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ROCK'N'ROLL
Nachricht von Ozzy Balou
Eine Rekonstruktion
von Anis Hamadeh
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Hier sind die fünf Beiträge des Tages:

(1) Ozzy Balou: Nun ist es schon wieder Herbst. Ts ts. Die Zeit vergeht. Aber es sind ja durchaus noch manchmal ein paar schöne Stunden dazwischen. Ich hab gerade noch was zu erledigen und kann nicht so lange schnacken. Ich meld mich so in drei Tagen wieder. Make it shine, Ozzy.

(2) Ulrich S.: Ich denke, eine der zentralen Fragen ist, ob das BLUESLAND aufgrund von politischen Entwicklungen abgebrannt ist, oder ob es Einzeltäter waren. Wir waren damals alle irritiert. Es kam alles so unerwartet. Als es geschah, kam es uns schon gelegentlich wie ein Zeichen vor, dass etwas geändert werden muss. Aber es ist uns irgendwie entglitten. Mit den Tagen wurde immer undeutlicher, was es war.

(3) Rafiq S.: Ich bin gläubiger Muslim und lebe seit zehn Jahren in Deutschland. Ich bitte die Redaktion, diesen Beitrag zu korrigieren, weil mein Deutsch nicht so gut ist. Der Islam steht für soziale Gerechtigkeit. Natürlich ist das missbraucht worden, ebenso wie der Westen die Demokratie missbraucht hat. Für uns Muslime handeln die Amerikaner ungerecht und selbstgefällig. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass sie selbst etwas falsch gemacht haben könnten. Weil politische Mittel versagen, befürworte ich den Terror gegen den Westen. Anders können wir kein Gleichgewicht und keine Gerechtigkeit erreichen. Diesen Krieg kann Amerika nicht gewinnen, weil wir bereit sind, unser Leben zu opfern. Natürlich, das erschreckt viele, wenn ich so etwas sage, aber wenn ich heute durch Hamburg gehe, sehe ich überall Polizisten. Ich fühle mich bedroht. In die Moschee kommen kaum noch Leute, weil sie Angst haben.

Als der Anschlag des Elften September geschah, war ich zuerst für die Amerikaner. Ich habe früher nie Gewalt befürwortet. Ich habe an die Tausenden von Menschen gedacht und ihre Familien und Freunde. Es waren bestimmt auch Muslime darunter. Ich war auch gegen die Taliban, denn ich dachte, dass als Konsequenz dieser Tat jetzt auch die orientalischen Regierungen mithelfen müssen, gegen den Terror zu kämpfen. Dass Amerika jetzt zurückgeschlagen hat, ist deshalb für mich im Prinzip gerecht. Ich weiß nicht, ob bin Ladens Schuld erwiesen ist, denn Bush sagt ja, und bin Laden sagt nein.

Aber gestern in Wilhelmsburg ist eine Muslimin angegriffen worden, weil sie ein Kopftuch trug. Man hat es ihr heruntergerissen und ihr in den Magen geboxt. Andere Muslime sind nach dem Gebet aus der Moschee gekommen und von Passanten beschimpft worden. Die Polizisten sind überarbeitet, frustriert und absolut hilflos. Die Übergriffe fangen ja jetzt erst an! Die Presse schürt die Angst der Leute, denn sie malen all die Ängste auch noch aus, besonders diese Milzbrandsache. Das wird bin Laden bestimmt sehr gefallen. Sie schreiben vom religiösen Wahn und machen alle Leute verrückt. Das ist hysterisch. Das ist doch genau das, was der Westen dem Osten vorwirft: Irrationalität und Hysterie. Wer sind denn die Terroristen? Der Westen will ja den Krieg genauso wie bin Laden, sonst würde die Presse nie solche Dinge schreiben. Deshalb bin ich seit gestern für bin Laden, denn der steht wenigstens dazu.

Der Islam ist etwas anderes als der westliche Kapitalismus. Er basiert auf Moral und Hingabe. Das sind Dinge, über die man im Westen doch nur lacht. Im Westen will jeder bloß besser sein als sein Nachbar. Nein, ich habe jetzt gemerkt, dass es dem Westen überhaupt nicht um den Terror geht, sondern darum, dass er sich nicht kritisieren lässt. Die Kritiker sind der Gegner des Westens, nicht irgendwelche Terroristen. Denn der Westen will die Wahrheit nicht hören. Und es ist auch Neid im Spiel, denn sie würden gerne hingebungsvoll sein, und sie würden auch gerne einen Gott haben.

Ich bin Taxifahrer in dieser Stadt. Aber ich werde nicht mehr lange bleiben. Ich sehe meistens den Fernsehsender AL-JAZEERA aus Qatar über Satellit. Es ist das arabische CNN. Dort spricht der amerikanische Außenminister ebenso wie bin Laden. Ich glaube inzwischen auch an den Krieg der Kulturen und ich werde bald ausreisen. Ich kann meine Glaubensbrüder nicht mehr allein lassen. Ich komme mir hier in Deutschland zunehmend wie ein Verräter vor. In diesem Land zu leben, ist nicht mehr gut für die Muslime.

Ein Freund erzählte mir von Ozzy Balou und von der Chronik. Ich gab ihm diesen Brief zur Weiterleitung. In unserer sunnitischen Gemeinschaft gibt es einige, die sagen, dass er ein Gläubiger ist. Er kam auch damals hin und wieder am Freitag in die Moschee, heißt es. Aber er hat sich nie klar zum Islam bekannt und hat auch die Pflichten nicht eingehalten, also Gebet, Fasten und Alkoholverbot. Man kann nicht Christ und Muslim gleichzeitig sein. Was immer er also sagen wird, er wird nicht für die Muslime sprechen. Hamburg, 21. Radschab 1422 (08.10.01, die Red.)

(4) Kommentar der Redaktion: Die Redaktion distanziert sich von den Äußerungen von Rafiq S., dessen Name hier geändert wurde. Er gibt nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wir sind nicht bereit, irgendeine Art von Gewalt und Terror zu unterstützen oder zu dulden. Die Konsequenzen, die Rafiq S. also für sich zieht, sind falsch. Er macht sich durch seine Haltung genauso schuldig wie seine Gegner. Wir können einige Argumente durchaus verstehen, aber nicht die Schlussfolgerungen. Dennoch scheint es uns wichtig, diese Stimme anzuhören, denn sie ist real. Wir wollen verstehen, was auf der Welt passiert und nicht weghören, wenn jemand etwas sagt, das uns nicht passt.

(5) Claudia A.: Ich habe die Chronik bis zur neunten Nachricht jetzt gelesen. Ich finde es sehr mutig, was ihr da tut, aber ich glaube, es wird nicht viel bringen. Ich will euch ja nicht entmutigen, aber glaubt ihr wirklich, dass ihr etwas ändern könnt? Ich meine, es gibt viele, die so denken wie ihr, zum Beispiel die Friedensorganisationen. Es gibt mehr Pazifisten als ihr vielleicht denkt. Und diese ganze Problematik ist schon lange bekannt, das ist ja nichts Neues. Aber ich wünsche euch auf jeden Fall viel Glück weiterhin.

Redaktion in Kiel, 10.10.01

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