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ROCK'N'ROLL
Nachricht von Ozzy Balou
Eine Rekonstruktion
von Anis Hamadeh
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(1) Autonomer: Ich habe meine Meinung geändert und werde nicht mehr auf Gewalt verzichten. Es funktioniert einfach nicht. In den letzten Tagen ging es bei mir drunter und drüber. In der Theorie ist alles klar, aber es ändert nichts daran, dass die Konservativen die Macht haben. Das Problem ist ja gar nicht mal das Establishment. Es ist, dass es fast gar nichts anderes gibt als Establishment. Selbst die Leute, die Ozzy zustimmen, gehören doch dazu, sonst würden sie nicht in der Bewegungslosigkeit verharren. Alles, was Ozzy tun kann, ist, aufzuzeigen, dass die Menschen nur an Gewalt glauben und nicht an die Liebe. Aber das ist mir zu wenig. Ich kann hier nicht rumsitzen, während Deutschland den Bach runter geht. Ich gehe wieder auf die Straße.

Ich habe mir das lange überlegt, und es tut mir auch ein bisschen leid, weil ich Ozzy unterstützen will. Aber wenn der Gegner Gewalt benutzt und die öffentlichkeit für den Sieger ist, egal, wie man zum Sieg kommt, dann sind Molotow-Cocktails nützlicher als Rock'n'Roll. Ozzy zeigt ja selbst, dass es anders nicht geht. Wenn sogar jemand wie Ozzy keinen vernünftigen Platz in der Gesellschaft bekommen kann, dann sieht man das strukturelle Problem. Oder so eine riesige Organisation wie ATTAC, die eine gute Basis hat. Ich denke eher, wenn Schily und Genossen unbedingt Terroristen haben wollen, dann sollen sie auch welche kriegen!

(2) Autonomer/Ozzy (notiert von Simon):
Autonomer: „Dann sag mir, für wen du überhaupt kämpfst, wenn du doch von der Gesellschaft nicht akzeptiert wirst.“
Ozzy: „Das ist wirklich manchmal schwer zu sagen.“
Autonomer: „Einmal sagst du, du forderst Veränderungen, dann sagst du, man kann nur durch das Sein Veränderungen bewirken, nicht durch Forderungen.“
Ozzy: „Die Welt ist voller Widersprüche.“
Autonomer: „Wenn du dein Leben geben müsstest, um Veränderungen zu erreichen, würdest du es tun?“
Ozzy: „Wir brauchen dringend Veränderungen. Das hat nichts mit mir zu tun. Wir ersticken zusehends an der Demokratur. Ich habe keine Wahl. Ich kann nicht tatenlos bleiben, das wäre Verrat.“
Autonomer: „Aber was tust du denn?“
Ozzy: „Was ich kann, du Tröte.“
Autonomer: „An wem wäre es Verrat?“
Ozzy: „An meinem Gott. An meinem Land. An mir selbst ...“
Autonomer: „Die SZ schreibt heute: 'Tatsächlich können vielleicht nur die Isländer einen Popstar hervorbringen wie die Sängerin Björk. Ein Superstar und doch so nah.' Muss dich das nicht deprimieren?“
Ozzy: „Du solltest Moderator beim ZDF werden.“
Autonomer: „Aber was sagst du zu dem Zitat?“
Ozzy: „Wer liest schon die SZ?“
Autonomer: „Wenn du bei den Leuten ankommen würdest, könntest du mich überzeugen. Aber du scheinst nicht cool genug zu sein. Du widerlegst dich selbst.“
Ozzy: „Die Welt ist voller Widersprüche.“
Autonomer: „Ich meine, du hast wirklich gute Ideen. Aber du siehst ja selbst, dass es nicht die Zeit für Pazifisten ist. Die wollen keine Pazifisten, die wollen Terror.“
Ozzy: „Du willst Terror.“
Autonomer: „Sag mir nur, für wen du kämpfst, dann lass ich dich in Ruhe. Ich muss gehen, aber ich möchte nicht mit dir brechen. Sag mir nur, für wen?“
Ozzy: „Ich kämpfe für die Kinder. Und du?“

