(1) E. Solms: Ein früherer Kollege sprach mich darauf an, dass Ozzy Balou seit einiger Zeit wieder für Ärger sorgt. Ich war ehrlich gesagt damals froh darüber, dass er das Land verlassen hatte, und es gab einige Probleme, die mit seiner Abreise verschwunden waren, um es mal so auszudrücken. Ich hatte auch eigentlich nicht vor, mich zu Wort zu melden, aber nun habe ich doch mal in die Chronik reingeschaut und merke, dass Ozzy schon wieder vorhat, seine Nummer durchzuziehen. Was ich sehr erstaunlich finde, ist die Tatsache, dass hier der Fall Melanie K. noch mit keiner Silbe erwähnt ist. Dann werde ich das wohl nachtragen müssen, bevor irgendwelche falschen Sympathiebekundungen stattfinden. Ich stimme übrigens den Leuten zu, die hier gesagt haben, dass er es damals nicht geschafft hat und dass er es heute auch nicht schaffen wird.
Zunächst aber etwas zu meinem Hintergrund: Ich bin Wachtmeister Solms vom Revier in der Troplowitzstraße. Im Januar 89 zog Ozzy in ein Penthouse in der Kottwitzstraße, das ist bei uns gleich um die Ecke. Das erste Mal von ihm gehört haben wir ungefähr eineinhalb Jahre später. Es war wohl während einer Tourneepause der BULLETS. Zwei Beamte sahen Ozzy mit einer anderen Person auf dem Kinderspielplatz in der Kottwitzstraße einen Joint rauchen. Mitten auf dem Spielplatz. Währenddessen spielten sie mit Marmeln. Die Kollegen nahmen die Personalien auf und beließen es bei einer Verwarnung. Zwei Wochen später wurden fünf Personen am selben Ort beobachtet, die unerlaubtes Glücksspiel betrieben. Ozzy Balou war auch darunter. Sie hatten nämlich auf der Tischtennisplatte einen Roulette-Tisch aufgebaut und um höhere Summen gespielt.
In den knapp vier Jahren, die Ozzy in Hoheluft gewohnt hat, hatten wir mindestens zwölf Mal mit ihm zu tun. In den meisten Fällen war es harmlos oder sogar unbegründet, aber nicht in allen. Er hat jedenfalls gerne Mal Trubel veranstaltet und war uns gut bekannt. „Der Junge“ hieß er bei uns nur.
Einige Tage, bevor das BLUESLAND abbrannte, zog Melanie K. bei Ozzy ein, eine Szenegängerin. Im Oktober wurden wir angerufen wegen eines seltsamen Spruches auf Ozzy Balous Anrufbeantworter. Er meinte dort, dass er irgendein Haus in die Luft jagen würde. Jemand aus seinem Umfeld machte sich Sorgen und meinte, wir sollten doch besser mal nachsehen. Das taten wir auch, und alles schien in Ordnung. Ozzy meinte, er habe gerade ein paar Konflikte, aber das mit dem Spruch sei nur ein Missverständnis gewesen. Herr Paasch vom sozialpsychiatrischen Dienst in Eppendorf meinte, dass Balou psychisch labil sei. Der hatte ihn im Verlauf dieser Geschichte mehrmals aufgesucht, weil Melanie K. ihn darüber informiert hatte, dass Ozzy sie „mit den Händen fuchtelnd“ im Wohnzimmer in die Ecke gedrängt habe. Der Fall ging so weit, dass Ozzy Balou kurz davor stand, in die Psychiatrie eingeliefert zu werden. Das erübrigte sich aber, weil er das Land verließ. Es hieß, dass Ozzy versucht haben soll, Melanie K. zu vergewaltigen, denn sie erzählte es so einigen Freundinnen, vor der Polizei aber hat sie das nicht zu Protokoll geben wollen, und wir wollten uns da auch nicht einmischen. Meiner Ansicht nach hatte sie nur Angst davor, dass es negative Folgen für sie haben könnte.
