Nachdem die Quoten vor drei Wochen mit 118 Besuchern einen Tiefststand erreicht hatten, sind sie in der letzten Woche mit 355 Besuchern auf einem Höchststand. Zu den heutigen vier Beiträgen gehört der eines rechten Skinheads, der anonym bleiben möchte. Ich weise darauf hin, dass dieser Mann nur für sich spricht und dass ich den Inhalt seines Statements für ziemlich bedenklich halte. Jedoch wollen wir verstehen, wie die Leute denken, und dafür müssen wir hören, was sie zu sagen haben. Vorher können wir auch nicht unsere Argumente sammeln und widersprechen.
(1)Simon: Wenn ich mir so durchlese, was ich in den letzten Tagen geschrieben habe, merke ich erst, wie ich mich verändere. Es macht mir nichts aus zuzugeben, dass Ozzy an diesen Veränderungen beteiligt ist, denn ich fühle mich gut. Ich merke, dass es eine Stärke ist, hin und wieder Schwäche zu zeigen. Das habe ich aber eigentlich nicht von Ozzy gelernt, sondern aus Trotz zu unserem Bundeskanzler, den ich eigenhändig gewählt habe. Er verknüpft jetzt aus machtpolitischen Gründen die Vertrauensfrage an einen fraglichen und undeutlichen Krieg, weil die Zeit gegen ihn arbeitet. Ein fatales Signal für die Gesellschaft. Bevor die Zweifel einer breiten Basis formuliert sind, hat Schröder schon die Falle zugemacht. Ich bin froh, dass ich gerade wieder so etwas wie ein Gewissen entwickle.
Was, wenn Bush sich als nächstes mit Libyen beschäftigen will, das gerade eine ziemlich schlechte Presse hat? Es geht ja nicht nur um Afghanistan, sondern um die Weichen, die hier gesetzt werden. Alles ist möglich. Krieg ist enttabuisiert, und Bush will richtig aufräumen mit dem nicht weiter definierten „Terrorismus“. Es reichen vage Beweise aus, wie man an Bin Laden sieht, dessen Schuld aus unerfindlichen Gründen noch nicht öffentlich bewiesen wurde. Was der Kanzler letztlich sagt, ist, dass Gehorsam wichtiger ist als das Gewissen. Sonst würde er nicht die Vertrauensfrage an hastige Kriegsbeteiligungen knüpfen. Insofern sehe auch ich jetzt totalitäre Tendenzen in unserer Gesellschaft und besonders in der Politik. Auch Fischer hat gezeigt, dass er nur Leute in höhere Positionen bringt, die für Kriegsbeteiligungen stimmen, sei es Kosovo, Mazedonien und so weiter.
Die Nordallianz hat Kabul eingenommen und das Morden geht mit Jubelfeiern einher. Die Amerikaner haben sich jetzt in die afghanische Innenpolitik eingemischt. Selbst Schäuble aus der CDU sagt schon, dass die Welt den Herrschaftsanspruch der Amerikaner nicht mehr tragen will. Diese Tendenzen gehen im derzeitigen Rummel fast unter. Die ganze Sache gerät nur scheinbar unter Kontrolle, denn wenn man auch zugegebenermaßen Bin Laden einen Schritt nähergekommen ist (auf Kosten von vielen Ziviltoten), ist weder die Zukunft von Afghanistan klar, noch ist der internationale Terrorismus besiegt. Es ist noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Jetzt, wo die Amerikaner auch die Vertretung des Senders al-Dschasira in Kabul zerstört haben und eine zivile Marmorfabrik, werden sie es in der arabisch-muslimischen Welt nicht unbedingt leichter haben. Nachdem sie im Anschluss an den Elften September mit großer Emotionalität gehandelt haben, was wird passieren, wenn es einen zweiten Anschlag in den USA gibt, der ihr Ego weiter angreift? Der tragische Absturz über Queens mit etwa 300 Toten hat zu einer neuen Sympathiewelle geführt, die den emotional argumentierenden Politikern zu Gute kommt. Die sagen ja – wie zum Beispiel Fischer – dass die Amerikaner nichts als Opfer des Terrors sind. Queens war zwar kein Terror, aber es hilft in der Entschlossenheit der Amerikaner und in der Solidarität der Partner. (Kuck mal, jetzt auch noch Queens, die Armen.) Es sind wohl nicht einmal die Bewegungen der Amerikaner in den letzten Wochen, sondern die Linie, die hier vorgegeben wird. Die Art, wie man zu Entscheidungen kommt über das Leben und den Tod von Menschen.
