungen zuzuwenden (in der letzten Zeit US-amerikanischen – ein kleines Sprengsel in meiner Übersetzung anbei). Heute las ich erneut gern und intensiv Ihre Zeilen – die selten schreibende Franziska Augstein regt zum Mitdenken an. Ich könnte jetzt – wie bei unserer letzten Korrespondenz um Speer und Er - viele Fäden weiterspinnen und in diesen elektronischen Brief einfließen lassen. Statt dessen schicke ich zwei Texte als Anhang. Mein Geleitwort zu Alexander Jakowlews Autobiographie "Die Abgründe meines Jahrhunderts". Darin ist fast all das enthalten, was Sie unter dem "neuen Mythos" zusammenfassen. Herr Möller, den Sie erwähnen, war mein Nachbar – im Flugzeug des Präsidenten, Roman Herzog, der mich in seine Delegation beim Besuch Russlands 1997 mitnahm (für eine Diskussion mit russischen Partnern – dafür verfasste ich – als einziger in der Gruppe für Kultur und Wissenschaft – Punkte unter dem Titel "Paralipomena"). Damals wusste ich nicht, dass das Institut für Zeitgeschichte eine Partnerschaft mit Jakowlews Projekten realisieren sollte. Jakowlew unterschrieb 1996 eine Vereinbarung – die Gegenunterschrift hat er nie erhalten. Sollte sie noch eintreffen, wäre es zu spät. Alexander Jakowlew starb am 18. Oktober 2005. In Deutschlands Presse wurde der Tod da und dort erwähnt - all das, was wir als Gemeinwesen ihm verdanken (er erhielt im Frühjahr das Bundesverdienstkreuz), gehört zu dem, was bestimmte Eliten unseres Landes im Umgang mit Russland schon immer trieben: Mit Arroganz deutsche Ignoranz demonstrieren. Das steckt nämlich hinter dem auszulöschenden Gedächtnis des Kommunismus, den ja Deutschlands alte Eliten für Russland finanzierten. Mit Millionen Goldmark. Man investierte also in die Erfolglosigkeit – auszubaden hatten diese Erfolglosigkeit Staaten, Völker und Zigmillionen Menschen. Kennen Sie das Drama um Paulus, der den Tod militärisch plante? Dieses Drama wird genau so unter den Teppich gekehrt wie die Wirkungen von "Kommunismus" und "Bolschewismus", der dem Nationalsozialismus wahlverwandt ist.

Die Konzeption "Jahrhundertprojekt", die mir Jakowlew übergab. Ich bemühte mich um deutsche Partner auf höchster Ebene. Institute. Professoren. Am weitesten kam ich mit Botschafter a.D. Dr. Hans-Georg Wieck (deshalb getrennt von diesem Brief noch eine Mail vom 9. Juli 2004 an Dr. Wieck). Heute legte ich einen weiteren Ordner ab, der die Korrespondenz zu diesem "Projekt" und ein schriftlich konzípiertes Programm für eine internationale Konferenz abgeben sollte. Aber es kam nicht dazu. Eine großartige Chance wurde verspielt - auch vom Institut für Zeitgeschichte.

Wer immer in Deutschland die Rahmenbedingungen solcher Politik – ob gegenüber den USA oder Russland: die deutschen Schieflagen sind da wie dort zu sehen – entwirft und durchpauken lässt, sollte sich daran erinnern, dass wir uns schon zwei Mal in beiden Himmelsrichtungen getäuscht haben und auf die Nase fielen. (Das Prädikat "wir" müsste präzisiert werden: Es geht um diejenigen, die sich an den Hebeln der Macht durchsetzten - vor allem denen der veröffentlichten Spins hinter und um Möller und dergleichen). Jakowlew wie alle genuin demokratischen Erneuerer wurden und werden hier ebenso ausgeblendet wie die Amerikaner, die jetzt konsequent und unnachsichtig die neokonservative Oligarchie in Wirtschaft, Politik und Medien aufdecken (vorerst in den USA) und ein Impeachment der gesamten Besetzung um Bush jr. anstreben.

Deshalb mein Dank für die öffentliche Anregung und meine Ergänzung für Sie persönlich: Die von Ihnen diagnostizierte, auszulöschende Erinnerung an die DDR soll eigentlich das vertuschen, was diese erst möglich machte. Die Retourkutschen sind vorhersehbar. Der erfolglose Kommunismus begann 1917, als die Bolschewiki ihre gesamte Logistik mit Hilfe deutschen Geldes umsetzten – es gab sogar eine Zeitschrift "Die Glocke", finanziert vom Generalstab, die den Untertitel hatte: "Zeitschrift für die Weltrevolution". Und über die Hintergründe der Ermordung von Graf Mirbach gibt es seit kurzem einen Aufsatz - mit ganz neuen Quellen – nicht in Berlin, sondern in Moskau.

An das Bayerische Fernsehen, Redaktion quer, November 2005

Hallo Quer! Geehrte Maria Altmann!

Gestern saß die grüne Schwabengosche, alias Metzger, alias Fellow bei der Bertelsmann-Stiftung, auf der sauren Couch des charmanten Herrn Süß. Dazu gratuliere ich. Laden Sie den Herrn, der die Entstehung von Hartz IV bei der B-Stiftung begleitete und dafür einen hoch gesponserten Schinken, genannt Bestseller, über das miese Deutschland schreiben, verbreiten und gestern verplaudern durfte, laden Sie ihn möglichst oft ein – am besten mit Westerwelle, Blair und Bush jr. Er erfand immerhin eine Bezeichnung für die Grundsätze des Sozialstaates, um den ihn Blair-Bush noch beneiden muss: "Sozialer Imperialismus!"

Ich schicke Ihnen aus einem Essay einen Passus als Vademecum zu Metzger und Co. ("Reform, Reform und Tittytainment. Globalisierung -Loch Ness in Deutschland.") “Innerhalb von zwei Jahren – zwischen Frühjahr 2002 und Frühjahr 2004 – erschienen die Bücher einiger führender Denkpanzer für den Angriff auf den deutschen Sozialstaat, die nach Albrecht Müller "eine nahezu identische Botschaft" verkünden. Wir kennen diese Autoren-Panzer aus Talkshows: Meinhard Miegel mit dem Titel Die deformierte Gesellschaft; Oswald Metzger, einst eloquenter Grünredner, jetzt hoch bezahlter Fellow der Bertelsmann-Stiftung mit dem Buch Einspruch! Wider den organisierten Staatsbankrott; Hans-Werner Sinn, Experte zum Schönreden böser und Verbreiten falscher Wirtschaftsdaten, mit dem Klagekonvolut: Ist Deutschland noch zu retten?; Gabor Steingart vom SPIEGEL-Büro, Berlin, mit seinem Printprodukt aus Daten der Deutschen Bank: Deutschland – der Abstieg eines Superstars. Und FAZ-Chef Frank Schirrmacher krönt die Runde mit dem Methusalem-Komplott. Zur Entourage dieses Buchmacher-Kartells gehören Unternehmensberater Roland Berger, Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und Arnulf Baring, ein wackerer Methusalem deutscher Historienbetrachtung, der in der Münchner Runde des Bayerischen Fernsehens vom 7. Dezember 2004 seine Liebe zu Deutschlands Werten mit dem Appell verknüpfte, man müsse zuallererst die "Totengräber Deutschlands" wegräumen, als da sind Gewerkschaften und der Unrat aus dem 68er-Erbe. Vortrefflich passt dazu der ehemalige BDI-Präsident, Michael Rogowski, der 2004 vor der US-Handelskammer seine Vision ausplauderte: "Ich wünsche mir manchmal ein großes Lagerfeuer, um das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge hineinzuwerfen. Danach könnte man einfach wieder von vorne anfangen." Rogowski provozierte nachgerade die Frage nach dem deutschen Muster für einen Neubeginn: Er ließ unbeantwortet, ob er als sein Muster deutschen Neubeginns die Zeit nach 1933 oder die nach 1945 meinte. An der Spitze des Kartells für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft agieren: Hans Tietmeyer, ehemaliger Bundesbankpräsident, Jürgen Stark, amtierender Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Bernd Pfaffenbach, lange Zeit Wirtschaftsberater von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Klaus Rehling, Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen bei der EU-Kommission und andere. Ja, mein quer, woher kommt sowas?

Die soziale Regression unter dem Begriff "Reform" beruht letztlich auf zehn Empfehlungen, die John Williamson im November 1989 auf einer Konferenz der Welteliten in Washington D.C. vortrug. Die Ratschläge spiegeln bis heute die herrschenden Denkweisen bei Weltbank und Internationalem Währungsfond unter der Bezeichnung The Washington Consensus und besagen: Sozialkosten senken, Subventionen abbauen, Liberalisieren, Deregulieren und Privatisieren. Demnach sollen die sozialen Schutzfunktionen des Staates weltweit ausgeschaltet, dem uneingeschränkten Freihandel globaler Spielraum verschafft und die UNO als Forum der Weltgemeinschaft eliminiert werden. Das erste dieser zwölf Gebote erinnert gleichsam an eine Internationale des Geldes: Völker, hört die Signale! Seid frei! Wir bestimmen die Kurse! Im Klartext geht es um Welthegemonie durch Geld."

Beste quer-Grüße und quer-Wünsche von

Friedrich Hitzer

Servus Friedrich,

da kann ich jetzt gar nicht viel dazu sagen: Offensichtlich haben Sie sich sehr geärgert über unseren Interviewgast. Das bedaure ich sehr. Herzliche Grüße,

Maria Altmann, q u e r

Servus Maria Altmann,

wär es nur Ärger, könnte ich sagen: "ich leide wie ein Hund" (übersetzt ins chinesische: "wie ein Vögelein", in die Sprache der Großkollateration: "wie ein Papierwurm"...). Den herzlichen Gruß erwidere ich mit einem Brief an SabChris, die blonde Dompteurin für Politschwätzer, ihr schrieb ich: "Nach der Sendung mit Lafontaine und Merz erhoffte ich mir, die Redaktion beginnt damit, substantielle Unterschiede in der Sache zum Gegenstand der SCh-Show zu machen. Leider fielen Sie in den alten Trott zurück, zeigten mehr oder weniger das austauschbare Personal selbstverliebter Polit-Spieler und einen Gewerkschafter, der gezwungenermaßen sich bis zum Knirschen der Rückenwirbel den Mund fusselig redet und nicht eine Hand zum "Klatschören" bewegt. Wenn die Eliten in Medien, Wirtschaft und Politik so weiter machen, zerstören sie allmählich jegliches Vertrauen in demokratische Einrichtungen. Vielleicht ist Ihnen das aber gerade recht. Nur ärgerlich, dass man für die öffentlich-rechtlichen Sender Gebühren zahlen muss für ein Programm im Flachflug. Ich erinnere Sie an die lexikalische Beschreibung dessen, was zum Totalitären gehört: 1. Die Massenmedien haben die zentrale Rolle für eine gelenkte politische Mobilisierung

2. Der "Gier nach Zustimmung" der Massen bei den Führenden folgt die "Gleichschaltung nach einer Richtung des Denkens"

3. Die "Tarnung der politischen Absichten" verwandelt sich in Schlagworte - Gebetsmühle: Flexibilisierung, Standort Deutschland, Globalisierung usw. – das Repertoire der sich in Gegnerschaft gerierenden Helden für Spiele, die langweilig werden – bis, ja bis was wann kommt? Dass Sie außerdem eine Parteigängerin Blairs zur Unterstützung des vom deutschen Wähler abgestraften neoliberalen Pakets bei SPD, CDU/CSU, FDP, Bündnis 90/Grüne (ohne aufrechte Bürgerrechtler) in die Runde holten, wo in England inzwischen die Fetzen fliegen (oder deutsche Emigranten der Hitler-Zeit gewaltsam aus dem Saal geführt werden), nehmen Ihnen allenfalls die Lobbies beim BDI und den dazu gehörenden Chefredaktionen in Presse, Funk und Fernsehen ab, oder den PR-Agenturen, die damit ihr Geld verdienen, den Informationskrieg gegen die Bevölkerungsmehrheit am Laufen zu halten. Das Publikum schaltet ab. Da helfen auch keine manipulierten Umfragen mehr. Und was kommt dann? Manchmal sage ich mir: Gottlob werde ich das nicht mehr erleben."Aber, mit Maria Altmann und q u e r ist es wenigsten ein bisschen lustig. Danke für die Antwort.

Lieben Dank für Ihre Email. Schön, dass Sie sich wieder einmal die Zeit genommen haben, uns zu schreiben – auch, wenn Sie diesmal wenig begeistert von unserem Interview-Gast waren. Ich hoffe, dass beim nächsten Mal wieder mehr für Sie dabei ist.

Herzliche Grüße, Maria Altmann q u e r

An die Süddeutsche Zeitung, Dezember 2005

Nichts Neues vom "Deutschland-Komplex"

"Der Pakt mit dem Osten", SZ vom 13.12.2005


Winklers Rezension über Koenens Buch “Der Russland-Komplex” übersieht, dass die Wahlverwandtschaften zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus lange vor dem deutschen “Historikerstreit” behandelt wurden – von Fedor Stepun, Iwan Bunin, Vladimir Nabokov, bis zu prominenten Intellektuellen der Dreißiger- und Vierzigerjahre in der Sowjetunion, über die sich Stalin durch NKWD-Berichte ständig auf dem Laufenden hielt und je nach Laune belohnen oder bestrafen ließ. Die von Alexander Jakowlew (1923-2005) herausgegebene Reihe “Russland. 20 Jahrhundert. Dokumente” – seit Mitte der Neunzigerjahre 32 Bände – erhärtet das genauer als entsprechende deutsche Publikationen. Deutschlands und Russlands Eliten der Macht entwerfen bis heute Projektionen übereinander, statt miteinander zu erforschen, warum sie im 20. Jahrhundert die Weltmeisterschaft im Blutvergießen erlangten. Als ich Jakowlews Autobiographie übersetzte und mit einem Vorwort versah (“Die Abgründe meines Jahrhunderts”, Leipzig 2003), dachte ich, die im “Russland-Komplex” verfangenen Deutschen würden Jakowlews Angebot einer Zusammenarbeit über den “Deutschland-Komplex” aufgreifen. A.N. Jakowlew, “Chefarchitekt” der Perestroika und Vorsitzender der Kommission zur Rehabilitierung der Repressionsopfer seit Lenin, unterzeichnete 1996 eine Vereinbarung, die ihm ein Minister aus Berlin nach Moskau mitbrachte, und wartete auf die deutsche Gegenunterschrift zu Lebzeiten vergeblich (er starb am 18.10.2005). Ähnlich erging es ihm mit dem durch mich vermittelten Angebot eines “Jahrhundertprojekts” - die deutsch-russische, deutsch-deutsch-sowjetische Geschichte in Dokumenten gemeinsam aufzuarbeiten – vom Sturz der Monarchien 1917/1918 bis zur deutschen Wiedervereinigung und der Bildung der “Russischen Föderation” 1991. Aber der “Deutschland-Komplex” hüllte sich in Schweigen. Es wäre wünschenswert, dass endlich die Geschäftsgrundlagen zwischen den beiden “Komplexen” genannt werden, damit beispielsweise Winklers Meinung über Koenens Ansichten eine solide Basis erhält. Sie besagt, dass Berlin ab 1915 die “Weltrevolution” insgeheim förderte und bezahlte. Berlin wollte freilich keine “sozialistische Revolution”, sondern einen Putsch gegen die Regierung in Petersburg, um Ruhe an der Ostfront zu schaffen und mehr Kräfte an der Westfront einzusetzen. Daher rüsteten die militärischen und zivilen Entscheidungsträger des deutschen Kaisers Lenins Truppe reichlich aus. Mit durchschlagendem Erfolg am Anfang (1917) und einer verheerenden Niederlage der Nachfahren am Ende (1945). Die Bolschewiki etablierten mit deutschen Steuerngelder das Grundmodell des totalitären Staatsterrorismus ab dem 7. November 1917 unter dem Aushängeschild kommunistischer und sozialistischer Ideale für die nach Erlösung süchtigen Massen. Der Terror der International-Sozialisten rief dann das Kontra-Modell auf den Plan - den Staatsterrorismus der National-Sozialisten. Beide fußten auf einem Geschäft der Macht: Kaiser Wilhelm II. finanzierte Lenins bolschewistische Logistik (Verbringung der Täter an den Ort der Machtergreifung durch deutschen Geleitschutz, Flugblätter, Plakate und all das, was mittellose Welterlöser für einen Putsch brauchen) mit über 60 Millionen Goldmark (den heutigen Wert könnte der integrierte Deutsch-Schweizer, Ackermann von der Deutschen Bank, Renditen gemäß bewerten – die Goldvaluta bestand aus Schweizer Franken: im Transfer zwischen Berlin, Zürich, Petrograd, Moskau). Nach geheimdienstlich eingestuften Erfolgsmeldungen flossen die deutschen Steuergelder in Tranchen. Der Überbringer der größten Tranchen war Graf Mirbach, erster Botschafter des deutschen Kaisers am Hof der Volkskommissare Lenin und Trotzki, den J.G. Blumkin am 6. Juli 1918 ermordete, nach der Legende nur Sozialrevolutionär, tatsächlich die rechte Hand des Tscheka-Chefs F.E. Dzierzynski, der Lenins Willen erfüllte und den Zeugen der Geldübergabe, Graf Mirbach, in der deutschen Botschaft niederstreckte. Zehn Jahre später wurde Blumkin, Mirbachs Mörder, durch Lenins Nachfolger, Stalin, als Zeuge der Ermordung des Hauptzeugen für das kaiserlich-bolschewistische Geschäft, Graf Mirbach, umgebracht. Die rund 60 Millionen Goldmark aus dem deutschen Fiskus nahm übrigens Uljanow-Lenin in Raten persönlich entgegen. Der wichtigste Mitwisser der Geschäfte zwischen den Beamten und Militärs des deutschen Kaisers – Dschugaschwili, genannt Koba oder Stalin, später schlicht: “Er” – wollte vor seinem Tod die Sache angeblich noch auffliegen lassen (wer weiß, ob er deshalb womöglich keines natürlichen Todes starb) ...

