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Pressezeit (5): Der Deutsche Presserat
Eine Online-Kritik von Anis Hamadeh, 2007
Inhalt

Kapitel 1: Einleitung – Was macht der Presserat? – Der Pressekodex – Kommentar I – Journalist und Redaktion – Personalia/Kommentar II
Kapitel 2: Gib dem Gegner Raum – Reflexion

Kapitel 1

- Einleitung -

(29.12.2006) Der Deutsche Presserat ist die freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien in Deutschland. Er befasst sich mit Beschwerden über redaktionelle Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften und bewertet diese anhand des Pressekodex. Grundsätzlich hat jeder die Möglichkeit, sich kostenlos beim Deutschen Presserat über Veröffentlichungen in der deutschen Presse zu beschweren. Weitere Aufgaben des Presserats sind: Missstände im Pressewesen festzustellen und auf deren Beseitigung hinzuwirken; Entwicklungen entgegenzutreten, die die freie Information und Meinungsbildung des Bürgers gefährden könnten; für den unbehinderten Zugang zu Nachrichtenquellen einzutreten; Empfehlungen und Richtlinien für die publizistische Arbeit herauszugeben.

In dieser Ausgabe der Pressezeit geht es um einige grundsätzliche Fragen des Journalismus in Deutschland. Im Laufe der Jahre habe ich einige Erfahrungen mit der Presse gesammelt, sowohl als Objekt von Artikeln als auch als Journalist. Überhaupt beschäftige ich mich seit vielen Jahren forschend mit dem Thema Öffentlichkeit. Forschend, das bedeutet in erster Linie: empirisch forschend, eigene Erfahrungen mit den verschiedenen Öffentlichkeiten machend und diese reflektierend. Da ist zum Beispiel das neue Phänomen der freien Internet-Öffentlichkeit, die sich von der frontalen Öffentlichkeit unterscheidet. Als Besitzer einer Website etwa kann man eine eigene Öffentlichkeit herstellen. In der ersten Episode der Pressezeit hieß es dazu: „Wenn man eine Melone neben einen Apfel stellt, kann man neue Aussagen über den Apfel machen. Wenn man eine freie Öffentlichkeit neben eine frontale stellt, kann man neue Aussagen über die frontale Öffentlichkeit machen.“

Der Begriff „frontal“ ist abgeleitet von der schulischen Vorstellung des „Frontalunterrichts“: Es gibt einen Lehrstoff, der von oben bestimmt wurde und der in die Schülerinnen und Schüler hineingebracht werden soll. Bei den Medien ist es kein Lehrstoff, sondern Informationen, beides hat aber einen didaktischen Ansatz und beides wird – in unterschiedlichem Maße – von oben vorgegeben. Die einzelnen Lehrer und Journalistinnen besitzen ihre jeweils eigenen Vorstellung von der Umsetzung dieser Vorgaben, insgesamt handelt es sich allerdings um ein frontales Mainstream-System mit entsprechenden Mechanismen des Lager- und Klassendenkens. Insofern sind die Begriffe „freie Presse“ und „freie Bildung“ irreführend, denn was „frei“ bedeutet, wird durch Grenzen indirekt vorgegeben. Es gibt Grenzen der Freiheit, denn öffentliche Freiheit impliziert öffentliche Verantwortung. Wenn diese Grenzen allerdings Lager- und Klassendenken betreffen, das man einzuhalten hat, dann wird die Sache bedenklich, weil die Gefahr der Ideologisierung der Öffentlichkeit droht.

Am einfachsten erkennt man die Symptome des frontalen Mainstreams an der Darstellung der USA und Israels. Obwohl beide genannten Staaten ihre eigenen humanistischen Maßstäbe in eklatantem Maß und für jeden sichtbar brechen, sorgen Begriffe wie „Westbindung“ und „Antisemitismus“ dafür, dass keine grundsätzliche Kritik in der frontalen Öffentlichkeit stattfindet. Sobald eine Zeitung, so gut sie auch argumentieren mag, die Westbindung und die Nato in Frage stellt, wird sie marginalisiert und zum Beispiel als „linksextrem“ etikettiert. Lebendes Beispiel dafür ist die junge Welt in Berlin. Sobald die gesellschaftlichen Dogmen beziehungsweise Tabus angerührt werden, finden Etikettierungen wie links, rechts, unseriös, irrational statt. Mit dieser Methode werden Fragen verhindert. Eine größere Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern ist darüber ernsthaft besorgt, wie man außerhalb der frontalen Öffentlichkeiten sehen kann, in der Internetöffentlichkeit zum Beispiel oder in privaten Gesprächen.

Die ideologische Wahrung der Westbindung und der Solidarität mit dem israelischen Militär ohne Rekurs auf rechtliche Erwägungen ist an sich bereits alarmierend genug. Dies sind allerdings nur Ausdrücke einer generellen Lager- und Obrigkeitsmentalität, die dem Einzelnen nicht einmal bewusst sein mögen. Die eigene Gruppe steht über allem und sie wird geführt von denjenigen, die die Werte der Gruppe (hier also z.B.: Westbindung, Philosemitismus, Extremkapitalismus) am besten repräsentieren. Kaum jemand hat diese Mentalität in letzter Zeit so gut auf den Punkt gebracht wie der Schriftsteller und Journalist Navid Kermani, als er am 11.08.2006 in einem Interview der Frankfurter Rundschau sagte: „Intellektuelle und Schriftsteller, die lauter bellen als das Rudel, machen mich immer sehr skeptisch.“ Dies ist exakt die Einstellung, die die frontale Öffentlichkeit sehen möchte. Es ist erwünscht – um im Bild zu bleiben – mit den Wölfen zu heulen. Genau das charakterisiert die frontale Öffentlichkeit und genau das macht sie gefährlich.

In diesem Rahmen gibt es viele Fragen, die heute neu gestellt werden können und müssen. Neben den Abgrenzungen der frontalen Öffentlichkeit von der freien und von den privaten Meinungen gehört dazu die Analyse der Werte, die in der frontalen Presse vermittelt werden, wenn in entscheidenden Fällen die Gruppe höher steht als das Recht. Nachdem die DDR einverleibt wurde, gibt es auch die Frage, welche Ersatzobjekte die frontale deutsche Öffentlichkeit gefunden hat, um die Lücke zu füllen, die das Feindbild des jeweils anderen Deutschlands ausgefüllt hatte. Weiterhin geht es um das Verhältnis zwischen Redaktion und Journalist, auch darüber ist in den freien Medien noch viel zu sagen. Wie funktioniert so eine Zeitung und wie funktioniert der Presserat? Zentral bei all diesen Überlegungen ist die Tatsache, dass die negativen Erscheinungen der Medien von den sie Verursachenden nicht als solche empfunden werden.