(2) Carl: Wenn ich an autoritäres Verhalten denke, kommt mir sofort „Zuckerbrot und Peitsche“ in den Sinn. Man wird belohnt und bestraft, gleichzeitig. Brot und Bomben, am besten, beide in der gleichen Farbe. Ich habe das so auch in der Familie erlebt und mit Freunden. Erst sind sie nett zu dir, dann demütigen sie dich, und dann sind sie wieder nett. Chefs sind oft so. Aber gerade bei Freunden habe ich es oft erlebt. Ich bin ein eher gutmütiger Typ und sage niemandem, was er zu tun hat. Eher beobachte ich die Leute, meistens kritiklos, und interessiere mich dafür, wie sie sind, und was sie tun. Was sie zu sagen haben. Das hat sich schon ein bisschen geändert, denn ich greife öfter ein als früher, je mehr ich mich heute wieder mit der Zeit der BULLETS und dem Elften September beschäftige.
Unter Musikern gibt es das wohl auch, dass man den anderen zwischendurch mal dissen muss, um danach wieder nett zu sein. Ich erinnere mich an die allererste Zeit der BULLETS, als die DEBUT noch nicht da war und wir durch die Hamburger Clubs tingelten, um hier und da einen Gig zu bekommen. In der frühesten Zeit, noch vor dem BLUESLAND, spielten wir ein paar Mal bei der Jam Session donnerstags in der TANZHALLE, einem kleinen Club in Eimsbüttel. Es waren meistens mehrere Bands da, und es war schon ein bisschen auch ein Wettkampf. Aber eher zum Spaß. Da spielte auch die Band QUALM UND DAMPFMASCHINE, die hatten ganz gut was drauf und waren schon etabliert. Sie kannten auch die Chefs von der TANZHALLE, ganz gut. Am ersten Abend kamen wir gleich ins Gespräch mit Norbert und Peter von QUALM UND DAMPFMASCHINE. Es war sehr nett und wir tauschten Telefonnummern aus, denn wir wollten uns mal treffen, um vielleicht mal etwas zusammen zu machen. Ozzy hat dann auch ein paar Tage später angerufen, aber Norbert war nicht in der Stadt und Peter sagte, er würde zurückrufen. Hat er aber nicht gemacht.
Als wir dann das nächste Mal in der TANZHALLE waren, waren die beiden wieder nett und freundlich. Sie gingen auf das Telefonat gar nicht erst ein. Da hatte Ozzy schon keinen Bock mehr auf sie. Vor allem, weil er Norbert ein paar Tage später im Park getroffen hat und Norbert sich nicht einmal mehr richtig an ihn erinnern konnte. Ozzy mochte nichts Unausgesprochenes.
Das war irgendwie symptomatisch für die Atmosphäre in der TANZHALLE. Die Leute spielten alle ihre Rollen, das Publikum ebenfalls. Man konnte nicht wachsen. Die Leute waren alle nett, ja, aber sie bewegten sich nicht von der Stelle. Später, als wir dann im BLUESLAND waren, suchten sie wieder Kontakt, aber wir kamen nicht mehr, weil wir uns nicht wieder in diese Rolle pressen lassen wollten. Wir durften eben nur zu den offenen Sessions spielen. Es kam beim Publikum gut an, aber das Publikum konsumierte auch fast nur, wir hatten nur wenig Feedback. Ozzy hatte in der allerersten Zeit Kontakt zu den Leuten von der TANZHALLE, aber sie wollten ihn erst spielen lassen, wenn er berühmt ist. Die Frage war nur, wo soll man eine Chance haben, auf den Weg zu kommen, wenn nicht in so einem Club?! Wir traten dort nicht wieder auf. Irgendwann hat man keine Lust mehr, den Pausenclown zu spielen oder dort zu spielen, weil man woanders gelobt wurde. Man gratulierte sich nämlich auch nicht wirklich zu Erfolgen. Das war doch dann im BLUESLAND ganz anders. Ich habe gehört, dass QUALM UND DAMPFMASCHINE in Hamburg wieder erfolgreich sind und auch, dass sie eine neue CD haben. Ich höre das gern und ich habe bis heute nicht verstanden, warum die Bands sich damals so als Konkurrenz empfunden hatten. Das war so sinnlos.
Gerhard Richter hat dann unser erstes Demo, MOVING THE HOUSE, gehört, das Ozzy auch den Jungs von der TANZHALLE gegeben hatte. Alle mochten die Aufnahme, aber Gerhard hat als Einziger gehandelt und uns Ende Januar 89 ins BLUESLAND geholt. Er gab uns das Gefühl, etwas Wertvolles zu sein und er war es auch, der uns mit dem Colonel bekannt gemacht hat. Dann ging alles sehr schnell, was hauptsächlich an Ozzy lag, der nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben schien und sich nun entfalten konnte. Damals kam er ja auch mit Maria zusammen. Gerhard hat übrigens inzwischen von der Chronik gehört. Er lebt heute mit seiner Frau Claudette in Frankreich. Gerade ist er für eine Woche unterwegs, um, wie er schrieb, Olivenöl zu verkaufen (?), aber er richtet seine Grüße aus und wird sich bald melden.
