(1) Mo: Es ist schon erstaunlich, wie nüchtern in der Politik über Krieg gesprochen wird. Die Engländer sind daran gewöhnt, sie haben fast in jedem Jahr einen. Wenn sich die Progressiven durchsetzen wollen, müssen sie die Clausewitz-Metapher knacken: „Krieg ist Politik mit anderen Mitteln.“ Clausewitz war ein deutscher Stratege, der Bücher geschrieben hat, an denen man sich im Grunde bis heute orientiert. Der qualitative Unterschied zwischen gewaltloser Politik und Krieg wird damit zu einem nur graduellen Unterschied gemacht, nicht zu einem prinzipiellen. Dem Volk kann man das so verkaufen, weil es weit weg vom Geschehen ist, und weil es nicht viele Fragen stellt und sich mit halben Antworten zufrieden gibt.
Mein Vater war nach der Unabhängigkeit 1963 lange Zeit Politiker in Kenia. Er hatte sehr darunter gelitten, dass die progressiven Kräfte des Landes sich nicht einigen konnten. Bis heute hat das Land es nicht geschafft, sich aufzubauen, wie man es sich wünschen würde. Dass ich nach Deutschland kam, war eher ein Zufall. Wir waren mit einer deutschen Familie befreundet, die in den 60er Jahren in Nairobi lebte. So kam ich zum Studium nach Hamburg. Das war schon ein Privileg, weil sich viele Kenianer wünschten, ins Ausland zu gehen. Eigentlich wollte ich wieder zurück, aber dann kam ich mit Gerhard zusammen, der von seiner Idee schwärmte, einen Musikclub aufzumachen. Ich kam dazu, weil ich Geld verdienen wollte, aber schon nach einem Monat merkte ich, dass wir mit dem BLUESLAND eine Einheit geschaffen hatten, die mir zum ersten Mal das Gefühl von einem freien Zuhause vermittelte. Also blieb ich. Ich hatte dort mein Glück bereits gefunden.
Vielleicht sind Staaten auch einfach zu groß und zu unübersichtlich, um als Einheit zu funktionieren. Ich denke, je größer eine Gruppe ist, desto eher setzt sich der Konservatismus darin durch. Die Konservativen sind im Grunde in jedem Land gleich. Sie stützen sich auf das Bestehende und stehen der Macht mehr oder weniger kritiklos gegenüber, weil sie daran beteiligt sind, oder weil sie glauben, daran beteiligt zu sein. Letztlich aber ist die Angst der Motor des Konservatismus, die Angst vor Veränderung und die Angst davor, dass man sich in der politischen Strategie geirrt haben könnte. Die Waffe des Konservatismus ist natürlich Geld, aber auch Schweigen. Alles, was neu ist und was sich nicht in die bestehenden Formen einordnen lässt, wird verschwiegen, so lange es geht, um das System möglichst gut aussehen zu lassen. Das ist in den westlichen kapitalistischen Ländern genauso wie früher im Kommunismus und auch wie in den muslimischen Ländern.
Heutzutage liegt das sehr offen, und man kann mitten in die Systeme hineinsehen. Diese „Terrorbekämpfung“ zeigt die Schwächen des Systems. Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man darüber lachen, mit welcher Hektik die Politiker in der Welt sinnlose Maßnahmen ergreifen. Viele Probleme der Welt dürfen die Konservativen jetzt nicht anschneiden, wie etwa die ganze WTO-Problematik. Dadurch, dass den Globalisierungsgegnern ihre Stimme genommen wird, machen die Konservativen sehr deutlich, dass sie ein schlechtes Gewissen haben. Argumente haben sie jedenfalls kaum, und sie beginnen das auch zu merken. Natürlich braucht die Macht per Definition nicht viele Argumente, aber sie muss nach außen hin schon eine Argumentation präsentieren können.
Ich hatte nie eine Lösung dafür, wie man den traditionellen Konservatismus bekämpft, bis ich Ozzy traf. Irgendwann verstand ich, dass er überall da offen wurde, wo ihm Verschlossenheit entgegengebracht wurde. Je mehr sich jemand von ihm zurückziehen wollte, ohne dass Ozzy den Grund verstand, desto mehr öffnete er sich dieser Person oder Gruppe. Für mich ist das eine klare Form des gewaltlosen Widerstands. Ich glaube nicht einmal, dass Ozzy es immer bewusst getan hat, es war eher ein Mechanismus, den er sich angewöhnt hat, um das Schweigen zu bekämpfen. Diese Offenheit hat natürlich provoziert, und wer sich provozieren lässt, der zeigt sich. Mit dieser Methode hat Ozzy eigentlich immer herausgefunden, woran er war. Er möge es mir durchgehen lassen, dass ich ihn so verpsychologisiere, doch liegt hier ein wichtiges Argument, denn ich würde dieses Verhalten typisch progressiv nennen. Wenn die Chronik erfolgreich sein soll, dürfen wir nicht den Fehler der gutmeinenden Nihilisten machen, die viel zu kritisieren haben und nichts zu bieten. Daran scheitern doch die meisten Friedensinitiativen, sie sind bloße Rituale, die wenig bewegen können. Also werden sie nicht allzu ernst genommen.
(2)Guido A.: Wenn sich Stefan Raab die geilste Krankenschwester in die Sendung wünscht, dann ist er es doch nicht, der diese Frau in so eine Rolle steckt. Ich meine, wenn eine Frau so blöd ist und mitmacht, hat sie doch selber Schuld! Sie braucht ja nicht hinzugehen. Also ist sie es selbst, die sich erniedrigt, und wenn sie das nicht merkt, ist sie auch noch doof. Dann hat sie es auch nicht anders verdient. Ich finde es wichtig, dass es Leute wie Stefan Raab gibt, die uns zeigen, wie blöd die Leute sind, und was man denen vor Publikum alles sagen kann, ohne dass sie sauer werden. Ich finde diese Art von Kritik viel subtiler (und lustiger), als mit dem erhobenen Zeigefinger dazustehen und irgendwelche sozialkritischen Weisheiten abzulassen.
