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ROCK'N'ROLL
Nachricht von Ozzy Balou
Eine Rekonstruktion
von Anis Hamadeh
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(1) Martin G.: Ozzy und ich haben im BLUESLAND öfters Billard zusammen gespielt. Besonders an den Sonntagvormittagen. Wir holten uns die Kugeln und nahmen den Kaffee mit in den Billardraum. Dort standen drei Pool-Tische und zwei Carambolage-Tische, ein kleiner und ein großer.

Ozzy kannte Carambolage nicht, bevor er ins BLUESLAND kam. Er kannte nur Pool. Er sah mich mit Herrn Jakubek spielen und war ganz fasziniert. Er hat stundenlang zugesehen. Dann kam er jeden Tag, solange, bis er es spielen konnte. Meistens spielten wir zuerst zwei Freie Partien und danach noch etwas Dreiband. Auch in der späteren Zeit spielten wir noch manchmal, aber seltener. Die Musik, ja, die habe ich mir ab und zu mal angehört, aber das war nicht so meine Richtung. Ich hörte damals elektronische Musik, und dann Rave.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man den Brand von damals aufklären kann, und ich denke auch nicht, dass das noch etwas bringen wird. Was auch immer damals geschehen ist, es ist lange vorbei. Hier Parallelen zur heutigen Zeit zu suchen, erscheint mir gesucht und übertrieben. Vielleicht ist es für die Leute von der Redaktion wichtig, oder auch für Ozzy, aber für die meisten Leute gilt heute genau wie früher, dass es sie einfach nicht interessiert.

Deshalb habe ich selber mich immer schon aus diesen Fragen herausgehalten. Man ärgert sich doch nur über die anderen. Ich hätte auch normalerweise nicht geschrieben, aber ich habe ein paar von den Nachrichten gelesen, und als ich heute morgen aufgewacht bin, musste ich an viele Sachen denken. Auch ich hatte nämlich ein paar Hoffnungen verloren, in der Zeit, als das BLUESLAND abbrannte. Deshalb möchte ich euch schreiben, dass ich bis heute keine Hoffnung sehe. Und so geht es bestimmt den meisten, die hier nicht schreiben, sie sehen einfach keinen Sinn, und das ist nicht einmal etwas Neues, so wie damals, als der Punk anfing. Es waren halt gute Zeiten dabei, und jeder muss für sich sehen, dass er oder sie vielleicht noch eine Scheibe vom Glück abbekommt.

(2) Hartmut F.: Mein Name ist Hartmut F. Ich habe zwar keine Erinnerungen an diesen komischen Ozzy Balou, aber ich bin hier in Hamburg in den Szenebars und kriege mit, worüber man so redet. Ich habe gelesen, was dieser Rafiq S. geschrieben hat und möchte darauf antworten. Mir ist nichts davon bekannt, dass es Übergriffe auf die muslimische Bevölkerung geben würde. Ich finde es weit überzogen, was Rafiq S. gesagt hat. Immerhin ist im Westen dieser Anschlag passiert. Dass es da Reaktionen auch in die andere Richtung gibt, ist wohl klar. Und wozu steht bin Laden denn? Er steht zum Terror und zu der Ansicht, dass alles erlaubt ist. Selbst wenn der Westen eine Mitschuld trägt, kann sich doch niemand ernsthaft auf die Seite eines bin Laden stellen.

(3) Mo: Wenn man eine Lösung braucht und die richtige nicht findet, dann findet man die falsche. Die Verdrängung, die jetzt stattfindet, ist dieselbe wie die Kriegsverdrängung nach 45. Da ich ohnehin nicht schlafen kann, werde ich mich zwischendurch ein paar Mal melden. Meine Meinung ist übrigens nach wie vor, dass dieses Projekt sehr sinnvoll ist, und besonders in dieser Zeit.

(4) Samira T.: Ich unterrichte Arabisch an der Uni und kenne Ozzy von früher, als ich noch in Hamburg studiert habe. Er hatte damals eine größere Aktion gestartet, um die Halb-Halben zusammenzubringen. Er meinte, dass wir dadurch, dass wir mit zwei Kulturen leben, eine eigene Sichtweise dem Leben gegenüber hätten. Und es stimmte auch, denn auf den Treffen, die wir organisiert hatten, verstanden wir uns sehr gut. Ich glaube, einmal haben wir gegrillt, da waren es 50 Leute, und einmal haben wir uns im BLUESLAND getroffen und im Sommer ein paar mal im Stadtpark beim Planetarium. Aber es ist nichts weiter daraus geworden, und es ist dann so versandet.

Wir hatten letztlich alle zu unterschiedliche Interessen. Politisch interessiert waren die Leute schon, aber es war mehr ein Gesprächsstoff. Wir waren eben Studenten. Wir wussten alle nicht so genau, was wir später machen wollten. Es schien auch nicht wichtig. Wir flogen alle paar Jahre mal in den Orient, machten irgendwelche Scheine und Praktika, waren auf Liebesjagd und pflegten unsere Problemchen. Da waren wir auch nicht anders als die anderen.

Ich hatte Ozzy nie auf der Bühne gesehen und hatte auch nie das Bedürfnis danach. Er hatte das eine Mal beim Grillen seine Gitarre mit und spielte irgendwelche Sachen von Fats Domino, aber ich fand das eher peinlich. Es war mir einfach unangenehm, ihn singen zu hören. Es war zu nah. So, wie er sang und spielte, verlangte er nach Aufmerksamkeit. Nicht wie die Straßenmusikanten, an denen man so vorbei gehen kann, es war irgendwie anders. Und wir wussten ja auch, das war Ozzy Balou, der die Band hatte und die Platten machte und alles. Es war schon eine seltsame Sache. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, denn er gab auch keine Hinweise.

Aber in einem Punkt hatte er sicher Recht: dass nämlich die Leute, die mehr von der Welt kennen, toleranter sind. Und dass es wichtig ist, für Toleranz zu kämpfen. Leider können sich die Leute nicht aufraffen. Aber vielleicht ändert sich doch etwas, denn die Beklemmung und die Orientierungslosigkeit der Leute wachsen.

Nicht nur in Hamburg. Heute bei uns in der Zeitung war ein Foto von Heide Simonis. Ich mag Heide Simonis, denn sie ist eine Powerfrau, sie versteht was von Politik, und sie ist nicht so langweilig wie die meisten anderen Politiker. Aber als ich das Bild heute gesehen habe, habe ich nur gedacht: Jetzt fällt es wirklich auf, dass sogar die hohen Politiker komplett verunsichert sind. Neben ihr stehen nämlich rechts und links zwei große Polizisten in voller Montur, mit Schilden, dunklen Helmen und Maschinengewehr. In der Mitte eine angestrengt lächelnde Ministerpräsidentin und die Worte: „Simonis – sicher bei der Polizei“. Darunter steht auch noch: „Besuch bei denen, die Sicherheit produzieren sollen“, als würde die Zeitung ein wenig darüber lächeln. Die weiß eben auch nicht mehr weiter. Also, das war so ein scheußliches Bild, und ich glaube, es geht vielen so wie mir, dass man jetzt noch mehr verunsichert ist.

Deshalb kann ich auch Ozzy heute ein bisschen besser verstehen. Wenigstens seinen Ansatz. Ich hatte aber nie gedacht, dass er etwas bewegen könnte, weil er einfach zu sehr in seiner eigenen Welt war. Er schien überhaupt nicht der Typ dafür zu sein. Und ich denke auch ehrlich gesagt nicht, dass überhaupt jemand etwas ändern kann. Leider.

Redaktion in Kiel, 12.10.01

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