(1) Lutfi M.: Ich lebe als Geschäftsmann zwischen Deutschland und den Arabischen Emiraten und würde mich einen liberalen Muslim nennen. Ozzy kenne ich zwar nicht, aber viele der Fragen, die hier behandelt werden, sind auch meine Fragen. Ich habe mich lange mit der Soziologie der arabischen und muslimischen Welt beschäftigt und sehe, dass auch im Orient eine lange Debatte nötig ist, um nach dem Schrecken des Elften September zu einem Neubeginn zu finden. In beiden Kulturen, der islamischen und der westlichen, sehen viele keine Alternative zur Gewalt. Das ist das Schlimmste. Wenn man sich zwei Gruppen vorstellt, von der die eine Gewalt benutzt und die andere nicht, dann würde prinzipiell kaum jemand der gewaltfreien Gruppe eine Autorität zumessen. Jeder würde glauben, dass die gewalttätige Gruppe sich durchsetzen wird, weil sie die besseren „Argumente“ hat und „stärker“ ist. Wenn nun zwei große Gruppen einander gegenüberstehen, die Angst voreinander haben – und das ist im Orient und Okzident der Fall – können sie aus der Angst leicht Gewalt machen.
Die Frage ist, ob es wirklich keine Alternative zum Krieg gibt, oder ob es an der Gruppendynamik liegt. Letztlich ist Gewalt genauso eine Glaubensfrage wie Friedlichkeit. Solange unsere Welt von Egos bestimmt ist, die jeden Angriff sofort als Gewalt ansehen und nicht differenzieren, solange hat der Frieden keine Chance. Das gilt für beide Kulturen. Seit ein paar Tagen steht in Deutschland jeder Ausländer im Verdacht, denn Ausländer werden von nun an prinzipiell strenger untersucht. Sie könnten ja Terroristen sein. Obwohl das für mich persönliche Nachteile bringt, sehe ich, das die Deutschen einfach etwas tun wollen, um nicht hilflos zu sein. Angst eben. Erstaunlich finde ich nur, wie konsequent die Globalisierungsgegner totgeschwiegen werden, die ja eine ziemlich gute Argumentationskette haben und auch konkrete Alternativen anbieten. Man hört wohl deshalb wenig über sie, weil sie etwas Neues wollen.
Ich habe die verschiedenen Kritiken an der westlichen Kultur in dieser Chronik gelesen, auch die von Rafiq S. aus der elften Nachricht. Er sagte, Ozzy würde nicht für die Muslime sprechen, nun, Rafiq S. spricht bestimmt auch nicht für die Muslime, denn die Muslime vertreten keine einheitliche Meinung, auch wenn einige Leute sich das gerne wünschen würden. Für mich steht fest, dass es jetzt an der Zeit ist, Aufklärungsarbeit zu machen und zu hoffen, dass die Aufklärungsarbeit schneller ist als die Kriegsbereitschaft. Orient und Okzident sind Alter Egos, sie spiegeln sich aneinander, messen sich aneinander, schon seit Jahrhunderten. Seit Jahrhunderten auch führen sie diese Spiegelkritik. So wirft der Westen dem Orient vor, die Frauen schlecht zu behandeln, was mich amüsiert, denn im Westen behandeln sich die Menschen insgesamt ziemlich respektlos. Gegen einen Schleierzwang bin ich hingegen auch, sei er staatlich oder gesellschaftlich. Aber die Schleier-Problematik wird viel zu hoch gehängt, da gibt es ganz andere Punkte, die wichtiger sind. Genauso übertrieben ist das orientalische Argument, dass der Westen zu liberal sei in zwischenmenschlichen Beziehungen. Das ist meistens nur Neid, wie auch die Kapitalismusfrage.
Eine Aufklärung im Orient bedeutet zum Beispiel, sich mit Charles Darwin auseinanderzusetzen, dessen Lehre in den orientalischen Gesellschaften im wesentlichen abgelehnt wird. Interessanterweise ist dies ein Phänomen, dass es in Europa kaum gibt, in den USA hingegen sehr wohl, wenn auch nicht in diesen Ausmaßen. Eine sexuelle Aufklärung blieb im Orient ebenfalls bisher aus, während sie im Westen schon wieder vergessen ist. Hier prallen meiner Ansicht nach zwei Kulturen aufeinander, die beide voller Tabus und Komplexe stecken und ihre eigenen Schwächen jeweils im anderen sehen. Noch immer sind die meisten Menschen auf beiden Seiten geschockt von der Terrortat. Ich denke, man wird erst im Januar verstehen, was da überhaupt passiert ist. Urplötzlich, wie wachgeklopft, sind die Menschen mit ihrem Ego konfrontiert. Auf beiden Seiten. Ich spreche von zwei Seiten, denn es gibt natürlich einen Kulturkampf. Aber das muss keinen Krieg bedeuten. Meiner Ansicht nach ist er noch nicht aufgebrochen, sondern er formiert sich gerade. Für mich gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, die Fronten finden sich kulturübergreifend zwischen Gewaltbefürwortern und Gewaltablehnern, oder sie bleiben in der Orient-Okzident-Konstellation hängen, dann bedeutet das Unverständnis, Gewalt und noch mehr Gewalt.