Dass die Verlierer des Krieges 1914-1918 sich nacheinander politisch abkochten und dann zusammenrauften, rührte nicht aus Deutschlands “Russland-Komplex”, aus den irrationalen Seelenverwandtschaften oder deutschen Fieberfantasien à la Dostojewski, sondern aus uralten Rezepten der Macht ohne Moral, die derzeit weltweit erneut zu bestaunen sind. Nachdem die Deutschen 1918 in Brest-Litovsk über die von ihnen installierten Bolschewisten ein Friedensdiktat verhängten, kriegten sie etwas später in Versailles das Diktat der Sieger im Westen verschrieben, und das Brester Diktat der Deutschen war vom Tisch. An den Fronten war sinnlos viel Blut geflossen - die Gier nach Vergeltung musste nur noch befriedigt werden: Durch die “Ideale” des International-Sozialismus hier und die des National-Sozialismus dort mit ihren massenhypnotischen Propagandagespinsten, die das nachhaltige Geschäft der Geheimdiplomatie verhüllten. Die Eliten der Macht arbeiteten daran weiter - “zum gegenseitigen Vorteil”. In Deutschland wartete man ab, bis Lenins getreuester Schüler – Stalin – die Sowjetunion sturmreif machte, indem er zuvor Millionen in den GuLag trieb oder umbringen ließ, darunter die militärische Elite der Sowjetunion, so wie die Lehrmeister Stalins – Uljanow-Lenin und Bronstein-Trotzki – die Eliten des alten Russlands vernichten oder vertreiben ließen. Natürlich ergab sich das nicht aus einem Masterplan, sondern aus einer unablässigen Folge verschiedener Geschäfte. Der “Russland-Komplex” im gehobenen deutschen Kulturbetrieb wäre der Wirklichkeit näher, wenn die Kabalen der Wirtschaft und deren Exekutiven in Politik, Militär und Geheimdiensten aus deutschen und russischen Archiven einbezogen und das Er-Dachte unterfütterten. Sonst bleibt es bei den dünnen Spekulationen im Rahmen des “Russland-Komplexes” der Deutschen und des “Deutschland-Komplexes “ der Russen.

An das Bundespräsidialamt. Zum Jahreswechsel 2005/2006

An die Beratenden des BP!

Nehmen Sie noch wahr, dass die Äußerungen des von mir als Person hoch geschätzten Menschen und dennoch vielfach hinterfragten Präsidenten – dem Amtsmenschen – mehr als Zweifel aufkommen lassen – an den Redenschreibern oder dem, für den die Reden geschrieben werden?

Bitte denken Sie daran, dass das Volk, auch ein paar Nachdenkliche unter der Herde der zu Verblödenden, nicht merken würden, wie man sie aus den Chefetagen der Wirtschaft und der Gewählten, die nicht dem Volk, sondern der Wirtschaft dienen, einschläfern möchte, obwohl die Reden, die für den sympathisch lächelnden Herrn Köhler verfasst werden, anders gedacht sind. Falls Sie an geschichtliche Präzedenzfälle denken wollen, wovon Sie/Herr Köhler als Sprecher zu Weihnachten abraten, empfehle ich die Lektüre der Schriften von Hannah Arendt und dem Briefwechsel derselben mit Heidegger. Interessant wäre auch mein Doktorvater Fedor Stepun. Im übrigen können Sie bei Seneca oder Macchiavelli nachlesen, was geschieht, wenn Sie weiterreden lassen, was aus Ihrem Amt heraus ins Land tönt.

Rundbrief für klarsichten übers Internet, Januar 2006

Ronnie Dugger, Begründer und ehemaliger Verleger der Zeitung The Texas Oberver, Verfasser verschiedener Präsidentenbiografien, jetzt in Cambridge, Massachusetts, schreibt in seinem “Impeach or Indict Bush and Cheney” vom 27. Januar 2006:

“Das Jahr 2006 wird für die Nation und wohl auch für die Menschheit ein historisches sein. Die Texaner Bush und Rove und ihre Verschwörer in der zweiten Bush-Präsidentschaft haben die amerikanische Demokratie zu Hause und in der Welt mit so vielen Verfälschungen unserer Nation und Werte geschändet, dass sie jetzt ihren Höhepunkt erreichen. Welche Rolle wollen die restlichen Texaner in diesem Jahr der Entscheidungen spielen?” (www.truthout.org/docs_2006/printer_012806Z.shtml)

Dieser Frage sollten wir uns anschließen und herausfinden, mit welchem Amerika wir, die Deutschen, die Grundgesetz und Völkerrecht ernst nehmen, uns verbünden wollen.

Bevor wir Stellung nehmen, sollten wir aber wissen, welche Alternativen sich anbieten, um nicht nur zu sagen, die Bush-Regierung und alles, was dahinter steht, gefallen uns nicht. Aus diesem Grund lege ich meine Übersetzung der Rede von Cindy Sheehan bei. Ihr Appell ist persönlich und universal, er richtet sich faktisch auch an uns, vor allem an die Deutschen, die im Februar einen der Hauptverantwortlichen der völkerrechtswidrigen Interventionskriege als “Ehrengast” in München begrüßen werden. Die Gäste des Horst Teltschik gehören der Welt an, von der Cindy Sheehan sagt, sie ist zerbrochen. Wenigstens ein paar Menschen, die ich erreichen kann, sollten die Stimmen aus dem Amerika hören, die unsere Mainstream-Medien ebenso totschweigen wie den mutigen Offizier der Bundeswehr, Major Florian Pfaff. Ein zweiter, kurzer Text aus den USA kritisiert dasVerhalten der Führungen vieler EU-Länder (“Die europäische Zwickmühle” von Serge Truffaut in www.truthout.org/docs_2006/printer_012606H.shtml)

Auch dieser Text dürfte in Berlin sicher ebenso bekannt sein wie in den Chefetagen der erwähnten Medien, die aus Angst vor der deutschen Öffentlichkeit solche Kritik ignorieren, um Bush nicht zu stören. Der Texaner Dugger wird diese Deutschen vielleicht einmal fragen, wo sie waren, als sie gebraucht wurden; in seinem Beitrag vom 27. Januar 2006 ist zu lesen, wie der nationale Widerstand wächst – “gegen die Verbrechen im Amt, verübt von Bush und Cheney”. Sollte ein Amtsenthebungsverfahren jetzt nicht möglich sein, lässt sich, so Dugger, auch an eine Grand Jury denken, auf der Eben e der Föderation oder eines Einzelstaates, die Bush und Cheney wegen vielfacher Verbrechen anklagen. Amerika stünde jetzt am Scheideweg wie vor rund zweihundert Jahren, als Tom Paine erklärte: Wir haben die Macht, die Welt von neuem zu beginnen - es ist ein Zeitalter der Revolutionen, in denen alles überprüft werden muss.

Cindy Sheehan

Eine neue Welt ist möglich. 26. Januar 2006

Eine neue Welt ist möglich und nötig! Das ist das Thema für das Weltsozialforum, das ich – neben Zehntausenden von Menschen aus aller Welt – in Caracas diese Woche besuche. Ich weiß wohl, dass die Idee einer Welt, in der jeder Mensch in Frieden und Gerechtigkeit leben kann, sehr “subversiv” ist, aber das Thema ist mir in Herz und Seele sehr nah.

Wir brauchen eine neue Welt. Die wir haben, ist zerbrochen.

Bevor mein Sohn Casey im Irak am 4. April 2004

getötet wurde, bin ich nicht sehr viel gereist. Ich war einmal in Israel und Mexiko, und das war’s schon. Ich besaß einen fast nie benutzten Reisepass.

Als ich mich anschickte, gegen die Unehrlichkeit und Täuschung laut zu reden, die zur illegalen und moralisch verwerflichen Okkupation des Irak führte, bin ich durch die ganzen Vereinigten Staaten gereist. Und jetzt bin ich dabei, meinen Pass mit Stempeln zu füllen.

Unsere Welt ist so schön, und die Menschen, die sie besiedeln, sind zumeist voller Liebe, und sie wünschen sich ein gutes Leben für sich selber und ihre Kinder. Sie möchten sich in ihren Gemeinden aufgehoben und sicher fühlen. Sie wünschen sich Wärme und Nahrung, sauberes Wasser zum Trinken, wollen tanzen und lachen, wenn es ihnen danach ist. Sie wollen ein langes Leben mit ihren Familien und sehnen sich danach, die Kinder mögen sie bestatten, wenn ihr Leben hier sein Ende hat. Kurzum die Menschen der Welt wünschen sich all das, was wir Amerikaner auch gerne haben möchten.

Unsere Regierung will andere Kulturen, Religionen, Rassen und ethnische Gruppen verteufeln und ausgrenzen. George Bush und seine kaltherzigen Komplizen, die so leicht irregeleiteten und wissentlich blinden Gefolgsleute wollen “die da dort bei sich bekämpfen, damit wir sie nicht hier bei uns zu bekämpfen haben”. Wer sind eigentlich die da, diese anderen, die wir dort bei sich bekämpfen? Sind es die Babies in ihren Krippen, wenn eine Bombe (chemisch oder konventionell) auf ihr Haus abgeworfen wird? Ist es die Mutter, die zum Einkaufen ging, um das tägliche Brot für die Familie zu besorgen und dabei von einem Autobomber zerfetzt wird, der nie daran dachte, solch ein abscheuliches Verbrechen zu begehen, bis ein fremder Eindringling sein Land besetzte? Sind es die Omas und Opas, die zu alt oder zu stur sind, ihre lebenslangen Behausungen zu verlassen, wenn die Koalitionstruppen widergesetzlich zivile Zentren mit Bombenteppichen belegen?

Als Bürger der Vereinigten Staaten müssen wir unsere Führer davon abhalten, die Befehle zu erteilen, die zur Tötung unschuldiger Menschen führen. Fast hätte ich gesagt: Wir müssen unsere Führer davon abhalten, unschuldige Menschen zu “töten”. Aber wir kennen ja diese Feiglinge - sie kämpfen ihre Fantasieschlachten nicht selber, schicken auch nicht die eigenen Kindern in den Krieg für Sachen, die sie, idiotisch und diabolisch, als “edel” umschreiben. Nein, sie befehlen unseren Kindern dahin zu gehen, damit diese die von ihnen befohlene verlogene und zerstörerische Drecksarbeit errichten! Unseren Soldaten wird eingetrichtert, dass die “Haijs”, die Braunhäutigen des Irak, die ihre Toiletten und Duschen putzen und ihre Klamotten reinigen, als Menschen weniger wert sind als sie selber. Umso leichter fällt es ihnen, sie zu töten. Die Dehumanisierung der Iraker entmenschlicht auch unsere Soldaten – unsere Kinder!

Ich erhielt die Haß-E-Mail von einem “patriotischen Amerikaner”, der mir weismachen wollte, dass die Mütter und Väter des Irak nur “für die laufenden Kameras” schreien, ihre Babies seien getötet worden. “Sie sind doch nur wie die Tiere, die sich um ihre Kinder nicht kümmern, weil sie wissen, sie können wieder neue machen.” Das ist die Mentalität des General Sherman, da er sagte: “Der einzig gute Indianer ist ein toter Indianer”. Diese abscheuliche Rhetorik entmenschlicht uns alle.

Eine neue Welt ist nötig und wird nur möglich sein, wenn wir daran glauben und den Glauben leben, dass jeder Mensch von Geburt an ein Wesen ist wie wir selber. Alle verspüren Schmerz, wenn man sie verletzt. Sie leiden an Hunger, wenn sie nichts zu essen haben. Ihr Mund trocknet aus, wenn sie durstig sind. Sie trauern, wenn sie jemanden verlieren. Sie zittern, wenn sie frieren. Sie lachen, wenn sie glücklich sind. Wie können wir es unseren Führern nachsehen, dass sie unsere Brüder und Schwestern töten lassen?

Eine neue Welt ist nötig und kann nur möglich sein, wenn wir die verdorbenen Konzerne zügeln, die vom Fleisch und Blut unserer Nachbarn in aller Welt und hier in Amerika profitieren. Kriegsgewinnler wie Haliburton, Bechtel und General Electric, die obszöne Profite anhäufen und den Shareholder Value hochjagen, während sie den Planeten rücksichtslos zu Schanden reiten. Böswillige Gesellschaften wie Dow, die Chemikalien und anderen Müll in Gewässer und Atmosphäre ablassen, was Menschen, Umwelt und unsere Zukunft abtötet. Firmen wie Wal Mart, die Arbeiter in den USA und im Ausland ausbeuten, um eine Familie zu bereichern, die mehr als genug Mittel besitzt, um allen ihren Angestellten die nötige Gesundheitsvorsorge und ein anständiges Gehalt zum Leben zu bezahlen und dann noch genug Geld übrig hätte, um ihren Abgabepflichten im eigenen Land nachzukommen.

Eine neue Welt ist nötig und kann nur möglich sein, wenn wir unsere Abhängigkeit vom Öl vermindern und etwas von dem Geld, das wir in den Wüstensand und die Kanäle im Irak setzen für erneuerbare Energiequellen verwenden. Und die erneuerbaren Energien, die wir bereits besitzen, wie Bio-Diesel, erweitern und fördern. Ich habe mit vielen Bürgern Venezuelas gesprochen, die sich verständlicherweise vor einer US-Invasion ängstigen. Und dabei ginge es überhaupt nicht darum, ob Präsident Chavez ein “Diktator” sei oder nicht, weiß man doch, dass er ein demokratisch gewählter, in seinem Land sehr populärer Führer ist. Die Menschen von Venezuela wissen sehr wohl, dass die USA, falls sie in ihr Land einfallen, dies nicht tun, weil sie ihnen “Freiheit und Demokratie” bringen wollen – die haben sie ja.

Eine neue Welt ist nötig, aber unmöglich, so lange wir Amerikaner nicht die Arroganz überwinden, dass nur wir das Problem des Irak und der Menschenrechtsverletzungen lösen könnten. Wir müssen die Hand allen Angehörigen der Gattung Mensch reichen: Rund um den Erdball! Wir sollten Bande schmieden für den Schutz der unschuldig ins Elend Geratenen und Wiedergutmachung leisten für die Getöteten und die Opfer unserer Regierung und der Konzernmacht, die wild geworden und weitgehend unkontrolliert sind.

Friede und Gerechtigkeit sind innig miteinander verknüpft. Die Welt kann das eine ohne das andere nicht haben. Ein wahrer und dauerhafter Friede kann nur eintreten, wenn wir – das Volk – unsere Regierung dazu zwingen, sich von der Kriegsmaschine für Jobs und Leben freizumachen. Wir verlangen Gerechtigkeit angesichts der Verbrechen gegen die Menschheit, die wegen solcher “Führer” die Welt tagaus tagein durchdringen.

Eine neue Welt ist möglich und erreichbar. Damit sie zur Realität wird, müssen wir uns dessen bewusst werden, was Martin Luther King jr. mit seiner Lobrede meinte, doch wichtiger wäre es, so zu sein, wie er sein Leben lebte: “Ich wünsche mir jemanden, der den Tag erwähnt, an dem Martin Luther King jr. versuchte, sein Leben in den Dienst anderer zu stellen. Ich wünsche mir jemanden, der an dem Tag sagt, Martin Luther King jr. versuchte, einen anderen zu lieben. Und ich wünsche mir, dass Ihr an dem Tag sagt, er hatte Recht, als es um die Frage nach Krieg oder Frieden ging. Ich träume davon, dass Ihr fähig seid, an dem Tag zu sagen, ich habe es versucht, in meinem Leben die zu kleiden, die nackt waren. Ich wünsche mir, Ihr werdet an dem Tag sagen, dass ich es versucht habe, die zu besuchen, die im Gefängnis waren. Ich wünsche mir, Ihr sagt, dass ich versucht habe, die Menschheit zu lieben und ihr zu dienen. Yes, auch wenn Ihr sagt, ich sei ein Tambourmajor gewesen, dann sagt, ich war ein Tambourmajor für Gerechtigkeit; sagt es, ich war ein Tambourmajor für Frieden und ein Tambourmajor für Rechtschaffenheit.” nach: www.truthout/org/docs_2006/printer_012606A.shtml

Aus dem Englischen von Friedrich Hitzer

An die Evangelische Akademie, Tutzing, März 2006
Bonhoeffer oder Teltschik ...


... das ist hier die Frage an den Politischen Club der Evangelischen Akademie Tutzing, zu dessen Frühjahrstagung Akademiedirektor Dr. Friedemann Greiner und Clubchef Theo Waigel in der Zeit vom 17. bis 19. März 2006 einladen. Firmiert wird zwar die Tagung mit dem Thema “Weltmacht und Weltordnung”- sie soll mit Experten herausfinden, welche Rolle die Vereinigten Staaten in einer “globalen Welt” – was für ein Unwort! – spielen. Betrachtet man die Namen der Geladenen, stellt Tutzing seine Bühne den Leuten zur Verfügung, die einen MONOLOG zugunsten der Mächte in Washington ermöglichen, die völkerrechtswidrige Interventionskriege führen und Verbrechen gegen die Menschheit begehen. Den krönenden Abschluss am Sonntag hat PROF. Dr. h.c. Horst Teltschik, Vorsitzender der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik. Bei Sonntagspredigten erinnern die deutschen Würdenträger der Evangelischen Kirche gerne an ihre Verpflichtung aus dem Erbe des Dietrich Bonhoeffer. Ob das Mitte März 2006 beim Gottesdienst in der Schlosskapelle um 9 Uhr geschieht? Bevor dann ab 11.30 Teltschik alles mögliche erzählen, nur nicht über seine reale Rolle sprechen wird – als Vertreter des US-Rüstungskonzerns Boeing in Deutschland, der Bomber für die Zerstörung anderer Länder aus der Luft herstellt – bei einer Tagung, so das Programm, die “zu einem erheblichen Teil aus Kirchensteuermitteln finanziert” wird. Will man damit sagen: Wir werden nicht von Boeing bezahlt?

