(1) Ozzy Balou: Also Ulrich S., Oliver und Carl, da hatte ich aber schon mehr erwartet! Was ist denn los mit euch? Ulrich S. fragt, warum ich so ein Schreckensbild zeichne, da müsse wohl etwas falsch sein und zwar bei mir. Seine Auflösung ist, dass ich es aus Arroganz tue. Auch Oliver ist so drauf, er sagt, ich stelle mich über die anderen und deshalb sei mein Beitrag abzulehnen. Achtet mal darauf, wie nicht auf meine Argumente eingegangen wurde, sondern fast nur auf meine Person. Genauso habe ich mir das vorgestellt.
Die Fragen, ob Deutschland und vor allem, aus welchen Gründen Deutschland in neue Kriege zieht, werden bei meinen Kritikern lieber nicht im Detail thematisiert. Heute morgen schreiben die Zeitungen, dass Schröder jetzt Ernst macht. Deutsche Militäreinsätze stehen kurz bevor. Aus diesem Grunde möchte ich mein Argument des Atavismus etwas näher erläutern. Dass ich mich moralisch über die Bundesregierung stelle, sage ich nämlich nicht zwischen den Zeilen, sondern ganz offen. Und ich sage auch, dass jeder, der diese Art von Gewalt befürwortet, mir unterlegen ist. Er zeigt Fantasielosigkeit und Aggression. Wenn Leute des Friedens nicht moralisch höher stehen als Leute des Krieges, dann bedeutet das nämlich, dass die Werte relativiert sind. Nicht Frieden ist bei meinen Kritikern der höhere Wert, sondern Gewalt. Das ist – ich sage es noch einmal – ein niedriger Level von Zivilisation und diese Mentalität wird in anderen historischen Epochen überwunden sein, weil die Menschen nicht mehr den Kanzlern und Präsidenten glauben werden, die ihre Wahrheit durch Ermordungen und Gewalt begründen. Dass Bin Laden den Konflikt als erster hat eskalieren lassen, wenn er es denn war, ist unbestritten. Dass er ein Verbrecher ist, ebenso. Ich habe keine Sympathien für ihn. Er repräsentiert aber keinen Staat und er ist nicht gewählt worden. Das ist schon ein Unterschied.
Ich bin gerne bereit, mich auf meine Kritiker einzulassen, wenn diese bereit sind, sich auf meine Argumente einzulassen und nicht nur auf meine Person. So etwas werte ich als mangelnde Diskussionsfähigkeit. Ich lehne ja Leute auch nicht ab, weil sie eine andere Meinung als ich haben, sondern in diesem Falle war es, weil sie Gewalt ausüben oder befürworten. Wer denkt, dass ich für Bin Laden sein müsste, weil ich gegen Bushs Politik bin, denkt selber schwarzweiß. Ich bin aber jedem Kritiker aufgeschlossen, der mir den Begriff „Terrorismus“ so definiert, dass er auch nur halbwegs die innen- und außenpolitischen Maßnahmen der so genannten internationalen Front gegen den Terrorismus rechtfertigen kann. Aber das können sie nicht. Da sie aber trotzdem in einer solchen Welt leben, blenden sie lieber alles aus, was sie zum Nachdenken bringen müsste und bleiben auf der persönlichen Ebene. Ich habe dieses Verhalten lange studiert.
Mehrere Jahre lang lebte ich ganz allein. Wenn man ganz allein lebt, entfernen sich die Konflikte, die man in seinem Leben hatte. Man gelangt irgendwann zu einem Punkt der inneren Ruhe und versteht und verliert viele seiner Aggressionen, denn man muss sich nicht ständig gegen andere durchsetzen. Behaupten muss man sich schon, aber nur dem Leben gegenüber, nicht den Leuten gegenüber. Ich denke, Kriegsgedanken bekommt man nur, wenn man in einer großen anonymen Gesellschaft lebt, wo es unter der Oberfläche ständig Dominanzverhalten und Ungleichgewicht gibt. Man projiziert das nach außen. Die Befriedigung, die aus den Afghanistan-Angriffen erwächst, stammt nicht aus dem Recht, dieses Land anzugreifen, sondern ausschließlich aus der Bestrafungsqualität der Angriffe. Jemand soll büßen. Darum geht es. Ob die Leute, die jetzt in Afghanistan büßen müssen, auch schuldig sind, ist eine sekundäre Frage für die Kriegsherren. Das sollte man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, nicht die Frage, ob ich mich über jemanden stelle. So wichtig bin ich nämlich in diesem Zusammenhang gar nicht.
