home   ao english   musik   literatur   journalismus   bilder   sprachen   mehr   shop   sitemap

ROCK'N'ROLL
Nachricht von Ozzy Balou
Eine Rekonstruktion
von Anis Hamadeh
vorige DIE 27. NACHRICHT nächste

(1) Ozzy: Ich habe gestern die Presse studiert und kann sehen, dass die Deutschen sich für den Weg der uneingeschränkten Solidarität entschieden haben und den militärischen Weg gehen wollen. Dagegen kann ich nichts tun. Wenn sie es wollen, werden sie es tun. Da einige Journalisten und vielleicht sogar einige Zeitungen mitlesen, möchte ich sagen, dass ich die Kommentare gestern sehr aufmerksam gelesen habe. Entschlossenheit zum Kanzlerwort las ich darin. Außer bei der TAZ. Ich selbst denke seit vorgestern, dass es Anfänge von totalitärem Verhalten gibt und entsprechende Mechanismen. Denn die Amerikaner haben keine klar definierten Ziele, sei es militärisch, sei es, was die Beschreibung des Gegners angeht. Und sie teilen die Welt in Feinde und Freunde des „Bösen“, welches sie „ausrotten“ wollen. Das ist Fascho-Sprache, da gibts wohl gar nix. Wer mir sagt, ich würde selbst die Welt so einteilen, den erinnere ich daran, dass ich keine Bomben werfe und keine Häuser in die Luft jage. Außerdem ist es auch nicht ganz so, denn ich teile die Welt nicht so strikt in Feind und Freund ein. Glaube ich jedenfalls.

Ich weiß, dass man Bush nicht mit Totalitarismus in Verbindung bringen soll, aber die Faktenlage ist nun mal so. Bush findet die nötige Solidarität nur, wenn er einen Feind bieten kann, und „Terrorismus“ ist kein Feind, sondern ein abstrakter und relativer Begriff. Selbst wenn die Taliban vernichtet sind und alle Leute, die ihr vernichten wollt, ihr werdet nichts gewonnen haben, aber überhaupt nichts. Das Gefährlichste ist eben, dass der Feind nicht definiert ist. Das führt zwangsläufig und schnell dazu, dass alle Rastermerkmale automatisch zu Feindbildern werden. Dieser Prozess hat bereits angefangen, deshalb bin ich auch in diesen Tagen so knallhart. Nicht nur al-Qaida ist jetzt der Feind, sondern schon die Taliban, und innerhalb von kurzer Zeit werden mehr dazukommen, weil Amerikas jetzige Politik das auf jeden Fall provoziert. Heute sind z.B. 75% der Bevölkerung des Nato-Partners Türkei gegen Amerika. Ich will auch keinen Terrorismus, nein, und ich kämpfe auch gegen den Terrorismus. Wer jedoch Terrorismus mit Krieg bekämpft, ist meiner Ansicht nach nicht sehr intelligent. Was jetzt getan wird, schürt den Terrorismus. Die Weltlage eskaliert. Man hätte das verhindern können. Man kann immer noch viel verhindern.

Ein offenes Wort an die Zeitung, die mit verdeckten Karten spielt: Ihr habt unter anderem „Licht aus“ geschrieben, und ich nehme das als eine Anspielung, denn es ist bekannt, dass ihr mitlest, und so werden es auch andere als Anspielung verstanden haben können. Ich wollte nur sagen, dass es mich traurig gemacht hat, nicht wütend. Wer ist eigentlich euer Feind und warum? Außerdem habe ich selbst nicht gewusst, dass ich euch so sehr beeinflusst habe, denn es hat ja niemand mit mir geredet. Ich hoffe nur, dass ihr das nicht eure eigenen Leute ausbaden lasst, die mich mögen, denn das wäre nicht fair. Es würde nur beweisen, dass es doch um die Kritiker geht und nicht um die Terroristen. Und es hätte lange nichts mehr mit mir zu tun. Argumentieren ja, sein wie man ist, ja, aber keine Unterdrückung! Dann seid lieber ehrlich und schreibt: „Ozzy Balou ist ein ...“ und setzt für die drei Punkte ein Wort eurer Wahl ein. Aber zu merken, wie ihr mit mir redet und mich dabei trotzdem ausgrenzt, als wäre ich es nicht wert, wahrgenommen zu werden, nein, das akzeptiere ich nicht. Das hatte ich schon.