(3) Maria: Es ist den Konservativen in Amerika nicht möglich, nach einem Angriff auf das eigene Land (noch dazu) selbstkritisch zu sein, auch wenn es der Situation angemessen wäre. Es widerspricht dem Prinzip des Konservatismus, nach dem die Welt in Ordnung ist. Selbstkritik heißt doch immer auch, Schwäche zu zeigen. Man sieht ja an den GRÜNEN, wohin das faktisch führt. Wenn man einen Krieg nach außen führt, muss man psychologisch gefestigt sein und darf keine Schwächen zulassen.

Dass Bush sich jetzt auch für den Staat Palästina einsetzt, wird auch anders begründet als mit Selbstkritik, obwohl es schon in die Richtung geht. Es kann auch sein, dass das Kartenhaus des Konservatismus an Leuten wie Scharon in sich zusammenfällt. Es ist schon relativ schwer, den Begriff des Terrorismus zu definieren und Scharon dabei zu verschonen. Tja. Der fällt richtig auf in dieser Zeit, weil er schon seit 50 Jahren bekannt dafür ist, Araber im Dutzend zu ermorden. In Sabra und Schatila wurden Menschen wie Tiere geschlachtet. Scharons eigene Leute haben ihn wegen seiner Grausamkeit oft zurückgehalten.

(4) Ozzy: Ich glaube, am besten verstehe ich mich mit Nina, das ist Simons Tochter. Sie ist drei und voll in Ordnung. So eine Familie zu haben, reicht eigentlich aus. Schade, dass die Welt so repressiv ist, sonst hätte es ein schönes Jahr werden können. Stattdessen gab es viel Ärger. Schon vor dem Elften September. Naja, und jetzt erst recht. Die Konservativen und die Progressiven könnten zusammen eine neue Welt aufbauen, aber die Konservativen wollen das nicht. Sie setzen sich nicht auseinander, haben Angst davor, dass ihre Vergangenheit falsch gewesen sein könnte. Sie nennen Pazifismus unmodern und opportunistisch, als würden sie über sich selber sprechen.

Schröder hat die Vertrauensfrage verloren, er hat sie nicht gewonnen. Er hat nur die Abstimmung gewonnen. Noch nie war so klar wie heute, dass er viele Kritiker hat. Nach dem, was selbst die SPD-Basis sagt, hat man das Gefühl, dass man Schröder wohl gehorcht, aber bestimmt nicht, dass man ihm vertraut. Insofern hat er auch die Gehorsamsfrage gestellt. Vertrauen kann man nun mal nicht erzwingen, diese Abstimmung aber war offensichtlich ein Zwang und keine Frage.

Die Presse fand das eher auch so. Es gab aber auch andere Stimmen. „Verlässlichkeit“ müssten die Deutschen zeigen, schreibt die konservative Presse. Die steht ja auch aus Gründen der Objektivität normalerweise bei dem Sieger und hier also beim Kanzler. Verlässlichkeit. Wenn es mir doch möglich wäre, die Konservativen zu verstehen! Ich möchte verstehen, wie sie denken, aber wenn ich mich in ihre Lage versetze, dann gelingt mir keine Identifikation. Ihre Argumente sind zu oberflächlich. Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie das wirklich so denken. Ich könnte selbst noch bessere Argumente für die Konservativen finden, aber die reichen auch nicht aus. Ich verstehe nicht, wofür sie kämpfen. Sie kämpfen, keine Frage, aber wofür? Dafür, dass durch langwierige Militärmaßnahmen in der Art von Afghanistan und solche der inneren Sicherheit der Status Quo von vor dem Anschlag erreicht wird? Als die Welt noch in Ordnung war? Haben die Deutschen wirklich ein Interesse daran, ein Vasallenstaat zu sein, der immer nur nachplappert, was die Amerikaner sagen?