So kann ich also nur zusammenfassen, dass Ozzy Balou kein Kind von Traurigkeit gewesen ist und mehr als einmal über die Stränge geschlagen hat. Und das können die Kollegen aus dem Schanzenviertel wohl bestätigen. Selbst Ulrich S., der kürzlich mit mir gesprochen hat und der zunächst eher auf Ozzys Seite war, hat ja inzwischen seine Meinung geändert. Abschließend möchte ich sagen, dass ich Ozzys Rechtfertigungen und Bekenntnisse für Schauspiel und reines politisches Kalkül halte. Er ist schlichtweg auf Seelenfang, und das erscheint mir als sehr unangenehm bis anstößig.
(2) Jens K.: Als ich gelesen habe, dass Mo der Tresenmann in der 18. Nachricht nach den eindrucksvollsten Erinnerungen an das BLUESLAND gefragt hat, wollte ich mich eigentlich sofort melden. Aber ich war mir nicht sicher. Im BLUESLAND war ich seit den späten 80-ern ungefähr einmal im Monat. Entweder zum Billardspielen oder zu einem Konzert. Das eine Mal aber war alles anders.
Gegen sieben Uhr abends war ich mit einem Freund zum Billard verabredet. Der Laden war noch einigermaßen leer, und ich erinnere mich daran, dass sie eine Platte von Neil Diamond gespielt haben. Mo polierte einige Gläser hinter seinem Tresen, an den Tischen saßen einige Leute und aßen Pizza. Kaum war ich drinnen, hatte ich ein ganz seltsames Gefühl. Als wäre ich in eine ganz andere Welt abgetaucht. Ich hatte unwillkürlich das Bild einer Schlange im Kopf, die sich häutet. Kein schlechtes Gefühl, im Gegenteil.
Beim Billard habe ich dann gespielt wie ein junger Gott. Ich konnte es mir selbst nicht erklären. Es lief einfach. Eigentlich hatte ich nicht viel geübt. Wir spielten Dreiband am großen Tisch. Wer Billard nicht kennt: Es geht darum, mit dem Spielball die anderen beiden Kugeln zu treffen. Wenn es gelingt, darf man weiterspielen, sonst ist der andere dran. Bei Dreiband muss der Spielball mindestens drei Banden berührt haben, bevor er den letzten Ball trifft. Das ist ziemlich schwierig, macht aber einen Riesenspaß. An diesem Abend habe ich eine 1,7 gespielt, das war allen unheimlich, die dabei waren. In 30 Aufnahmen waren es 51 Treffer. Mein Mitspieler hatte 7 Treffer. Es war wie in diesem Jerry-Lewis-Film oder bei Jekyll & Hyde: Alles klappte.
Damit fing es aber erst an. Gegen neun waren wir mit dem Spiel fertig, und ich ging zum Tresen, um ein Bier zu trinken. Da kommt diese Frau um die Ecke und sieht mich an. Sie sitzt hier übrigens neben mir und grinst. Gerade hat sie gesagt, ich soll schreiben, dass sie es gern öfter erlebt hätte, dass ich eine 1,7 spiele. Jedenfalls war es der aufregendste Moment, an den ich mich erinnern kann, als wir uns so ansahen. Sie war plötzlich stehen geblieben, als überlegte sie, ob sie noch einmal umkehren müsse, weil sie etwas vergessen hat. Dann ging sie an mir vorbei, und es war irgendwie klar, dass ich hinterhergegangen bin. Wir gingen auf die Damentoilette. Ich glaube, nach all den Jahren können wir darüber reden. Es war schon ziemlich irre, und uns war beiden noch nie so etwas passiert. Sara meint, es wäre die Atmosphäre des BLUESLAND gewesen an diesem Tag.
Als wir wieder nach oben gingen, bemerkten wir erst, dass der Laden inzwischen schon recht voll war. Wir waren gar nicht auf dieser Welt und wollten eigentlich auch gleich verschwinden. Ich holte mein Queue aus dem Billardraum und verabschiedete mich von meinem Kumpel. Sara wartete am Tresen, und als ich zurückkam, saß sie an einem der Tische, weil sie dort eine Freundin gesehen hatte, und ich setzte mich dazu. Wir blieben noch eine Weile dort sitzen, und dann brach das Feuer aus.
