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ROCK'N'ROLL
Nachricht von Ozzy Balou
Eine Rekonstruktion
von Anis Hamadeh
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Einen Fall wie den des Ozzy Balou im Internet wieder aufzurollen, ist gar keine leichte Angelegenheit. Einerseits gibt es einen Kreis von Beteiligten, ja sogar mehrere Kreise, andererseits ist da eine anonyme Öffentlichkeit. Niemand kann sagen, wer diese Nachrichten liest und welche Entwicklungen sich daraus ergeben werden. Und so soll es ja auch sein. Als Simon, Maria und Carl mich zu Beginn der Woche um meine Mithilfe baten, konnten auch die Drei nicht wissen, wo die Sache hingeht. Angesichts einiger neuer Mails stellte sich noch einmal die Frage, welche Argumente und welche Meinungen man veröffentlichen sollte und ob man gar zensieren sollte. Das konnte ich nicht allein entscheiden. In einer Telefonkonferenz sprachen wir uns deshalb vor einigen Stunden zu viert ab. Es war ein wichtiges und durchaus kontroverses Gespräch. Hier sind die vier Beiträge des Tages:

(1) Ulrich S.: Bei der Razzia im Bluesland, als Ozzy abgeführt wurde, war ich dabei. Ich bin übrigens sehr erstaunt, dass man meine Email-Nummer so schnell herausgefunden hat. Nicht schlecht! Damals war ich Polizist und lief etwa zwei Jahre lang Streife im Schanzenviertel. Heute bin ich kein Polizist mehr, sondern Fotograf, aber das nur nebenbei. Ich kannte die verschiedenen Szenen ganz gut und mochte Ozzy, weil er meist unbekümmert fröhlich war und sich von keiner Seite vereinnahmen ließ. Ich mochte auch seine Musik. Es ist zutreffend, dass nicht alle meine Kollegen so dachten wie ich. Für einige war er ein schillernder Paradiesvogel, für andere gehörte er auch zum „Gesocks“ der linken Krawallmacher. Aber ich war bestimmt nicht der einzige von den Kollegen, der öfter mal ein BULLETS-Konzert besucht hat. Die Band war einfach gut, und Hamburg war schon immer eine Stadt, in der der Rock'n'Roll zu Hause war. In Eppendorf Hoheluft zum Beispiel, wo ich wohne und wo auch Ozzy zwischen 1990 und 92 lebte, gab es das immer.

Im Juni 91 bekam ich zum ersten Mal eine Ahnung davon, dass Rock'n'Roll nicht nur Musik ist. Und es war wirklich nur eine Ahnung, denn was da im Einzelnen geschah, habe ich leider bis heute nicht ganz verstanden. Deshalb bin ich auch sehr angetan von der Idee, es herauszufinden und gebe gern meinen Teil dazu.

Die Stimmung war eine andere als sonst. Wir alle waren nervös und auch genervt von den Ausschreitungen der Autonomen. Als Polizei war es nun einmal unsere Aufgabe, für Ordnung zu sorgen, und wenn da Leute waren, die Gewalt als Mittel der Politik ansahen, konnten wir wohl kaum dafür sein. Doch haben sie uns gleichzeitig gezeigt, dass wir letztlich auch nichts Besseres zu bieten hatten. Es waren kluge Köpfe darunter, und sie wurden auch nicht von allen Kollegen abgelehnt. Man darf sich das nicht vorstellen wie zwei starre Blöcke. Auch von unserer Seite gab es solche, die durchaus verstehen wollten, welches die Absichten der Hausbesetzer und der Autonomen waren. Der Vorwurf des „Establishments“ war allerdings auch nicht von der Hand zu weisen, dass viele der Linken nur billig wohnen wollten, ohne zu arbeiten, und dass sie sich in eine prinzipielle und unproduktive Opposition geflüchtet haben. Es gab tatsächlich einige darunter, die gar nicht reden wollten, sondern nur draufhauen. Es gibt eben solche und solche, wie überall. Für mich war die Konsequenz 1995, den Dienst zu quittieren, denn es drehte sich alles im Kreis, und es war kein guter Kreis. Es gab für mich mehrere Gründe, aber irgendwann war meine Zeit vorbei. Ich hatte einfach keine Lust mehr.

