(1) Stefan B.: Nachdem ich Ozzy im Park gesehen hatte, habe ich mir natürlich die weiteren Beiträge durchgelesen, auch wenn ich die meisten Leute nicht kenne, die da schreiben. Jedenfalls muss ich sagen, dass ich mich inzwischen der Meinung anschließe, dass die Geschichte im Sande verlaufen wird. In den Szenebars redet keiner mehr von Ozzy. Ein paar Leute haben wohl in die Chronik reingekuckt, aber sie fanden sie eher uncool. Komisch eigentlich, vor zwei Wochen war das noch anders. Aber es war nur ein Strohfeuer. Im Moment reden die alle über Verona Feldbusch und Dieter Bohlen und die Heulerei bei Kerner im Fernsehen. Naja, über Milzbrand wird schon auch geredet. Ansonsten geht es um Tequila, Astra und Absinth. Aber es scheint auch alles gar nicht mehr so schlimm zu sein. Politisch hat sich ja alles wieder einigermaßen beruhigt. Ich lese bestimmt noch für eine Weile mit.
(2) Hanna G.: Vor zehn Jahren sang ich bei den MORNING FIRES, einer Rockband, die im BLUESLAND bekannt geworden ist. Heute habe ich die Band THE PIONEERS, die vor zwei Jahren einen Major Deal bekommen hat. Im BLUESLAND hat es immer Stars gegeben, es war anders, als in anderen Hallen. Gerhard, der Besitzer, war ein leidenschaftlicher BEATLES-Fan. Er wollte eine Atmosphäre schaffen und behandelte alle Musiker, die ihn überzeugt hatten, mit großem Respekt. Ich will das aber nicht idealisieren, denn es ging natürlich auch im BLUESLAND nicht alles reibungslos über die Bühne. Und irgendwann war die Zeit auch vorbei.
Als Ozzy und die BULLETS kamen, waren wir schon fünf Jahre im Geschäft. Die BULLETS haben sich schnell etabliert. Als ihre erste Platte rauskam, war das ein Ereignis. Der erste Song von dieser Platte, NEWS, hat mich so umgehauen, dass ich ihn selbst gesungen habe, als wir das nächste Mal im BLUESLAND spielten, nur fünf Tage später und wir haben damit unser Konzert eröffnet. Es ist ein Rock'n'Roll-Song mit einem eigentümlichen Rhythmus, nicht zu schnell, wie ein schweres Parfüm, mit viel Hall-Effekt auf der Gesangsspur. Es klang nach 1956 und dann wieder nach einer ganz anderen Zeit und es hatte bestimmt etwas von Aufbruch.
Künstler, die nicht in Aufbruchstimmung waren, fand ich immer schon langweilig. Das gilt heute immer noch, denn die Zeiten haben sich kaum geändert. Ozzy und ich haben uns immer gut verstanden, wir spielten ein paar Mal sogar zusammen auf der Bühne und machten auch eine Tour zusammen. Ich hatte nie verstanden, warum es mit den BULLETS nicht richtig weiterging nach dem großen Debut-Erfolg. Meiner Ansicht nach hatte Ozzy einfach immer so weiter gemacht wie vorher. Irgendwann merkte aber auch ich, dass ich Ozzy nicht mehr richtig folgen konnte. Ich verstand nicht, warum er sich nicht um Werbung und Marketing kümmerte und sich mehr darauf konzentrierte. Er hatte doch alle Möglichkeiten. Der Colonel war ja bekannt dafür, dass er seinem Schützling so gut wie jeden Wunsch erfüllte.