Es kam alles so unerwartet. Und sehr schnell. Es muss ein Luftzug oder so etwas gewesen sein, jedenfalls war innerhalb von Minuten die Hölle los. Es war sehr viel Holz im BLUESLAND, die Decken, zum Teil die Wände. Der Rauch und die Flammen kamen aus dem Keller, wo wir noch eine halbe Stunde vorher gewesen waren! Ich erinnerte mich dunkel daran, dort einen Benzingeruch und etwas undefinierbares anderes bemerkt zu haben, aber ich hatte, wie man sich denken kann, wenig darüber nachgedacht. Eine Feuerzunge kam aus der Richtung der Eingangshalle und versperrte den Weg nach draußen. In dem Rauch konnte man kaum etwas sehen. Dann brach Panik aus. Leute schrien, Tische fielen um, Leute rannten einander um. Weil man nach vorne nicht rauskam, drängten sich die Besucher durch den engen Hinterausgang und die Fenster, aber man kam kaum durch. Inzwischen brannte auch schon das obere Stockwerk.
Sara und ich waren die einzigen, die keine Panik hatten. Es war der unglaublichste Tag unseres Lebens. Wir konnten uns durch ein Fenster retten, gerade, als die Feuerwehr eintraf. Ich weiß nicht, ob es Mo so gut gefällt, wenn ich ausgerechnet mit einer Erinnerung dieses speziellen Tages ankomme, auch wenn er letztlich darum gebeten hat. Aber er stand am Tresen, als Sara mir begegnet ist, und er hat nie erfahren können, dass wir miteinander glücklich geworden sind.
(3) Dieter Z.: Eine kurze Ergänzung zum Thema Rock'n'Roll-Lüge. Ich stimme vielem zu, was Roger B. in der 17. Nachricht gesagt hat. Trotzdem denke ich, dass die Rock'n'Roller von damals den Grundstein für eine gesellschaftliche Befreiung geschaffen haben, die in den 50-er Jahren etwa gleichzeitig mit dem Fernsehen und eigentlich auch mit Hollywood entstand. Diese Medien waren damals neu, und man kann nicht mit den heutigen Maßstäben herangehen und sagen, sie hätten sich alle an Hollywood verkauft.
Der Materialismus gehörte bestimmt zu den eher infantilen Begleiterscheinungen der Bewegung. Freiheit schien tatsächlich erst einmal Geld zu bedeuten. Aber denken wir auch daran, dass Elvis den Mann emotional befreit hat. Er war der erste, dessen Rebellion sozusagen mit den Waffen einer Frau, mit Charme siegte. Der erste, der sich auf der Bühne dabei frei bewegte. Er gab damit ein völlig neues Muster vor, ein neues Männlichkeitsideal, stark, frei und schön, und dabei völlig antiautoritär. Das war auch letztlich der Grund, warum er 1956 trotz des großen Erfolges viele Kritiker hatte: Er bekam seine Autorität dadurch, dass er geliebt wurde, nicht dadurch, dass er gefürchtet wurde, wie es anderswo in der Gesellschaft geschah. Im Grunde hat er die Antithese zu Hitler gebildet, der ja gerade mal zehn Jahre tot war, als Elvis kam.
Spätere Generationen profitierten von diesen Anfängen und entwickelten die Jugend- und Rebellionskultur weiter. Ich denke nicht, dass es ausgerechnet der Punk gewesen ist, der eine positive Wende und eine Abkehr vom Materialismus eingeleitet hat, denn wenn der Punk dem Rock'n'Roll vorwirft, nichts erreicht zu haben, dann sollte man sich fragen, was denn der Punk letztlich erreicht hat. Aber die Musikgeschichte geht ja noch weiter. HipHop, Rap und Rave sind sicher nicht das letzte Wort.
Redaktion in Kiel, 27.10.01
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