Ozzy Balous Position zu den Linken und den Autonomen war nicht einheitlich. Er war ein sehr politischer Mensch, aber er gehörte, so weit bekannt war, keiner Partei oder Vereinigung an, ja er stand nicht einmal einer solchen nahe. Dennoch haben einige ihn so verstanden, dass sie in ihrer Gewalttätigkeit bestärkt wurden. Ich weiß nicht, wie Ozzy das empfunden hat, ich weiß nur, dass er immer harmlos und aufgeschlossen war, wenn ich mit ihm zu tun hatte und ich finde es seltsam, dass es diese Gewaltvorwürfe gegen ihn gab, denn er war kein Schläger oder so. Ich meine, von John Lennon ist bekannt, dass er in der frühen Zeit, auch hier in Hamburg, mal in Schlägereien verwickelt war. Das wog aber damals noch nicht so schwer. Ich glaube, Lennon selbst hat sich in einem Songtext entschuldigt, war es nicht so? Irgendwo auf der SERGEANT PEPPER, ich habe sie jetzt nicht da. „I used to be cruel to  ... and kept her apart  ... from the things that she loved“. So ähnlich. Ozzy aber, der nie für so was bekannt war, wurde manchmal damit konfrontiert.

Die besagte Razzia jedenfalls zeigte schon, dass es unter der Oberfläche Spannungen gab. Ich glaube aber trotzdem, dass der Vorfall überinterpretiert wurde. Von irgendwelchen Verschwörungstheorien halte ich nicht viel. Da sollte man vorsichtig sein. Ozzy wurde zu einem meiner Kollegen hingeschubst, der mit dem Rücken zu Ozzy stand und also nicht sehen konnte, was hinter ihm geschah. Es waren etwa 180 bis 200 Leute im BLUESLAND, und wir waren zwölf Beamte. Horst, mein damaliger Kollege, stolperte nach vorne, fing sich aber, drehte sich um und langte sofort zu. Er sagte später, er habe gar nicht gewusst, wer es war, doch fühlte er sich angegriffen und handelte im Affekt. Ozzy fiel zu Boden, stand wieder auf und schrie: „Du verdammtes A ...!“ Dann hielten zwei Beamte ihn davon ab, sich auf Horst zu stürzen und Ozzy wollte sie abschütteln. Die ganze Sache dauerte nur ein paar Sekunden. Erst auf der Wache konnten wir die Situation klären. Es hat ja auch kein Verfahren gegen Ozzy gegeben. Man hat das dann im Sande verlaufen lassen. Es hatte sowieso nichts mit den Krawallmachern zu tun.

Was nun die Presse angeht, so ist mir nicht bekannt, dass jemand von uns sie mitgebracht hätte. Ich glaube, dass die beiden Reporter von der HAMBURGER POST und vom HAMBURGER BLATT einfach Besucher des Konzerts waren und deshalb vor Ort. Das wäre jedenfalls nicht ungewöhnlich. Es gibt noch einen der Kollegen von früher, zu dem ich bis heute Kontakt habe. Ich habe ihm Bescheid gesagt. Er stand Ozzy damals sehr kritisch gegenüber. Vielleicht meldet er sich später ebenfalls zu Wort, ich habe ihn jedenfalls darum gebeten.

(2) R. Baumann, Hamburg: Das habt Ihr Euch ja toll ausgedacht! Aber glaubt bloß nicht, dass da viele drauf reinfallen. Für mich ist das eine abgekartete Sache. Ich glaube, Ozzy hat das selbst eingefädelt. Ein PR-Gag. Kann ja sein, dass er wieder zurück ist, aber wen interessiert das schon? Und dann schön mit dem Elften September verbunden, damit es nicht so auffällt!!! Ozzy hat es damals nicht geschafft, und er schafft es heute auch nicht. Nur mit krummen Tricks. Ich bin ziemlich sicher, dass er mit Brecht und Co. in Kontakt ist. Versetzen wir uns doch in seine Lage: Er kommt nach Hamburg, und zu wem geht er da wohl? Bestimmt nicht ins Wachsfigurenkabinett. Aber so scheinheilig tun mit „Ich weiß, was du vorhast und wünsch dir viel Glück“ und „Ozzy wurde heute am Jungfernstieg gesehen“ und der ganze Quatsch. Aber wenn Ihr wirklich an der Wahrheit interessiert seid, dann werdet Ihr bestimmt erlauben, wenn ich darauf hinweise, dass Ozzy Balou oft überschätzt wurde. Sonst wäre ja auch nicht alles so gelaufen.

Ich war damals am Synthesizer bei den HOLOGRAMS und kannte Ozzy von Open-Air-Konzerten und Partys und anderswo. Als ich das erste Mal EVERYBODY TO BE FREE gehört habe, habe ich fast gekotzt. Unser guter Ozzy wollte sich nämlich zu so etwas wie einem Messias machen, wenn Ihr Euch mal daran erinnern wollt, und er war kurz davor, eine Art Sekte zu gründen. Das könnt Ihr sowieso nicht lange verschweigen. Und mit Drogen soll er auch zu tun gehabt haben. Aber wenn Ihr meinen Beitrag nicht druckt, dann weiß ich ja Bescheid. Der Typ war völlig abgedreht und das war ziemlich gefährlich, weil er einige Fans hatte, die für ihn alles gemacht hätten. Und jeder, der damals eines der Konzerte gesehen hat, weiß, wovon ich spreche. Der lebte doch nicht auf diesem Planeten! Sicher, er war nett und freundlich, aber das war nur die eine Seite. Er hatte immer Hintergedanken und man konnte nie wissen, woran man bei ihm war. Viel Vergnügen noch! R. Baumann