Die innenpolitische Lage in den USA hat sich dramatisch verschlechtert. Ich hätte nicht erwartet, dass es so kommt. Sogar meine Lieblings-Uni Berkeley hat sich von der Kritikerfront offenbar wieder zurückgezogen. In der Beilage der TAZ vom 16.11.01 LE MONDE DIPLOMATIQUE ist ein Artikel des Amerikaners Michael Ratner über die Erosion der Bürgerrechte in den USA mit erschreckenden Details. Es herrscht eine überaus strenge Selbstzensur der Presse, Kritiker und Pazifisten werden öffentlich verketzert, repressive Gesetze sind gemacht worden, Diskussionen finden nicht statt, Menschen werden verdächtigt. Hey, das war mal das Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten! Die Terrortat hat offenbar die Selbstzerstörungssequenz der USA eingeleitet. Sie ersticken. Ich hatte ihre Mentalität überschätzt. Jetzt machen sie fast jeden Tag Fehler. Und sie sondieren bereits die nächsten Länder. Deutschland wird natürlich bei den Kämpfen dabei sein.

Man nimmt es den GRÜNEN übel, dass sie diskutieren und Pluralität zulassen. Sowohl die anderen Parteien, als auch die Presse, als auch die Wähler. Das Ende der GRÜNEN ist ausgerufen worden. Man erwartet Geschlossenheit, Verlässlichkeit zu unserem „Partner“. Was da gesagt wird, heißt, dass die Deutschen im Grunde keinen Pluralismus wollen. Der Grundsatz der Demokratie, dass man die Argumente abwägt, die sich aus der Situation ergeben, ist nicht mehr modern. Wir haben eben jetzt Staatsräson, ist eben so. Wegen der Terroristen. Die Gehorsamsfrage hat das zementiert. Die parlamentarische Demokratie hat in den letzten Wochen sehr großen Schaden genommen. Wegen der Terroristen natürlich. Kritische Leute verlieren ihren Job, wegen der Terroristen. Afghanische Tote, Sicherheitspakete, diese Angst, alles wegen der Terroristen. Und das wollen die Konservativen glauben? Klar.

(5) Maja B.: Heute habe ich über das Gegenteil von Gewalt nachgedacht. Oft kommt man ja über das Gegenteil zur Bedeutung eines Wortes. Wäre das Liebe? Frieden. Ja, ich denke schon. Jedenfalls habe ich die Erfahrung gemacht, dass Fremde oft misstrauisch werden, wenn man zu freundlich ist.

Ich gehöre zu den Leuten, die gern auch mal Feedback geben. Das sieht man schon daran, dass ich hier so viel schreibe. Ich möchte dadurch auch Unterstützung zeigen, nicht nur argumentieren. Sonst würde ich in den Mailinglists schreiben und nicht hier. Und so ist es auch allgemein: Wenn ich etwas gut finde, dann pushe ich es. Ich denke, das passt ganz gut zu Ozzys Philosophie. Leider erlebe ich häufig, dass Leute gar nicht gelobt werden wollen. Es ist ihnen irgendwie unangenehm. Vielleicht, weil sie selbst auch niemanden loben. Oder nur rituell. Einmal hat mir sogar jemand gesagt, ich solle ihn nicht zu sehr loben, er fühle sich dann verpflichtet. Er sagte, es sähe dann so aus, als wolle ich etwas von ihm. Ich fragte ihn, wieso, und er fragte, warum ich es sonst tun würde. Ich verstehe das nicht. Ich meine, jeder möchte doch gelobt werden. Ich halte es für progressiv, es zu sagen, wenn einem etwas gefällt. Es ist doch in unserer Gesellschaft viel eher üblich, schlecht über Leute zu reden, als gut. Wenn gut über jemanden geredet wird, bleibt meistens ein Zweifel (Na, ob der oder die wirklich gut ist?), wenn man aber sagt, jemand ist schlecht, dann können die Leute das viel besser einordnen. Das klingt immer glaubwürdig.

(6) Mark H.: Ich habe hier gelesen, dass die Eltern es nicht zulassen, dass ihre Kinder sie übertreffen, und ich möchte das gerne bestätigen. So wie hier geschrieben wird, kann ich sogar annehmen, dass meine Geschichte nicht allzu krass klingt, aber sie ist es schon.