Auf eine systematische Gliederung dieser Fragen wird hier bewusst verzichtet. Stattdessen schreibe ich öffentlich und in der Bereitschaft, Anregungen von außen anzunehmen und diesen nachzugehen. Es wird einige Interviews mit Journalisten geben, zum Teil vielleicht anonym, um herauszufinden, wie die Stimmung zwischen Redaktion und Journalist ist, in Zeiten politischer Enge und Jobknappheit. Betrachten wir zunächst den Deutschen Presserat etwas genauer.


- Was macht der Presserat? -

(29.12.2006) Der Deutsche Presserat (www.presserat.de) wurde vor 50 Jahren gegründet und besteht aus folgenden Mitgliedern: dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) und der Fachgruppe Journalismus in Ver.di. Von diesen wird er auch finanziell unterhalten, zuzüglich 178.000 Euro vom Bund. Der Presserat ist keine juristische Instanz, sondern eine freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien. Für das Fernsehen, Radio, Internet ist der Rat nicht zuständig, obwohl es um parallele Fälle geht. Es gibt Diskussionen zu diesem Thema. Ferner beschäftigt sich der Presserat in Pressemitteilungen, Seminaren und ähnlichem mit Fragen wie der Abgrenzung von Journalismus und PR oder Datenschutz in Redaktionen. Die Geschäftsstelle des Presserats ist in Bonn, Zweigstellen existieren nicht.

Die Selbstkontrolle der Presse ist an Maßnahmen gekoppelt. Die schwächste Maßnahme ist der „Hinweis“: Bei einem geringfügigen Verstoß gegen den Pressekodex erhält die betreffende Redaktion einen Hinweis darauf, was falsch gemacht wurde, mit der Bitte, dies in Zukunft zu unterlassen. Die „Missbilligung“ ist vorgesehen bei schwereren Verstößen gegen den Kodex. Sie ist im Ton schärfer. Schließlich gibt es die Maßnahme der „Rüge“, die unterteilt ist in öffentliche und nicht-öffentliche Rügen. Öffentliche Rügen sind von dem betroffenen Medium abzudrucken. Andere Maßnahmen stehen dem Presserat nicht zur Verfügung. Die Anzahl der Rügen in einem Jahr ist gering. 1997 waren es 16, im Jahr darauf 8, dann 17, im Jahr 2000 waren es 14, dann 49, 42, 26, 35, 29 und in diesem Jahr bislang 42.

Wenn man berücksichtigt, dass die deutsche Printmedienlandschaft aus Hunderten von Zeitungen und Zeitschriften besteht, bekommt man den Eindruck, dass bei uns im Wesentlichen alles in Ordnung ist. Auf der offiziellen Seite www.bdzv.de/zeitungswebsites.html [Link erloschen, 2023] werden 629 Printmedien aufgeführt, wobei eine größere Anzahl fehlen dürfte, denn bei einer Stichprobenuntersuchung fand ich weder die „Bravo“ noch die „Islamische Zeitung“. Es gibt schätzungsweise also 700 oder 800 Printmedien in Deutschland, die regelmäßig erscheinen. Da es die Presse selbst ist, die sich hier „kontrolliert“, erscheint es nicht als verwunderlich, dass ein harmonisches Bild der Presse gezeichnet wird. Kaum eine Rüge wird ausgesprochen, und wenn doch, gerät sie schnell in Vergessenheit, weil sie nie zu weiter reichenden Konsequenzen führt. Gibt man bei Google „zahnloser Tiger“ zusammen mit „Deutscher Presserat“ ein, findet man 79 Einträge.

In ihrer Publikation „Medienfreiheit“ in der Serie „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 18. September 2006 beschäftigt sich die Bundeszentrale für Politische Bildung mit dem Presserat, siehe www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29521/medienfreiheit/. Dort wird unter anderem die Frage aufgeworfen, ob eine freiwillige Selbstkontrolle der Medien als Korrektiv ausreicht. Achim Baum schreibt dort am Schluss seines Artikels „Pressefreiheit durch Selbstkontrolle“: „Die freiwillige Selbstkontrolle der Presse, die streng auf ihre Distanz zum Staat achtet, kann sich nur durch eine breite gesellschaftliche Diskussion legitimieren und bedarf der kritischen Solidarität einer möglichst breiten Öffentlichkeit.“ Dass diese Worte kritisch gemeint sind, zeigt sich hier: „Ein öffentliches Werben für die Ideen und Aufgaben des Presserats würde freilich eine Flut von Eingaben und Beschwerden nach sich ziehen, die wahrscheinlich binnen kurzer Zeit die Kapazitäten seiner Bonner Geschäftsstelle sprengen müssten – ein Kostenaufwand und zugleich ein Bedeutungszuwachs für den Presserat, den seine Trägerverbände scheuen. Hier drängt sich schließlich der Verdacht auf, dass die Verbände der Journalisten und Verleger, die den Deutschen Presserat aus der Taufe gehoben haben, heute an einer allzu großen gesellschaftlichen Relevanz ihres Selbstkontrollgremiums nicht interessiert sind.“