(3) Carl: Ich spreche hier für die Redaktion. Wir sind heute am Sonnabend etwas verunsichert wegen der Geister, die wir am Montag riefen. Deshalb möchte ich noch einmal auf unser Treffen in Altona zu sprechen kommen. Der Elfte September und seine Folgen haben wohl jeden von uns verändert. Für uns „Drei von der Tankstelle“, wie wir hier schon einmal genannt wurden, war es so, dass wir unabhängig voneinander sehr viel über die Zeit im BLUESLAND nachgedacht haben. Schon vor der Mail. Als Ozzy dann seine Nachricht schrieb, war das für jeden von uns ein Aufbruchssignal. Vieles von dem, was wir hier tun, ist rein instinktiv. Wir haben einfach ein starkes Gefühl, dass wir so handeln müssen, wie wir es tun. Wir denken nämlich, dass vor neun Jahren viele Fehler begangen wurden. Wir möchten nicht, dass diese Fehler im Großen wiederholt werden. Natürlich haben wir nicht viel Macht, aber wir haben ein wenig. Wir brauchen einfach einen neuen Diskurs, denn so etwas hat es damals nicht gegeben, und jetzt fehlt er schon wieder.

Nun zu der Mail von R. Baumann: Wir haben sie, wie man sieht, gedruckt. Nach langer Debatte. Alles andere hätte uns an dieser Stelle blockiert. Das mit den Drogen wurde Ozzy und anderen Besuchern des BLUESLAND öfter zu Unrecht angehängt. Unwahr ist auch, dass Ozzy eine Sekte gründen wollte. Das ist völliger Quatsch. Er sah sich zu keiner Zeit als einen Führer oder Guru oder so etwas. Er lehnte jede Art von autoritärem Dominanzverhalten ab. Er wollte eine Gruppe von Künstlern und Interessierten aufbauen und moderieren, so könnte man das sagen. Aber es kam gar nicht dazu. Er wollte die Leute zusammenbringen und das will eigentlich jeder Künstler und sowieso jeder Rock'n'Roller. Wenn er sich manchmal als Befreier sah, mein Gott, es gibt wahrlich Schlimmeres! Ich meine, wie soll sich ein Popstar fühlen: als Sklaventreiber? Es ist schon ziemlich blöd, wenn R.Baumann, der selbst Popmusiker ist, aus seinem Neid heraus und trotz besserem Wissen diesen Dreck verschleudern will.

Ozzy wurde manchmal so eine messianische Qualität bescheinigt, vor der viele Angst hatten. Aber das lag vornehmlich daran, dass die Leute auch gerne Angst haben wollten. Auch ohne Ozzy Balou. Er selbst hat sich nie so bezeichnet oder gesehen. Wenn er darüber gesprochen hat, dann nur in Reaktion auf die öffentliche Meinung. In der Anfangszeit der BULLETS hat er ein paar Bemerkungen gemacht, die er später selbst als unreif bezeichnet hat und über die er sich auch selbst lustig gemacht hat. Sehr gekonnt übrigens. Und jeder, der ihn kannte, wusste genau, woran er bei ihm war. Er hatte keine Geheimnisse oder Hintergedanken. Er war beziehungsweise ist einfach so. Das ist es ja gerade, was ihn ausmacht. Der plant nix. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber so ist es damals jedenfalls gewesen. Trotzdem sah es hinterher immer aus, als wäre es alles geplant. Komische Sache.

Was die Balou-Redaktion angeht, so gehört Ozzy definitiv nicht dazu. Wir wissen nicht, wo er ist und stehen nicht zu ihm in Kontakt. Es gibt auch noch ein paar Fakten, die R. Baumann nicht wissen kann. Ozzy würde jetzt nicht sofort zu einem von uns gehen, es ist ein Irrtum, so zu denken. Tja, so viel erst mal dazu. Es ist ein bisschen anders gekommen, als wir erst dachten.

(4) Mister Sunbird: Liebe Balou-Redaktion, na das ist ja eine witzige Sache, die Ihr Euch da ausgedacht habt. Und wie erfreulich, dass man bei Euch auch anonym bleiben darf. Es wird die Leserinnen und Leser interessieren, dass die Presse über den Zirkus hier informiert wurde, und wenn ich die Presse sage, meine ich die großen Medien, die Hamburger Medien und die Musikpresse. Irgendjemand musste es doch tun, oder wer sieht das anders? Gruß von Mister Sunbird

Redaktion in Hamburg und Kiel, 06.10.01

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