(3) Marion C.: Als Ozzy von seinen Lehrern erzählt hat, musste ich sofort an mein erstes Bild denken. Ich glaube, ich war 13, als ich es malte. Es war eine orientalische Stadt, die ich mit Wasserfarben gemacht hatte. Es war in den Ferien bei meinen Großeltern, nach meinem ersten Urlaub in der Türkei. Ich hatte Erinnerungen in diesem Bild verarbeitet. Mein Großvater hat auch gemalt, allerdings keine freien Motive. Er hat Landschaften von Postkarten abgemalt. Mein Bild von der orientalischen Stadt hat ihm sehr gefallen. Er hat es hinter Glas getan und im Flur an die Wand gehängt.
Dann habe ich gleich noch zwei Bilder gemalt und sie ihm gezeigt, aber er hat nicht darauf reagiert. Er meinte, ich solle doch auch noch etwas anderes machen als Malen. Das Bild mit der orientalischen Stadt hängt immer noch im Flur. Ich nenne es heute das „Alibi-Bild“, weil es Großvaters Alibi war, wenn es um meine Malerei ging. Er hat sogar damit angegeben, dass das ja seine Gene seien und dass er es war, der mich entdeckt hat. Dabei hat es ihn nie interessiert, was ich danach noch alles gemalt habe. Seine eigenen Bilder hat er fotokopiert und an die ganze Familie geschickt.
Ich glaube, wenn ich auch Postkarten abgemalt hätte, hätte er mich mehr gefördert. Aber auch nur solange, wie er der Bessere war. Ich hatte ihn einmal gefragt, ob er nie etwas aus seiner Fantasie malen würde, und da ist er fast böse geworden. Heute weiß ich, dass er gar nicht so viel Fantasie hatte. Und dass das wohl auch der Grund dafür war, warum er meine Bilder nicht akzeptieren konnte. Er hätte das nie so gesagt, immerhin hat er mich ja „entdeckt“ und so weiter, aber ich bin ihm in meinem Leben nie nahe gekommen.
(4) Klaus K.: So wie es sich bei den BULLETS anhört, brauchen wir in unserer heutigen Zeit keine Kriege mehr. Es klingt so, als würden wir bewusst in eine neue zivilisatorische Phase kommen, in der ein Weltfrieden möglich ist. Ich finde diesen Gedanken durchaus faszinierend, weil er durch gute Argumente gestützt wird. Ich würde mich nicht darauf festlegen wollen, ob es funktionieren kann, aber es ist auf jeden Fall eine sehr interessante Debatte.
Auch bei uns in der Redaktion diskutieren wir über den Sinn von Militärangriffen. Die meisten stimmen darin überein, dass gezielte Schläge gegen Terroristennester okay sind. Was den Angriff auf Staaten angeht, so ist die Meinung geteilt. Ich bin dagegen, andere sind dafür. Das beste Argument der Gegenseite ist Nazideutschland. Die militärische Befreiung Deutschlands und der Welt durch die Aliierten wird immer wieder angeführt. Ohne das amerikanische Militär wäre Hitler nicht gestoppt worden. Ein Pazifismus hätte das nicht erreichen können.
Bislang hatte ich keine Antwort darauf, aber heute scheint es mir so, als hätte damals nur das Bewusstsein gefehlt. Man hat ja letztlich auch nicht strategisch darüber nachgedacht, wie man die Nazis ohne Gewalt hätte besiegen können. 1941 war es sicher zu spät für so etwas, aber heute kann man die Gefahren wegen der Erfahrung früher erkennen. Prinzipiell glaube ich schon, dass der Weltfrieden funktionieren kann. Vielleicht ist das aber auch nur Zweckoptimismus. Was jetzt in der Welt gemacht wird, um den Frieden herzustellen, ist jedenfalls uneffektiv. Das sehen sogar viele Konservative in unserer Redaktion so. Und wenn man diese Maßnahmen in die Zukunft projiziert und hochrechnet, kann sich kaum jemand vorstellen, dass damit der Terrorismus ausgerottet werden kann. Es ist zu offensichtlich, dass die Amerikaner sich Sonderrechte herausnehmen und sich selbst in dieser Krise sehr unkritisch gegenüberstehen.
Es ist deshalb zu hoffen, dass die Progressiven sich mit neuen Ideen durchsetzen, denn die alten funktionieren nicht mehr. Aber das wird wohl auch Ozzy nicht entscheiden können. Die Frage ist vielmehr: Ist die Zeit reif für große gesellschaftliche Veränderungen? Diese Veränderungen, von denen die 68er geträumt haben, die in den 80ern vergessen wurden und die in den 90ern vergessen waren. Wenn ja, dann wird es bestimmt in so eine Richtung gehen, die die BULLETS – und ich nenne sie jetzt einfach so – formulieren. Aber derzeit haben die Konservativen das Sagen. Es kann auch sein, dass die Gewaltspirale weiter steigen muss, bis die Menschen erkennen, dass ihre Politik nicht funktioniert. Dann werden sie den Progressiven immer noch nicht vertrauen, aber sie kommen nicht mehr um sie herum. Und dann erst wird sich zeigen, ob sie sich im politischen Alltag bewähren können.
Redaktion in Kiel, 16.11.01
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