Tatsächlich ist es wichtig, auf die Presse einzuwirken, ebenso wie es wichtig ist, dass die Presse auf die Politik einwirkt. Alle öffentlichen Organe bedürfen der öffentlichen Kontrolle, da es sonst schnell zu Machtmonopolen und -Missbräuchen kommt. Der Einfluss der Medien auf die öffentliche Meinung ist erheblich. Zeitungen, Fernsehen und Radio haben zum Beispiel die Macht, der Bevölkerung die Notwendigkeit von (Angriffs-)Kriegen zu vermitteln, und sei es dadurch, dass im Gemengelage von Pro und Contra das Pro eine akzeptierte Meinung bleibt. Oder dadurch, dass wertende Begriffe wie „Terrorismus“ so großzügig verwendet werden, dass die Grenzen zum Widerstand gegen Besatzer nicht mehr erkennbar sind. Überhaupt ist einer der wesentlichen Kritikpunkte, die ich an der deutschen Presse habe, der, dass den Leserinnen und Lesern nur Teile der Informationen gegeben werden. Besonders was Palästina angeht wird so selektiert, dass ein bestimmtes, völlig irreführendes Bild gewahrt bleibt: Die Bedrohung der jüdischen Bevölkerung durch die störrischen Palästinenser. Es gibt viele weitere Tabuthemen, denn wo ein Tabu nisten kann, können auch zehn nisten. Wenn der Mainstream in einem Punkt schummelt, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass es der einzige Punkt ist. Wie steht es mit dem Thema Gewalt in den Familien? Wie mit dem Thema Diskriminierung von Muslimen? Oder der Verantwortung der humanistischen Staaten, den Hunger in der Welt zu überwinden statt aufzurüsten? Wo bleibt die Religionsdiskussion? Warum sprechen wir nicht über das Patriarchat? Warum wird unser Bildungssystem nicht ernsthaft in Frage gestellt? Wer redet darüber, dass eine Wirtschaft schon aus logischen Gründen nicht ewig wachsen kann? Und wer redet über die Macht von Redakteuren?

Beim Lesen deutscher Zeitungen fühle ich mich häufig auf eine Titanic versetzt, die dem Untergang gelassen entgegensieht. Wir machen nur unseren Job, höre ich die Zeitungsmacher sagen, wir existieren als Subjekt gar nicht. – Dann wünsche ich mir einen Presserat, eine Instanz, die nicht sich selbst als Maß aller Dinge ansieht, sondern die sich mit begründeten Zweifeln am Pressewesen auseinandersetzt. Mehr als 2.000 Artikel habe ich besprochen und bin dabei so manchem Horror begegnet. Oft habe ich Rassismus gesehen und aufgezeigt. Oft konnte ich nicht schlafen, weil ich wusste, was in der deutschen Presse passiert. Vielen Arabern und Muslimen, die ich kenne, geht es ähnlich. Auch Deutschen. Menschenrechtlern. Viele von uns wünschen, dass die deutsche Presse sich uns öffnet und nicht denen, die mit den Wölfen heulen. Warum habe ich so viele Artikel besprochen? Weil mich vieles beleidigt und erschüttert hat. Weil ich mich fühle wie unter einer Käseglocke. Weil ich spüre, wie die Zeitungen Konflikte eher schüren als sie darzustellen. Dass sie das nicht wollen, weiß ich. Aber solange sie Kritiker nicht adäquat berücksichtigen, ist dieses Verhalten nicht akzeptabel. Ich fühle mich belogen. Mein Vertrauen der deutschen Presse gegenüber ist sehr gering.

Fast täglich bekomme ich Emails von Leuten, die ebenfalls auf Artikel hinweisen, die unter der Gürtellinie sind oder die zur Desinformation taugen. Eine Zunft von Bloggern hat sich inzwischen herausgebildet, die einen Teil der Arbeit macht, die der Presserat nicht schafft. Es gibt eine Anzahl von Leuten in diesem Land, die neu über die Presse sprechen möchten. Ich glaube, das ist die Botschaft dieser Studie an den Presserat und an die Zeitungen.


- Der Pressekodex -

(10.01.2007) Beim deutschen Pressekodex handelt es sich um Richtlinien für die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des Deutschen Presserats. Hier steht der Text in der überarbeiteten Fassung vom 13.09.2006: www.presserat.de/pressekodex.html. Es sind 16 Punkte (Ziffern), dazu kommen eine Präambel und einige Richtlinien zu den einzelnen Ziffern. Der Text ist nicht lang. Wir können insgesamt schon froh sein, dass es solche Richtlinien bei uns gibt. Die Pressefreiheit ist ein wichtiges Gut. In den meisten anderen Ländern der Welt gibt es diese Freiheit nicht. Das darf man bei aller Kritik nicht vergessen. Der Pressekodex repräsentiert durchaus eine demokratische Weltanschauung. Die Frage scheint eher zu sein, ob die Annahme gerechtfertigt ist, dass bei uns weitgehend alles in Ordnung ist, symbolisiert duch eine nur zweistellige Jahreszahl an Rügen wegen der Verletzung des Kodex'.

Die Präambel beginnt mit dem Satz: „Die im Grundgesetz der Bundesrepublik verbürgte Pressefreiheit schließt die Unabhängigkeit und Freiheit der Information, der Meinungsäußerung und der Kritik ein.“ Dieser Satz ist zum Schutz der Presse gedacht, scheint mir nach längerer Überlegung. Es geht eher nicht um den Schutz vor der Presse. Wegen der eingangs erwähnten Parteinahmen in den Redaktionen ergibt sich die Frage, inwiefern die Presse selbst die Informationsfreiheit anderer zugunsten eines Mainstream-Verhaltens und bona fide einschränkt. Hatte Jamal Karsli ein Recht auf Meinungsäußerung und Kritik? Insofern ja, als er ein Buch veröffentlicht hat, in dem er seine Sicht darstellen konnte. Dasselbe gilt für Jürgen Möllemann. Die Presse allerdings hat die beiden demontiert. Die „Fairness“, von der in der Präambel weiter die Rede ist, habe ich damals nicht beobachten können. Auch nicht das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Menschen“.

Damit bestehen Zweifel an Ziffer 1: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.“ Eben diese Glaubwürdigkeit ist vielerorts abhanden gekommen und das betrifft nicht nur die Bildzeitung. Nehmen wir den Fall Susanne Osthoff, die vorgestern bei Beckmann im Fernsehen glaubhaft machen konnte, dass die Öffentlichkeit über sie desinformiert wurde, indem zum Beispiel kolportiert wurde, sie hätte einen Teil des Lösegelds bei sich gehabt, mit der Suggestion, sie hätte mit ihren Entführern gemeinsame Sache gemacht. Dieser in den Medien breitgetretene Verdacht wurde von den beteiligten Bundesämtern nicht bestätigt. Die Hintergründe von Osthoffs späterer, umstrittener Irakreise geben Anlass zu neuerlichen Recherchen. Spiegel Online macht daraus lieber: „Sie gibt immer neue Rätsel auf“ (Reinhard Mohr, 09.01.07, www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,458545,00.html) Ist halt einfacher so. Wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit ... werden wir wahrhaftig unterrichtet?