Es war eigentlich die klassische Nummer. Meine Eltern haben sich wenig um mich gekümmert und besonders meine Mutter hat mir immer das Gefühl gegeben, nicht gut genug zu sein. Dadurch hatte ich auch Probleme mit Frauen. Das einzige, was ich meistens hatte, war Geld. Gegen Ende der Schulzeit habe ich angefangen, Drogen zu nehmen. Ich konnte dadurch aus der Einsamkeit fliehen in eine Welt, die schöner war. Aber das war nur für eine kurze Zeit so. Ich habe später richtige Probleme gekriegt. Irgendwann kam ich aus dem BLUESLAND nach Hause, nachdem ich dort lange mit einem Freund geredet hatte. Ich hatte ihm die ganze Situation erklärt und ihm gesagt, dass ich aus dem Teufelskreis rauswolle. Nach dem Gespräch erschien es mir als beste Möglichkeit, mit meinen Eltern offen über die Sache zu reden. Ich wollte es ihnen sagen, und dabei über die Ursachen meiner Sucht sprechen. Dass es auch daran lag, dass sie mich immer außen vor gelassen haben und alles.

Als ich nach Hause kam, hatte meine Mutter die Spritzen in meinem Zimmer gefunden und ein paar andere Sachen. Ausgerechnet an diesem Tag! Sie heulte und machte mir Vorwürfe, und dann heulte ich auch rum und dann kam mein Vater nach Hause, und der hat mich verdroschen und es war fürchterlich. Sie haben mir natürlich nicht geglaubt, dass ich es ihnen sagen wollte. Dann haben sie mich in eine Therapie geschickt. Es war zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr möglich, mit ihnen über die Ursachen zu reden. Sie wollten das alles nicht hören. Sie haben immer nur über Drogen geredet, und was die Leute denken sollen, und wie konntest du nur. Dann haben sie sich in meiner Gegenwart selbst Vorwürfe gemacht, weil sie nicht besser aufgepasst haben, aber dieses Gespräch führten sie mal wieder ohne mich. Es war grauenvoll, es war, als wäre ich gar nicht vorhanden, als hätte das alles irgendwie gar nichts mit mir zu tun.

Ich habe das nicht besonders gut verkraftet und ich hatte nicht einmal mehr Drogen oder die Aussicht darauf, um etwas Ruhe zu finden, und sei es nur für ein paar Stunden. Meine Psyche hat das nicht mitgemacht, weil ich auch zu meinen Eltern keinen Draht mehr fand. Ich war ihnen fremd geworden. Meine Mutter schwankte, mich wie einen ungezogenen 13-Jährigen zu behandeln und wie ein bedauernswertes Baby. Ich entschied mich für eine längere psychiatrische Therapie, auch aus Schuldgefühlen heraus, und verbrachte etwa ein Jahr in der Klinik. Seitdem wohne ich wieder bei meinen Eltern. Ich hatte zunächst ein Jahr gar nichts gemacht, dann ein Studium angefangen, ja, und da bin ich heute noch dran.

Vieles, was ich hier gelesen habe, hat mir Mut gemacht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt etwas Neues anfangen soll. Ausgerechnet jetzt, wo es doch genau in die andere Richtung geht. Seit dem Elften September bin ich wieder depressiv. Inzwischen kann ich auch wieder Drogen nehmen, ohne dass meine Eltern es merken. Es ist überall dasselbe, es werden nicht die Ursachen diskutiert. Jetzt, wo ich sehe, dass sogar Schröder und Bush so drauf sind wie meine Eltern, habe ich große Angst bekommen. Meine Eltern sind natürlich für den Krieg. Mein Vater kommentiert lautstark die Fernsehnachrichten. Ich bin zu schwach, um zu widersprechen. Ich bin ein Feigling. Ich kann es nicht. Ich bin ein Feigling.

Redaktion in Kiel, 18.11.01

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