Während die Strategen aus Washington, Berlin und München, die in Fortsetzung zur Münchner “Sicherheitskonferenz” jetzt im Schloss von Tutzing Diplomatie spielen, um sich dann – die Hände in Unschuld waschend – im Fernsehen anzusehen, wie “sauber” der Iran bombardiert wird, haben sich die Leitungen der christlichen Gemeinschaften der USA in der größten Allianz für Frieden und Gerechtigkeit zusammengeschlossen. Sie sind in Tutzing offenbar nicht willkommen, obwohl sie im Geist von DIETRICH BONHOEFFER wirken. In ihrer Erklärung – sie erinnert an Stuttgart 1945 – heißt es:

Wir haben uns mit schwerer Schuld beladen, indem wir uns nicht hinreichend genug gegen den Irak-Krieg und andere Vergehen aussprachen. Wir bitten die Welt um Vergebung, die der Gewalt, Erniedrigung und Armut müde geworden ist, die unsere Nation gesät hat.

Die wachen Christen in Deutschland sehen sich und den Geist des deutschen Theologen, der in den letzten Tagen eines sinnlosen, bereits verlorenen Angriffskrieges im KZ Buchenwald ermordet wurde, eher in der Kirchenallianz ihrer amerikanischen Brüder und Schwestern im Glauben beheimatet als bei denen in Deutschland, die erneut der Macht der Weltherrschaftsstrategen erliegen und die knappen Gelder zur Versorgung kirchlicher Einrichtungen für die Ambitionen eines Horst Teltschik und Theo Waigel bereitstellen. Wann kehrt die Evangelische Akademie Tutzing auf den Weg des Dialogs zurück, mit dem sie sich weltweit Anerkennung verschaffte – bei vier Konferenzen zur Abrüstung, für Frieden und Gerechtigkeit? Fürchtet man in Tutzing den Dialog mit dem Amerika der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit? Während das andere Amerika gegen das Bush-Regime aufsteht, richtet der Politische Club der Evangelischen Akademie ein Forum für eben dieses Regime ein. Da das andere Amerika in Tutzing nicht eingeladen ist, helfen wir nach und geben ihm Namen und Worte, die den Teilnehmern der Frühjahrstagung helfen könnten, sich besser über die Rolle der Vereinigten Staaten von heute zu orientieren.

EINE NEUE WELT IST MÖGLICH UND NÖTIG – MIT DEM ANDEREN AMERIKA

CINDY SHEEHAN –

ihr Sohn Casey wurde im Irak am 4. April getötet:

“Wir brauchen eine neue Welt. Die wir haben, ist zerbrochen ... Friede und Gerechtigkeit sind innig miteinander verknüpft. Die Welt kann das eine ohne das andere nicht haben. Ein wahrer und dauerhafter Friede kann nur eintreten, wenn wir – das Volk – unsere Regierung dazu zwingen, sich von der Kriegsmaschine für Jobs und Leben freizumachen. Wir verlangen Gerechtigkeit angesichts der Verbrechen gegen die Menschheit, die wegen solcher ‘Führer’ die Welt tagaus tagein durchdringen”

RAY MCGOVERN – CIA-Analyst für 27 Jahre, jetzt Publizist für die ökumenische Kirche in Washington und Mitglied der Steering Group of VIPS (Kundschafter der Vernunft):

“Hätten deutsche Beamte, denen in den 30er Jahren befohlen wurde [zu foltern] früh und laut genug protestiert, dann hätte es womöglich das deutsche Volk alarmiert und aufgerüttelt gegen die Grausamkeiten, die in deren Namen verübt wurden ... Wir Amerikaner haben uns daran gewöhnt, dass unsere Institutionen die Sünden für uns begehen. Ich verabscheue die Korruption des CIA in den letzten Jahren, sie ist jenseits einer Wiedergutmachung, daher will ich nicht meinen Namen auf einem damit verbundenen Orden sehen” (im Offenen Brief an Hon. Pete Hoekstra, Kongressmitglied, vom 2. März 2006 bei der Rückgabe des “Intelligence Commendation Award Medallion”).

BARBARA LEE – einziges Mitglied des US-Kongresses, das gegen die “Ermächtigungsgesetze” von George Bush jr. am 14. September 2001 stimmte:

“Bevor ich gegen die Resolution des Präsidenten und seines Generalstaatsanwalts stimmte, womit er den Anspruch erhob, sich über das Gesetz zu stellen, erinnerte ich mich daran, was ein Geistlicher bei den National Cathedral Gottesdiensten zum Gedenken der Opfer des 11. September sagte: ‘Wenn wir handeln, lasst uns nicht selbst zu dem Bösen werden, dass wir verabscheuen’.”

PAUL A. PILLAR – National Intelligence Officer for the Near East and South Asia von 2000 bis 2005, jetzt an der Fakultät für Sicherheitsstudien, Georgetown University:

“Die Bush-Administration hat die Nachrichtendienste nicht dazu benutzt, um Entscheidungen zu treffen, sondern sie dazu missbraucht, um Entscheidungen zu rechtfertigen, die bereits vorlagen. [...] Auf dem Spiel steht die unversehrte Gestaltung der US-Außenpolitik und das Recht der Amerikaner zu erfahren, auf welcher Grundlage die Entscheidungen beruhen, die im Namen ihrer Sicherheit getroffen werden.”

KAREN KWIATKOWSKI – Oberstleutnant der Airforce, Mai 2002 bis Februar 2003 im Pentagon-Direktorium für den Nahen Osten und Südasien, James Madison University:

“[Die Neocons] sind extreme Falken, aggressiv und malen alles schwarz-weiß ...Perle, Wolfowitz, Armitage, Rumsfeld, Cheney waren schon bei Reagan beinharten ... Sie können ohne einen globalen Feind nicht leben ... Sie haben das kultiviert, was man ‘islamischen Faschismus’ nennt ... aber darauf kommt es ihnen nicht an, sie wollen Angst erzeugen und damit die Plattform schaffen, auf der sie operieren und vorgeben können: Wir schützen euch und intervenieren für eure Sicherheit.”

LARRY WILKERSON – Oberst a.D., früher rechte Hand und Redenschreiber Colin Powells. In mehreren internationalen Pressekonferenzen deckte er auf, wie die Welt belogen wurde.

“[Powell] kam in mein Büro und sagte zu mir ...’Ich frage mich, was geschehen wird, wenn wir eine halbe Million Truppen den Irak bis auf die letzte Ecke durchstöbern lassen und keine Massenvernichtungswaffen finden?’ [...] Was ich sah, war eine Politkabale zwischen dem Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, Richard Cheney, und dem Verteidigungsminister, Donald Rumsfeld, da wurden Entscheidungen getroffen, von denen die Zuständigen nichts wussten.”

Quellen: Internet-Portale TomPaine.com/ Salon.com/ truthout.org/ – jeweils mit voran gestelltem www.

Weitere namhafte Vertreter der Wissenschaft, Publizistik, Politik und Wirtschaft in hohen Positionen sind über diese Quellen oder einschlägige Suchmaschinen zu finden:

DANIEL ELLSBERG/ SCOTT RITTER/ SEYMOUR HERSH/ JOSEPH C. WILSON IV/ VALERIE PLAME/ ELIZABETH DE LA VEGA/ NANCY SNOW/ HOWARD ZINN/ NORMAN SOLOMON/ NOAM CHOMSKY/ ROBERT DREYFUSS/ WILLIAM RIVERS PITT/ PAUL KRUGMAN/ SIDNEY BLUMENTHAL/ JOSEPH STIGLITZ/ LINDA BILMES/ DAVID ISENBERG/ MATTHEW ROTHSCHILD/ WALTER PINCUS

Mahnwache am Schloss von Tutzing, Evangelische Akademie

Wir haben uns zu der Mahnwache entschlossen als Stellvertreter des anderen Amerika, das bei der Frühjahrstagung des Politischen Clubs nicht vertreten ist. Unsere Meinung darüber findet sich auf dem Flyer BONHOEFFER ODER TELTSCHIK mit der Fortsetzung EINE NEUE WELT IST MÖGLICH UND NÖTIG – MIT DEM ANDEREN AMERIKA.

Wir bieten diesen Flyer dem Veranstalter an, so dass sich die TeilnehmerInnen der Frühjahrstagung selbst ein Bild machen und mit Hilfe der angegebenen Quellen sich übers Internet weiter informieren können.

Wir meinen, dass das Thema der Frühjahrstagung längst fällig gewesen wäre. Schon früh schlugen Vertreter des anderen Amerika vor den Weltherrschaftsplänen der US-Machtkartelle Alarm, fanden aber unter Deutschlands Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien keinen Widerhall. Ganz im Gegenteil – das andere Amerika wurde übersehen und der deutschen Öffentlichkeit vorenthalten. Zum Beispiel Dr. Robert Bowman, der aus Protest gegen den Befehl der Regierung Reagan ans Pentagon zur Ausarbeitung von Angriffs- und Präventionskriegen von seinem Posten als Chef des SDI-Programms zurückgetreten ist, sich von einem ehemaligen Bomberpiloten im Vietnam-Krieg zu einem führenden Vertreter der Friedensbewegung entwickelte und jetzt als Vorsitzender Bischof der Unabhängigen Katholischen Kirche der USA wirkt. Bowman hatte sich gegenüber E. Field Horine, dem ersten Intendanten des Bayerischen Rundfunks nach 1945, bereit erklärt, zu einem öffentlichen Forum nach Deutschland zu reisen. Das Angebot an die Süddeutsche Zeitung beantwortete Stefan Kornelius, bei der Frühjahrstagung 2006 am Podium zugelassen zu “Anfragen an die Politik der USA”, mit Brief vom 16. Dezember 2002 wie folgt: “Ein Panel, bei dem Herr Bowman eine Rolle spielen könnte, ist zur Zeit nicht geplant. Ich nehme Ihren Hinweis aber gerne an und darf Herrn Bowman bei Gelegenheit bei Veranstaltern solcher Gespräche platzieren.” Formell platziert, ist nie was passiert. Warum wohl?

Die Täuschung der deutschen Öffentlichkeit durch Eliten der Politik und Medien hat inzwischen Methode. Wir verweisen daher noch auf die jüngsten Untersuchungen des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz und der Harvard-Professorin Linda Bilmes. Die beiden errechneten die Kosten der völkerrechtswidrigen Präventionskriege und Besatzungsregime in Afghanistan und im Irak und kamen dabei auf 7,1 Milliarden US-Dollar monatlich. Seit 2003 kostet der Irak-Krieg weit über 2 Billionen US-Dollar, die Schäden für den internationalen Handel und den Lebensstandard der Völker in aller Welt sind dabei ebensowenig “kalkuliert” wie die zerfetzten Menschen und die Zerstörungen der Kultur. SZ-Abonnenten unter uns, den Freunden des anderen, wahrhaft demokratischen Amerika, stimmen darin überein, dass der SZ-Slogan “Wer sie liest, sieht besser” in die Irre führt und bei Stefan Kornelius immer mehr der Spruch gilt: “Wer nur die SZ liest, erblindet”. Vielleicht trifft das auch auf die Veranstalter an der Spitze der Evangelischen Akademie Tutzing zu, die eine Alibi-Tagung für die US-Kriegspartei in den USA (State Department unter Dr. Rice) und in Deutschland (Prof. Teltschik) “zu einem erheblichen Teil aus Kirchensteuermitteln finanziert”.

An die Redaktion des 3-SAT, Juni 2006
Zur Sendung "20 Jahre Historikerstreit"


Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihre Dokumentation zu dem Thema war vorzüglich recherchiert, auch spannend aufbereitet und informativ. Die anschließende Diskussion fand ich aber geradezu musterhaft im Abfall gegenüber dem, was vorher zu sehen und zu hören war – fast nichts davon bezog sich auf die sorgfältige Aufarbeitung des Dokumentaristen Schmid und die souverän vorgetragenen Äußerungen Noltes, die Äußerungen der Teilnehmer waren zum Teil peinlich, auch falsch und "biased", wie man in Amerika solche Sendungen nennt. Vor allem fehlte ein Teilnehmer des Landes und der Geschichte, um die es auch ging – Russland in seiner sowjetischen und postsowjetischen Periode. Aber das ist ja auch das ewig leidvolle Problem, weshalb Nolte vor 20 Jahren "abgeschossen" wurde – was er ansprach, habe ich in mehreren Arbeiten schon zuvor aufgegriffen (erst in den USA, dann in der UdSSR – mit Russen, Juden und Vertretern anderer Nationalitäten und hier in Deutschland West und Ost), wenngleich anders in der Methode und als Angehöriger einer späteren Generation nicht auf den Schienen einer Universitätslaufbahn.

Meine Lehrer (in den USA, der UdSSR und in der Bundesrepublik Deutschland) – vor allem Fedor Stepun -, haben diese Grundsätze schon immer betont, dass sich Nationalsozialismus und Bolschewismus nicht nur strukturell sondern auch aus ihren jeweils sozialdarwinistisch gedeuteten Quellen gegensätzlicher "Optimierungen des Lebens" durch Beseitigung der Überflüssigen ergaben, die zu einem aufeinander bezogenen Denk- und Handlungssystem der Vernichtung führten (sozialer Schichten oder rassisch/ethnischer) - faktisch: zwei unterschiedliche Systeme staatsterroristischer Vernichtungsprogramme, die weder in ihrer Entstehung noch ihrer Ausführung voneinander zu trennen sind, genauso wenig wie die geopolitischen Hintergründe, die sich allerdings im Nebel der Ideologien verbargen Dass keiner der anwesenden Diskutanten die epochale Aufarbeitung dieser Problematik. durch russische, kasachische, kirgisische, weißrussische, ukrainische, georgische, baltische Autoren, vor allem durch Alexander Jakowlew, Chefarchitekt der Perestroika und letzter Vorsitzender der Kommission zur Rehabilitierung der Opfer aller politischen Repressionen seit 1917 erwähnte, bestätigt meine Vermutung – der ganze Osten, vor allem Russland, Zentralasien inbegriffen, war und bleibt das Schwarze Loch im Bewusstsein der tonangebenden Eliten in der deutschen Politik, in Wissenschaft, Wirtschaft und Medien. Nolte wollte das durchbrechen – sehr gründlich und eigenwillig deutsch, bis heute in kein Schema pressbar, auch – gottlob! – von philosophisch historischen Ursprüngen her, zwar mitunter einseitig (vor allem weil allein gelassen und brutal ausgegrenzt), aber genuin im Sinn rückhaltloser Aufklärung über Deutschland im Kontext der europäischen Geschichte. Als Übersetzer der Autobiographie Jakowlews (Die Abgründe meines Jahrhunderts) - und unter Hinweis auf 32 Bände, die unter Jakowlews Regie auf russisch erschienen sind: "Russland. 20. Jahrhundert. Dokumente" – kann ich jedoch nur unterstreichen: Ernst Nolte ist gegenüber der Schule der diesbezüglichen Aufklärung in Russland zahm, auch wenn es um Tatsachen geht. Von der erwähnten Dokumentation besitze ich 24 Bände. Nur einer genügt, um sich zu fragen, warum man bei uns öffentlich nie darauf einging – die deutsche Zunft hat sich, so fürchte ich, darum herumgeschlichen, wie die Katze um den heißen Brei, ich habe auch ein komplettes Angebot von Jakowlew an diese deutsche Zunft erhalten und übersetzt, diese Geschichte des 20. Jahrhundert in 15 Bänden Dokumenten aus russischen und deutschen Archiven (und anderen selbstverständlich) gemeinsam aufzuarbeiten. Was daraus wurde, ist nicht nur beschämend – es ist dumm wie die vielfache Arroganz gegenüber dem Osten.