Ziffer 2 handelt von der Sorgfalt und der Recherche. Interessant ist hier der Hinweis, dass unter den Leserbriefen auch solche veröffentlicht werden sollen, die nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Aus Erfahrung weiß ich, dass dieser Grundsatz von den Zeitungen auch eingehalten wird. Ich frage mich nur, warum solche Meinungen eher auf der Leserbriefseite Platz finden sollen. Das gute alte Pro und Contra wird als Genre von den meisten Zeitungen nicht ausgeschöpft, ebenso wie andere Formen des Dialogs, auf die später die Rede kommen wird. Ziffer 3 behandelt das Thema redaktioneller Richtigstellung, wenn sich Gedrucktes nachträglich als falsch herausstellt. Ziffer 4 betrifft die Grenzen und Grundsätze der Recherche und Informationsbeschaffung. Man sagt als Journalist, von welcher Zeitung man ist, man gibt Rettungsaktionen Vorrang vor Berichterstattung, man nutzt Extremsituationen und Kinder nicht aus, um an Infos zu kommen und ähnliches. In Ziffer 5 geht es um das Berufsgeheimnis/Redaktionsgeheimnis, um das Zeugnisverweigerungsrecht und Informantenschutz. Ein wichtiger Punkt, auf den wir stolz sein können. Dort heißt es auch, dass nachrichtendienstliche Tätigkeiten von Journalisten und Verlegern mit den Pflichten aus dem Berufsgeheimnis und dem Ansehen der Presse nicht vereinbar sind. Ziffer 6 betrifft die Trennung von publizistischen und anderen Tätigkeiten. In Ziffer 7 geht es um die Trennung von Werbung/PR und Redaktion. Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken müssen als solche erkennbar sein, keine Schleichwerbung und keine Vorteilsnahme durch Beeinflussungen der Börse ist erlaubt.

Ziffer 8 hat die meisten Teile und wird in einigen der folgenden Ziffern ergänzt. Es geht um die Persönlichkeitsrechte: „Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.“ Dies betrifft die Nennung von Namen, die nicht immer gestattet ist, den Opferschutz und die persönliche Geheimsphäre von Wohnung und Gesundheitszustand, in Abwägung mit den Bedürfnissen des öffentlichen Interesses. Suizid-Fälle etwa gebieten Zurückhaltung. Bei ausländischen Oppositionellen ist zu beachten, dass veröffentlichte Details über sie ihnen schaden können. Es gibt eine Richtlinie über Jubiläumsdaten von Privatpersonen, die nur mit Einwilligung gedruckt werden sollen, da es einen Schutz vor öffentlicher Anteilnahme gibt. Ferner geht es um das Auskunftsrecht von Personen, die ihr Persönlichkeitsrecht von einer Zeitung verletzt sehen. Man kann also bei der Zeitung vorbeigehen und zum Beispiel fragen: Woher habt ihr diesen Unsinn, den ihr über mich geschrieben habt? Die Zeitung darf die Auskunft verweigern, etwa wenn der Informantenschutz berührt ist.

Zum Schutz der Ehre Ziffer 9: „Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.“ Dieser und der nächste Punkt sind ebenso wichtig wie schwierig. Ziffer 10: „Die Presse verzichtet darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen.“ Die Bandbreite der Entscheidungsmöglichkeiten ist groß. Was ist unangemessen, was eine Ehrverletzung, was eine Schmähung? Oft bleibt Aussage gegen Aussage stehen. Es sind Fragen des gesellschaftlichen Umgangs mehr als journalistische Fragen. Bestimmt kommen wir darauf zurück. Ziffer 11: „Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.“ Der abstrakte Begriff „Sensationsberichterstattung“ bedarf der Diskussion, daher finden sich 6 Richtlinien dazu. In der ersten steht erklärend: „Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird.“ Im prototypischen Fall geht es dabei um sterbende oder körperlich oder seelisch leidende Menschen. Die Aussage bleibt aber unklar: Ein Objekt, ein bloßes Mittel von was? In dieser Ziffer finden sich einige interessante Details. Zum Beispiel, dass die Presse keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei unternimmt. Oder dass während der Verübung von Straftaten keine Interviews mit Tätern geführt werden (Lehre aus dem Gladbecker Geiseldrama). Opfer- und Jugendschutz werden thematisiert und die Unabhängigkeit von Behörden: „Nachrichtensperren akzeptiert die Presse grundsätzlich nicht. Ein abgestimmtes Verhalten zwischen Medien und Polizei gibt es nur dann, wenn Leben und Gesundheit von Opfern und anderen Beteiligten durch das Handeln von Journalisten geschützt oder gerettet werden können. Dem Ersuchen von Strafverfolgungsbehörden, die Berichterstattung im Interesse der Aufklärung von Verbrechen in einem bestimmten Zeitraum, ganz oder teilweise zu unterlassen, folgt die Presse, wenn das jeweilige Ersuchen überzeugend begründet ist.“ Verbrecher-Memoiren sollen nicht veröffentlicht werden, und schließlich dies: „Veröffentlichungen in der Presse dürfen den Gebrauch von Drogen nicht verharmlosen.“

Immer noch zum Themenkomplex der Persönlichkeitsrechte gehört Ziffer 12: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Dazu gibt es eine Richtlinie, die besagt: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“ Ziffer 13 befasst sich mit der Unschuldsvermutung, die auch für die Presse gilt, sodass von Vorverurteilungen in der Presse und medialer Zusatzbestrafungen abzusehen ist. In Ziffer 14 geht es um Medizin-Berichterstattung, die keine unbegründeten Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken soll.

Ziffer 15 behandelt das Thema Vergünstigungen. Journalisten und Verleger dürfen sich nicht bestechen lassen. Wenn Journalisten zum Beispiel über Pressereisen berichten, zu denen sie eingeladen wurden, machen sie diese Finanzierung kenntlich. In der letzten Ziffer 16 heißt es: „Es entspricht fairer Berichterstattung, vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen.“

Das ist der deutsche Pressekodex. Das Bild der Presse wird bestimmt durch Bezüge zu anderen Gruppen: Unabhängigkeit von behördlichen und ökonomischen Gruppen, Behandlung von Informanten, Richtlinien in der Darstellung von Privatpersonen. Gleichzeitig sind es Werte, die die Presse charakterisieren (sollen): Wahrhaftigkeit, Fairness, Opferschutz, Schutz der Person, Gerechtigkeit, Angemessenheit, Sorgfalt, öffentliches Interesse, Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ein Punkt, der gar nicht vorkommt, ist das Verhältnis zwischen Redaktion und Journalist. Mehr dazu nach dieser Leserzuschrift:


- Kommentar I -

„Gratuliere (...) zur vorzüglichen Eröffnung der Epistel über das Organ der 'Selbstkontrolle' deutscher Medien. Als Mitglied (seit 40 Jahren), erst der dju, dann des vs und der dju in der IG Druck und Papier, dann über die IG Medien bis zu ver.di, kenne ich die Leier. Trotzdem ist jeder Blick wichtig – Sie und viele andere (mit diesem oder jenem 'Migrationshintergrund' der ersten, zweiten, dritten Generation) waren mir immer ein Lichtblick: Sie schauen ins Neuland, wohin sie mit oder dank Familie/Ahnen geraten sind, hier also auf dieses Autotochtonien 'BR Deutschland' mit all den schönen und weniger schönen Einrichtungen und Traditionen so, dass jeder nur dafür dankbar sein kann für die Zufuhr klarer Gedanken, kühner Vorschläge, lebendigen Sprachgebrauchs und das selbstverständlich Menschliche. In diesem Sinn bitte ich Sie darum, weil ich es selber nicht weiß, wie es anzustellen ist, einen Anhang in meinen ROOM zu stellen. Es sind Leserbriefe seit 2000 (Bestandteil des Buches 'Keine Angst vor der Angst. Narrationen aus einer Katakombe'), sie zeigen meine Art, den Presserat zu beleben. (...) Im Übrigen haben Sie mit dem Hinweis auf den deutschen Schriftsteller und Journalisten iranischer Abstammung, Navid Kermani, mir aus dem Herzen gesprochen, dass die SZ ihn dann und wann druckt, die FR interviewt, ehrt diese sonst fast zu Mainstream-Gazetten geronnenen Tageszeitungen.“ Friedrich Hitzer

Ich hakte wegen Kermani noch einmal nach und erhielt zur Antwort: „Weil Kermani breiten Platz für sehr viel Richtiges erhält, aber Sie haben in der Sache Recht – er schweigt zu den Zerstörungen im Libanon durch diejenigen, die das verantworten, zugleich steckt er, was ich zu wenig überblicke, in einem Dilemma. Worum es mir geht, ist sein konstruktiver Beitrag zur deutschen Publizistik und Literatur von Heute. Sein interessanter Diskurs über Kafka – sehr nahe und real. Und welcher Autor, der sich mit dem kulturellen Hintergrund seiner Herkunft befasst, erhält schon diesen Platz für unkonventionelle, dennoch existentiell und ästhetisch Fragestellungen an die Kultur, in die er auf seine Weise hineinwächst? Ich glaube kaum, er erhält den Platz, weil er die Hisbollah offen oder versteckt kritisiert. Vielleicht sollte diese Frage an ihn ganz direkt gestellt werden? Im übrigen ist der Satz über die Intellektuellen und Schriftsteller, die lauter bellen als das Rudel, verunglückt. Welches Rudel? Wölfe? Dann wären es die Alphatiere, und was hieße das? F.H.“

Der vom Schriftsteller und Übersetzer Friedrich Hitzer erwähnte Beitrag kann hier nachgelesen werden: www.anis-online.de/journalismus/room/friedrich_hitzer.htm#070107. Tatsächlich wäre es gut, mit Navid Kermani selbst über solche Dinge zu sprechen und ich habe es innerhalb von sechs Jahren mehrfach versucht beziehungsweise angeboten. Ursprünglich war ich ihm gegenüber sehr positiv eingestellt, da ich sein Buch „Gott ist Schön“ über die Ästhetik im Koran gelesen habe. Ich wurde skeptisch, als ich ihn persönlich kennenlernte. Manchmal las ich dann, was er schrieb und beobachtete, was er nicht schrieb. Ich habe keinen Anlass anzunehmen, dass der Satz über die Wölfe verunglückt ist, sondern eher, dass er eine Lebenseinstellung widerspiegelt. Gern lasse ich mich da korrigieren.


- Journalist und Redaktion -

(12.01.2007) Zeit, die Krawatte etwas zu lockern. Abstand zu nehmen von den Räten, Idealen, Theorien. Warum sagt der Kodex nichts aus über die Rechte der Journalistin gegenüber ihrer Redaktion? Und der Rechte der Zeitung gegenüber dem Freelancer? Gehört das wirklich nicht zum Kodex? Ist es vielleicht ein anderer Kodex, ein gewerkschaftlicher oder sozialer? Ich glaube das nicht. Hier zunächst meine Geschichte:

Im Juli 2006 war mir aufgefallen, dass ich noch nie einen richtigen Artikel in einer größeren deutschen Zeitung veröffentlicht hatte. Da war eine kleine Sache in der Heimatzeitung „Die Glocke“ von mir zu Elvis' 50stem Geburtstag, aber das war 1985. Die Kieler Nachrichten haben 2001 mein Stück „Das Huhn“ gebracht. Im Pressearchiv unter www.anis-online.de/about_me.htm#pressearchiv steht alles gesammelt. Sehr bemüht war ich allerdings auch nicht, da ich meine Artikel selbst auf Anis Online veröffentlichen kann und damit unabhängig bin. Einmal hatte ich Lust dazu, einen Artikel in eine arabische Zeitung zu bringen. Ich schrieb Gedanken zur Frankfurter Buchmesse 2004 und es gelang auf Anhieb, Al-Quds al-'Arabi in London hats gedruckt. Das war eine schöne Erfahrung. Also dachte ich zu mir: Nun mach mal, das gehört schon dazu! Und ich nahm mir vor, einen Artikel in der taz zu schreiben. Zu Beginn des Libanonkrieges waren sie meiner Ansicht nach sehr gut. Es funktionierte auch, beim dritten Anlauf, ich schrieb das Contra im Pro und Contra zur Entsendung deutscher Truppen in den Libanon. Am 22.08.2006 wurde es gedruckt und der Artikel hält auch noch: taz.de/!388177/. Sogar ein Bild von mir war mit dabei.

