(1) Mike Roberts: Wie kann jemand so dreist sein zu sagen, Hollywood hätte den Elften September herbeigeredet! Soll das vielleicht heißen, wir hätten selbst Schuld? Haben die Terroristen vielleicht auf unseren Wunsch gehandelt und auf unsere Aufforderung? Und als hätten die Amerikaner Hollywood erfunden! Hollywood ist doch nichts als die Welt der Geschichtenerzähler und der Mythen und Sagen, die hat es zu allen Zeiten gegeben. Ich möchte darauf hinweisen, dass hier mindestens ein Amerikaner mitliest.
(2) Simon: Beim letzten Mal war ich ziemlich wütend. Ich habe überlegt, meinen letzten Beitrag zu überarbeiten, habe es aber doch nicht gemacht. Ich war eben wütend. Dadurch, dass ich so abgelästert habe, konnte ich mich abreagieren. Wenn ich es jetzt ändern würde, müsste ich ja wieder wütend werden. Man muss auch mal „Knallchargen“ sagen können, wenn die Situation so ist. Es kommt ja nicht von ungefähr.
In der deutschen Presse gibt es Zensur. Man muss das ab und zu erwähnen, weil es unserer Verfassung widerspricht. Es kann natürlich sein, dass die Europäer nach ihrem Gipfel beschwichtigend auf die Amerikaner einwirken können, aber was heißt das schon? Amerika ist immer noch der Übervater. Die Tendenz der Kriegsgegnerschaft aber wächst, und das merkt man auch in der Presse. Da sind derzeit zwei klare Linien zu sehen und die der Gewaltgegner gewinnt an Stärke. Man sieht das daran, wie über die Bomben berichtet wird. Wolf von Lojewski zum Beispiel. Er hat in den letzten Tagen im HEUTE-JOURNAL jeweils 15 Minuten verwendet auf die Themen „Gotthard-Tunnel“, „Milzbrand-Fehlalarm“ und „Schäuble“. Er spielt den Afghanistankrieg herunter und füllt die Zeit mit unwichtigeren Dingen. Auch der DEUTSCHLANDFUNK und Teile der ARD und des NDR sind dabei, überhaupt das Fernsehen. Da wird sehr viel manipuliert, um die Bürger für dumm zu verkaufen. Natürlich gibt es auch Gegentendenzen. DER SPIEGEL erholt sich gerade wieder, aber das kann man noch nicht richtig sagen. Uli Wickert lässt sich nicht kleinkriegen, wie auch die GRÜNEN, die jetzt endlich von „kritischer Solidarität“ reden. Ich meine, wir sprechen hier nicht über Anti-Amerikanismus, sondern über unsere Demokratie und unschuldige Tote, die wir selbst verantworten müssen. Wer diese Debatte nicht führen will, ist kein Demokrat.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die USA zu den ganz wenigen Ländern gehört, die sich derzeit gegen den internationalen Gerichtshof stellen, der in Den Haag entsteht. Sie wollen nicht dazugehören. Sie sagen, sie werden nicht zulassen, dass amerikanische Soldaten von Nicht-Amerikanern gerichtet werden. Und das ist genau typisch für sie. Sie haben aktuell sogar einen Beschluss gefasst, nachdem sie militärisch in Den Haag einmarschieren können, sollte ein Amerikaner als Kriegsverbrecher angeklagt werden. REPORT hat gestern darüber berichtet. Clinton hatte damals unterschrieben, aber jetzt wird es zurückgezogen. Die anderen Länder, die den internationalen Gerichtshof ablehnen, sind der Irak, Libyen und Afghanistan. Na gut, dieser Absatz war anti-amerikanisch. Aber das liegt nicht an mir, sondern an Amerika.
Maria, Carl, Bernd (der Autonome), Ozzy und ich haben uns gestern bei mir getroffen. Ozzy wohnt jetzt auch bei mir. Wir sind übereinkommen, dass wir diesen Weg weitergehen werden. Ozzy hat gesagt, dass es gut werden wird. Wir fühlen uns stark.