Da ein Fehler in der sonst so guten Dokumentation vorkam, bitte ich Sie darum, diesen Brief auch an den Dokumentaristen Schmid und wenn möglich direkt oder durch ihn an Nolte und selbstverständlich an den Moderator der Diskussion weiterzuleiten. Der Fehler ist substantiell und gehört zum Thema. Er bezieht sich auf Michail Romms Film "Der Gewöhnliche Faschismus" . Ich habe ihn in Deutschland mit durchsetzen helfen und vorgestellt, war mit dem Regisseur und bin noch mit seiner, jetzt in München lebenden Assistentin, Maja Turowskaja, befreundet, habe seinerzeit – 1965! - ein rund 200 Seiten langes Interview mit Romm geführt und zum Teil veröffentlicht. Dabei ging es nicht um die damals offizielle Doktrin über den "Faschismus" als aggressivste Form von Imperialismus und Kapitalismus und wie das – seit Dimitrovs Definition – in der Sowjetunion und den Lehrbüchern des Marxismus/Leninismus hieß, sondern Romm und ich unterhielten uns sehr intensiv und lange völlig freimütig und offen über die Ähnlichkeiten und Unterschiede von "Faschismus" und "Stalinismus" – seine Antwort: Er wählte das deutsche Material, weil es privat und offiziell, wohl im Vorrausch des Sieges, am reichhaltigsten filmisch festgehalten wurde und im Kontext eines fast gewonnenen Angriffskrieges stand, aber meinte zugleich, so Romm, den Stalinismus, was das Publikum in der Sowjetunion sehr wohl verstand (Lenin war für ihn noch sankrosankt). Aus Angst vor Repressalien gegenüber Romm (durch die Ewiggestrigen in Moskau an der Macht) bedrängten mich Freunde – vor allem der Ostdeutsche Hermann Herlinghaus, ein vorzüglicher Kenner der russisch-sowjetischen Filmgeschichte, den ich, der Initiator des Gesprächs bei der Leipziger Dokfilmwoche 1965, dazu einlud, wollte ich doch Vertreter beider deutscher Staaten bei diesem Thema im Gespräch mit Romm am Tisch haben – diese Freunde bedrängten mich, den Begriff "Stalinismus" bei der Veröffentlichung fallen zu lassen, statt dessen die von Chruschtschow im Jahr 1956 (20. Parteitag der KPdSU) eingeführte Formel "Personenkult" zu nutzen - das einzige Zugeständnis, das ich damals machte. Immerhin zählten wir damals das Jahr 1965, kurz zuvor war Noltes, für Deutschland sehr wichtiges Werk über "Faschismus" erschienen. Dass diese Linie, wie sie Nolte, außerhalb der üblichen Lager "rechts" und "links" usw., weiter entwickelte, nicht mit ihm weiter gezogen wurden, sondern in abscheulichen Kampagnen abgewürgt worden ist, bleibt ein Schandmal der ohnehin schwach entwickelten Streitkultur in Deutschland. Hier vertuscht, verschweigt oder selektiert man bei unangenehmen Themen, die Attackierten werden selten eingeladen oder man haut die Abweichler dermaßen emotional zusammen, dass es ein Wunder ist, wenn sie überleben – Nolte ist hier nicht der einzige. Allerdings merkte ich, in anderen Fahrwassern, an meinen Versuchen, wie schwer es ist, dies in der Öffentlichkeit durchzusetzen, mit welchen Widerständen man zu rechnen hatte – nicht nur wegen des noch vorherrschenden Paradigmas im Kalten Krieg. Dieser begann im übrigen nicht mit der Rede in Fulton, die Churchill hielt und damit zu dem zurückkehrte, was Hitler in den 30er Jahren für die englischen und amerikanischen Eliten so sympathisch machte: Die Bekämpfung des sowjetischen Russlands. Dies war gewissermaßen die Neuauflage von 1915, vor allem 1917, als die kaiserliche Führung Deutschlands die Bolschewiki in Tranchen mit über 60 Millionen Goldmark (= Schweizer Franken) ausstattete, die übrigens Uljanow-Lenin großenteils selbst quittierte, weshalb einer der Überbringer, Graf Mirbach, erster Botschafter des Kaisers am Hof der bolschwestischen Führer Lenin und Trotzki, durch einen "durchgeknallten Sozialrevolutionär", Blumkin, am 6. Juli 1918 ermordet wurde. Neben allem übrigen (anders als Nolte es formulierte, waren sie eine Friedenspartei – das war lediglich das Aushängeschild zur Mobilisierung der kriegsmüden Massen und zur Eroberung der Macht, auch durch PUTSCH – die Oktoberrevolution war ein Staatsstreich und dem Ínhalt nach eine Gegen-Revolution) die Bolschewiki agierten vor allem als Bewegung der Rache und Vergeltung, als terroristische Bürgerkriegspartei, die Deutschlands Führung unterstützte, um im Osten freie Hand zu bekommen. Dass Uljanow-Lenin das mitspielte, bedeutete aus seiner Sicht keinen Hochverrat, er wollte ja mit dem Geld der Imperialisten die Weltrevolution in Russland nur entfachen, das Land anzünden, was ihm ja vollkommen gelungen ist – das erste Feuer des Weltbrands in Russland sollte in Deutschland das Zentrum erhalten. Deshalb musste auch Mirbach weg, als Zeuge der Geldübergaben – Blumkin war nämlich die rechte Hand des "Eisernen Feliks" (Tscheka-Gründer Dzierzynski), der nichts unternahm ohne den "Führer Ilyitsch", der in München den Namen N. Lenin annahm, was den frühen Nationalsozialisten sehr wohl bewusst war. Zehn Jahre später wurde auch dieser Zeuge, der Mörder Mirbachs Blumkin, auf Anweisung Stalins ermordet, nunmehr der letzte Hauptmitwisser an den Geschäften zwischen den bolschewistischen Führungseliten und den deutschen Eliten um Kaiser Wilhelm - dem Vetter des Zaren Nikolai II, genannt Niki, der von Willi aus militärstrategischen und geopolitischen Gründen so schmählich verraten wurde.

A propos war noch ein berühmter Russe Anhänger der Thesen von den Wahlverwandtschaften der Bolschewiki und Nationalsozialisten - Vladimir Nabokov, den ich noch in Amerika hörte und dessen Grab ich jedes Mal, wenn ich nach Montreux reise, aufsuche. Was würden Sie denken, wenn Sie als Russe oder Russin – von Nabokov, Stepun über Bunin, Pasternak Achmatowa und Zwetajewa bis zu Romm, Granin, Men, Gorbatschow und Jakowlew – das anhören oder lesen müssen, was deutsche Experten in der Regel zu diesem Thema von sich geben? Oder was die Gebildeten unter den 3,5 Millionen, die russisch und deutsch sprechen und unter uns leben, das Verschweigen oder die Zerrbilder über Russland von neuem erleben? Einem davon verdanke ich Material über die deutsche Einheit – es ist verarbeitet in einem Essay über die wenig bekannten Hintergründe beim Fall der Mauer. Das hänge ich an und bitte Sie um Weiterleitung samt Brief an die genannten Personen.

In jedem Fall bedanke ich mich bei der Redaktion, vor allem dem Dokumentaristen Schmid und seinem Gesprächspartner Nolte für diese Sendung zu guter Zeit. Es war ein Zeichen für Professionalität, Zivilcourage und Ehrlichkeit zu einem leidvollen und bislang öffentlich zumeist verhunzten und emotional verbogenen Thema.

Beste Grüße und Wünsche.
Friedrich Hitzer

Guten Tag Hitzer,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Da es ein ARD Beitrag war, haben wir ihre Anfrage an unsere ARD Kollegin weitergeleitet. Mit freundlichen Grüßen aus Mainz. Ursula Kerlin 3sat

Liebe Zuschauerin, lieber Zuschauer,

haben Sie besten Dank für Ihre Mail, die uns von den Kollegen des ZDF übermittelt wurde.

Die beiden o.g. Sendungen sind Einbringungen des Südwestrundfunks in das 3sat-Programm. Wir haben daher Ihre Anfragen, Anmerkungen und Wünsche an folgende Redaktion weitergeleitet: SWR Redaktion Kultur & Gesellschaft 76530 Baden-Baden. Wir hoffen, dass wir Ihnen auf diesem Wege weiterhelfen konnten und würden uns freuen, wenn Sie auch weiterhin am Programm von 3sat Gefallen finden würden.

Mit freundlichen Grüßen. Andrea Grimm. Südwestfunk. ARD-Koordination. 3-SAT

Aus Baden-Baden erhielt ich bisher keine Antwort. Der Dokumentarist Schmid schrieb jetzt, 26. Juni 2006:

Lieber Herr Hitzer, danke für Ihre ausführliche Zuschrift zu Film und Diskussion über Ernst Nolte, die mittlerweile bei mir angekommen ist. Ich bin leider (aus Zeitgründen) nicht in der Lage, sie so gründlich zu beantworten, wie sie es verdient. Freut mich, dass Sie den Unterschied zwischen Film und Diskussion so klar und richtig sehen. Die Diskussion verfolgte das Ziel, die Wirkung des Films zu entschärfen – das ist ihr zu meinem Kummer auch gelungen. Die Hintergründe und -gedanken des Films von Michail Romm sind mir auch bekannt, wenngleich sicher nicht so detailliert wie Ihnen, und es wäre fahrlässig, sie bei einer weitergehenden Auseinandersetzung mit Romm nicht zu erwähnen. Bei aller offenen und verborgenen Gleichsetzung der totalitären Systeme bleibt der Film jedoch immer auf der, wie ich es nannte, "linken Linie". Anders wäre es wohl gar nicht gegangen. Insofern kann man nicht von einem Fehler in der Dokumentation sprechen, vielleicht aber von einer leisen Ungerechtigkeit. Anscheinend haben Sie vom Fernsehen keine weitere Antwort bekommen als jene, die mit der skurrilen Anrede "Lieber Hitzer!" begann. Ich hoffe, Sie haben darüber ebenso lachen müssen wie ich.

Andreas Christoph Schmidt

Schmidt & Paetzel Fernsehfilm GmbH, Berlin.

IN MEMORIAM GHALIB JARRAR (1941 – 2004)
IN MEMORIAM GHALIB JARRAR

Die blutigen Ereignisse im Gaza-Streifen 2006 wecken Erinnerungen an die schrecklichen Vorgänge bei den Olympischen Spielen in München 1972: Den Terroranschlag des Kommandos Schwarzer September auf das israelische olympische Team und die darauf folgenden Erschießungen bei Fürstenfeldbruck hatten zahlreiche Menschen aus dem Orient – zumeist Studierende an Münchener Hochschulen – auszubaden. Mit zwei von ihnen hatte ich unmittelbar zu tun – mit Magdi Gohary und Ghalib Jarrar, die ungeachtet ihrer familiären Situation und nachweislichen Ablehnung jedweden Terrors festgenommen und ausgewiesen wurden. Nichts konnte das offenkundige Unrecht abwenden. Sie galten als "Araber" und waren deshalb verdächtig, so wie heute jede Person aus dem arabischen Kulturkreis einer allgemeinen Islamophobie und dem latenten Verdacht des Dschihadismus ausgeliefert ist, da sie ja grundsätzlich daneben liegen, wenn sie auf die Doppelmoral und die militärischen Interventionen der westlichen Welt im Mittleren Osten hinweisen.
Am schlimmsten verfährt man nach wie vor mit den Palästinensern. Vor allem mit den im Gaza-Streifen, unter erniedrigenden und schmachvollen Bedingungen lebenden Menschen. Die Opfer sind vor allem Zivilisten. Kinder, Frauen, ganze Familien. Der Friedensaktivist und Bürgerrechtler Israels, Uri Avnery, bezeichnete die jüngsten Ereignisse, die sich im Windschatten der Bomben auf den Libanon und der Hisbollah-Raketen auf Israel vollzogen, am 14. Oktober 2006 als das "Große Experiment" des Westens. Demnach wird getestet, was und wie etwas zu geschehen hat, um eine ganze Bevölkerung gewaltsam zur Unterwerfung zu zwingen: "Alle Wissenschaftler, die am Experiment teilnehmen – Ehud Olmert und Condoleeza Rice, Amir Peretz und Angela Merkel, Dan Halutz und George Bush, ganz zu schweigen vom Friedensnobelpreisträger Shimon Peres – bücken sich über die Mikroskope und warten auf eine Antwort, die zweifellos einen wichtigen Beitrag zur politischen Wissenschaft darstellt. Hoffentlich sieht das Nobel-Komitee zu."
Im folgenden dokumentiere ich aus meinem Archiv die Geschichte mit Dr. Ghalib Jarrar. Sie begann mit einem Gedicht von Mahmud Darwesch, das der kürbiskern 2/1970 veröffentlichte, für den ich als Chefredakteur verantwortlich zeichnete ... Darwesch gilt heute als die poetische Stimme der Palästinenser – als Bürger Israels befand er sich vom 19. Oktober 1969 bis zum 1. Februar 1970 unter Hausarrest des israelischen Militärs. Die Solidarität aus der Ferne mit dem in Westeuropa damals so gut wie unbekannten jungen Lyriker Darwesch folgten 1972 die solidarischen Handlungen mit Ghalib Jarrar in München.


Die Dokumentation mit Belegen von 1972 bis 1973 gliedert sich wie folgt:
I. Mahmud Darwesch: Verhör
II. Zum "Fall Ghalib Jarrar"
III. Korrespondenz mit Behörden
IV. Schnittplan zum Film


I
MAHMUD DARWISCH: VERHÖR


Schreib auf,
Ich bin Araber,
Kennkarte Nummer 50.000,
Ich habe acht Kinder,
Das neunte kommt nächsten Sommer.
Bist du wütend?

Schreib auf,
Ich bin Araber,
Ich haue Stein mit Arbeitergenossen,
Ich quetsche Felsen
Für ein Stück Brot,
Für ein Stück Brot,
Für ein Buch,
Für meine acht Kinder.
Aber ich bitte nicht um Milde
Und ich beuge mich nicht
Deiner Macht.
Bist du wütend?

Schreib auf,
Ich bin Araber,
Ich bin ein Name ohne Titel
Standhaft in einer verrückten Welt.

Meine Wurzeln gehen tief
Über die Zeiten,
Über die Zeit.

Ich bin der Sohn des Pfluges.
Von friedfertigen Bauern.
Ich lebe in einer Hütte
Aus Schilf und Rohr.
Haare: pechschwarz.
Augen: braun.
Meine arabische Haartracht,
Zerkratzt eindringende Hände,
Und ich bevorzuge einen Tropfen Öl und Thymian.

Und bitte schreib auf,
Vor allem,
Ich hasse niemanden,
Ich beraube niemanden,
Aber wenn ich verhungere,
Esse ich Fleisch vom Körper meiner Räuber,
Hab acht,
Hab acht vor meinem Hunger,
Hab acht vor meinem Zorn.

Haifa 1964

Aus dem Englischen von Friedrich Hitzer

II
ZUM FALL GHALIB JARRAR
1

Angaben zur Person:

Chalib Jarrar (C. J.), geboren am 1. Juli 1941 in Jdeideh, Jordanien; seit 1965 Studium der politischen Wissenschaften in der BRD; Studienabschluss (Magister artium) am 25. Januar 1973, Geschwister-Scholl-Institut der Universität München; seit 1967 ist C.J. verheiratet mit einer deutschen Staatsangehörigen und Vater eines 5-jährigen Kindes. Ein weiteres Kind wird Mitte April 1973 erwartet.

Chronik der Abschiebungsversuche:

05. September 1972 Attentat des "Schwarzen September" im Olympiadorf München
21. September 1972 Beginn der Ausweisung von Arabern in München. (Etwa 8 Personen sind betroffen)
27. September 1972 2. Ausweisungswelle in München. (etwa 5 Personen sind betroffen)
06.00 Uhr
Festnahme von C.J. und Abschiebehaft im Polizeipräsidium München
16.00 Uhr
Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung
Einstweilige Verfügung durch RA Eisner gegen die sofortige Abschiebung
Solidaritätserklärung des gesamten Lehrkörpers des Geschwister-Scholl-Instituts. Persönliche Intervention von Prof. Sontheimer zur Verhinderung der Ausweisung
In der folgenden Zeit zahlreiche eidesstattliche Erklärungen zu Gunsten von C.J.
28. September 1972 Das Verwaltungsgericht München gibt der einstweiligen Verfügung vom Vortage statt. C.J. wird aus der Abschiebehaft entlassen. Ein neuer Ausweisungstermin wird auf den 1. Dezember 1972 festgesetzt, um C.J. die Möglichkeit zu geben, sein Studium abzuschließen.
Die Verschiebung der Ausweisung wird mit der Auflage versehen, sich täglich zweimal zu festgesetzten Zeiten polizeilich zu melden.
Beginn der polizeilichen Observation und Beschattung von C.J.
Unter diesen Bedingungen bereitet sich C.J. auf sein Examen vor.
04. Oktober 1972 4-stündige Durchsuchung der Wohnung in Abwesenheit von C.J. durch 4 Sicherheitsbeamte. Mitnahme von Büchern und Fachzeitschriften, die für das Examen von großer Wichtigkeit sind.
19. Oktober 1972 Antrag auf Aufhebung oder Verschiebung der Ausweisung. Begründung: Das Examen von C.J. ist für den 24. Januar 1973 festgesetzt.
15. November 1972 Das Verwaltungsgericht München gibt dem Antrag auf erneute Verschiebung der Ausweisung statt. Neuer Termin: 1. Februar 1973. Polizeiliche Meldung nur noch einmal täglich
12. Dezember 1972 bis bis 24. Januar 1973 Examensprüfungen von C.J. Er besteht das Magister-Examen mit der Gesamtnote "gut". Prof. Sontheimer erteilt C.J. eine Doktorarbeit über das ägyptische Bildungssystem.2
12. Januar 1973 Erneuter Widerspruch gegen die Ausweisungsverfügung und Forderung nach umgehender Anberaumung eines Gerichtstermins.
26. Januar 1973 Das Verwaltungsgericht München verschiebt den Ausweisungstermin auf den 1. Mai 1973, lehnt jedoch die Aufhebung der Ausweisung ab.


III
KORRESPONDENZ MIT BEHÖRDEN


Brief (Kopie) vom 08.11.1972
Landeshauptstadt München, Amt für öffentliche Ordnung, Ettstraße 2
An das Bayerische Verwaltungsgericht, München
Az. 7424/72 Zum Schreiben vom: 24.10.1972 II/IV -Hd-

Verwaltungsstreitsache J a r r a r Ghalib Nimr
gegen die Landeshauptstadt München
wegen Ausweisung;
zum Antrag vom 19.10.1972 auf Änderung des
Beschlusses des VG München vom 28.9.1972

Es wird nach wie vor die Auffassung vertreten, dass die Anwesenheit des Antragstellers ein schwerwiegendes Risiko für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Außer den in der Ausweisungsverfügung angeführten Gründen für die Notwendigkeit einer alsbaldigen Außerlandesschaffung des Antragstellers ist nunmehr noch zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Sicherstellung des Vereinsvermögens der inzwischen verbotenen Organisation GUPS und GUPA in der Wohnung des Antragsstellers in München 22, Adelgundenstr. 21/I, nachstehende Gegenstände durch die Kriminalpolizeit sichergestellt wurden:

o 1 Karton Flugblätter (ca. 10.000 Stück) der GUPS oder ähnlicher Organisation
o 25 "kürbiskern"-Sonderdrucke 2/72 (kommunistisch-marxistische Kampfschrift in deutscher Sprache)
o 7 Bücher über das Palästina-Problem
o 1 Kästchen Karteikarten (unbeschriftet)
o 1 Packung Karteikarten, teilweise mit Personenangaben
o div. Schriftenmaterial und Notizbücher in arabischer Sprache
Die Unterlagen werden von den zuständigen staatlichen Stellen noch ausgewertet.
Der ASt. hat sich nach Meldungen der Kriminalpolizei München schon früher für das an der Uni München verteilte Flugblatt: "Der Revolutionäre Kampf der unterdrückten Völker Vietnam/Palästina" als mitverantwortlich für Druck und Verlag bezeichnet. Wie die in seiner Wohnung sichergestellen Druckschriften u.a. beweisen, entwickelt der ASt. im Rahmen seiner Zugehörigkeit zu palästinensischen Organisationen noch Aktivitäten, die den alsbaldigen Vollzug der Ausweisungsverfügung unumgänglich notwendig machen.