Normalerweise hätte ich eine Rock'n'Roll-Platte aufgelegt und ein paar Stunden getanzt, aber das ging nicht. Weniger als die Hälfte der Sätze war mein Wortlaut. Der Begriff „Kriegspartei“ wurde in den Untertitel gebracht, der ebenso wenig von mir war wie der Titel. Dass Deutschland im Libanon zur Kriegspartei würde, kann man aus meinem Kommentar folgern, nur dass es schöner gewesen wäre, dies den Lesern zu überlassen. Aus „Genozid“ machte die Redaktion erstaunlicherweise „Holocaust“. Mein Teilfazit, dass eine Entsendung letztlich auch nicht im Interesse Israels ist, wurde gestrichen. Mein Stil wurde verändert. So las ich „mich“ am Vorabend im Internet. Ich fühlte mich scheiße. Dabei waren zwei volle Tage Zeit gewesen, um den Text mit mir abzustimmen. That's the price... dachte ich für mich, aber bei näherem Hinsehen war das Quatsch. Was für ein Preis? Der Preis dafür, einen Artikel in der Zeitung zu haben? Worum soll es hier gehen, doch um den Artikel. Dem widersprach eigentlich bereits meine Absicht, etwas in einer Zeitung zu veröffentlichen. Deshalb eben habe ich diese Absicht normalerweise nicht und schreibe einfach Artikel, die ich im Regelfall selbst ins Universum puste, bei Bedarf, manchmal auch in Richtung einiger Zeitungen. Aber wenn man gleich FÜR DIE ZEITUNG schreibt, dann verändern sich Stil und Thematik, bevor man überhaupt etwas zu Papier gebracht hat.

Dabei will ich die wichtige Arbeit der Lektorin und des Lektors nicht grundsätzlich in Frage stellen. Niemand möchte Rechtschreib- oder Grammatikfehler in seinem Text. Dann gibt es noch stilistische Dinge, die sind oft Ansichtssache. Vorschläge können da hilfreich sein. Auch inhaltliche, so dass eine Redaktion nachfragen kann: Äh hallo, dieser zweite Punkt ist noch unklar. Was meinst du genau? Und was sagst du zur Gegenthese X? – Zwischen Zeitung und Artikelherstellern gibt es ein komplexes Geflecht von Dingen, die zu berücksichtigen sind. Hier auf Anis Online lasse ich die Leute normalerweise frei schreiben. Ich mache bei Zitaten – zum Beispiel in der Medienschau Nahost – manchmal Auslassungen, die ich durch Punkte markiere (...), aber nur, wenn es nichts entstellt. Wenn ich ganze Beiträge von anderen publiziere, dann lasse ich sie, wie sie sind. Rechtschreib- und Grammatiksachen korrigiere ich, wenn nötig, stillschweigend, beim geringsten Zweifel frage ich nach. Es sei denn, mir wird explizit eine Redaktion angetragen, etwa bei Nicht-Muttersprachlern. Das mache ich nach Gespür. In meiner Welt ist es sehr wichtig, dass sich jeder frei entfalten kann und dass niemand sich unnötig eingeschränkt fühlt. Auch bei meinen Gegnern ist mir das zunehmend wichtig. Ich veröffentliche auch Positionen politischer Gegner aus Prinzip, kommentiere sie vielleicht...

Mir fiel auf, dass die Zeitungen in diesem Punkt anders zu sein schienen. Die meisten Journalisten hätten nichts dagegen, dass die Texte verändert würden, bekam ich von Redaktionsseite zu hören. Man nahm sich meine Beschwerde durchaus zu Herzen, das kann ich bestätigen. Gedruckt ist gedruckt, das kann ich ebenfalls bestätigen. Ich hatte diesen Vorfall dann jedenfalls relativ schnell zu den Akten gelegt und gefühlsmäßig bewältigt. Der betreffenden Zeitung habe ich mitgeteilt, dass solche grundsätzlichen Fragen vielleicht am besten im Rahmen einer Pressezeit besprochen werden können.

Es erschien mir nicht einleuchtend, dass Leute nichts dagegen haben, wenn ihr Name unter einer Sache steht, über die sie keine Kontrolle haben. Sie werden eher befürchten, dass die Zeitung ihre Artikel nicht mehr nimmt, wenn sie diesen Fall ernsthaft hinterfragen. Es gibt ja genügend Journalisten, festangestellte und freie. Ich meine jetzt nicht speziell die taz. Als ich einmal hörte, dass ein Artikel in einem auflagenstarken Magazin redaktionell durch die Wahl von Titel und Untertitel entstellt worden sein soll, fragte ich den betreffenden Journalisten in einer Email. Der antwortete mir sinngemäß so: „Wenn Sie sich so viel mit den Medien beschäftigen, dann müssten Sie eigentlich wissen, dass man als Journalist keinen Einfluss auf die Überschrift hat.“ Auf meine Nachfrage, wie er das so locker sagen könne und ob ihn das nicht irritiere, schwieg er. Oder auch Episode 2 der Pressezeit, wo die Kieler Nachrichten uns erklärt haben, was ein Tischredakteur ist, nämlich einer, der zum Beispiel Namen aus Texten herauskürzt.

Vermutlich wird es schwierig werden, über dieses Thema zu sprechen, aber zum Glück gibt es den Informantenschutz. Vielleicht bekomme ich Hinweise und Meinungen, wenn ich Diskretion garantiere. Es ist schon ein wichtiges Thema, und wo kann man darüber vernünftig reden? In der Zeitung? Da ist ein ziemlicher Druck, bevor so eine Zeitung am Morgen dampfend vor uns steht. Ludwig-Sigurt Dankwart sind einige Einsichten zu verdanken, in seinem immer wieder gern zitierten „Mein Freund, der Chefredakteur“ vom 10.09.2003: www.heise.de/tp/r4/artikel/15/15599/1.html.

Natürlich muss auch über Geld gesprochen werden. Für meinen Artikel in der taz zum Beispiel habe ich keinen Cent gesehen. Irgendwann habe ich mal nachgefragt und die Redaktion hat mir den Erhalt meiner Email auch bestätigt, aber es passierte nichts. Die Bankverbindung hatte ich professionell unter dem Artikel vermerkt. Da dies für so eine Zeitung Routine ist, finde ich es schon erstaunlich, wie salopp mit dem Finanziellen umgegangen wird. Ich bin nicht der Typ, der wegen ein paar Euro fünfzig auf die Barrikaden geht, daher habe ich akzeptiert, dass die taz so gehandelt hat. Sie wird schon wissen, was sie tut. Dabei wurde mir klar, dass auch die Kieler Nachrichten keinen Cent für „Das Huhn“ gezahlt hatten. Und das, obwohl sie mich angerufen und darum gebeten haben, etwas Literarisches von mir zu drucken. Damals hatte ich nicht danach gefragt, denn ich hatte zuvor ein paar Artikel der KN über mich auf Anis Online reproduziert, ohne um Erlaubnis zu fragen. Es waren meine ersten Erfahrungen mit der Öffentlichkeit und ich fand es damals okay, den KN dafür ein Gedicht zu geben, auch wenn ich bedauert hatte, dass dieser Tausch unausgesprochen blieb. Heute denke ich darüber anders, denn die Kieler Nachrichten sind im Unterschied zu Anis Online ein Produkt im Sinne des Marktes und sie verdienen Geld. Also haben sich die Kieler Nachrichten fehlverhalten. Ich glaube nicht, dass ich erwähnen muss, dass die arabische Zeitung mir auch nichts gezahlt hat.