Es hatte wohl auch mit Ozzys Vorstellung von Erfolg zu tun. Wir waren uns einig darüber, dass man Erfolg lernen konnte. Wir waren uns auch einig darüber, dass Erfolg nicht bedeutet, dass die Leute einem hinterherlaufen, beziehungsweise es sollte nicht das erste Ziel sein, ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Er sagte immer, er sei Musiker und kein Bettler, also mache er Musik und bettele nicht. Der eigentliche Erfolg bestand für jeden von uns darin, gute Songs zu komponieren, aufzunehmen und zu spielen, wobei es natürlich eine subjektive Entscheidung ist, was man für gut befindet. Das kann einem nur das Gefühl sagen, oder vielmehr: Das merkt man als Songwriter sowieso ganz von selbst. Kritik gibt es natürlich immer, aber ich selbst habe nie die Kritik von jemandem ernstgenommen, der nicht selbst schon mal einen Song geschrieben hat. Sonst wäre ich wohl auch nicht so erfolgreich geworden, sondern hätte viel zu viele Selbstzweifel bekommen.
Ich kann gar nicht sagen, ob Ozzy damals mehr wollte. Es kam vielen so vor, als würde er sich nicht zufrieden geben können mit dem, was er erreicht hatte. Dass er zu hoch hinauswollte und es jeden spüren ließ, sodass es die meisten Leute nicht überraschte, als die BULLETS nicht mehr weiterkamen und sich schließlich auflösten. Aber wie gesagt, ich kann nicht sagen, ob es wirklich so war. Jeder konstruiert sich da so seine Version. Ich habe dann zwar selbst mit der Zeit den Kontakt verloren, war Ozzy gegenüber aber nicht negativ eingestellt. Meiner Ansicht nach hatte er den Erfolg, den er suchte, denn er hat mehr bewegt, als er dachte. Vieles davon hat er nur indirekt mitbekommen, anderes gar nicht. Als er ging, dachte ich: Er ist ein Teil von allen, denen er begegnet ist.
(3) Samira T.: Hier ist eine wichtige Ergänzung zum Thema gewaltlose Kindererziehung, das Ozzy in der 14. Nachricht angesprochen hat. Er sprach davon, dass der Kinderschutzbund eine zweifelhafte Terrorismusdefinition propagieren würde. Gerade las ich einen großen Bericht in meiner Lieblingszeitung darüber, dass das Recht auf gewaltfreie Erziehung jetzt im BGB verankert ist. Und nicht nur das: Die Kampagne „Mehr Respekt vor Kindern“ scheint wirklich Ernst gemeint zu sein, denn sie spricht unmissverständlich vom „Backpfeifenverbot“, das sind wirklich klare Worte. Und die Nachfrage scheint sehr groß zu sein. Hier steht, dass mittlerweile viele Eltern professionellen Rat suchen in der Frage, wie sie ohne zu schreien und zu schlagen zurechtkommen sollen. (Die Armen! Da kann man ja fast Mitleid kriegen.)
Bei uns in Schleswig-Holstein setzt sich übrigens besonders der Kinderschutzbund dafür ein, das sollte man hervorheben, denn der ist ja bei Ozzy nicht gerade gut weggekommen. Auch unsere Jugendministerin Anne Lütkes setzt sich sehr dafür ein, die scheint sowieso ziemlich gut zu sein. Vielleicht ist die Welt ja doch nicht ganz so schlimm, wie Ozzy befürchtet. Er sollte sich den Artikel in der KN also ruhig mal durchlesen (Seite 7: Backpfeifenverbot trägt Früchte). Wer das Thema interessant findet, kann beim Arbeitskreis Neue Erziehung in Berlin unter www.ane.de mehr erfahren.
(4) R. Baumann: He Ozzy Balou! Warum nennst du dich nicht gleich selbst Bob Dylan, dann kriegst du vielleicht wieder einen Plattenvertrag! Es hat schon viele gegeben, die versucht haben, Bob Dylan für sich zu vereinnahmen. Als er damals im Vietnamkrieg in Paris gespielt hat, da hatte er doch die amerikanische Flagge ganz groß hinter sich aufgebaut. Und er hat keins von den Protestliedern gesungen, die das Publikum von ihm erwartet hat. Es war ihm egal, was die anderen über ihn gedacht hatten. Damit wollte er zeigen, dass man sich nicht hinter ihm verstecken kann. Das singt er ja auch in IT AIN'T ME BABE. Außerdem soll Ozzy nicht so tun, als wäre er ein Engel, der keiner Fliege was zu Leide tun würde. Ich habe genug Geschichten gehört, das nimmt ihm sowieso keiner ab.