(3) Marco H.: Ich bin Schriftsteller in Hamburg und lese seit kurzem die Chronik. Ozzy kenne ich nicht. Einige Bemerkungen über die Freiheit der Kunst fand ich sehr anregend, und ich sehe viele Ähnlichkeiten zwischen Malern, Musikern und Schriftstellern. Mit dem Begriff „Albtraumkunst“ kann ich etwas verbinden. Als ich anfing zu schreiben, hatte ich große Schwierigkeiten damit, ernst genommen zu werden. Und es gab kein Feedback. Die Angst der Gesellschaft vor der Kunst liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass Künstler ihre Werte und Normen aus der Kunst selbst entwickeln. Wenn mir ein gutes Gedicht gelungen ist, dann bekomme ich davon Kraft. Es ist Erfolg. Der beeinflusst mich. Es ist eine andere Art von Erfolg als Geld oder Macht. Er ist nicht richtig messbar.
Viele von meinen kritischen Gedichten wurden jahrelang ignoriert. Die Leute wussten nicht, ob ich das sagen darf, was ich im Gedicht gesagt habe. Da haben sie es lieber ignoriert. Erst als ich mit meinem vierten Buch öffentlichen Erfolg hatte, wurden auch die anderen Bücher gelesen. Natürlich frage ich mich auch selbst, ob ich bestimmte Sachen sagen kann oder nicht, und es gibt einiges, was ich selbst zensiere. Ich spüre, wenn ein Text nicht rund ist. Dann suche ich, bis ich den Satz gefunden habe und untersuche seine Wirkung auf mich. Es ist aber keine richtige Analyse, mehr ein Gefühl. Instinkt. Und ich denke, das ist gerade ein Merkmal der Kunst, dass sie eben nicht von den Werten und Normen bestimmt wird, die von außen kommen.
Noch ein Wort zum Thema „Botschaft“. Vor einigen Jahren ist der Kunstprovokateur Christoph Schlingensief von der Deutschen Bank beauftragt worden, eine Aktion zu organisieren. Das einzige, was Schlingensief einfiel, war, Geldscheine vom Bankgebäude zu werfen. Anders könne man niemanden erreichen, meinte er. Ich hoffe, die Geschichte stimmt so, ich habe es so in Erinnerung. Aus dem Projekt wurde übrigens nichts. Ich denke auch, dass Botschaften bis in die Mitte der 70er Jahre funktionierten, und dann nicht mehr. Natürlich gab es immer Botschaften in der Kunst, und es gibt ja auch seit den 90ern den boomenden Esoterikbereich, aber insgesamt wird meiner Ansicht nach die Ausbildung von starken Charakteren in unserer Gesellschaft unterdrückt. Dadurch dringen auch starke Botschaften nicht mehr in die Gesellschaft hinein. Man traut niemandem wirklich etwas zu. Es wäre schön, wenn sich das mal ändern würde, denn unser Land stagniert schon lange, und es ist ein großer Mief.
(4) Karin R.: Fast die ganzen 80er Jahre hindurch ging ich ins BLUESLAND. Es war wie eine Insel für mich in einer sonst ziemlich tristen Welt. Am Schönsten fand ich es, wenn spontan jemand auf die Bühne ging und etwas vortrug. Das geschah öfters. Die Bühne war ja immer da, und es stand meistens ein Klavier dort, und eine Gitarre. Aber es wurden auch Gedichte vorgetragen. Es war schon etwas Besonderes im BLUESLAND, denn anderswo haben sich die Leute nicht so unterstützt wie dort. Ich erinnere mich, wie Ozzy eines Abends mit einem Zettel durch die Eingangstür kam und sofort auf die Bühne lossteuerte. Er grinste uns an und sagte: „Ich habe gerade einen neuen Song geschrieben, den müsst ihr hören!“ Dann spielte er GOODNIGHT LOUISE. So etwas gab es sonst nirgends in der Stadt. Mo hat nach den bedeutungsvollsten Momenten gefragt, und mir ist sofort eine Geschichte eingefallen. Sie ist nicht sehr schön, aber sie passt ganz gut in die Diskussion.
Ich war damals zwanzig und von Zuhause ausgezogen. Genauer gesagt gab es Streit, und ich habe meine Eltern drei Jahre lang nicht gesehen oder gesprochen. Es gab einige wenige gemeinsame Bekannte, sodass wir immer ungefähr wussten, was auf der anderen Seite los war. Ich hatte gerade mit einer längeren Beziehung Schluss gemacht und war in einer eher einsamen Phase. Da kam ein Brief von meinem Vater. Ich wollte ihn nicht Zuhause lesen, und so ging ich ins BLUESLAND und bestellte dort einen Cappuchino. Ich hatte sehr gemischte Gefühle, als ich den Brief öffnete. Da war einerseits die Hoffnung, dass er sich möglicherweise geändert hat, nicht mehr so besitzergreifend war und dominant, andererseits die Angst, wieder verletzt zu werden.