Die Presse schreibt heute über die Arbeitslosigkeit. Ein guter Tag dafür, ja, ich verstehe. Auch schreibt sie von einer Studie, nach der die traditionellen Werte wieder im Kommen seien, und vor allem, dass die Familienwerte wieder hoch geschätzt werden. Ich denke, diese Nachricht beweist, dass es die Angst ist, die die Leute zusammenschweißt, wie in der 25 ausgeführt wurde. Es klingt aber nicht sonderlich überzeugend, eher wie Wunschdenken. Es klingt auch sehr nach der Furcht davor, dass sich die Kinder von ihren Eltern abwenden könnten. Nein, unsere Familien sind überhaupt nicht in Ordnung. Hier kommen nämlich genau die Gewaltmuster her, die heute in der Gesellschaft wiederaufbrechen. Die Konservativen können die Gewalt auf die Terroristen schieben, sie können sie auf die Ausländer schieben und auf die Homosexuellen, sie können sie auf die Kiffer schieben und auf die Jugend, auf die Kritiker und die Pazifisten, und doch sind sie es selbst. Sie selbst sind es, die zu keiner anderen Lösung kommen als zur Gewalt.

Der Journalist Ruprecht Eser sagte vorgestern clausewitzig in seinem Kommentar im HEUTE-JOURNAL, dass die Deutschen nun auf schmerzvolle Weise erwachsen geworden seien. Ich sage euch Journalisten, macht nur so weiter! Erzählt den Leuten nur, dass Erwachsenwerden bedeutet, Gewalt als Mittel der Politik einzusetzen. Denn dann werden immer mehr zuhören, was Ozzy Balou zu sagen hat. Ja ja, die Deutschen haben jetzt den Status der Siegermächte, und die Nachkriegszeit ist vorbei, sagte Sigmund Gottlieb im Kommentar der TAGESTHEMEN, ja ja, ihr werdet schon sehen, wo das hinführt. Es soll sich niemand einbilden, dass da irgendjemand schmerzvoll erwachsen wird. Schmerzvoll ja, aber nicht erwachsen.

Deshalb fordere ich progressive Veränderungen, um zu einer ehrlichen und offenen Demokratie zu finden. Ich bin kein Führer, denn ich sage niemandem, was er zu tun hat, aber ich bin da. So wie viele andere, die nicht einfach dabei zusehen können, wie Konflikte hin und her geschoben werden. Dies ist die neue Zeit. Nicht Bush.

(2) Maja B.: Marion fragte mich, ob die Rollen bei gleichgeschlechtlichen Paaren anders verteilt sind. Also, ich kann aus meiner Erfahrung und aus Gesprächen sagen, dass es viele Muster gibt, die für alle möglichen Beziehungen gelten. Die Geschlechterrollen werden ja sehr früh anerzogen, beim Spielzeug und bei Spielen beispielsweise. Auch in den Hörspielkassetten, die die Kinder hören, ist meistens der Junge der Bestimmer und der Klügere, der Beschützer und der Mutige, während das Mädchen eher lieb ist und anmutig, fragend und mitmachend. Das sind Rollen, die auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren auftreten, keine Frage. Die Leute brauchen Rollenvorgaben, das ist überall gleich. Es gibt also auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren das Mann-Frau-Clichè, allerdings ist es meistens kritischer und bisweilen humorvoll, weil es sich ja immer noch um zwei Frauen oder zwei Männer handelt.

Ich finde es auch nicht schlimm, dass es Rollenvorgaben gibt. Im Gegenteil, Beziehungen sind so komplex, dass man Rollen sogar braucht, um nicht ständig darüber nachdenken zu müssen, wie man sich verhalten soll. Man bildet Muster. Das ist normal. Solange jedenfalls, wie man sich im Klaren darüber ist, dass es Rollen sind, aus denen man auch wieder aussteigen kann. Oder die man auch mal tauschen kann. In gleichgeschlechtlichen Beziehungen herrscht da mehr Bewusstsein und Offenheit. Weil Homosexuelle immer noch gesellschaftlich ausgegrenzt werden, sind sie selbst eher tolerant als Heterosexuelle.