Nach diesen Geschichten habe ich kein Interesse mehr an Zeitungen. Ich kaufe keine mehr. Klar, wenn es um Medienbegleitung und -Auswertung geht, schließe ich mich nicht aus, aber freiwillig oder gar freudig lese ich sie nicht mehr. Doch, sicher, wenn eine Freundin oder ein Freund etwas geschrieben hat etc., es ist keine Ideologie. Radionachrichten muss man ab und zu hören, logisch. Falls nötig, schreibe ich auch für eine Zeitung, ich will das nicht ausschließen. Es ist einfach die Glaubwürdigkeit weg, dagegen bin ich machtlos. In einem Interview mit der Unizeitung EX ORIENTE aus Münster habe ich vorgeschlagen, die Schulen und die Zeitungen abzuschaffen :-) Man weiß sowieso, was in den Zeitungen steht, habe ich gesagt. Die Leute sollten lieber wieder dazu kommen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen und denen zu vertrauen. Keine Zeitungen mehr für mich! Ich habe mir einen mp3-Player gekauft und lade mir Sachen von GEO runter, die sind cool. Außerdem lerne ich grad Französisch und ziehe mir Edith-Piaf-Stücke und Literatur. Ein bisschen Stevie Ray Vaughn. Es geht mir seitdem besser.

Klar, ich vermisse auch etwas. Früher habe ich gern mal die Zeitung gelesen. Aber letztens lag eine verlassene Süddeutsche von heute in der Straßenbahn rum. Keine Reaktion meinerseits. Vielleicht geht das auch wieder weg, ich weiß es nicht. Es könnte auch eine Neurose sein. Man denkt, man macht seine Finger schmutzig, wenn man die Zeitung anfasst. Man ahnt, was da alles noch im Busch sein könnte... Halt! Das geht zu weit. Keine Ahnungen bitte, Empirie! Ich hoffe, dass ich ein paar aufschlussreiche und schöne Beiträge von außen bekomme, um neues Ver- oder Misstrauen schöpfen zu können. Ich versichere Ihnen, dass es ein gutes Gefühl ist, mal über diese Dinge zu sprechen. Was fällt Ihnen ein zum Thema Beziehung Redaktion/Journalist? Was können Sie beitragen, um diese Epistel, wie Friedrich Hitzer sie genannt hat, zu bereichern? Bestimmt gibt es vieles zu ergänzen.


- Personalia/Kommentar II -

(20.01.2007) Mit großer Betrübnis teile ich mit, dass Friedrich Hitzer am 15. Januar im Alter von 72 Jahren verstorben ist. In seinem ROOM habe ich ein Wort dazu geschrieben: www.anis-online.de/journalismus/room/friedrich_hitzer.htm. Nun gibt es einen Grund mehr für mich, meine Arbeit fortzusetzen, denn seine Ermutigungen bleiben mir im Gedächtnis.

Die taz hat auf den vorigen Beitrag reagiert, was ich gut finde. Selbstverständlich gibt es ein Honorar für den Artikel, es hat sich wohl um ein Missverständnis gehandelt. Schön, dass diese Sache geklärt ist.

Achmed Khammas, mit dem ich im Oktober 2006 ein Online-Gespräch geführt habe, siehe www.anis-online.de/mehr/khammas.htm, schreibt uns im folgenden Beitrag über seine Erfahrungen mit der Presse und Veröffentlichungen:

Inhaltlich will ich mich gar nicht an die negativen Fälle erinnern, denn es gab auch viele positive. Allerdings habe ich meist vorher um eine klare (finanzielle!) Ansage gebeten. Und dann oftmals auch gratis geliefert – no problem. Aber eben auch oft genug was bekommen. Und nicht nur an bzw. von Zeitungen.

Sehr erfolgreich war ich einmal, als ich einer Reihe von Design- und Architekturzeitschriften (zielgerichtet) anbot, vom Schweizer Designpreis in Solothurn zu berichten. Ich war ja sowieso dort, um eine Auszeichnung zu übernehmen <g>. Und so hatte ich vorab schon einige honorierte Artikel in Auftrag, in denen ich dann natürlich auch unseren eigenen Designpreis erwähnen und sogar Fotos davon verkaufen konnte.

Das war aber auch nötig. Denn die 'Auszeichnung für herausragendes Design' war nur ein trockenes Stück Papier – sogar Reise, Hotel und Logis mußte ich selbst bezahlen. Also wird man kreativ und sucht nach 'refundings'... ;-)

Das beste (= meiste) bekam ich von Werner Pieper. In seinem *Scheißbuch* hatte ich ZWEI Seiten gefüllt (ich hatte damals eine bereits 35-jährige Erfahrung im scheißen! <g>) – und zwar unter dem Titel 'Orientalische Geschäfte'. Ich glaube im Kapitel 'Wischi oder waschi... ist die Frage' (oder so).

Werner machte prinzipiell über 30 Jahre lang KEINE WERBUNG für seinen Verlag und seine Produkte. Doch das Scheißbuch wurde im Interview mit Jürgen von der Lippe vorgestellt – und aufgrund der anschließend erreichten Gesamtauflage bekam ich dann 700 DM ... für 2 Buchseiten? Wow!

