(1) Sandra S.: Das eindrucksvollste Erlebnis im BLUESLAND hatte ich in den ganz frühen 80ern, als Otto Waalkes dort aufgetreten war. Der Club war noch ziemlich jung, und es war das erste Mal, dass ich dort war. Eine Freundin hatte mir von Otto erzählt, der gerade in Hamburg seine Karriere anfing. Sie hatte ihn im Audimax der Uni gesehen und war ganz begeistert.
Wir saßen im Publikum, es war recht voll, da kam dieser langhaarige dünne Mann mit seiner Gitarre auf die Bühne. Er blickte ins Publikum, und dann fing er an zu reden. Otto brauchte nicht einmal eine Minute, um jeden von uns aus der Fassung zu bringen. Er war unglaublich witzig. Neu. Anders. Ein Ostfriese von einem anderen Stern. Zunächst bedankte er sich dafür, dass wir „den Laden so voll gemacht haben“, dann wandte er sich an Gerhard Richter, den Veranstalter und Besitzer des BLUESLAND und sagte lobend, man müsse ihn einfach gern haben (, sonst schmeißt der einen raus.) Dann seine Sketche und seine angekündigten, aber nicht gespielten Lieder, die Figuren und Masken, die er erfand, die Parodien auf Popsongs und seine spontanen Reaktionen auf das Publikum.
Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Es gab natürlich in Deutschland auch vorher schon guten Comedy, zum Beispiel INSTERBURG & CO., aber Otto machte etwas ganz Neues. Es waren politische Sachen dabei und gleichzeitig diese irrsinnigen Blödeleien. Es schien gar keine Rolle zu sein, die er spielte, es kam mir vor, als wäre dieser Mann einfach so disponiert. Noch nie zuvor hatte ich in Deutschland ein so tobendes Gelächter gehört. Otto trat dann noch mehrmals im BLUESLAND auf, und es war jedesmal ein Erfolg. Bei seinem ersten Auftritt kamen zum Schluss ein paar andere Musiker auf die Bühne mit elektrischen Instrumenten, und sie spielten Rock'n'Roll. Otto sang JOHNNY B. GOODE von Chuck Berry und andere Klassiker. Das war dann wieder etwas ganz anderes als diese Blödeleien, er war ein wirklich guter Sänger und auch Gitarrist.
Nach allem, was hier über den Rock'n'Roll und seine Stars gesagt wurde, möchte ich anfügen, dass Otto auf jeden Fall dazu gehört. Daran musste ich auch denken, als ich ihn vor kurzem im Fernsehen sah. Ich weiß nicht mehr, welcher Event es war, eine Gala wohl. Paul McCartney saß im Publikum und viel Prominenz, auch Otto. Der sagte am Mikrofon in Richtung Paul: „I do appreciate you being round“ aus dem Song HELP. Ich habe jedenfalls Ottos Platten oft gehört, und er steht für mich für eine Art von gesellschaftlicher Aufklärung, die kein Vorbild hatte. Wenn ich das heute betrachte, kommt es mir so vor, als hätte auch Otto keine wirkliche Chance gehabt, sich voll zu entfalten. Die Gesellschaft konnte sich nicht richtig auf ihn einstellen. Er hat eben geblödelt. Er war vielleicht nicht ernst genug, um ernst genug genommen werden zu können. Als sein erster Film herauskam und das erste Buch und diese Ottifanten-Merchandising-Geschichte, da war es meiner Ansicht nach mit der Innovativkraft schon vorbei, und der Kommerz übernahm das Ruder. Aber man sieht schon, dass Otto noch immer neue Wege sucht, etwa in seinem neuen Projekt PETER UND DER WOLF. Er möchte immer noch ernst genommen werden, das finde ich sehr erstaunlich. Es sagt viel über die Gesellschaft aus.
Ich denke, wenn heute vom Ende der Spaßgesellschaft gesprochen wird, bedeutet das, dass die Kommerzspaßmacher an Glaubwürdigkeit verlieren. Auch Leute wie Stefan Raab, die sich auf Kosten von anderen ernähren, die ihnen nichts getan haben, und die sich die „geilste Krankenschwester“ in die Sendung wünschen. Es macht Stefan Raab Spaß, Menschen zu erniedrigen und bloßzustellen und in unwürdige Rollen zu stecken. Da war Otto etwas ganz anderes. Ich frage mich, warum die „geilste Krankenschwester“ nicht noch ein Schild „Fick mich“ auf dem Kittel tragen musste.