(2) Mr. Sunbird: Die Sonnenvögel grüßen alle Ozzys dieser Welt und den progressiven Rock'n'Roll.
(3) Simon: Die Kirchen haben sich jetzt zu Wort gemeldet. Ich bin selbst kein besonders religiöser Mensch, aber ich habe das Augsteinbuch JESUS MENSCHENSOHN gelesen, und das Thema interessiert mich zunehmend, seit ich verstanden habe, dass auch Krieg eine Glaubensfrage ist. Über die Zustimmung hoher Kirchenleute zu militärischen Mitteln muss ich mich wundern. Ich meine, wenn man sich auf Jesus Christus beruft mit seiner Kirche, wie kann man dann militärische Mittel gutheißen? Jesus hat doch Gewaltlosigkeit gepredigt. Und nicht nur so zwischendurch, sondern es war seine Basis-Message. Sein Gott ist der Gott der Liebe. Da gibt es einen Papst, der zum Frieden aufruft und einen Kardinal Lehmann, der der Bundesregierung vertraut, weil man zu seinen Verpflichtungen stehen muss. Es gibt einen Riss in den Kirchen. Ich glaube, das ist gut so, denn man fragt sich wieder die grundsätzlichen Fragen. Ich muss zugeben, dass ich mich seit ein paar Tagen selbst mit Glaubensfragen befasse, weil sie auf einmal viel greifbarer geworden sind. Das liegt bestimmt auch daran, dass Ozzy jetzt hier ist und wir ständig miteinander reden. Im Grunde ist es ganz einfach: Sei für Frieden oder sei für Krieg, Licht an, Licht aus. Ich habe es noch nicht ganz verstanden, aber ich kann es schon formulieren.
Die unglaublichste Nachricht der Woche war in der TAZ vom 09.11. in dem langen Bericht über die Position der Kirchen, denn die lauteste Stimme für den Krieg kam von Weihbischof Hans-Jochen Jaschke aus Hamburg. Als ich Ozzy die Passage gezeigt habe, in der Herr Jaschke die Angriffe der USA „nicht blinde Rache, sondern eine Kulturleistung der Zivilisation, ein angemessenes Vorgehen gegen das Unrecht“ nannte, und dann noch, dass der „Zivilisation der Liebe“ Raum geschaffen werden müsse, „notfalls mit Gewalt“, da hat Ozzy geheult. Er hat es gelesen und dann rumgeheult. Ozzy kennt Bischof Jaschke von früher.
Herr Jaschke schrieb einmal im HAMBURGER ABENDBLATT einen Artikel, in dem er zu mehr Leidenschaft für Gott aufrief. Er berief sich hauptsächlich auf Nietzsches Zarathustra und forderte Engagement, um den Glauben überhaupt zu verstehen. Ozzy war begeistert. Er schrieb dem Bischof und legte auch einen Songtext bei. Herr Jaschke antwortetete auch sehr nett, und die beiden schrieben sich hin und wieder. Als Ozzy das in der TAZ gelesen hatte und dann, dass Herr Jaschke nun auch noch Präsident von Pax Christi werden soll, da ist er ausgetickt. Jetzt ist er richtig wütend auf den Herrn Bischof.
Der Riss geht also quer durch die Kirchen. Das reichste Land der Welt wirft Bomben auf das ärmste Land der Welt, und Herr Weihbischof Hans-Jochen Jaschke aus Hamburg (und Kiel) sagt solche Worte, während der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock und Militärbischof Mixa dagegen sind, ebenso wie die Bischöfin von Hannover, Margot Käßmann und die AKTION SÜHNEZEICHEN. Krieg soll nach dem Willen Gottes nicht sein, haben die Evangelen nach dem Zweiten Weltkrieg festgestellt. Das klingt gut. Aber man kann ja auch gut sehen, welche Stimmen bei der Presse durchgelassen werden und welche nicht, und wie das bei den einzelnen Medien aussieht.
