- Journalist und Redaktion -
(12.01.2007) Zeit, die Krawatte etwas zu lockern. Abstand zu nehmen von den Räten, Idealen, Theorien. Warum sagt der Kodex nichts aus über die Rechte der Journalistin gegenüber ihrer Redaktion? Und der Rechte der Zeitung gegenüber dem Freelancer? Gehört das wirklich nicht zum Kodex? Ist es vielleicht ein anderer Kodex, ein gewerkschaftlicher oder sozialer? Ich glaube das nicht. Hier zunächst meine Geschichte:
Im Juli 2006 war mir aufgefallen, dass ich noch nie einen richtigen Artikel in einer größeren deutschen Zeitung veröffentlicht hatte. Da war eine kleine Sache in der Heimatzeitung „Die Glocke“ von mir zu Elvis' 50stem Geburtstag, aber das war 1985. Die Kieler Nachrichten haben 2001 mein Stück „Das Huhn“ gebracht. Im Pressearchiv unter www.anis-online.de/about_me.htm#pressearchiv steht alles gesammelt. Sehr bemüht war ich allerdings auch nicht, da ich meine Artikel selbst auf Anis Online veröffentlichen kann und damit unabhängig bin. Einmal hatte ich Lust dazu, einen Artikel in eine arabische Zeitung zu bringen. Ich schrieb Gedanken zur Frankfurter Buchmesse 2004 und es gelang auf Anhieb, Al-Quds al-'Arabi in London hats gedruckt. Das war eine schöne Erfahrung. Also dachte ich zu mir: Nun mach mal, das gehört schon dazu! Und ich nahm mir vor, einen Artikel in der taz zu schreiben. Zu Beginn des Libanonkrieges waren sie meiner Ansicht nach sehr gut. Es funktionierte auch, beim dritten Anlauf, ich schrieb das Contra im Pro und Contra zur Entsendung deutscher Truppen in den Libanon. Am 22.08.2006 wurde es gedruckt und der Artikel hält auch noch: taz.de/!388177/. Sogar ein Bild von mir war mit dabei.
Normalerweise hätte ich eine Rock'n'Roll-Platte aufgelegt und ein paar Stunden getanzt, aber das ging nicht. Weniger als die Hälfte der Sätze war mein Wortlaut. Der Begriff „Kriegspartei“ wurde in den Untertitel gebracht, der ebenso wenig von mir war wie der Titel. Dass Deutschland im Libanon zur Kriegspartei würde, kann man aus meinem Kommentar folgern, nur dass es schöner gewesen wäre, dies den Lesern zu überlassen. Aus „Genozid“ machte die Redaktion erstaunlicherweise „Holocaust“. Mein Teilfazit, dass eine Entsendung letztlich auch nicht im Interesse Israels ist, wurde gestrichen. Mein Stil wurde verändert. So las ich „mich“ am Vorabend im Internet. Ich fühlte mich scheiße. Dabei waren zwei volle Tage Zeit gewesen, um den Text mit mir abzustimmen. That's the price... dachte ich für mich, aber bei näherem Hinsehen war das Quatsch. Was für ein Preis? Der Preis dafür, einen Artikel in der Zeitung zu haben? Worum soll es hier gehen, doch um den Artikel. Dem widersprach eigentlich bereits meine Absicht, etwas in einer Zeitung zu veröffentlichen. Deshalb eben habe ich diese Absicht normalerweise nicht und schreibe einfach Artikel, die ich im Regelfall selbst ins Universum puste, bei Bedarf, manchmal auch in Richtung einiger Zeitungen. Aber wenn man gleich FÜR DIE ZEITUNG schreibt, dann verändern sich Stil und Thematik, bevor man überhaupt etwas zu Papier gebracht hat.