Unter diesen Umständen kann dem Verlangen nach einer weiteren Vollzugsaussetzung sowie einer Beseitigung bzw. Milderung der Meldeauflagen im Interesse der Vermeidung jeglichen Sicherheitsrisikos nicht Rechnung getragen werden.

Es wird deshalb beantragt, den Abänderungsantrag zu Ziff. 1 des Schriftsatzes vom 19.10.1972 ebenso wie den hilfsweise gestellten Abänderungsantrag in Ziff. 2 des vorher bezeichneten Schriftsatzes abzulehnen und die Kosten dem ASt. aufzuerlegen.
gez. Dr. Mayer, rk. Stadtdirektor


Brief (Kopie) vom 8. Dezember 1972
Redaktion kürbiskern, München, 8000 München 13, Hohenzollernstraße 144
An Rechtsanwalt Gerd Nies, 8000 München 80, Possartstraße 2

Lieber Kollege Nies,
mit diesem Brief schicke ich Dir die Fotokopie eines Schreibens an den Oberbürgermeister der Stadt München, Georg Kronawitter.

Zugleich bevollmächtige ich Dich, im Auftrag unserer Redaktion, gegen den Unterzeichner des Schreibens vom 8.11.1972 an das Bayer. Verwaltungsgericht, Absender Landeshauptstadt München, Amt für öffentliche Ordnung, Herrn Stadtdirektor Dr. Mayer, die entsprechenden Schritte einzuleiten (wie bei unserer Redaktionssitzung vom 7.12.1972 besprochen).

Mit freundlichen Grüßen
Redaktion kürbiskern, gez. Friedrich Hitzer


Brief-Kopie vom 8. Dezember 1972
Redaktion kürbiskern, 8000 München, Hohenzollernstraße 144 EINSCHREIBEN
An Oberbürgermeister Georg Kronawitter, 8000 München, Rathaus-Marienplatz

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
in einem Schreiben der Landeshauptstadt München, Amt für Öffentliche Ordnung, vom 8.11.1972 werden Gründe genannt, wonach Herr Ghalib Nimr Jarrar vor einer gerichtlichen Überprüfung des Ausweisungsverfahrens abgeschoben werden soll. (Sofortige Vollziehbarkeit v o r Rechtskraft).

In diesem, von Stadtdirektor Dr. Mayer gezeichneten, an das Bayerische Verwaltungsgericht abgesandten Brief heißt es unter anderem:

"Es wird nach wie vor die Auffassung vertreten, dass die Anwesenheit des Antragstellers ein schwerwiegendes Risiko für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Außer den in der Ausweisungsverfügung angeführten Gründen für die Notwendigkeit einer alsbaldigen Außerlandesschaffung des Antragstellers ist nunmehr noch zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Sicherstellung des Vereinsvermögens der inzwischen verbotenen Organisation GUPS und GUPA in der Wohnung des Antragsstellers in München 22, Adelgundenstr. 21/I, nachstehende Gegenstände durch die Kriminalpolizeit sichergestellt wurden: ... 25 "kürbiskern"-Sonderdrucke 2/72 (kommunistisch-marxistische Kampfschrift in deutscher Sprache)..."

Das soll bedeuten: der kürbiskern wird im Verfahren gegen Herrn Jarrar – den man wegen "besonderer Gefährlichkeit" vor Zustandekommen eines gerichtlichen Verfahrens abschieben will – als Beweismittel für die Verbindung dieses arabischen Bürgers zu terroristischen Gruppen und damit als Beweismittel für ein akutes Sicherheitsrisiko der Bundesrepublik Deutschland von der Kriminalpolizei beschlagnahmt und von der Landeshauptstadt München hergenommen. Daraus muss geschlossen werden, dass der Inhalt des kürbiskern-Sonderdrucks – es handelt sich übrigens nicht um die Ausgabe 2/72 sondern um 2/70 – dazu geeignet sei, den Terrorismus und gegen die Sicherheit der BRD gerichtete Handlungsweisen zu fördern. Dem sollte wohl auch die Formulierung "Kommunistisch-marxistische Kampfschrift" Nachdruck verleihen; in dem Schreiben vom 8.11.1972 wird der Schluss nahegelegt, dass marxistisch bzw. kommunistisch mit terroristisch gleichzusetzen ist.

Dagegen verwahren wir uns umso energischer, als unsere Zeitschrift im allgemeinen und dieser Sonderdruck im Besonderen in aller Deutlichkeit klarstellt: Wir sind Gegner des Terrorismus und Gegner jedweder Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien, ob es sich um Bürger der Bundesrepublik Deutschland oder um Bürger anderer Staaten handelt.

In unseren Zielen wissen wir uns mit namhaften Autoren des In- und Auslands einig. Im übrigen erlauben wir uns, Ihnen die Liste unserer Autoren und ein Exemplar von Heft 3/72 ("Gemeinsam gegen Rechts") mitzuschicken.

Das Schreiben der Landeshauptstadt München vom 8.11.72 demonstriert ein Symptom der Gefahr, dass unter tatsächlicher oder vorgeblicher Verfolgung von Terrorismus und Kriminalität Schritte eingeleitet werden, mit denen weder das eine noch das andere in seinen Ursachen beseitigt, sondern kritische Demokraten und Sozialisten kriminalisiert werden sollen. In Anfängen erinnert da manches an einen Spruch von Dr. Goebbels: "Nicht alle Kriminelle sind Kommunisten, aber alle Kommunisten sind Kriminelle ..." Und das KZ Dachau wurde schließlich nicht durch einen einmaligen Verwaltungsakt eingerichtet, sondern durch eine Vielzahl kleiner, unscheinbarer politischer Diskriminierungen mit vorbereitet, die dem Jahr 1933 vorausgegangen sind.

Wir fordern Sie, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, als obersten Dienstherrn in der Landeshauptstadt München auf, diese Diskriminierung innerhalb der Frist eines Monats rückgängig zu machen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Redaktion kürbiskern, gez. Friedrich Hitzer


Brief (Original) vom 19. Dezember 1972
Landeshauptstadt München, Direktorium, Kreisverwaltungsamt, München-Rathaus
An die Redaktion kürbiskern, z.H. Herrn Friedrich Hitzer
8000 München 13, Hohenzollernstraße 144
Ihre Nachricht vom 8.12.1972 Unser Zeichen: Az 237/1 Ha/Ke

Ausweisung von Herrn Ghalib Nimr J a r r a r

Sehr geehrter Herr Hitzer!
Der Eingang Ihres Schreibens an Herrn Oberbürgermeister Georg Kronawitter vom 8. Dezember 1972 wird hiermit bestätigt. In vorläufiger Erledigung desselben wird mitgeteilt, dass das für das Amt für öffentliche Ordnung zuständige Kreisverwaltungsreferat gebeten wurde, die in Rede stehende Angelegenheit zu überprüfen und sich mit Ihnen unmittelbar in Verbindung zu setzen. Das Direktorium-Verwaltungsamt bitte Sie, sich solange zu gedulden.

Mit vorzüglicher Hochachtung
gez. Kohl, rechtsk. Stadtdirektor


Brief (Original) vom 5. Januar 1973
Landeshauptstadt München, Referat für Kreisverwaltung und öffentliche Ordnung
An die Redaktion kürbiskern, z.Hd. Herrn Friedrich Hitzer
Ihre Nachricht vom 8.12.1973 o.Z.
Ausweisung von Herrn Ghalib Nimr J a r r a r

Sehr geehrter Herr Hitzer!
In Ergänzung des Schreibens vom 19. Dezember 1972 teile ich Ihnen abschließend folgendes mit:

Das Schreiben des Amtes für öffentliche Ordnung an das Bayer. Verwaltungsgericht München vom 8.11.1972, ergangen im damals noch beim Verwaltungsgericht anhängigen Antragsverfahren, wird hinsichtlich der von Ihnen beanstandeten Stellen missverstanden. Sollten Sie über die Anwälte des Betroffenen im Besitze einer Ausfertigung der Stellungnahme des Amtes für öffentliche Ordnung sein, so werden Sie selbst ersehen können, dass nach der (von der zuständigen Kriminalpolizei übermittelten) Aufstellung über die bei Herrn Jarrar sichergestellten Gegenstände der Satz angefügt ist: "Die Unterlagen werden von den zuständigen staatlichen Stellen noch ausgewertet."

Daraus ergibt sich, dass die Verwaltungsbehörde selbst aus dem Sachverhalt des sichergestellten Schriftenmaterials keine Schlüsse zog. Sie hat lediglich hinzugefügt – und hierfür sprechen doch in erster Linie der Besitz von etwa 10.000 Flugblättern sowie von Karteikarten – , dass der Betroffene im Rahmen seiner ehemaligen Mitgliedschaft zur GUPS (....Zugehörigkeit zu palästinensischen Organisationen) noch aktiv tätig ist.

Es ist deshalb Ihre Schlussfolgerung nicht zutreffend, die Behörde sehe in der Tatsache des Besitzes von Exemplaren des "Kürbiskern" ein Beweismaterial für die Verbindung des Herrn Jarrar zu terroristischen Gruppen. Weder in der Ausweisungsverfügung noch in den im Verwaltungsrechtstreit abgegebenen Stellungnahmen der Behörde wurde dem Betroffenen jemals eine unmittelbare Verbindung zu Terroristen vorgeworfen. Das Sicherheitsrisiko durch seine Anwesenheit basiert ausschließlich aus seiner innerhalb der Mitgliedschaft zur GUPS entwickelten Aktivitäten, weil von dieser Organisation Handlungen bekannt sind, die Sie am besten aus der mehrfach publizierten Verbotsverfügung des Bundesinnenministers entnehmen wollen.

Ich kann abschließend feststellen, dass Sie zu unrecht von der Annahme ausgegangen sind, Ihr Schriftwerk würde vom Amt für öffentliche Ordnung terroristischer Propaganda gleichgesetzt. Eine derartige Deutung lässt der Wortlaut des hier in Betracht kommenden Schreibens schon deshalb nicht zu, weil dem Betroffenen im Anschluss an die Aufzählung der verschiedenen sichergestellten Gegenstände nur Aktivität innerhalb der GUPS vorgehalten wurde.

Ich bin sicher, dass damit das Missverständnis ausgeräumt ist.

Hochachtungsvoll
gez. Dölker. Berufsmäßiger Stadtrat


Schriftsatz (Kopie) vom 18. April 1973
Erich Eisner, Rechtsanwalt, 8 München 80, Possartstr. 2

AUSWEISUNG DES STUDENTEN GHALIB NIMER J A R R A R
Am 27. September 1972 morgens um 6.00 Uhr wurde der verheiratete und in München wohnhafte Student Ghalib Jarrar in Abschiebehaft genommen. Es wurde ihm eine Ausweisungsverfügung der Landeshauptstadt München übergeben, die lediglich allgemein auf die Mitgliedschaft des Herrn Jarrar in der GUPS abstellt und keinerlei konkrete Vorwürfe gegen den Betroffenen selbst enthält.

Herr Jarrar wird seit 27.9. von Herrn Rechtsanwalt Gerd Nies und mir vertreten.

Es konnte beim Verwaltungsgericht und beim Verwaltungsgerichtshof Aufschub in mehreren Etappen bis schließlich 30.4.1973 als letzter Termin erwirkt werden. Die einstweilige Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit durch die Münchner Gerichte stützt sich vor allem darauf, dass Herr Jarrar zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung mitten im Studienabschluss (Magister) stand und darauf, dass seine Ehefrau das zweite Kind erwartet.

Ein Antrag, einen weiteren Aufschub über den 1.5.1973 hinaus zu gewähren, liegt dem Verwaltungsgericht vor. Über den Antrag ist noch nicht entschieden.

Unabhängig von der Frage der Abschiebung hat sich Herr Jarrar durch Widerspruch und durch Klage zum Verwaltungsgericht gegen die Ausweisung selbst gewandt. Dabei wurden zahlreiche eidesstaatliche Versicherungen und andere Nachweise vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass Herr Jarrar sich stets gegen jeden Terrorismus gewandt hat, ferner, dass er nur passives Mitglied der GUPS war und schon 1966 Mitglied dieser Organisation wurde, also vor dem Juni-Krieg 1967 und vor dem Beginn des Auslandsterrrorismus (1970).

Die GUPS war die einzige Nationalorganisation palästinensischer Studenten in der BRD. Weiter wurde nachgewiesen, dass Herr Jarrar seit 1971 an keinen Aktivitäten oder Versammlungen der GUPS teilgenommen hat.

Die Anträge des Herrn Jarrar wurden unterstützt von seinem Doktorvater, Herrn Professor Kurt Sontheimer (Universität München), von mehreren wissenschaftlichen Assistenten des Geschwister-Scholl-Instituts der Universität München und von sechszehn Mitgliedern des Lehrkörpers des Soziologischen Instituts der Universität München.

Das Gericht konnte bisher auf diese Probleme nicht eingehen. Der Verwaltungsgerichthof München wies im Zusammenhang der Verlängerung der Frist im Beschluss vom 11.1.1973 darauf hin, dass die Frage der Begründetheit der Ausweisungsverfügung erst im eigentlichen Anfechtungsverfahren geprüft werden könne. In diesem Verfahren würde, so der VGH, die Ausländerbehörde ihre Ausweisungsgründe darlegen müssen und es würde dem Betroffenen Gelegenheit gegeben werden, zu erwidern und Beweise vorzulegen.

Jedoch droht nun Herrn Jarrar gerade diese Möglichkeit des rechtlichen Gehörs abgeschnitten zu werden, da Herr Jarrar die Bundesrepublik am 1.5. verlassen soll, ohne dass bisher eine mündliche Verhandlung oder eine Anhörung durch die Ausländerbehörde stattgefunden hätte.

1. Gegenüber dem Ausländeramt hat der Unterfertigte mehrfach schriftlich und mündlich um Anhörung des Betroffenen ersucht. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass Art. 103 I GG auch für Ausländer gilt und auch im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist. (Ständige Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts). Es wurde jedoch sieben Monate lange keine Gelegenheit dazu gegeben.
2. Zumindest müsste das rechtliche Gehör vor Gericht gewahrt sein. Offenbar hat jedoch die Beklagtenseite mit einer Stellungnahme zur Klage bis heute abgewartet, um auf diese Weise den Prozess in Abwesenheit von Herrn Jarrar führen zu können. Anders lässt sich die Prozessverschleppung nicht deuten, da die Behörde innerhalb von sieben Monaten (!) nach einer – als dringend gegebenen – Ausweisungsverfügung doch in der Lage hätte sein müssen, dem Gericht gegenüber Stellung zu nehmen.

Sollte nun die mündliche Verhandlung erst stattfinden, wenn Herr Jarrar die BRD verlassen musste, so kann von einer Möglichkeit zur Prozessführung nicht einmal mehr formal gesprochen werden. Um die persönliche Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung zu erzielen, wäre jedesmal eine Anordnung des Gerichts Voraussetzung, da der Betroffene sonst nicht einreisen könnte. Praktisch und finanziell wird es ohnehin unmöglich sein, zur mündlichen Verhandlung von Beirut aus anzufliegen. Schließlich wird Herr Jarrar in der Vorbereitung des Prozesses und in seinen Möglichkeiten zur Beweisführung ernstlich behindert.

Es lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass die Ausländerbehörde das Verfahren absichtlich verschleppt, damit dem Betroffenen keine Möglichkeit des rechtlichen Gehörs gegeben wird.

gez. Erich Eisner


Brief (Kopie) vom 1. Mai 1973
An den Münchener Polizeipräsidenten, Herrn Dr. Manfred Schreiber,
8000 München 2, Ettstraße 2

Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber,
am 31. Dezember 1972 habe ich zwei Herrn interviewt, die nach eigener Aussage einen "Observationsauftrag" gegen Ghalib Jarrar, München, Adelgundenstraße 21, auszuführen hatten. Für nähere Auskünfte verwiesen sie mich an die Pressestelle des Münchener Polizeipräsidiums.
Am 24. April 1973 teilten mir die Herren Berger und Kistler bei der Pressestelle in der Ettstraße mit – dies in Anwesenheit meiner Kollegen Manfred Vosz und Christian Weissenborn -, dass sie zu dieser Sache keine Auskünfte geben können. Die beiden Mitarbeiter der Pressestelle schlugen vor, dass ich mich in dieser Sache mit einer schriftlichen Anfrage direkt an Sie, Herr Dr. Schreiber, dem amtierenden Polizeipräsidenten der Stadt München, wende. Das geschieht hiermit.

Ich arbeite an einem Film über den "Fall Jarrar" und bitte Sie oder einen Ihrer Mitarbeiter um ein Interview in dieser Angelegenheit.

Hochachtungsvoll
gez. Friedrich Hitzer


Dezember 2006

Auf eine Antwort des damaligen Polizeipräsidenten wartete ich vergeblich.

Meine Unterlagen aus den Jahren 1972 bis 1973 schließen mit handschriftlichen Notizen über die Abschiebung am Flughafen Riem und die Vorbereitung für einen Dokumentarfilm, der später mehrfach ausgezeichnet wurde ...

Unser Team bestand aus drei Personen. Manfred Vosz und Christian Weissenborn besorgten die Arbeiten für Regie, Kamera und Endmontage. Ich wirkte als "Szenarist" und "Reporter". Danach fertigte ich einen "Schnittplan" an, der in meinen Unterlagen erhalten ist. Zum besseren Verständnis dieses "Schnittplans" und der darin eingetragenen Orte der Handlung und des dazu gehörenden Tons (vor allem Text) – beides erkennbar als Rohfassung – sei hier erzählt, wie wir vorgingen.