Das Problem mit der modernen westlichen Demokratie ist, dass sie kaum Instrumente für eine tatsächliche Toleranz nach außen hat. Nicht alle Länder dieser Welt leben bekanntlich mit unserem System. Aber wie geht die Demokratie damit um? Sie ignoriert dieses Thema weitgehend, denn es liegt außerhalb ihres Radius'. Sind aber die Staaten, die sich nicht an der westlichen Demokratie – oder was aus ihr geworden ist – beteiligen, deshalb schlechter? In Krisensituationen haben die westlichen Staaten jedenfalls immer den Joker, ohne viele Argumente andere Länder oder Kulturen abzuwerten und Feindbilder zu erzeugen. Sie brauchen nur zu sagen, dass sie undemokratisch sind, das reicht ja schon. Wenn man dann noch in diesen Ländern oder Kulturen Extremisten findet, die Gewalt gegen die Demokratie verüben, dann kann man alles Mögliche damit legitimieren. Und das wird ja auch getan.
Übrigens war ich früher ein großer Kritiker der Demokratie. Heute kommt es mir eher vor, als würde ich die Demokratie als Anwalt vertreten. Ich fühle mich heute mehr als irgendwann in meinem Leben als Demokrat. Unserem System der real existierenden Demokratie werfe ich vor, nicht demokratisch zu sein, bzw. nicht demokratisch genug zu sein. Eine Demokratie, die sich in Krisenzeiten selbst nicht mehr glaubt, sondern auf atavistische Gewaltmechanismen angewiesen ist, ist für mich nicht glaubwürdig und wird von mir bekämpft, weil sie gefährlich für die Masse ist.
(2) Maria: Heute im Zeitungsladen sah ich die neue Ausgabe von PSYCHOLOGIE HEUTE. Das hat mich veranlasst, einen Beitrag zu schreiben. Der Titel des Magazins ist „Melancholie. Das Gefühl, das uns klüger macht.“ Das kam mir ziemlich komisch vor, und da habe ich mal in das Heft reingesehen. Es geht dort um die „Ehrenrettung eines unzeitgemäßen und verkannten (!) Gefühls“ in unserer hedonistischen Gesellschaft. Dass viele Menschen sich eigentlich als Melancholiker sehen würden und diese Form der Traurigkeit sogar schätzen, da sie kritisch mache, hellhörig und hellsichtig. Ich war wie vor den Kopf gestoßen, denn genau das war es, was Ozzy früher immer gesagt hat: dass man die Leute energetisch niedrig halten will und dass man keine großen Leute in der Gesellschaft will. Was die Zeitschrift PSYCHOLOGIE HEUTE da schreibt, finde ich genauso schlimm wie die Kriegspropaganda. Da wird doch suggeriert, dass Melancholiker Helden sind, die gegen den Strom schwimmen. Da wird doch Masochismus propagiert. Und das heute, wo die Leute Kraft brauchen, um die komplizierten politischen Verhältnisse zu durchschauen und demokratisch daran mitzuwirken.
In den letzten Tagen habe ich sehr viel gelesen und nachgedacht. Ich sehe Zusammenhänge, die mir vorher nicht klar waren. Die ganze Protestantische Arbeiterethik mit ihrer Medizin-muss-bitter-schmecken-Einstellung wird mir langsam klar. Wenn es stimmt, dass es in Deutschland keine richtigen Stars geben kann, wie Ozzy früher behauptet hat und wie ich es langsam selbst denke, dann sagt das ja viel mehr aus. Es sagt etwas über die ganze Gesellschaft aus, nicht nur über das Musikgeschäft. Es geht ja darum, wie groß überhaupt jemand werden kann und darf in unserer Gesellschaft. Popstars stehen immer irgendwie außerhalb der Masse, denn sie sind frei. Sollten sie jedenfalls sein. Sie stehen allein auf der Bühne, und die Masse steht davor und schaut zu. Es geht dann auch lange nicht mehr um Ozzy, sondern er zeigt nur, was bei uns abläuft.
Das einzige, das ich weiterhin nicht genau weiß, ist, was man tun soll. Im Moment reden wir doch nur, so wie all die anderen. Können wir nicht mehr tun? Wie sollen wir jetzt handeln, mit diesem Wissen?