Er hatte sich nicht verändert. Er schrieb vielmehr, dass er die Hoffnung hat, dass ich mich ändere. Er zählte eigentlich nur alle meine Schwächen auf, die er wusste, machte die üblichen versteckten Vorwürfe, um mir gemäß der Familienpolitik ein schlechtes Gewissen zu machen und dann schrieb er: „Wir lieben dich, und wir glauben, dass es das Beste ist, wenn wir dich in der nächsten Woche besuchen kommen.“ Nach drei Jahren. Er hatte gar nichts verstanden. Er konnte nicht verstehen, dass er nicht alles zu bestimmen hatte. Er war immer noch wütend auf mich, weil ich ihm nicht gehorchen wollte. Ich weiß noch, wie wütend und verletzt ich war, als ich das las. Äußerlich gab er sich Mühe, auch bei den Formulierungen, aber er sagte dasselbe wie früher. Ich war ihm schon damals weit überlegen, und er konnte das nicht akzeptieren. Erst einmal, weil ich eine Frau bin. Und dann, weil ich seine Tochter bin. Er denkt bis heute, dass Gerechtigkeit ist, wenn ich mich beuge und nur die Dinge sage, die ihn nicht stören. Mir ist damals klar geworden, dass ich ihn nicht mehr lieben wollte, weil er mir nur weh tat. Sein Leben bestand insgesamt größtenteils aus Schmerz und Überwindung.
Hier wird viel über Gewalt gesprochen und ich bin froh darüber, dass es mal jemand tut. Auch ich bin geschlagen worden. Eltern verstehen meistens nicht, dass sie ihre Kinder mit so etwas kaputt machen, weil sie selbst schon kaputt sind. Sie nehmen es nicht ernst genug. „Sind so kleine Hände ...“, ja, das ist doch nur ein Lied, das ist kein Geld. Meine Eltern glauben nur an Geld und Autorität. Alles andere ist zwar da, aber nicht wichtig. Immer, wenn es um wichtige Entscheidungen ging, wurde in unserer Familie nach diesen beiden Kriterien gehandelt. Oft hatte ich versucht, mit meinen Eltern zu reden. Viele lange Briefe habe ich geschrieben. Aber sie konnten die Kritik nicht vertragen und haben sie einfach ignoriert. Es mir noch als Schwäche ausgelegt. Immer, wenn sie etwas nicht hören wollten, haben sie einfach so getan, als hätte ich nichts gesagt oder als wäre ich krank oder dumm. Das war sehr erniedrigend, denn ich war ihnen weit überlegen. Oder sie haben die einen Dinge gesagt und die anderen getan. Sie haben immer gesagt, dass sie mich lieben, aber sie wissen nicht, was Liebe ist. Sie denken, was sie mit mir gemacht haben, wäre Liebe gewesen. Es ist sehr traurig.
Ich habe meine Eltern nie wiedergesehen und will es auch nicht mehr. Ich bin froh, dass sie ganz aus meinem Leben raus sind. Es ist mein Leben. Wenn sie mich nicht nehmen können, wie ich bin, und wenn sie mich nur als Projektionsfläche ihres eigenen Fehlverhaltens benutzen, kann ich nichts mit ihnen anfangen. Nach meiner Erfahrung und der meiner Freunde wollen sich Eltern durchsetzen, weil sie selbst als Kind schlecht behandelt wurden. Es fehlt sehr viel Bewusstmachung, denn ich weiß, dass es Millionen von Söhnen und Töchtern in aller Welt so geht. Solange die Eltern nicht verstehen, was sie falsch gemacht haben, machen sie es immer wieder falsch. Heute leben meine Eltern noch so wie früher und grämen sich, weil ich weg bin. Ich habe mich daran gewöhnt. Ich kann auch kein Mitleid haben, denn sie wollen in diesem Elend leben, das sie Normalität nennen, und sie sind sehr arrogant. Aber ich wollte Glück. Und ich bin heute sehr viel glücklicher als früher. Ich bin doch nicht verdammt dazu, im Elend zu leben, weil andere es so wollen! Und seien es die eigenen Eltern. Von uneingeschränkter Solidarität halte ich gar nichts.
Redaktion in Kiel 06.11.01
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