Dabei will ich die wichtige Arbeit der Lektorin und des Lektors nicht grundsätzlich in Frage stellen. Niemand möchte Rechtschreib- oder Grammatikfehler in seinem Text. Dann gibt es noch stilistische Dinge, die sind oft Ansichtssache. Vorschläge können da hilfreich sein. Auch inhaltliche, so dass eine Redaktion nachfragen kann: Äh hallo, dieser zweite Punkt ist noch unklar. Was meinst du genau? Und was sagst du zur Gegenthese X? – Zwischen Zeitung und Artikelherstellern gibt es ein komplexes Geflecht von Dingen, die zu berücksichtigen sind. Hier auf Anis Online lasse ich die Leute normalerweise frei schreiben. Ich mache bei Zitaten – zum Beispiel in der Medienschau Nahost – manchmal Auslassungen, die ich durch Punkte markiere (...), aber nur, wenn es nichts entstellt. Wenn ich ganze Beiträge von anderen publiziere, dann lasse ich sie, wie sie sind. Rechtschreib- und Grammatiksachen korrigiere ich, wenn nötig, stillschweigend, beim geringsten Zweifel frage ich nach. Es sei denn, mir wird explizit eine Redaktion angetragen, etwa bei Nicht-Muttersprachlern. Das mache ich nach Gespür. In meiner Welt ist es sehr wichtig, dass sich jeder frei entfalten kann und dass niemand sich unnötig eingeschränkt fühlt. Auch bei meinen Gegnern ist mir das zunehmend wichtig. Ich veröffentliche auch Positionen politischer Gegner aus Prinzip, kommentiere sie vielleicht...
Mir fiel auf, dass die Zeitungen in diesem Punkt anders zu sein schienen. Die meisten Journalisten hätten nichts dagegen, dass die Texte verändert würden, bekam ich von Redaktionsseite zu hören. Man nahm sich meine Beschwerde durchaus zu Herzen, das kann ich bestätigen. Gedruckt ist gedruckt, das kann ich ebenfalls bestätigen. Ich hatte diesen Vorfall dann jedenfalls relativ schnell zu den Akten gelegt und gefühlsmäßig bewältigt. Der betreffenden Zeitung habe ich mitgeteilt, dass solche grundsätzlichen Fragen vielleicht am besten im Rahmen einer Pressezeit besprochen werden können.
Es erschien mir nicht einleuchtend, dass Leute nichts dagegen haben, wenn ihr Name unter einer Sache steht, über die sie keine Kontrolle haben. Sie werden eher befürchten, dass die Zeitung ihre Artikel nicht mehr nimmt, wenn sie diesen Fall ernsthaft hinterfragen. Es gibt ja genügend Journalisten, festangestellte und freie. Ich meine jetzt nicht speziell die taz. Als ich einmal hörte, dass ein Artikel in einem auflagenstarken Magazin redaktionell durch die Wahl von Titel und Untertitel entstellt worden sein soll, fragte ich den betreffenden Journalisten in einer Email. Der antwortete mir sinngemäß so: „Wenn Sie sich so viel mit den Medien beschäftigen, dann müssten Sie eigentlich wissen, dass man als Journalist keinen Einfluss auf die Überschrift hat.“ Auf meine Nachfrage, wie er das so locker sagen könne und ob ihn das nicht irritiere, schwieg er. Oder auch Episode 2 der Pressezeit, wo die Kieler Nachrichten uns erklärt haben, was ein Tischredakteur ist, nämlich einer, der zum Beispiel Namen aus Texten herauskürzt.
Vermutlich wird es schwierig werden, über dieses Thema zu sprechen, aber zum Glück gibt es den Informantenschutz. Vielleicht bekomme ich Hinweise und Meinungen, wenn ich Diskretion garantiere. Es ist schon ein wichtiges Thema, und wo kann man darüber vernünftig reden? In der Zeitung? Da ist ein ziemlicher Druck, bevor so eine Zeitung am Morgen dampfend vor uns steht. Ludwig-Sigurt Dankwart sind einige Einsichten zu verdanken, in seinem immer wieder gern zitierten „Mein Freund, der Chefredakteur“ vom 10.09.2003: www.heise.de/tp/r4/artikel/15/15599/1.html.