(3) Skin: Ich habe gelesen, was dieser Tarek B. gesagt hat, und es hat mich irgendwie berührt. Vielleicht wäre das anders, wenn ich ihn gesehen hätte, aber wenn ich nur so lese, was dieser Mann zu sagen hat, komme ich doch ins Grübeln. Ich schreibe dies hier nur unter der Bedingung, dass ich anonym bleiben kann, als Kronzeuge so zu sagen. Ich bin Arier, und bei uns zu Hause fällt das Wort auch manchmal. In der Clique ist es etwas, das zur Identität gehört. Wir finden das auch nicht weiter anstößig. Deutschland ist doch im Ursprung arisch, das ist der Kern. Ich war auch für ein Jahr in Amerika bei einer großen nationalsozialistischen Vereinigung. In Amerika ist es zwar verpönt, aber es gibt doch viel mehr Toleranz in dieser Frage als in Deutschland.
Wenn jetzt jemand wie Tarek B. in Deutschland geboren ist, dann würde ich ihn auch wohl als einen Deutschen sehen, solange er nicht weiter auffällt. Es geht doch eher um die Asylanten und Wirtschaftsflüchtlinge, die wir nicht im Land haben wollen. Viele davon sind kriminell und handeln mit Drogen. Dass damals die Juden ermordet wurden, war falsch, aber im Prinzip finde ich, dass die Arisierung Deutschlands damals einem Wunsch nach Identität entsprang, der nachvollziehbar ist. Die Deutschen entwickelten ja auch einen Stil, etwa in der Architektur, überhaupt im Design, in der Musik und im Film. Leni Riefenstahl suchte auch nach dem deutschen Ideal. Das kann doch nicht verboten sein.
(4)Ozzy: Es gibt tatsächlich ein paar Themen, bei denen auch mir etwas schwindelig wird. Als ich das las über die anerzogene Heterosexualität, nun ja, ich sehe den Punkt, doch es fällt mir etwas schwer, darüber nachzudenken. Aber es ist wohl ein zentrales Thema. Ob man sich sein Sexualverhalten unbedingt von den Bonobos abkucken sollte, weiß ich nicht. Richtig ist aber bestimmt, dass die eigene unentdeckte Sexualität zu einem schmalen Blickfeld führt und zu Hemmungen. Hemmungen sind Ängste, und da sind wir schon wieder beim Ich und dem Anderen. Was ich an mir selbst nicht verstehe, laste ich meistens anderen an.
In den letzten Tagen ist mir wieder bewusst geworden, wie sehr es doch leider stimmt, dass die Eltern nicht von ihren Kindern übertroffen werden wollen und die Lehrer nicht von ihren Schülern. Mein alter Musiklehrer hat nämlich erfahren, dass ich wieder im Lande bin. Wir haben gestern miteinander telefoniert, er sagte, er habe interessante Neuigkeiten. Zuerst dachte ich, das Gymnasium will wieder Kontakt aufnehmen, denn die hatten die Geschichte 1991/92 mitbekommen. Aber er sagte, dass es damals wohl Probleme mit der älteren Generation gegeben habe und dass ich psychische Probleme hatte. Er sagte, er hofft, dass es mir jetzt gut geht und dass ich keine psychischen Probleme mehr habe. Er war stolz, weil die Bürger der Stadt sein Konzert organisierten und Einladungen verschickten, nur deshalb rief er an. Wie es mir musikalisch ging war ihm egal. Das hat mich sehr enttäuscht.
Ich hatte früher diese Fersehserie mit David Carradine verfolgt, KUNG FU. Meine Welt war ganz anders, voller Helden und Schüler und Meister. Ich las Gandhi und Martin Luther King, Hesse und den Werther. Und ich hörte Elvis. Jahrelang hörte ich nichts als Elvis, rauf und runter. Dann schrieb ich die ersten Songs. Eigentlich habe ich nur deshalb angefangen, Songs zu schreiben, weil mir beim Nachspielen von Elvissongs oft ein Akkord oder ein Textstück fehlte. Da habe ich gedacht, ich schreibe am besten selbst, dann kann ich es so spielen, wie ich will.
Redaktion in Kiel, 14.11.01
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