(2) Sven S.: Ozzys Antwort auf mein Argument des Militärs fand ich okay. In der Theorie hört es sich ganz gut an, dass die Politiker sich darauf verständigen sollen, die Waffen nicht zu benutzen. Ozzy betont zwar, er habe kein Utopia im Sinn, aber ich denke, das ist schon utopisch genug. Es ist immer die Frage, ob jemand spricht, der selbst in der Regierungsverantwortung steht oder jemand von außen, der mit dem Druck von Regierungsentscheidungen nichts zu tun hat. So wie zum Beispiel Björn Engholm sich gegen den Krieg ausspricht. Wenn er Kanzler wäre, würde er wohl anders sprechen. Es ist schlicht unrealistisch, was Ozzy verlangt. Deutschland kann sich rein faktisch nicht aus seiner Solidarität herausstehlen. Wie sollte es dann weitergehen? Man würde ohne Deutschland weitermachen und es den Deutschen nie verzeihen. Es bleibt uns keine Wahl, als darauf zu vertrauen, dass Schröder und Bush den richtigen Weg gehen. Es gibt keinen anderen.
Insofern kann ich überhaupt nichts damit anfangen, dass Ozzy von Anfängen des Totalitarismus spricht und von Zensur und Hörigkeiten. Das ist meiner Ansicht nach Polemik, die nur dazu führt, dass Ozzy sich selbst isoliert. Es wird immer Leute geben, die Sachen sagen, die Ozzy nicht gefallen. In seinem idealistischen Eifer scheint er hin und wieder selbst etwas intolerant zu werden. Wir müssen bedenken, dass Bin Laden mit Atomangriffen droht. Das darf sich die westliche Zivilisation sicherlich nicht gefallen lassen. Und was die afghanische Bevölkerung angeht: Natürlich möchten auch die USA keine Ziviltoten. Aber die Afghanen lassen es zu, dass sich Bin Laden in ihrem Land aufhält. Sie hätten ihn ja ausliefern können. Auch das Volk hätte Einfluss ausüben können, um die Eskalation zu verhindern. Das haben sie aber nicht getan. Und durch gutes Zureden hätte Bush nichts erreicht.
(3) Roger B.: Wenn wir von gesellschaftlicher Gerechtigkeit sprechen und vom Kunstbegriff, dann ist es wichtig, auf die Unterscheidung zwischen E-Musik und U-Musik hinzuweisen. Als Popmusiker musst du deine Songs als „Unterhaltungsmusik“ deklarieren, sonst wirst du nicht vertreten. Das gesellschaftliche Problem, das sich dahinter verbirgt, ist irgendwie dasselbe wie mit der Kriegsentscheidung, nämlich, dass die Ernsten das Sagen haben. Das Establishment ist ernst. Popmusiker hingegen sind prinzipiell Leute, die diese Art von Ernsthaftigkeit in Frage stellen und ihr eine fantasievolle Lebensfreude entgegensetzen. Insofern versucht das Establishment mehr oder weniger latent, die freie Kunst zu etikettieren, zu marginalisieren, totzuschweigen oder zu kommerzialisieren, um ihr die Unschuld zu rauben. Wenn man sich als freier Künstler von der GEMA sagen lassen muss, dass man Unterhaltungsmusik macht, minderwertige Musik, für die man auch weniger Geld zu erwarten hat als für die „ernste Musik“, dann ist das so eine Reglementierung des Establishments. Die meisten Musiker nehmen diesen Zwang der GEMA hin. Der Aufstand der deutschen Popmusiker ist zum bloßen Ritual verkümmert und ist faktisch aufgegeben. Der normale deutsche Popmusiker denkt anscheinend nicht weiter darüber nach, dass er sich ein albernes Schild an die Stirn kleben muss, um Tantiemen zu bekommen.
Man müsste prüfen, wer von dieser Unterteilung in E und U wirklich profitiert. Da die Mehrheit der Musiker es begrüßen würde, dass diese Schranke fällt, muss man sich auch fragen, wie die Presse zu diesem Phänomen steht. Es könnte sein, dass die Radiostationen mehr Geld bezahlen müssten, wenn die Schranke fiele, und dass die anderen Medien aus Solidarität oder Konservatismus das Thema nicht aufnehmen möchten. Es ist viel zu tun. Auch ich bin dafür, das Land neu zu gestalten, und ich sehe in diesen Tagen gute Chancen, weil das Argument als Mittel der Rhetorik wieder an Boden zu gewinnen scheint. Da die innenpolitischen und die außenpolitischen Maßnahmen wegen der mangelnden Terrorismusdefnition nicht richtig geifen können, gewinnen die Progressiven Zeit, um ihre Argumente zu sammeln. Die Konservativen sind jetzt in der Defensive, denn sie haben damit zu tun, die Situation zu rechtfertigen. Das kostet sie viel Energie, vor allem, weil kaum jemand wirklich ohne Zweifel bleibt, auch bei den Konservativen, und weil sie keine Lösungen anbieten können. Ich bin jedenfalls dabei, wenn es darum geht, neue Sichtweisen zu entwickeln. Aber als Punker, nicht als Rock'n'Roller.
(4) Ozzy: This land is your land, this land is my land. Der Kampf ist nicht an den Rändern zu führen und er wird dort auch nicht entschieden.