Natürlich muss auch über Geld gesprochen werden. Für meinen Artikel in der taz zum Beispiel habe ich keinen Cent gesehen. Irgendwann habe ich mal nachgefragt und die Redaktion hat mir den Erhalt meiner Email auch bestätigt, aber es passierte nichts. Die Bankverbindung hatte ich professionell unter dem Artikel vermerkt. Da dies für so eine Zeitung Routine ist, finde ich es schon erstaunlich, wie salopp mit dem Finanziellen umgegangen wird. Ich bin nicht der Typ, der wegen ein paar Euro fünfzig auf die Barrikaden geht, daher habe ich akzeptiert, dass die taz so gehandelt hat. Sie wird schon wissen, was sie tut. Dabei wurde mir klar, dass auch die Kieler Nachrichten keinen Cent für „Das Huhn“ gezahlt hatten. Und das, obwohl sie mich angerufen und darum gebeten haben, etwas Literarisches von mir zu drucken. Damals hatte ich nicht danach gefragt, denn ich hatte zuvor ein paar Artikel der KN über mich auf Anis Online reproduziert, ohne um Erlaubnis zu fragen. Es waren meine ersten Erfahrungen mit der Öffentlichkeit und ich fand es damals okay, den KN dafür ein Gedicht zu geben, auch wenn ich bedauert hatte, dass dieser Tausch unausgesprochen blieb. Heute denke ich darüber anders, denn die Kieler Nachrichten sind im Unterschied zu Anis Online ein Produkt im Sinne des Marktes und sie verdienen Geld. Also haben sich die Kieler Nachrichten fehlverhalten. Ich glaube nicht, dass ich erwähnen muss, dass die arabische Zeitung mir auch nichts gezahlt hat.
Nach diesen Geschichten habe ich kein Interesse mehr an Zeitungen. Ich kaufe keine mehr. Klar, wenn es um Medienbegleitung und -Auswertung geht, schließe ich mich nicht aus, aber freiwillig oder gar freudig lese ich sie nicht mehr. Doch, sicher, wenn eine Freundin oder ein Freund etwas geschrieben hat etc., es ist keine Ideologie. Radionachrichten muss man ab und zu hören, logisch. Falls nötig, schreibe ich auch für eine Zeitung, ich will das nicht ausschließen. Es ist einfach die Glaubwürdigkeit weg, dagegen bin ich machtlos. In einem Interview mit der Unizeitung EX ORIENTE aus Münster habe ich vorgeschlagen, die Schulen und die Zeitungen abzuschaffen :-) Man weiß sowieso, was in den Zeitungen steht, habe ich gesagt. Die Leute sollten lieber wieder dazu kommen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen und denen zu vertrauen. Keine Zeitungen mehr für mich! Ich habe mir einen mp3-Player gekauft und lade mir Sachen von GEO runter, die sind cool. Außerdem lerne ich grad Französisch und ziehe mir Edith-Piaf-Stücke und Literatur. Ein bisschen Stevie Ray Vaughn. Es geht mir seitdem besser.
Klar, ich vermisse auch etwas. Früher habe ich gern mal die Zeitung gelesen. Aber letztens lag eine verlassene Süddeutsche von heute in der Straßenbahn rum. Keine Reaktion meinerseits. Vielleicht geht das auch wieder weg, ich weiß es nicht. Es könnte auch eine Neurose sein. Man denkt, man macht seine Finger schmutzig, wenn man die Zeitung anfasst. Man ahnt, was da alles noch im Busch sein könnte... Halt! Das geht zu weit. Keine Ahnungen bitte, Empirie! Ich hoffe, dass ich ein paar aufschlussreiche und schöne Beiträge von außen bekomme, um neues Ver- oder Misstrauen schöpfen zu können. Ich versichere Ihnen, dass es ein gutes Gefühl ist, mal über diese Dinge zu sprechen. Was fällt Ihnen ein zum Thema Beziehung Redaktion/Journalist? Was können Sie beitragen, um diese Epistel, wie Friedrich Hitzer sie genannt hat, zu bereichern? Bestimmt gibt es vieles zu ergänzen. 
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