Wir beobachteten über die Weihnachtszeit 1972, wie ein großer weißer BMW und zwei in Zivil gekleidete Personen männlichen Geschlechts das Haus in der Adelgundenstraße 21 ansteuerten, wo die Familie Jarrar wohnte. Der BMW war so geparkt, dass man ihn von überall her in dieser dicht bewohnten Gegend sah, ja sehen sollte. Ob Passanten oder Mieter. Man hatte die motorisierte Bewachung unmittelbar vor der Nase, wenn man aus den Wohnräumen der Jarrars herunterblickte. Es war das Weihnachtsgeschenk aus der Ettstraße, wo bekanntlich – wie mir es wütend aus dem Gedächtnis hochkroch – Heinrich Himmler seine Karriere begann. Für die hochschwangere deutsche Ehefrau Ghalibs – alle Freunde nannten die deutsche Krankenschwester "Clärchen" -, ihres gemeinsamen fünfjährigen Sohnes Doreit, der mit seinem Freund, dem Sohn der Frau Kordes, zu Hause oder irgendwo draußen spielte und mitbekam, dass der polizeiliche Aufwand an diesem trauten Fest zu Christi Geburt ihnen galt. Die Route, die der BMW dann und wann nahm – wohl zur Schonung des Motors im Winter -, war bald erkundet. Die Limousine fuhr im Block die Adelgundenstraße in Richtung Maximiliansstraße, bog rechts in die dazu parallel verlaufende Knöbelstraße ein, glitt langsam bis zur Thierschstraße, die er nach rechts verließ, um am Mariannenplatz in die Mariannenstraße Richtungs Adelgundenstraße zurückzukehren, wo fast im Winkel dazu die junge Familie Jarrar sich befand und den BMW erneut erwartete. Ich erinnere mich an Ghalibs Schreibtisch, wo er sich aufs Examen vorbereitete. Immer gewärtig, dass drunten – auch an Heilig Abend der Christen – der BMW ihrer Bewacher stand. Mit den auf ihn angesetzten Polizeibeamten. Aus all dem ergab sich das Szenarium wie von selbst.

Wir fanden Plätze hoch oben in einem benachbarten Haus an der Ecke Thierschstraße/ Mariannenstraße und fingen so den schleichenden "Weißen mit den schwarzen Männern" durch Teleobjektive ein. Unerklärlich war freilich der Rhythmus dieser Observation – sie sah ganz nach Routine aus. Nach dem Muster: Ist für uns nichts Neues. Eine Pause schienen sich die Herren zu machen, wenn sie an der Ecke Knöbelstraße/ Adelgundenstraße hart am Trottoir parkten. Genau an dieser Stelle tauchte ich einmal blitzartig mit eingeschaltetem Aufnahmegerät auf, klopfte ans Fenster und begann mein Interview, das bei laufender Kamera aus dem Hintergrund mit gefilmt wurde. Diese und andere Aufnahmen – unter anderem ein längeres Interview mit Kurt Sontheimer in dessen Büro – wie auch die Abschiebung – gehören zu diesem Film, über dessen Verbleib ich nichts weiß.



IV
SCHNITTPLAN ZUM FILM


[73 – Notiz 1]
Dieser Abschied unterscheidet sich äußerlich kaum von den täglichen Abschiedsszenen am Flughafen. Wissen die Deutschen aber, dass hier eine Frau an ihrer ihrer Heimat verzweifelt, weil ihr Mann ausgewiesen wird? Sagen die Polizeibeamten am Flughafen auch: DIENST IST DIENST, wenn sie in blitzartigen Nacht- und Nebelaktionen Ausländer abschieben? Die antiarabische Kampagne in unserem Land hat Merkmale einer Ausländerfeindlichkeit angenommen ...

[73 – Notiz 2]
1. Verallgemeinerung muss rauskommen – Fotos vom Flughafen
2. Was ist psychischer Terror? Erklären (keine echte Observation – der Überwachte darf es nicht merken). Freunde schonen, nicht reinziehen; die Nachbarn sagen – "Polizei! – da muss etwas faul sein"
3. Maximiliansplatz / Kind wegnehmen
4. Sontheimer kürzen – im Kommentar vorstellen
5. Bilder in Straßenschlucht

[73 – Notiz 3 – Skript]
DIENST IST DIENST
Schnittplan

(Text wird hier lediglich in der Richtung angedeutet. Formulierung und Länge müssen nach Rohschnitt bestimmt werden.
1. Isartor. Valentin-Musäum. Tannenbaumschwenk.
Rundfunknachrichten: "In seiner Neujahrsansprache erklärte Bundeskanzler Willy Brandt, in diesem Teil der Welt herrsche keine Angst ..."
2. Nymphenburger Kanal. Menschen beim Eisstockschießen.
FH: "Der Schnee kam spät in diesem Winter. Wissen diese Menschen, was in unserer Stadt alles geschieht? Vor allem: Wissen sie, was wichtig ist, was jeden angeht? Es gibt heute viele Nachrichten, die Unruhe bringen, aber ...
3. Schnittbilder von Schlagzeilen mit hetzendem Charakter, u.a. gegen Araber
... schwer zu durchschauen sind. Man erfährt dann vielleicht später die schlimme Nachricht und sagt, ich habe ja davon nichts gewusst.
4. Ghalib Jarrar und Clärchen. Sie nähern sich dem Isartor. Darauf Schnittbilder vom weißen BMW. Anschließend Aufnahme im Schneetreiben: Jarrars gehen auf die Kamera zu.
Da gibt es die Geschichte von Ghalib Jarrar. Er stammt aus Palästina, 31 Jahre alt, studiert seit sieben Jahren in München, ist mit einer Deutschen verheiratet, Clärchen, eine Krankenschwester. Ihr Sohn ...
5. Zwischenschnitt. Doreit im Hof mit seinem Freund.
... Doreit ist fünf Jahre alt. Ein Münchner Bub, der bald in die Schule gehen wird. Wo das sein wird, weiß er nicht. Seine Eltern wissen es auch nicht."
6. Statement Clärchen. Teil I
(Aussage über Ehe, dann über die Schwierigkeit der Umstellung; Junge wird eingeschult)
7. Adelgundenstraße. Die Familie auf dem Weg nachhause.
FH: "Seit ein paar Jahren wohnen die Jarrars in der Adelgundenstraße 21. Als nach dem Terroranschlag auf die Mannschaft der Israelis im Münchener Olympischen Dorf die Hetze gegen ...
8. Schnittbilder; Küche, Wohnzimmer, Schreibtisch, an dem Ghalib allein sitzt.
... Bürger arabischer Länder geschürt wurde, zahllose Unschuldige bei Nacht und Nebel verhaftet und abgeschoben wurden, erhielt auch Ghalib Jarrar den Bescheid, er sei ein Sicherheitsrisiko für unser Land."
9. Kordes bringt ihren Sohn
Text
10. Tafel "Geschwister Scholl-Institut". Schwenk von Tafel auf Plakate MSB und Schollfeier.
FH: "Als wir die Interviews mit den Geheimpolizisten im Institut vorspielten, wollte es kaum einer glauben, auch nicht jene, die Fälle von Verfolgung und Überwachung demokratischer Bürger durch den so genannten Verfassungsschutz kennen."
11. Interview Sontheimer. Teil I
Text (Beschreibung der Mitarbeit von Jarrar im Institut)
12. Ghalib mit Doreit am Schreibtisch.
FH: "Ghalib Jarrar tritt seit Jahren für die Rechte seines Volkes ein. Doch bei jeder Gelegenheit betonte er: 'Der individuelle Terror hat der Sache der Palästinenser nur geschadet.' (Jarrar im Off)."
13. Weißer BMW M-US 136 in der Stadtmitte.
FH: "Wem würde ein solches Auto auffallen? Für die Familie war dieser weiße BMW ein wochenlanger Alptraum."
14. Statement Clärchen. Teil II
Text (zu Verfolgung)
15. Statement Frau Kordes
Text (zu Verfolgung)
16. Schnittbilder beim Isartor. (Wenn notwendig, Takes wiederholt einsetzen; Erinnerung an den Anfang)
Aus der Frage an G. Jarrar im Schlafzimmer
17. Jarrar vor dem Fenster
Erläutert tägliche Verfolgung
18. Jarrar öffnet das Fenster, zeigt auf den weißen BMW.
Erläutert tägliche Verfolgung
19. Jarrar auf dem Weg zum Polizeirevier (Take I)
FH. "Ghalib muss sich jeden Tag bei dem Münchener Polizeirevier 3 melden. Sie können nicht länger als zwei Tage wegfahren; am ersten Tag meldet er sich in der Früh, am zweiten spät abends. Vor diesem ... (man sieht Polizeirevier) Gebäude, um die Ecke, steht das Münchener Hofbräuhaus, da stellten [wir] die Verfolger."
20. Interview mit BMW-Bullen I
Text
21. Interview Sontheimer. Teil II
Text (Beschreibung der Verfolgungsvorgänge: "Ist mir unverständlich.")
22. Nymphenburger Kanal bzw. Englischer Garten
FH: "Gleich nach dem ersten Gespräch gelang es uns – der BMW stand in der Nähe der Wohnung – die ungehaltenen Schützer der Verfassung nochmals aufzunehmen. Offenbar waren die Vorgesetzten an Silvester nicht zu konsultieren. Und so verrichteten sie ihren Dienst."
23. Interview mit BMW-Bullen II
Text
24. BMW in Straßenschlucht
Jarrar im Off
25. Jarrar, Clärchen und Doreit in der Maximilianstraße
Interview über den Stand
26. Interview Sontheimer. Teil III
Text (hängt mit Ausländergesetz zusammen)
27. Statement Clärchen. Teil III
Text (das ist kein Einzelfall ... morgen am Flughafen)
28. Flughafen. Abschied
FH. "....."



Postskriptum 2006

Nach Jahren traf ich Ghalib wieder. Wir wollten uns treffen und in Ruhe darüber reden, worüber so schwer zu reden ist, wenn Argwohn, Rechtlosigkeit und Willkür über Menschen kommen, die aus dem Mittleren oder Nahen Osten stammen, inzwischen aus dem ganzen Gebiet, das Amerikas herrschende Eliten als den Greater Middle East bezeichnen, also aus Afghanistan, dem Irak, Libanon, Syrien ... Wer einmal erlebt, Opfer einer gewaltsamen Ausweisung zu werden, und das ausgerechnet aus dem Land, wo du dich fürs Leben ausbildest und eine Familie gründest, der wird nie mehr ganz frei davon sein, was ihm widerfuhr. Ein Schatten der ständigen Bedrohung legt sich übers eigene Leben und das aller anderen, die zu dir gehören, alte und neue Freunde verstummen vor Ohnmacht – ja, das Gefühl eines Gezeichneten fürs Leben, eines Verstoßenen stellt sich ein. Es kommt ja fast nie vor, dass sich die Verfolger für die Gewalt, die sie laut Vorschrift vollstrecken, entschuldigen, und der Staat, dessen Beamte dem Opfer die Rechtlosigkeit spüren lassen, zahlt nur in Ausnahmen eine Wiedergutmachung.

Erst vor kurzem erzählte mir Magdi Gohary, deutscher Staatsbürger, der etwa zur selben Zeit zum Studium nach München kam wie Ghalib Nimr Jarrar, was mit ihm nach der Ausweisung zu jener Zeit geschah. Niemand konnte es fassen. Am allerwenigsten ich unter den deutschen Freunden, wurde ich doch von einer nahen Person an einem sehr frühen Morgen angerufen – "soeben haben sie meinen Magdi abgeholt, kannst du nichts tun ..." Magdi war vom zuständigen Staatssekretär in Bonn gebeten worden, bei den Verhandlungen mit den Terroristen vom Schwarzen September 1972 zu dolmetschen, damit die Sache nicht in einer blutigen Tragödie ende, wie es dann doch geschah. Der Dank für die Dolmetscherdienste war die Ausweisung aus unserem, inzwischen gemeinsamen Deutschland. Unter mühseligen Anstrengungen und Umwegen gelangte Magdi wieder dorthin, wo seine deutsche Familie lebte und sein Arbeitsplatz war. Wie das Ghalib und seine Familie unmittelbar traf, weiß ich nicht. Er wollte es mir, wie gesagt, erzählen. Er starb, und ich erfuhr davon nur zufällig ...

Deshalb drängt es mich zu diesem Gedenken – in meinem Gedächtnis bleibt er leben. Ein ruhiger, friedlicher und freundlicher Mann und guter Vater, stets hilfsbereit, auch geduldig gegenüber anderen Auffassungen über den so genannten Nahostkonflikt, selbst wenn sie noch so dumm und dreist erschienen. Der nie aufgab, daran zu glauben, dass nicht nur er, was ihm am Ende äußerlich gelang, als freier Mensch leben könnte, sondern alle Angehörigen seines vertriebenen Volkes ihr eigenes Leben souverän gestalten, vor allem friedlich, und nicht einem Experiment ausgeliefert werden wollen, wie es Uri Avnery beschreibt – nach dem Experiment von Ehud Olmert und Condoleeza Rice, Amir Peretz und Angela Merkel, Dan Halutz und George Bush – unter Ausnutzung gleich geschalteter veröffentlichter Meinungen, der Gleichgültigkeit aus Nichtwissen oder purem Zynismus ein vertriebenes, eingesperrtes Volk mit gezielter Gewalt zu zwingen, sich endgültig aufzugeben ... Und dann antwortete einmal eine Stimme, als ich die Telefonnummer in München anrief, die ich mir bei der zufälligen Wiederbegegnung mit Ghalib Jarrar notiert hatte.

Es war Clärchen. Jetzt Witwe. Ich fragte, ob sie lesen wolle, was ich jetzt in vorweihnachtlicher Zeit des Jahres 2006, verfasste und zusammenstellte. Aus eigener Erinnerung an das Unrecht gegenüber Ghalib Jarrar und Magdi Gohary 1972 und später. Aufgewühlt von den neuen Interventionskriegen, den Spiralen der Gewalt und Gegengewalt, der Propaganda des Hasses und der künstlich geschürten Feindseligkeit gegen den Osten, wie seit eh und je besorgt von einem Heer der Willigen, die dem Hegemonialstreben des Westens in der Zeit nach der großen Wende, die sich als Fortsetzung der Kriege herausstellten, im Greater Middle East, ums Schwarze Meer, den Golf von Persien, die Kaspis zwischen Russland, Usbekistan und Kasachstan, wie Politik und Medien das Verbrechen im Gaza-Streifen behandeln ...

Clara Jarrar hat in einem Brief vom 8. Dezember 2006 aufgeschrieben, was sie empfindet ...

Lieber Friedrich,

erstmals Danke für Deinen Anruf ... es ist sehr schwer, mich wieder an Alles intensiv zu erinnern, haben doch diese Ereignisse und unfassbaren Ungerechtigkeiten und Verfolgungen bis an mein Lebensende grundlegend in mein Leben eingegriffen. Letztendlich kann man sagen, Ghalib ist frühzeitig daran gestorben. Sein Leben, unser Leben wurde völlig zerstört, schon damit, dass er durch die Ausweisung, trotz seiner brillanten Ausbildung (Magister, Doktorarbeit), nie mehr Fuß fassen konnte in seinem Beruf. Ständig saß uns der Verfassungsschutz im Nacken, nachweislich wurden wir bis zu seinem Tod abgehört, er hat wegen "seiner Vergangenheit" nie mehr eine Arbeit – seiner Ausbildung gerecht! – bekommen. Dies Alles und die weitere Hatz auf Palästinenser machten ihn schwer depressiv; organisch war Ghalib gesund, aber es hat ihm das Herz gebrochen.

Meistens habe ich meine Haustürglocke abgeschaltet (nur wenn ich explizit weiß, dass Besuch kommt, schalte ich sie ein; schließlich sind 1972 nachts um 4 Uhr bis an die Zähne bewaffnete Polizisten nach Sturmklingeln in unsere Wohnung eingebrochen (wie bei einem schwerstbewaffneten Terroristen!) und haben Ghalib verhaftet.
Dieser Schock sitzt bis heute noch in meinen Knochen, und ich hasse Haustürglocken. Ghalib, Du weißt es, war der friedfertigste Mensch mit ausgewogenen, politischen Ansichten. So war es nicht nur der Abschied am Flughafen, auch das Zurückkommen war ein Desaster. In der Zwischenzeit hatte sich der Arbeitsmarkt verändert und wegen der bereits erwähnten Gründe fand Ghalib nie mehr Arbeit seiner Ausbildung entsprechend. Wir haben das Beste daraus gemacht. Eigentlich hab ich unsere Familie ernährt durch das spärliche, aber kontinuierliche Gehalt als Krankenschwester, und ich hab es Ghalib nie nie fühlen lassen, dass ich durch den Doppeljob oft mehr als überfordert war und oft am Ende. Schließlich bekam ich Krebs (Brustkrebs), ich überwand ihn mit Hilfe von Ghalib; als es mir wieder gut ging, starb Ghalib. Jetzt muss ich wieder stark bleiben – ich hab's ihm versprochen für seine Kinder und Enkelkinder die Familie zusammenzuhalten, die er so sehr liebte.

Lieber Friedrich, es ist zu wenig ausgedrückt, viel zu wenig, wenn ich klar machen will, wie diese blinde, ketzerische Hatz bis heute eine deutsch-palästinensische Familie zerstört hat.

Ghalib ist – war – bleibt die Liebe meines Lebens, die lass ich mir nicht zerstören.

Ich werde Dir ein paar Worte von Mikhail Nuaime schreiben, ein Zeitgenosse und Freund von Khalil Gibran, das ist für mich ein Trost.

Jedes Mal, wenn die Verzweiflung nahe ist,
spüre ich eine sanfte Hand,
die sich auf meine Schulter legt,
während eine andere Hand
meine Lampe mit Öl auffüllt,
und das Licht erneuert sich,
strahlt auf und verbreitet sich,
und ich entdecke hier und da
die Spuren derer,
die mir vorausgegangen sind,
dann fasst meine Seele Vertrauen,
meine Entschlossenheit erneuert sich,
und ich begreife
dass ich nicht alleine unterwegs bin,
dass ich Ghalib hab, der mir vorausgegangen ist,
der mich nie vergisst und und nie aufgibt ...