(5) Carl: In den letzten Tagen habe ich mich – irgendwie zwangsläufig – politisiert. Vieles erscheint mir noch neu und fremd, aber die Gespräche der letzten Zeit haben mich sehr bereichert. Ich werde wohl nie ein richtiger Aktivist werden, aber zumindest stelle ich andere Fragen als früher, weil ich gemerkt habe, dass ich früher kaum Antworten gefunden hatte. Ich finde heute mehr Antworten.
Das entscheidende Wort für mich ist „Vertrauen“. Eine zeitgemäße Mentalität kommt nicht an der Vertrauensfrage vorbei. Nach welchen Kriterien kann ich jemandem vertrauen? Das scheint mir die zentrale Frage zu sein. Ich verstehe auch die Bedeutung von „Integration“ etwas besser, weil ich selbst gerade dabei bin, neue Eindrücke und Informationen zu integrieren. Integration heißt lernen und Wissen bekommen, um damit Ängste und Hemmschwellen zu überwinden und Vertrauen aufzubauen. Während ich das schreibe, kommt es mir schon wieder seltsam vor. Ich zweifle. Manchmal erscheint es mir zu einfach, manchmal zu unrealistisch, meistens aber merke ich, dass es so ungefähr stimmt. Eine neue Zeit ist es auf jeden Fall.
(6) Bernd (der Autonome): Auch als ich Autonomer war, ist es mir immer um mein Land gegangen. Die Idee, die Unterscheidung zwischen Rechts und Links aufzugeben, ist faszinierend für mich. Wir kommen mit Rechts und Links auch nicht wirklich weiter. Diese komische Neue Mitte und der Krieg machen es notwendig, neue Fronten zu finden, nein, die Konstellationen treffend zu beschreiben. Vielleicht kann das auch zu einem gesunden neuen Nationalismus führen. Als Autonomer hätte ich es nie gewagt, von Nationalismus zu sprechen, aber das lag daran, dass ich nur den Staat hinter der Nation gesehen habe, und der Staat war mein Feind. Ich bin immer noch kein Freund des Staates, aber er ist mir nicht mehr so wichtig. Mein Gerechtigkeitsgedanke richtete sich ja auch früher schon ans Volk, an die Leute, die hier wohnen und leben.
Ich würde es heute so formulieren, dass Deutschland so wie jedes Land einen Nationalismus braucht. Dabei würde ich unterscheiden zwischen konstruktivem Nationalismus und destruktivem Nationalismus. Beim ersteren entsteht das Gemeinschaftsgefühl durch den Respekt, den man sich gegenseitig gibt, beim zweiten durch die Abgrenzung nach außen. Die zweite ist natürlich einfacher zu erreichen, weil man nix dabei tun muss, die erste Form aber ist die, für die es sich zu kämpfen lohnt. Wir brauchen wieder Respekt vor uns selbst. Gerade jetzt, wo Schröder unsere Werte zu verwirren droht. Für ihn hat es mit Selbstachtung zu tun, den Amerikanern kritiklos gegenüberzustehen, ja er hält es nicht einmal für eine Gewissensfrage, sich an einem schwammigen Krieg zu beteiligen, weil man Bush unterstützen muss. Diese Denkart wird im Kleinen übernommen werden und man wird Gehorsam für Selbstachtung halten und man wird seinem Gewissen nicht mehr trauen, weil unser eigener Bundeskanzler uns erklärt, dass die Gewaltfrage nichts mit dem Gewissen zu tun hat. Auch die Tatsache, dass Schröder betont, seine eigenen Gefühle würden bei dieser Entscheidung nicht von Belang sein, ist reiner Sprengstoff. Denn natürlich ist Schröder ein Role Model (um nicht Vorbild zu sagen) zum Beispiel für die meisten Leute, die Krawatten tragen. Die werden jetzt sagen: Ach prima, dann spielen unsere privaten Ansichten über diesen Krieg auch keine Rolle.
Ein Beispiel für gesunden Nationalismus ist Island. Die isländische Regierung hat davon gehört, dass Björk sich eine kleine isländische Insel wünscht, um dort zu wohnen, und man hat ihr einfach eine geschenkt. Man muss sich das mal vorstellen! Die englische Queen hatte damals den BEATLES eine Medaille gegeben, obwohl die BEATLES kritisch waren, und Björk hat sogar eine Insel bekommen. Das ist ein großer Vertrauensbeweis und wird zwangsläufig dazu führen, dass Björk ein noch besserer Mensch wird und ihrem Land sehr viel Dankbarkeit entgegenbringt. Die Isländer haben einen Riesen auf ihrer Insel, und dieser Riese ist dankbar. Da haben die Isländer nicht mehr viel zu fürchten. Ich finde, der Bundespräsident sollte Ozzy auch eine Insel schenken, zum Beispiel Amrum. Das wäre nur angemessen.
Redaktion in Kiel, 12.11.01
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