Für mich war es so, dass ich mir irgendwann die Frage gestellt habe, ob Heterosexualität anerzogen ist oder angeboren. Das war, nachdem ich einen Film über die Bonobo-Affen gesehen hatte, bei denen es Homosexualität gibt. Eine der wichtigsten Argumente der Homo-Gegner war ja, dass es das bei den Tieren nicht geben würde. Auch die Kinderkassetten brachten mich zu der Frage. Vorher hätte ich mir nie vorstellen können, mich in eine Frau zu verlieben. Ich überlegte, welcher Typ Frau mir überhaupt gefallen würde, und es war ein eher maskuliner Typ. Jahre später sah ich eine solche Frau im Fernsehen, und es war das erste Mal, dass ich mir habe vorstellen können, etwas mit einer Frau zu haben. Es waren noch einmal drei Jahre, bis ich zum ersten Mal einer solchen Frau begegnet bin und noch einmal ein Jahr, bis es passiert ist. Seitdem steht für mich fest, dass Heterosexualität im Wesentlichen anerzogen ist und nicht angeboren. Die meisten Leute haben Angst davor, wenn jemand aus dem Rollenclichè ausbricht. Ich bin übrigens auch Elvis-Fan und würde sagen, dass auch dieses einer der Gründe war, warum Elvis es so schwer hatte. Er passte nicht in diese künstlichen Rollenverteilungen.

(3) Maria: Wie Simon schon gesagt hat, werden wir fünf etwas Neues anfangen. Wir haben auch darüber nachgedacht, eine Gruppe zu bilden, aber Ozzy meinte nur: Was soll's. Wir haben ein paar Lieder zusammen gespielt, das war schön. Wir hatten lange nicht gespielt. Die Zeiten sind sehr wirr und erschreckend. Ich bin oft traurig. Ich komponiere Jingles und Musikstücke für PR-Agenturen und einige Werbeagenturen und mache hier und da noch andere PR-Jobs. Viele haben jetzt Angst, ein falsches Wort zu sagen, überall spüre ich Angst. Das bedrückt mich. Es gibt Leute, die in Machtpositionen sind, und die andere demütigen. Angesichts der schlechten Wirtschaft und der ganzen Solidaritätsgeschichte, die gerade läuft, liegen die Machtstrukturen offen. Man kann mitten hineinsehen, ob es in der PR-Branche ist oder in der Politik. Warum finden die Menschen so viel Gefallen daran, andere zu demütigen und kontrollierende Macht auszuüben?

Die Amerikaner haben den Deutschen etwas Gutes getan damals. Sie haben das Nazi-Regime besiegt. Aber muss man denn alles mitmachen deshalb? Meine Eltern haben mich auf die Welt gebracht, aber muss meine Dankbarkeit deshalb so groß sein, dass ich nicht widerspreche, wo ich widersprechen möchte? Ich habe Leute, die mir Gutes getan haben, aber muss ich deshalb darauf achten, ihnen zu gefallen? Die Agentur gibt mir Geld, aber muss ich mich deshalb versklaven? Ich will mich nicht abhängig machen von anderen Menschen, denn dann verliere ich meine Würde und meine Identität und meine Kraft. Traurig bin ich, weil die Eltern nicht von ihren Kindern übertroffen werden wollen und die Lehrer nicht von ihren Schülern. Ich jedenfalls werde weiter nach meinem Gewissen handeln, nicht nach der Frage, ob mich das den Job kostet. Denn damit würde ich autoritäres Handeln unterstützen. Das kann ich nicht mehr verantworten. Vor dem Elften September habe ich noch nicht so gedacht, aber ich habe mich verändert.

Schließen möchte ich mit einem Satz von Albert Einstein, den ich auf dem berühmten Poster fand, auf dem er die Zunge herausstreckt: „He who joyfully marches to music in rank and file has already earned my contempt. He has been given a large brain by mistake, since for him the spinal cord would suffice. This disgrace to civilisation should be done away with at once. Heroism at command, senseless brutality, deplorable love-of-country stance, how violently I hate all this, how dispicable and ignobel war is; I would rather be torn to shreds than be a part of so base an action! It is my conviction that killing under the cloak of war is nothing but an act of murder.“

Redaktion in Kiel, 08.11.2001


Nächste Nachricht >>


+++ ROCK'N'ROLL +++ NACHRICHT VON OZZY BALOU +++ EINE REKONSTRUKTION +++
hoch
Datenschutzerklärung und Impressum (data privacy statement and imprint)