Ich habe die beiden letzten Sätze abgewandelt und auf mich bezogen ...

Lieber Friedrich,
ein Nachtrag:
es war mir nicht leicht, dass ich es nochmals sozusagen durchlebte, am Schluss bei dem Gedicht hab ich nur noch gerotzt! Wenn wenigstens der frühe Tod einen Sinn hätte, vielleicht kann man gleich Geschädigte stärken, ich weiß, was im Gaza Schlimmes passiert, aber hier war es in Deutschland; in "diesem so zivilisierten Land" konnte ich als Deutsche meinen palästinensischen Mann nicht schützen, so sind und bleiben die Deutschen. Das Rad dreht sich zurück in die Zeit, als durch deutsche Männer oder Frauen ihre jüdischen Ehepartner oder Lebenspartner nicht schützen konnten, mein Fall war nichts anderes: "Weil er Palästinenser ist". Dieses faschistoide Denken zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche Geschichte bis heute und bis ewig wie ein immer abgewandelter Faden, aber er bleibt. Wie übertrieben wurde die Einweihung der Synagoge gefeiert, und andere Menschen werden gehetzt wie damals und immer.

An dem Tag, als ich Claras Brief erhielt, schickte mir Florian Pfaff seine Rede bei der Entgegennahme der Carl von Ossietzky-Medaille am 10. Dezember 2006. Der Stabsoffizier der Bundeswehr, der sich weigerte, Software für Angriffskriege zu entwickeln, war deshalb degradiert, ja für verrückt erklärt worden. Er kämpfte für sein Recht und gewann den Prozess vor dem höchsten Gericht, das für einen Offizier zuständig ist. Von höchster politischer Stelle wird der "Fall Pfaff" bis heute totgeschwiegen. Die Chefs der Medien folgen dieser "Staatsräson" ebenso brav wie den Sprachregelungen der verfassungsfeindlichen Interventionskriege. Täten sie es nicht, wären sie nicht die Chefs. Insoweit hätte Clara Jarrar mit ihrem bitteren Fazit über den "roten Faden" der Verfolgungen in der deutschen Geschichte Recht. Doch dieses Schweigen der politischen und publizistischen Chefs ist ein Zeugnis der Angst, der Feigheit und Schwäche vor dem Volk. Ganz anders dagegen klingen die Worte von Florian Pfaff. Sie entstammen dem Geist des Mutes, der Gerechtigkeit und der Friedensliebe, der auch Ghalib Jarrar auszeichnete. Hier die Worte des neuen Trägers der Carl von Ossietzky-Medaille 2006, Major der Bundeswehr, Florian Pfaff:

"Lassen Sie uns den Teufelskreis aus Menschenverachtung und gleichermaßen rechtswidrigen und unmoralischen Folgen durchbrechen! Mit so einem Apparat, der den Rechtsbruch der Mächtigen besser zu schützen scheint als das Recht der Schwachen, der sich vorbehält, auch dort einen sogenannten Kreuzzug zu führen, wo er nicht bedroht war, für den die Verteidigung von Interessen das Recht einschließt, seine Soldaten auch zu Angriffskriegen zu zwingen, ist bei Licht betrachtet doch auf Dauer kein Staat zu machen. Glauben wir nicht den falschen Propheten. Wir sind stark und zahlreich genug. In Deutschland sind wir mehr als 90%. Nicht nur das Recht, auch die Moral ist zudem ganz auf unserer Seite. Die USA setzen nach ihrem "stopp loss"-Gesetz inzwischen sogar zwangsweise Soldaten in ihrem Krieg ein, wenn Sie so wollen "Kampfsklaven". Selbst das nützt ihnen nichts. Sie ernten nur immer mehr Widerstand. Wo keine Flächenbombardements erfolgen und keine Hochzeitsgesellschaften in die Luft gesprengt werden, nur weil ein Terrorist darunter sein könnte, gibt es dagegen viel weniger Widerstand. Nicht Machtausübung, Verteufelung und Terror führen zum Frieden. Nein. Gerechtigkeit, Freundschaft und Friede verringern den Terror. Machen wir also die Lüge zum ersten Opfer im Frieden! Handeln wir konsequent!
Ich fordere alle Bürger auf, künftig nur noch Parteien zu wählen, die sich nicht an Angriffskriegen beteiligt haben und dies für die Zukunft auch ausdrücklich ausschließen. Ich bitte alle meine Kameraden: Verweigern Sie alle Befehle zur Mithilfe an Angriffskriegen. Angriff ist immer abzulehnen. Dass die Vorbereitung von Angriffskriegen verboten ist, geben die Kriegstreiber ja selbst zu. Glauben Sie nicht den unverbindlichen Lügen, Sie müssten an bereits begonnenen oder durch Sie nicht vorbereiteten Verbrechen als Kombattant mitwirken. Beteiligen Sie sich nicht einmal an der Diskussion, ein anderes Land zu überfallen, ohne dass dieses zuvor den Frieden gebrochen hat. Ich jedenfalls antworte denen, die mich zwingen wollen, auch an Angriffskriegen wie dem Irak-Krieg mitzuwirken, Leuten, die ich unumwunden "Verbrecher" nenne, nur: "Nein – Der Friede sei mit Ihnen!"
Allen Übrigen rufe ich dagegen zu: "Ja – Der Friede sei mit Ihnen! – Vielen Dank!"

Wolfratshausen, Dezember 2006 FRIEDRICH HITZER


1: Im Original Chalib, weil so ausgesprochen. F.H. (zurück)
2: Er promovierte mit Erfolg und führte den Titel in seinem Namen. F.H. (zurück)

Zum Besuch des Papstes in Bayern,
zur Rede in Regensburg und zur Berliner Rede von Kardinal Lehmann

von Friedrich Hitzer, 27.09.2006

Während die Bertelsmann-Stiftung im "Weltsaal" des Auswärtigen Amtes mit den Eliten der Politik, Diplomatie und Medienchefs die "strategischen Antworten Europas" diskutieren lässt, die den Schulterschluss mit der Bush-Administration verhüllen, sind der atomare Flugzeugträger Dwight D. Eisenhower, mehrere Kreuzer, Zerstörer und U-Boote unterwegs in den Persischen Golf. Nach The Nation vom 25. September 2006 haben Offiziere sich bei prominenten Friedenskämpfern der USA gemeldet, weil sie ohne Auftrag des Kongresses zu dem Krieg gegen den Iran abkommandiert wurden. Der schon mehrfach zitierte Ray McGovern (27 Jahre lang Chef-Analyst des CIA für den Nahen und Mittleren Osten): "Wir haben etwa sieben Wochen Zeit, um zu versuchen, diesen nächsten Krieg zu verhindern."

Durch Deutschland weht indes der Wind der Beschwichtigung, des Verschweigens, der militärischen und der theologisch-politischen Aufrüstung gegen den Islam, dem Schäuble eine Art von Dialog anbietet, bei dem ein schroffer Veranstalter die Regeln und die Teilnehmer bestimmt. Zeitgleich ergreift Deutschland mit der Entsendung von Militär vor die Küsten des Libanon Partei im Krieg. Und zur selben Zeit halten Papst Benedikt XVI. und danach Kardinal Lehmann Reden, die den Islam von den gemeinsamen Traditionen der abrahamitischen Religionen ausgrenzen. Lauter strategische Zufälle, oder? Wie das geschieht und anzufechten ist, findet sich im Anhang mit Hinweis auf den Wortlaut der Reden, auf die sich mein offener Brief bezieht:

1. Offener Brief an Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
2. Nachtrag zum SENDSCHREIBEN vom Anfang September - die Erinnerung an Dostojewskis Meinung über das Wesen des Kardinal-Großinquisitors, der den Erlöser und Friedensbringer verhaften lässt, Gott beschwört und an ihn eigentlich nicht glaubt, ist brandaktuell: Dostojewski lässt diese "absurde Geschichte" dialogisch so ablaufen, als hätte er vorweggeahnt, dass 2006 ein neuer religiös bemäntelter, brutaler und schmutziger Krieg gegen den Terror bevorsteht, an dem der römisch-amerikanisch-deutsch-israelische Westen mindestens genau so beteiligt ist wie bestimmte Kreise in der arabisch-iranischen Welt.

Eines ist allerdings sicher: In Deutschland steht die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung noch gegen den Wahn, dem eine kleine, hinter den Kulissen der Macht operierende Minderheit unter den herrschenden Eliten des Landes ergeben ist und die der Bertelsmann-Stiftung am Wochenende des 23./24. September 2006 ins Auswärtige Amt, Berlin, folgte, von dem ich bisher annahm, es sei noch nicht privatisiert - die Liste der Namen aus ganz Europa (nicht ohne Henry Kissinger, Dominique de Villepin, Angela Merkel) ist eindrucksvoll, bedenkt man, dass von dort kein Aufruf für den Frieden und gegen den in die Wege geleiteten Irankrieg erfolgte.

Beste Wünsche in Zeiten, da Politiker den Ruf von Kretern im alten Athen haben, wo es hieß: Alle Kreter lügen. Was bedeutet es also, wenn ein Kreter sagt: Alle Kreter lügen?!


24. September 2006

Sr. Exzellenz Karl Kardinal Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Postfach 1560
D - 55005 Mainz

Ew. Exzellenz! Sehr geehrter Karl Kardinal Lehmann!

Im Vertrauen auf die Verbindlichkeit der Schrift vom Gerechten Frieden, die zu den wichtigsten Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz gehört, wende ich mich an Sie aus Sorge um eben diesen Frieden mit dem Islam, worauf sich auch Ihr Vortrag beim St. Michael-Empfang, Berlin, 19. September 2006, bezieht.
Diese Rede befasst sich mit "Chancen und Grenzen des Dialogs zwischen den abrahamitischen Religionen". Bezogen auf den Gerechten Frieden beunruhigt mich die Einschränkung schon in der Überschrift. Da die Worte vom Lehramt her gesprochen sind, verschärft sich die Frage nach Vernunft und Glaube, die der gesamten Vorlesung von Papst Benedikt XVI. am 12. September 2006 in Regensburg zugrunde liegt.
Sie erlauben mir, einem Kind des Krieges, meine Bedenken vorzutragen. Ich habe erlebt, wie Bomben eine Stadt in Schutt und Asche legen - die alte freie Reichsstadt Ulm an der Donau. Sie hinterließen überall zerfetzte Körper von Mensch und Tier, wie zu unserer Zeit in der Stadt Falludschah im Irak, dem Libanon durch Phosphor- und Streubomben, durch Raketen im nördlichen Israel. All das geht mir durch Mark und Bein, während mich Verstand und Glauben an manchen Worten wie auch beredtem Schweigen hoher Geistlichkeit eher verzweifeln lassen. Der englische Gelehrte, Professor Richard Keeble, bezeichnet das als Silence of Language, das Schweigen der Sprache, das umso schwerer wiegt, wenn es die Verbrechen der Gewalt mit Massaker-Sprech verbrämt - zum Beispiel "Kollateralschaden" auf das anwendet, was in Ulm am 17. Dezember 1944, in Falludschah ab 2004, im Libanon und Israel, August 2006, geschah.