(4) Ulrich S.: Ich betone noch einmal, dass ich Ozzy nicht folge in seinen Anschauungen, weil es mir zu krass ist. Ozzy mischt sich in Dinge, die ihn nichts angehen. Er kann diese Themen nicht so behandeln, als würde alles zusammengehören. Es gibt nun mal Sachzwänge, da kann Ozzy so lange reden wie er will. Und er darf sich nicht über die anderen stellen, sonst kann man mit ihm ja gar nicht mehr umgehen. Es muss schon Gleichberechtigung gelten. Ich sehe auch keine Alternative zu den Militärschlägen. Sonst würde der Westen immer wieder angegriffen werden, so wie der Außenminister es gesagt hat. Mir wären gezielte Schläge gegen die Terroristen auch lieber, aber der Bundeskanzler hat da bestimmt die bessere Übersicht als ich. Die Amerikaner hatten sich ja auch wochenlang vorbereitet und keinen Alleingang gemacht, sondern die anderen Länder miteinbezogen. Ich denke deshalb, dass es bei Ozzy zu einem guten Teil Anti-Amerikanismus ist, der aus ihm spricht. Ob das noch mit dem Colonel zusammenhängt oder auch damit zu tun hat, dass er lange in Marokko und Tunesien gelebt hat, weiß ich nicht. Trotzdem würde mich interessieren, was Ozzy zum Thema Arbeitslosigkeit sagt. Ich meine, abgesehen vom Terror ist das unsere Hauptsorge. Ich frage mich, was nach Ozzys Weltanschauung zu tun wäre, um die Arbeitslosigkeit abzubauen.
(5) Tarek B.: Ich bin 20 Jahre alt und ein Freund hat mir von der Chronik erzählt. Ich bin Deutscher. Meine Mutter ist Deutsche und mein Vater auch. Mein Vater ist gebürtiger Iraker. Er hat seit zehn Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich bin in Deutschland geboren und zur Schule gegangen, und auch zu Hause sprechen wir deutsch. Ich kann gar kein arabisch. Mein Bruder kann ein bisschen, weil er einen Sommer lang bei Verwandten in Ägypten war. Mit dem Islam habe ich ebenso wenig zu tun wie mit dem Christentum. Gerade mache ich meinen Zivildienst in einem Krankenhaus. Obwohl ich genauso Deutscher bin wie die anderen, muss ich mir immer wieder irgendwelche Sprüche anhören. Ich mag schon nicht mehr sagen, wie ich heiße, weil viele Leute mich komisch ankucken, wenn ich meinen Namen sage. Seit dem Elften September ist das besonders schlimm. Die Leute im Krankenhaus machen Anspielungen darauf, dass man ja nie wissen könne, ob ich nicht vielleicht ein Schläfer bin. Dann sagen sie, es war nur Spaß.
Ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht einfach einen anderen Namen angebe, denn bei einigen Patienten sind mir sehr erniedrigende Sachen gesagt worden. Mein Name gefällt mir sowieso nicht mehr. Oft reden die Leute dann über den Islam, dabei weiß ich nur sehr wenig über den Islam. Wenn ich denen sage, dass ich Deutscher bin so wie die anderen, dann sagen die meist gar nichts.
Vor ein paar Tagen habe ich mit einem Zivi-Kollegen darüber gesprochen, der eigentlich schon mein Freund geworden ist, weil wir unsere Freizeit zusammen verbringen. Matthias war eigentlich immer ganz normal zu mir, aber als ich ihm sagte, dass ich genauso Deutscher sei wie er, da meinte er, dass ich so ganz ja auch nicht Deutscher sei, weil mein Vater Araber ist. Ich sagte, mein Vater ist auch Deutscher. Und er sagte, ja, aber nicht immer gewesen! Das hat mich echt fertiggemacht. Matthias ist ja kein Rechter oder so, wir spielen Fußball zusammen und kucken Filme, wir hören auch oft die gleiche Musik. Dann habe ich zu Matthias gesagt, das einzige, was mich von anderen Deutschen vielleicht unterscheidet, ist mein Name und die Tatsache, dass ich nicht vollständig arisch bin. Da hat er sich dann aufgeregt, wie ich so etwas sagen könnte, ja, überhaupt denken könnte! Was das heißen soll, ob ich ihm vielleicht irgendetwas vorwerfen wolle. Seitdem redet er nicht mehr mit mir.
Redaktion in Kiel, 10.11.01
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