Großen Zeitungen habe ich allerdings nie etwas angeboten, und was ich von der TAZ für meine *In-10-Jahren* Serie bekam, waren lumpige 28 DM pro Woche, glaube ich. Aber es war so vereinbart – und so bekam ich es auch. Wenn die 'Linke' nicht stets alle (Hühner)augen zugedrückt hätte, auf denen „die TAZ“ so gerne herumtrampelte, würde es sie schon lange nicht mehr geben. Aber es gibt sie – und das ist gut so (wie man seit Wowi hier sagt). Auch wenn man manchmal viel lieber sagen würde, „jetzt ist es aber gut, Leute, ja?!“

Bestes!
Achmed

Achmed A. W. Khammas


Kapitel 2

- Gib dem Gegner Raum -

(30.01.2007) Es wird immer Meinungsverschiedenheiten geben und vielleicht wird es auch immer Krieg geben. Die Unterdrückung durch Tod, Verletzung und Beraubung muss es aber nicht geben. In der neueren Entwicklung der organisierten Menschheit zeigt sich eine Tendenz zur gewaltlosen Schlichtung von Konflikten, manifest in der Verabschiedung der Menschenrechte, der Genfer Konventionen, dem Prinzip der UNO, dem Atomwaffensperrvertrag, der Abschaffung der Todesstrafe und vielen anderen Elementen. Diese wurde und wird durch eine Gegentendenz konterkariert, eine, die auf physische Gewalt zur Entscheidung von Konflikten setzt und auf das zu selten hinterfragte Prinzip „Frieden durch Kontrolle/Hegemonie“. So im „Krieg gegen Terror“, in Palästina, im Irak, in Afghanistan, aber auch in Auseinandersetzungen, in die die Supermacht nicht verwickelt ist. Es handelt sich dabei um eine fraktale Konstellation, die sich in der Weltpolitik ebenso nachweisen lässt wie auf der Ebene der Familie, der Schulen und anderer sozialer Orte. Ob nun Gewalt oder Nichtgewalt als Lösung erkannt wird, in beiden Fällen ist es eine Glaubensfrage. Es ist eine Tatsache, dass die meisten Leute an die Prioriät der Gewalt glauben. Andernfalls wären die Gewalttäter zum Beispiel aus den Regierungen ausgemerzt worden. Die Öffentlichkeit und ihre Werte spielen eine entscheidende Rolle in der Etablierung dieses Glaubens.

Die Verantwortung der Presse wird in diesem Zusammenhang unterschätzt. Und zwar geht es dabei nicht so sehr um einzelne Nachrichten, die in verschiedene Richtungen interpretierbar sein mögen, sondern um die Denkrahmen, innerhalb derer Zeitungen agieren und die so grundlegend sind, dass sie nicht ausgesprochen werden. Bereits in der Pressezeit (1) wurde am Beispiel der Süddeutschen Zeitung aufgezeigt, dass Zeitungen Metabotschaften aussenden, indem sie etwa Stimmungen übertragen. Wenn Angst oder Depression oder Unfreiheit zum Denkrahmen gehören, dann können diese Elemente die Leser anstecken und sie zu schädlichen Handlungen führen beziehungsweise zum Schweigen bringen.

Stellen wir uns eine andere Art von Zeitung vor. Nehmen wir an, es gäbe eine Zeitung, die in dem Bewusstsein steht, dass wir an vielen gefährlichen Konflikten kranken und dass die Lösung dieser Konflikte die Priorität im öffentlichen Diskurs haben muss. Dies ist längst der Fall, mögen einige sagen, andererseits muss man angesichts der Entwicklung der öffentlichen Themen zugeben, dass sich nicht viel getan hat: Die gesellschaftlichen Konflikte haben in den letzten 30 Jahren eher zugenommen als abgenommen. Sind wir vielleicht nicht in der Lage, sie zu lösen? Haben wir versagt oder sind die Konflikte einfach unlösbar? Wahrscheinlicher ist, dass unser Denkrahmen zu eng ist.

Dazu als Beispiel die gängige These, nach der dem Gegner keine Plattform gegeben werden darf. Der Klassiker ist der Neonazi. Es geht aber auch mit Terroristen und religiösen Fanatikern. Das dazu gehörige Argument lautet: „Diese Person (oder Gruppe) ist nicht im Toleranzbereich unserer Wertevorstellung. Sich mit ihr auseinanderzusetzen würde eine Anerkennung bedeuten und sie ermutigen oder gar anderen das Bild vermitteln, ihre Meinung sei akzeptabel. Man würde ihr Raum geben, um für ihre unerwünschten Eigenschaften Werbung zu machen. Daran soll man sich nicht beteiligen.“ Mit diesem Argument lässt die Öffentlichkeit sich überzeugen. Das Argument, dass dem Bösen kein Raum zu geben ist, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, greift jedoch in dieser Form zu kurz.

Die Zeitung hat die Macht, Konflikte zu beschreiben beziehungsweise zu definieren. Das redaktionelle Wort ist ein Filter. Im Fall des Keine-Plattform-Gebens steht auf der anderen Seite die Ausgrenzung. Gewaltverherrlichung, Drohungen und Verleumdungen gehört zu den Dingen, die ausgegrenzt gehören. Es herrscht Einigkeit darüber, dass einigen Dingen in der Tat keine Plattform gegeben werden soll. Die Verwendung des dazu gehörigen Arguments aber reicht viel weiter, weil der Wertekatalog Ideologien wie die oben genannten mitträgt: Westbindung, Philosemitismus, Extremkapitalismus.

Dem Gegner Raum geben bedeutet zum Beispiel, den Kontakt zu einer Zeitung in einem der „Schurkenstaaten“ aufzunehmen, zum Beispiel aus dem Iran oder Palästina, und einen offenen Austausch zu pflegen. Mit den heutigen Kommunikationsmitteln ist das eine leichte Sache. Ich vertrete die These, dass jede militärische Auseinandersetzung auf mangelnde Kommunikation zurückzuführen ist. Dazu gehört auch die Eigenkommunikation, also die Möglichkeit, sich selbst zu hinterfragen.


- Reflexion -

(05.03.2007) Ich fuhr den Rechner hoch und las erneut, was ich vor einigen Wochen zum Thema „Gib dem Gegner Raum“ geschrieben hatte. Warum ging es nicht weiter? Das Interview mit Khaled Mahameed war dazwischengekommen. Aber das war nicht der wirkliche Grund. Ich spürte, dass ich mit dem, was ich oben geschrieben hatte, nicht ausdrücken konnte, was ich meinte. Es blieb zu abstrakt. Zu didaktisch. Es hatte gut angefangen mit der Vorstellung des Presserats und einer Zusammenfassung zentraler Fragen zum Pressewesen. Die Richtung musste jetzt geändert werden. Ich beschloss, das Projekt für eine Weile ruhen zu lassen und es bei geeignetem Anlass wieder aufzunehmen.

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