(5) Maja B.: Hier ist eine Definition von Terrorismus. Ich habe sie aus einem Leserbrief aus der FAZ, sie soll von Erhard Eppler von der SPD sein und lautet: „Terror ist privatisierte Gewalt, die global auftritt.“ Das entscheidende und für mich problematische Wort ist dabei „privatisiert“. Es suggeriert irgendwie, dass staatliche Gewalt per Definition nicht mit Terror in Verbindung gebracht werden kann. Das ist natürlich für die Regierungschefs eine schöne Definition. Die Staatsgewalt bekämpft die private Gewalt, ohne dafür von irgendjemandem zur Rechenschaft gezogen werden zu können, denn die staatliche ist erlaubt, die private nicht. Also ich fürchte, mit dieser Definition kommt man leider auch nicht viel weiter. Aber ich gebe nicht auf!
(6) Dieter Z.: Im Begriffsfeld von Soziologie, Gewalt und Popmusik scheinen mir auch die Begriffe der Ekstase und des Rausches zu liegen. Establishment steht ja immer für Kontrolle. Was hingegen der Popmusiker anstrebt, ist im Prinzip genau das Gegenteil. Das ist ganz wesentlich für das Verständnis jeder rebellischen Bewegung. Das Establishment hat den Vorteil, dass das Volk seine Maßstäbe relativ leicht nachvollziehen und verstehen kann, während die Popmusiker letztlich für die meisten Fremde bleiben. Die Popmusik hat dagegen den Vorteil, dass sie über Vertrauen wirbt und nicht über Angst. Indem ein Popmusiker seine Songs präsentiert, zeigt er viel von sich. Das Publikum macht sich das meistens gar nicht richtig klar, aber was der Musiker tut, ist Vertrauen aufzubauen, dadurch, dass er sich zeigt, wie er ist. Da seine Mittel und Methoden ganz andere sind und er sich den allgemeinen Konventionen nicht unreflektiert beugt, produziert er aber paradoxerweise ein Misstrauen und eine gewisse Angst. Er wird zu wenig berechenbar.
Auf der Bühne und beim Songschreiben erfahren viele Musiker einen Kontrollverlust, der die Basis ihres Schaffens bildet. Ob das Prince ist oder Paul Simon, Hendrix oder J.J.Cale. Wenn sie über die Entstehung ihrer Songs sprechen, wird das sehr deutlich. Man kann es auch einfach Inspiration nennen.
Diese Inspiration liegt sehr nahe am Rausch- oder Ekstasezustand, einem Zustand, der der Gesellschaft suspekt ist, was man daran erkennt, wie mit dem Thema in der Öffentlichkeit umgegangen wird. Drogenerfahrungen zum Beispiel, die dem Zweck dienen, sich selbst zu erforschen, und die in den 60-er und 70-er Jahren von vielen noch als normal empfunden wurden, zumal, wenn es sich um das Probieren oder um eine Phase handelte, sind heute wieder weitgehend tabuisiert. Die These vom „Recht auf Rausch“ war und ist ja heftig umstritten in der Gesellschaft. Es ist wohl die gesellschaftliche Kollektivangst vor dem Kontrollverlust, die auch für die Kluft zwischen inspirierten Künstlern und der Öffentlichkeit verantwortlich ist.
Die beste Quelle, die ich zu diesem Thema kenne, ist das Buch SÄNGER, SONGS UND TRIEBHAFTE REDE. ROCK ALS ERZÄHLWEISE von Jean-Martin Büttner (1997, Stroemfeld/Nexus-Verlag, Basel), ein ziemlicher Wälzer, und jede Seite ist ein Genuss.
Redaktion in Kiel, 23.10.01
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