(3) Dieter Z.: Ich schreibe Musikbeiträge für die Zeitschrift POP CULTURE und kenne den Fall Ozzy Balou noch ganz gut. Ich möchte kurz aus meinem Hintergrund heraus den Punkt „Stars in Deutschland und international“ beleuchten.
Meiner Ansicht nach hatte Ozzy damals in wesentlichen Punkten Recht, nur konnte er nicht gleichzeitig ein Star sein und über solche Dinge sprechen. Es gehört schon zum Verständnis des Stars dazu, dass er über jede Kritik erhaben ist und in einer ganz eigenen Welt lebt. Ozzy tat das nicht. Er hat die Wechselwirkung betrachtet zwischen der Rolle, die er in der Gesellschaft einzunehmen glaubte und der Gesellschaft selbst. So hat man ihm den Musiker abgenommen, den Kritiker aber nicht, denn das passte für die meisten Leute nicht ins Bild.
Stars gab es seit Elvis Presley und früher. In den 60ern waren es allen voran die BEATLES, und auch QUEEN aus den 70ern würde ich noch zu den ursprünglichen Stars zählen, auch wenn sie bereits Sachen singen wie „I don't believe in Peter Pan, Frankenstein or Superman“ (BICYCLE RACE). Der Punk war dann die erste Art der Popmusik, die nihilistisch war. Seine selbst so definierte Botschaft war Ungläubigkeit, Zynismus und auch Hass. Die Musik war nicht konstruktiv und nicht ästhetisch gemeint, aber sie war hoch politisch. Es hat natürlich auch Punker gegeben, die produktive Botschaften ausgaben, Punk aber steht für etwas anderes. Er steht dafür, dass es keine Stars gibt. Keine der Größen des Punk war ein Star in dem Sinne oder wollte einer sein. Das hatte viele Gründe, auf die ich hier nicht eingehen kann. Und die Musik konnte das auch eindrucksvoll bestätigen. Um etwas kaputtzumachen, braucht man keine Ästhetik. Dennoch leitete der Punk sich im Urspung vom Rock'n'Roll ab und seiner rebellischen Attitüde.
Seit den 80er-Jahren und der Techno- und Rave- und HipHop-Bewegung waren die Discjockeys die Stars, aber sie gehörten zum Volk. Sie brauchten das Charismatische nicht mehr, weil von ihnen etwas ganz anderes erwartet wurde als von den Rock'n'Rollern. Das Publikum wollte keine kreativen Individuen mehr, zu denen es aufschauen und mit denen es sich identifizieren konnte, auf die es seine Wünsche projizieren konnte, sondern das Publikum verlangte nach Moderatoren mit gutem Geschmack, die sich um den Rahmen kümmerten, aber sonst auf Distanz blieben. Genau genommen wurde das Publikum zum Star. Auf der Tanzfläche konnte sich jeder darstellen, wie er wollte. Stars wie früher konnte es nicht mehr geben, denn die hätten das Publikum daran erinnert, dass Popmusik mehr ist als Konsum. Madonna und Michael Jackson widerlegen diese These keineswegs.
Auch in Deutschland war es so. In den 70ern gab es hier die besten Möglichkeiten, und die Gesellschaft brachte Stars wie Marius und Udo Lindenberg hervor, Rock'n'Roll-Stars. Dann kam die NEUE DEUTSCHE WELLE und mit ihr hervorragende Gruppen wie KRAFTWERK und TRIO. Auch RIO REISER hätte es verdient gehabt, größer zu werden. Meiner Ansicht nach ist die Gesellschaft nicht in der Lage gewesen, diesen Künstlern den nötigen Respekt zu zollen, da es Idealisten waren. Ich sehe das ähnlich wie Ozzy in einem höheren soziologischen und politischen Zusammenhang.
Sehr wesentlich finde ich in diesem Kontext die neue CD von Bob Dylan, LOVE AND THEFT. Und es ist bestimmt kein Zufall, dass Ozzy so auf sie abfährt. Es finden sich darin sehr viele und ungewohnt deutliche Anspielungen auf den Rock'n'Roll und auf Elvis. Nach meiner Ansicht spricht Bob Dylan hier von einer neuen Zeit, in der es wieder Stars geben wird. Man hört das deutlich im Song SUMMER DAYS, besonders in den Zeilen: „She says: you can't repeat the past, I say: you can't? What do you mean you can't? Of course, you can.“ Und das ist ein Rock'n'Roll-Song, der klingt nach SHAKE, RATTLE & ROLL aus einem von Elvis' ersten TV-Auftritten.
Redaktion in Kiel, 17.10.01
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