Die Fragen nach Stimmigkeit, Sinn und Zweck des Vortrags in Regensburg haben andere vielfach erörtert. Ich beziehe mich hier auf Juan Cole, Professor für moderne Geschichte des Mittleren Ostens und Südostasiens an der Historischen Abteilung der Universität von Michigan, USA. Er redigiert die ständig aktualisierte Webseite "Informed Comment" (www.juancole.com) und fasst seine Kritik an der Rede Benedikts XVI. wie folgt zusammen: "Der Papst war sachlich im Irrtum. Er sollte sich bei den Muslimen entschuldigen und sich bessere Berater für christlich-muslimische Beziehungen suchen." Erwähnt sei auch Professor Mohssen Massarrat: "Der deutsche Papst sollte aufpassen, nicht als ein Papst, der Kriege schürt, in die Geschichte einzugehen. Der polnische Papst hat immerhin - und er tat dies ausdrücklich vor der Irak-Invasion - jeden Krieg verdammt." (Freitag 38, 22.09.06) Uri Avnery, israelischer Publizist und ehemaliges Mitglied der Knesseth, ist in seinem Beitrag über "Mohammeds Schwert" vom 23. September 2006 noch deutlicher: "Zwischen dem jetzigen Papst, Benedikt XVI., und dem gegenwärtigen Imperator, George Bush II, besteht eine wunderbare Harmonie. Die Rede des Papstes, die einen weltweiten Sturm auslöste, fügt sich gut ein in den Kreuzzug von Bush gegen den 'Islamo-Faschismus', im Kontext des 'Zusammenstoßes der Zivilisationen' ..., wo 'Terrorismus' ein Synonym für Muslime wurde. Für die Bush-Abwickler ist dies der zynische Versuch, die Herrschaft über die Ölressourcen der Welt zu erringen. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte, wird eine Religionsrobe über nackte ökonomische Interessen ausgebreitet; nicht zum ersten Mal gerät eine Expedition von Räubern zu einem Kreuzzug."
Da Sie, sehr geehrter Herr Kardinal Lehmann, gestützt auf Ihre Berater, die Regensburger Rede theologisch vertiefen und politisch verschärfen, ist mein Brief an Sie dennoch keine Klage, vielmehr die Bitte um vernünftiges Vertrauen. Alle Menschen, gleich welchen Glaubens, welcher Sprache und Ethnie sollten gerade jetzt, vor einem möglichen Weltenbrand, für den Frieden zusammenstehen und dem widerstehen, was sich Extremisten in der Politik des Westens und den Welten des Islams aushecken, um sich wechselseitig zu Tode zu siegen. Zudem wäre es furchtbar, wenn ausgerechnet die Deutschen, die sich in den barbarischen Kreuzzügen des mittelalterlichen Europas gegen den aufgeklärten Orient eher mäßigten, den nächsten Krieg gegen die Kernländer des arabischen und iranischen Orients an vorderster Front eher anheizen als ausbremsen.
Fast auf den Tag genau, da Sie in Berlin redeten, überreichten Geistliche dem Weißen Haus in Washington D.C., auch im Namen ungezählter Bürgerinnen und Bürger in 350 Städten des Landes eine Declaration of Peace. Reverend Lennox Yearwood Jr. sprach Worte aus tiefem Gottvertrauen, die ich von keinem Priester in Deutschland in dieser Deutlichkeit hörte, ob katholisch, jüdisch, protestantisch oder islamisch: "Wir sind in einer Zeit der Gefahr, und alle Menschen mit Moral haben aufzustehen. Wenn wir uns jetzt im 21. Jahrhundert nicht erheben, wird es kein 22. Jahrhundert geben. Wir werden uns selbst zerstören - entweder lösen wir dies gemeinsam oder wir sterben zusammen als Narren." Zu Beginn dieses Jahres schlossen sich die Leitungen der christlichen Gemeinschaften der USA zur größten Allianz für Frieden und Gerechtigkeit zusammen und erklärten: "Wir haben uns mit schwerer Schuld beladen, indem wir uns nicht hinreichend genug gegen den Irak-Krieg und andere Vergehen aussprachen. Wir bitten die Welt um Vergebung, die der Gewalt, Erniedrigung und Armut müde geworden ist, die unsere Nation gesät hat." Die Leitungen der großen Kirchen in Deutschland haben diese Bitte um Vergebung mit der Sprache des Schweigens übergangen. Noch vor kurzem half ich zu verbreiten, was 1.800 Atomphysiker dank ihrer Vernunft und nicht wider ihren Glauben verfassten. Die meisten Unterzeichner waren US-Amerikaner (darunter fünf Nobelpreisträger) und sie appellierten in einem Offenen Brief an Präsident Bush an dessen Verstand: "Wir fordern Sie dringend dazu auf, öffentlich zu erklären, dass die USA die nukleare Option vom Tisch entfernt, die alle Gegner ohne Atomwaffen, gegenwärtige oder künftige, betrifft, und wir fordern auch die Menschen von Amerika dringend dazu auf, sich in dieser Sache laut und deutlich Gehör zu verschaffen." Es geht um den erwogenen Einsatz kleiner Atomwaffen, so genannter Mini-Nukes, gegen den Iran, die wegen der Proteste mutiger US-Amerikaner in Utah und Nevada bislang nicht getestet werden konnten.
Wenn ich hier wie dort bezeugen kann, dass diese Äußerungen und Handlungen gläubiger und vernünftiger Menschen in der deutschen Öffentlichkeit keinen Widerhall fanden - weder aus dem Mund derer, die das Lehramt einer Kirche einnehmen, noch jener, die vorgeben, politisch oder publizistisch dem Gemeinwohl zu dienen -, dann rieche ich die Schwaden der Verwesung über Glauben und Verstand solcher Amtsinhaber. Die Ermordeten und Entwurzelten des Terrors der Kriege im Zug des Global War on Terror werden bei uns ohnehin ausgeblendet und verschwiegen. Wenn man nur die Worte verwendet, die "augenblickliche Krisensituation" beruhe "wesentlich auch auf einem innerislamischen Konflikt", kann das auf den Feldern der blutigen Verwüstungen wie Hohn klingen. Warum fehlt Ihren Worten wenigstens das Mitleid für die Opfer der Verbrechen gegen die Menschheit aus dem Westen? Im Gegensatz zur Ehrlichkeit vieler Christen in den USA, die sich der furchtbaren Massenzerstörungen in Afghanistan und dem Irak auf das schreckliche Geschehen am 11. September 2001 mehr bewusst sind als die Europäer an Hebeln der Macht. Leider stimmen auch die von Ihnen verwendeten Worte über Samuel Huntington mit der üblichen Verharmlosung überein, als handle es sich nicht um ein Auftragswerk des Pentagon zur gewaltsamen Neuordnung der Welt. Vicki Gray, früher eine führende Mitarbeiterin des State Department - ihre Ordination bei der Episcopal Church steht demnächst an -, weist das nach und sagt, die Konditionierung der lesenden Eliten für die "neue Bibel des Militarismus" ist The Clash of Civilizations and the Remaking of the World Order. In Ihrer Rede wie in fast allen veröffentlichten Äußerungen in Deutschland heißt das verharmlosend "Kampf der Kulturen". Gray dagegen redet Klartext: "Huntingtons Buch ist wahrlich ein gefährliches Buch, eine Sorte von Mein Kampf für die GWOT [Global Wars On Terror]. Verfasst in der Mitte der Neunzigerjahre, als der Militär-Industrie-Komplex nach einem neuen 'Feind' suchte, der die zusammengebrochene Sowjetunion ersetzen sollte, beschreibt es qua Definition den kulturell überlegenen Westen in einem 'Zivilisationskrieg' mit dem Islam und, zu einem geringeren Maß, China. Alles ist schwarz und weiß, Leben und Tod, töten oder getötet werden - gut und böse. Kein Bedarf für Nuancen. Kein Bedarf für das Verstehen jenseits dessen, was sagt: Sie sind böse, wir sind gut. Einfache Geister schnappten nach solcherlei Simplizität als Erklärung für all die schlimmen Vorkommnisse in der Welt und ließen dabei sogar das weg, was Huntington als kausale Spannung zwischen Modernisierung und Fundamentalismus anerkannte." ("The Militarization of the American Language", Truthout/Perspective, 30.08.06)
Ihr Vortrag führt den "so genannten 'Größeren Mittleren Osten' (vom Magreb bis nach Pakistan und Indonesien)" ins Feld. Tatsächlich beziehen sich diese Worte auf ein US-Gesetz und nicht auf eine allgemeine islamische "Gewaltträchtigkeit der Verhältnisse". Sind Ihnen der Wortlaut des Gesetzes und dessen Ausführungsbestimmungen bekannt? Immerhin stützt sich das Urteil Ihrer Berliner Rede über den Islam unter anderem darauf.
Dieses Gesetz trägt den Namen The Greater Middle East and Central Asia Act. In Deutschland ebenso wenig erörtert wie alle einsehbaren Pläne derer, die nach der Welthegemonie streben. All das entspricht, wie es die US-amerikanischen Vordenker der Pax Americana unverblümt darlegen, der geopolitischen Doktrin des Briten Halford John MacKinder, dem der Deutsche Karl Haushofer nacheiferte - Hitlers Lehrmeister. Der Islam hat das Pech, in den Regionen sich einst ausgebreitet zu haben, wo die meisten Ressourcen des "Blutes für die Industriezivilisation" liegen - Öl und Gas! Sie zu beherrschen ist das Ziel der US-Doktrin, das Mittel ist die geschürte, bezahlte und aufgerüstete Konfrontation durch Fanatismus samt den Projekten einer gewaltsamen "Demokratisierung" für gefügige Vasallen. In diesem Eurasien werden nämlich 60 Prozent des Weltbruttosozialprodukts erwirtschaftet; dort leben 75 Prozent der Weltbevölkerung, die sich nie einigen dürfen, wenn man diesen US-Plänen folgt.
Diese Pläne entsprangen aber nicht in den Köpfen der radikalen Geistlichkeiten des Islam, sondern bei den Crazies, wie Ray McGovern berichtet. Ray McGovern, jahrelang Chefanalyst des CIA für diese Region, gab alle seine hohen Auszeichnungen zurück mit dem ausdrücklichen Vermerk, er wolle sich nicht so schuldig machen wie die Deutschen, die Hitlers Eliten halfen, die Neuordnung der Welt durch Kriege zu besorgen.
Wer die Frage nach der Gewalt stellt und diese Dimensionen auslässt, gießt genau das Öl ins Feuer der Radikalen, was uns alle in den Dritten Weltkrieg hineintreiben kann, einen Krieg, den führende Neocons in den USA öffentlich ankündigen. Schon nach fünf Jahren der Vergeltungskriege für 9/11 - nach Ray McGovern beschlossen in einer Sitzung der Bush-Spitzen am 30. Januar 2001 (Truthout/Perspective, 05.09.06) - sind die Zerstörungen unermesslich. Wer dazu schweigt, zieht den Verdacht auf sich, diese Kriegsführung sei gerechtfertigt, weil es gegen die "Machtansprüche der Dschihadisten" geht. Warum schweigt die katholische Kirche dazu, ausgerechnet seit Antritt des Papstes aus Bayern, Benedikt XVI.? Warum finden wir in Ihrer Rede nicht ein einziges Wort darüber, dass fast die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans alles wenige, was sie besaß, verlor und unter unerträglichen Bedingungen dahinvegetiert? Dass über 13 Millionen Iraker offiziell als DP's geführt werden? Mehr als 6 Millionen aus dem Land geflohen sind, von den Verwüstungen der Kulturen Mesopotamiens zu schweigen. Hinter jeder brennenden Fahne und all den irrationalen, furchtbaren Szenen, die der Rede des Papstes in Regensburg folgten, steckt nicht der Dschihadismus allein, sondern die Wut, die, wenn wir dem nicht Einhalt gebieten, einmal so anschwillt wie in den Weiten Russlands zwischen 1941 und 1945, als Deutschland die Welt neu ordnen wollte, den Generalplan Ost in Szene setzte und nach den Fehlschlägen die "Erde verbrannte".
Sollen wir das mitmachen, was seit den frühen Neunzigerjahren die "Verrückten" - die Crazies in und um das Project for a New American Century , der Neuordnung der Welt nach The Greater Middle East and Central Asia Act in aller Offenheit verkünden? Was Scientologen und Evangelikale meinen, wenn sie von Harmagedon reden? Und was Präsident George W. Bush unentwegt wiederholt: Der Global War on Terror wird das 21. Jahrhundert prägen - entweder siegen wir oder die anderen ...
Tief bekümmert lese ich, wie in Ihrer Rede die besseren Gläubigen - die Juden und die Christen - den Gläubigen zweiten Ranges - den Muslimen - vorgeordnet werden. Wie willkürlich dies geschieht, mögen andere nachweisen. Wer einen besseren Gottglauben beschwört, nährt Unfrieden unter den Religionen. Das gilt auch für diejenigen, die sich darauf berufen, in religiöser Verbrämung den Kampf um Vorherrschaft und Ressourcen abzuwehren. Bevor Bin Laden der Todfeind des Westens wurde, war er der beste Verbündete der Bush-Dynastie. All das ist kein Geheimnis. Sie behaupten, zwischen Christentum und Islam gäbe es nicht das "Verwandtschaftsverhältnis" wie zwischen Christen und Juden. Seit dem jüdischen Krieg des Titus haben Stämme und Völker, die später dem Propheten Mohammed folgten, für das Überleben der Juden, ihrer Schriften und Traditionen gesorgt, während das christliche Europa bis ins zwanzigste Jahrhundert in regelmäßigen Abständen die Juden als Sündenböcke ausgrenzte und verfolgte. Ja, Sie erwähnen das, verehrter Herr Kardinal Lehmann, aber die Berliner Rede hört sich an, als müssten die Muslime nunmehr den Platz der Juden von Kaiser Titus über Königin Isabel Católica bis Reichskanzler Hitler einnehmen.
Lassen Sie mich mit einem Beispiel der Versöhnung schließen. Vor kurzem wählte die Versammlung der Islamic Society of North America, die größte Dachorganisation in Kanada und den USA für rund sechs Millionen Muslime, Professor Ingrid Mattson zu ihrer Vorsitzenden. Sie wuchs in einer römisch-katholischen Familie auf und konvertierte nach gründlichem Studium christlicher, jüdischer und islamischer Schriften des Glaubens und der Vernunft zum Islam, überzeugt von der "Wärme, Würde und Großmut", die sie unter Frauen und Männern islamischen Glaubens erfuhr. Ihre Schwester, Peggy Smith, konvertierte übrigens zum Judentum. Beide Frauen treffen sich zu allen hohen Fest- und Feiertagen mit ihren Familien. Sie streiten sich nicht über Theologisches, am allerwenigstens über die Frage, wer den besseren Gott hat, auf den sich alle drei großen Religionen aus dem Vermächtnis des Abraham berufen.
In dieser Welt der bedrohten Natur und des bedrohten Geschlechts der Menschen widmen sich die Muslima Ingrid Mattson und die Jüdin Peggy Smith, Schwestern, die im katholischen Glauben aufwuchsen, den Aufgaben der Emanzipation aller Benachteiligten und Vergessenen, der sozialen Gerechtigkeit und des "ewigen Friedens" - hier durchaus im Sinn Kants. Ich will mir ersparen, Kant zu erläutern und lediglich darauf verweisen: Dieser Friede gründet nicht auf einem einzigen Gottesbegriff, der sich gegen das Wissen um die Geheimnisse der Natur stellt, sondern auf dem Respekt vor dem Recht und sinnvollen Regeln für das Zusammenleben der Völker, der Religionen, ganz im Sinn des Weltethos, wie es Hans Küng versteht. Genau so im übrigen wie es die Schrift vom Gerechten Frieden tut, die mich ermutigt, Ihnen meine Bedenken vorzutragen.
Ist es nicht beachtlich, wie ausgerechnet zwei Frauen aus Kanada, jetzt in den USA, dem Papst Benedikt XVI. und Ihnen, Exzellenz und verehrter Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, eine andere Lesart des Glaubens vorführen, die lebendige Vernunft, Wärme und Würde zwischen dem Gott des Propheten Mohammed und dem des Moses verkörpern, ohne sich von den Verkündigungen aus Rom oder Regensburg in Verlegenheit bringen zu lassen? Und nicht einmal den päpstlich ergebenen Worten folgen, aus dem Mund der "mächtigsten Frau der Welt", Kanzlerin Angela Merkel (nach Forbes, Hauspostille der Milliardäre). Sie geben zu bedenken, was George Orwell sagte: "Aber wenn das Denken die Sprache korrumpiert, dann kann die Sprache auch das Denken verderben."
Sie erlauben, dass ich meine Bedenken auch über die Klarsichten, meinen Verteiler im Internet, verbreite und damit auf den Wortlaut der Reden in Regensburg und Berlin verweise, die ich im Internet fand und nicht in Zeitungen, die diese wie jene verkürzten.

Mit dem Ausdruck der Hochachtung und den besten Wünschen für Sie und die Deutsche Bischofskonferenz verbleibe ich

Friedrich Hitzer


Ein Nachtrag zum SENDSCHREIBEN statt RUNDBRIEF
für "klarsichten" - im September 2006
von Friedrich Hitzer

"Aus Platzgründen verzichtete ich", wie es im Begleittext zur A.B.M.-Maßnahme garantiert Weltmeisterschaft hieß, "auf Dostojewskis Gedanken über den GROSSINQUISITOR"- in der Befürchtung, dass nach dem Platzwechsel von München nach Regensburg, der Papst aus der Rolle des Seelsorgers in die des rigiden Lehramtes treten würde. Seiner Rede in Regensburg folgte der Vortrag, den Karl Kardinal Lehmann als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz in Berlin am 19. September 2006 hielt. Diese Berliner Rede verteidigt und vertieft die des Papstes, Benedikt XVI., von Regensburg. Zusammen genommen, verkörpern sie die Abgrenzung vom Gott der Juden und der Christen von dem des Propheten Mohammed, der sich zu unterwerfen hat. Kardinal Lehmanns Vortrag enthält neben den Argumenten des Kardinals die einschlägigen Quellen zur eigenständigen, kritischen Lektüre. Deshalb sei hier der Link zu dieser Web Seite angegeben: http://www.dbk.de/aktuell/meldungen/01162/print_de.html
Was ich in der Sache in einem offenen Brief an Kardinal Lehmann vortrug, ist dem Anhang zu entnehmen. Dass sich dies schon bei Dostojewski (hier nach: "Die Brüder Karamassoff, Piper Verlag, München 1964, S. 401 ff) findet, dürfte Kenner dieser "absurden Geschichte", die Iwan erfunden hat und seinem Bruder Aljoscha als erstem Zuhörer erzählt, nicht überraschen.
Bekanntlich lässt Kardinal-Großinquisitor, "ein fast neunzigjähriger Greis ...mit eingesunkenen Augen, in denen aber noch ein Glanz blinkt wie ein Feuerfunke", den Messias, der ein totes Mädchen zum Leben erweckt, durch die Wache ergreifen und wegführen. "Und jäh beugt sich die ganze Menge, wie ein Mann, bis zur Erde vor dem greisen Großinquisitor; der segnet schweigend das kniende Volk und geht stumm vorüber." Um dann darauf zu verweisen, wie "gerade jetzt diese Menschen mehr denn je überzeugt sind, vollkommen frei zu sein, und dabei haben sie doch selber ihre Freiheit zu uns gebracht und sie gehorsam und unterwürfig uns zu Füßen gelegt. Aber das ist unser Werk." Denn "für den Menschen und die menschliche Gemeinschaft hat es niemals und nirgends etwas Unerträglicheres gegeben als die Freiheit".
Zum gefangenen, wieder erschienenen Messias, sagt der Greis: "Aber wir werden sagen, wir gehorchten Dir und herrschten nur in Deinem Namen. Wir werden sie wieder betrügen, denn Dich werden wir nicht mehr zu uns einlassen. Und in diesem Betrug wird unsere Pein bestehen, denn wir werden lügen müssen." Und der Greis belehrt, wenn der Mensch endlich den findet, "vor dem er sich beugen kann". "Um der gemeinsamen Anbetung willen haben sich die Menschen mit dem Schwert gegenseitig ausgerottet. Sie erschufen Götter und riefen einander zu: 'Verlasst eure Götter und kommt und betet die unsrigen an, oder Tod und Verderben euch und euren Göttern!' Und also wird es sein bis zum Ende der Welt, selbst dann, wenn aus der Welt die Götter verschwinden: gleichviel, dann wird man sich vor Götzen niederwerfen."
"Ich schwöre Dir", ruft der greise Kardinal-Großinquisitor vor dem Erlöser aus, "der Mensch ist schwächer und niedriger geschaffen, als Du es von ihm geglaubt hast ... Er ist schwach und gemein ...Das sind kleine Kinder, die sich in der Klasse empört und den Lehrer hinausgejagt haben. Aber auch der Triumph der Schulkinder wird ein Ende haben, und er wird ihnen teuer zu stehen kommen. Sie werden die Tempel einäschern und die Erde mit Blut überschwemmen ... Also ist nichts als Unruhe, Verwirrung und Unglück den Menschen zuteil geworden, nachdem Du soviel für ihre Freiheit gelitten hast! ... Wir haben Deine Tat verbessert und sie auf dem Wunder, dem Geheimnis und der Autorität aufgebaut. Und die Menschen freuten sich, dass sie wieder wie eine Herde geführt wurden, und dass von ihren Herzen endlich das ihnen so furchtbare Geschenk, das ihnen so viel Qual gebracht hatte, genommen wurde ..."
Und das Lehramt nötigt den Kardinal-Großinquisitor zu Worten der Unfehlbarkeit, zur Sicherung der Macht, zum spekulativen Denken, zu kanonisiertem Kirchenrecht samt der Dogmatik aus Jahrhunderten einer Gelehrsamkeit, die alles Lebendige überlagert und kein Evangelium hineinlässt und den Glauben ebenso ausdörrt wie den Raum des Glaubens von Menschen entleert, die sich von einem Gott des Mittelalters abwenden, aber aus Angst vor den Bösen in neue Kreuzzüge führen lassen:
"So höre denn: Wir sind nicht mit Dir verbündet, sondern mit ihm, das ist unser ganzes Geheimnis! Schon lange sind wir nicht bei Dir, sondern bei ihm, schon seit acht Jahrhunderten. Es sind nun acht Jahrhunderte her, da wir von ihm das nahmen, was Du unwillig von Dir wiesest, jene letzte Gabe, die er Dir anbot, als er Dir alle Reiche der Erde zeigte: wir nahmen von ihm Rom und das Schwert des Kaisers, und wir erklärten, dass nur wir allein die Herren dieser Welt seien, die einzigen Herrscher der Erde, wenn wir auch unser Werk bis jetzt noch nicht vollendet haben. Doch wessen Schuld ist das? O, dieses Werk steckt bis jetzt noch in den Anfängen, aber es ist doch wenigstens der Anfang gemacht. Lange noch wird man auf die Vollendung des Werkes warten müssen, und viel wird die Erde inzwischen leiden, aber wir werden unser Ziel erreichen und werden Kaiser sein, und dann werden wir an das irdische Glück aller Menschen denken. Und doch hättest Du auch damals schon das Schwert des Kaisers nehmen können. Warum verschmähtest Du diese letzte Gabe? Hättest Du diesen dritten Rat des mächtigen Geistes angenommen, so hättest Du alles erfüllt, was der Mensch auf Erden sucht, und das ist: vor wem er sich beugen, wem er sein Gewissen übergeben kann, und auf welche Weise sich endlich alle Menschen zu einem einzigen, einstimmigen Ameisenhaufen vereinigen können."
Iwan Karamassoff - so die alte Schreibweise in E.K. Rahsins Übersetzung - breitet vor Bruder Aljoscha die Phantasien eines leidenden Inquisitors aus, dem aber Aljoscha die Leiden nicht abnimmt, für ihn geht es um den "allergewöhnlichsten Wunsch nach Macht, nach schmutzigen Erdengütern, Knechtung".
"Dein Inquisitor", wendet der gütige Aljoscha ein, "glaubt nicht an Gott, sieh, das ist sein ganzes Geheimnis!"
"Und wenn es so wäre!" ruft Iwan aus. "Endlich hast du es erraten. Es ist so, sein ganzes Geheimnis liegt tatsächlich nur darin."
Aber der Wunsch nach Macht, nach schmutzigen Erdengütern und Knechtung kann dieser Kardinal-Großinquisitor nicht ohne den Imperator verwirklichen, der spätestens nach 1945 seine Hauptstadt von Europa nach Nordamerika verlegt und 2006, nach dem Besuch des Papstes, Benedikt XVI., in römischem Land deutscher Nation, sein Standbein in Berlin hat.

 
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