(1) Silke P.: Vorgestern habe ich im Fernsehen einen Bericht über den Heidelberger Pining gesehen, der mit einem Kollegen für den dänischen König Amerika entdeckt hat, und zwar etwa zehn Jahre vor Columbus! Dabei sind mir zwei Sachen eingefallen: Einmal, was aus Amerika geworden ist ... Ich hatte mich nie besonders viel mit amerikanischer Außenpolitik beschäftigt, aber wenn heute solche Dinge aufbereitet werden, wie, dass die USA die erste UNO-Sitzung in San Francisco bespitzelt und daraus immense Vorteile gezogen haben, überhaupt, wenn man so über die Geheimdienste und die Witschaftsbosse der USA liest, dann denkt man schon manchmal an Columbus zurück. Ich jedenfalls.
In dem Pining-Bericht wurden auch die Seekarten der Zeit gezeigt, aus dem 15ten Jahrhundert. Man hatte auch einige Walfische eingezeichnet, und die sahen alle aus wie riesige Monster. Der Kommentator aus dem Off meinte, die Leute waren so unwissend gegenüber dieser unbekannten Größe, dass sie Angst davor hatten. Sie nahmen an, dass es bösartige Tiere seien, weil sie so groß waren. So wurde der Wal zum Feind, obwohl er den Menschen eigentlich nichts tut. Mir ist das aufgefallen, weil der Wal mein Tier ist. Es gibt ja Leute, die ein bestimmtes Tier besonders mögen, und bei mir ist es der Wal.
An diesem Beispiel kann man ganz gut sehen, wie aus Unwissenheit Angst entsteht, aus Angst Feindschaft, und aus Feindschaft Gewalt. Das Ich und das Andere. Für die Amerikaner ist der Orient dieser Wal und für den Orient ist Amerika der Wal. Trotz Satellitenfernsehen und trotz Internet.
(2) R. Baumann : He Supermann! Warum nennst du dich nicht gleich selbst Björk, dann kriegst du vielleicht ein Visum nach Island! Und gut, dass du persönlich die neue Zeit ausgerufen hast, dann brauche ich das nicht mehr zu machen. Super-Aktion. Was hast du als nächstes vor, wirst du das Meer teilen, damit die Progressiven zu dir laufen können? Im Moment gibt es ja noch nicht so viele. Ach ja doch, Mister Sunbird. Dann kann ja nicht mehr viel schief gehen.
Ich habe übrigens im Internet noch einen Ozzy Balou gefunden. Wirklich. Der hat in der Hundeschau mitgewirkt, als Welpe, aber er hat leider nicht den ersten Platz gemacht. Jetzt steht er ein bisschen da wie ein begossener Pudel.
(3) Uschi T.: Ich bin Werbetexterin und Maria hat mir von der Chronik erzählt. In unserer Zunft ist die neue Zeit jedenfalls noch nicht angekommen. Auch abgesehen von der politischen Situation gibt es bei uns viel Verunsicherung. Die meisten verdrängen. Die Wirtschaftsflaute betrifft uns natürlich ziemlich stark, das kommt noch dazu. Viele haben auch einfach gar keinen Bock mehr auf die Gute-Laune-Nummer. Aber wenn man sowieso über jeden Auftrag froh sein muss, dann macht man halt seinen Job. Deshalb wird mehr über Wirtschaft geredet als über Politk. Die Branche hat bekanntlich ziemlich gelitten, habt ihr mal „39,80“ gelesen?
Was im Moment sehr gefragt ist, ist alles, was mit Sicherheit zu tun hat. Polizistendarsteller haben Hochkonjunktur. Die können praktisch für alles werben. Sex funktioniert auch gut, das funktioniert immer gut. Als Werbeträger eignen sich aber heutzutage nur noch die Bambiträger. Bei denen kann man sich wenigstens einigermaßen darauf verlassen, dass sie stromlinienförmig die Stellung halten. Was der Jauch und der Gottschalk da gemacht haben, war ja wohl unglaublich. Bully hatte da schon den passenden Kommentar. Ich will den aber nicht wiederholen.
Die Weihnachtswerbung hat auch schon angefangen, aber wie gesagt, so richtig Lust hat keiner. Das Weihnachtsritual eben. Mit gedämpfter Stimmung, wegen Wirtschaftskrise und Krieg und Terrorbekämpfung. Die Werbung reagiert natürlich mit viel Gefühlsduselei, das wird ja auch erwartet. Ich laufe da so mit, im Moment jedenfalls noch. Aber ich kann mir auch schon vorstellen, etwas ganz anderes zu machen.
(4) Sibylle J.: Ich verfolge seit einiger Zeit mit großem Interesse eure Diskussion. Vielem, was Ozzy, Maja, Maria, Simon ... sagen, kann ich zustimmen. Besonders gefallen hat mir, dass Ozzy eine neue Zeit ausgerufen hat. Ich spüre auch, dass es an der Zeit für Veränderungen ist. Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass sich die meisten Leute mit Händen und Füßen dagegen wehren und das nicht einmal merken. Denn auch bei Leuten, die gegen die herrschenden Strukturen sind, merke ich oft keine Veränderung. Letzte Woche war ich auf einer Friedensdemo (zwei Tage vor dem Bundestagsbeschluss). Die Leute rufen immer noch die gleichen Parolen wie vor über zehn Jahren, als ich auf meinen ersten Demos war. Manche haben bestimmt noch ihre Berechtigung, aber wenn ich heute Leute auf einer Friedensdemo „Hoch die internationale Solidarität“ rufen höre, wundere ich mich. Merken die gar nix?
Außerdem können wohl einige Menschen auch nicht damit umgehen, wenn sich Sachen zum Positiven verändern, vielleicht weil ihnen dann ihr altvertrautes Feindbild abhanden kommt. Ich komme gerade von einer sehr interessanten Veranstaltung, die von der Frauenbeauftragten der Uni Kiel organisiert wurde. Der Titel war „Der lange Weg zur Akzeptanz – Chancengleichheit und Geschlechterordnung in der Wissenschaft“, aber eigentlich ging es allgemein um Gleichstellung. Es wurden zwei Vorträge gehalten, anschließend fand eine Diskussion statt. Der erste Vortrag war von einem jungen Wissenschaftler, der sich mit Männern im Öffentlichen Dienst und da besonders mit Führungskräften beschäftigt hat. Er hat das Verhalten dieser Männer kritisch analysiert und auch angedeutet, wo sich Möglichkeiten zu Veränderungen ergeben könnten und wo sich auch schon Männer anderes Verhalten angeeignet haben. Mir hat der Vortrag (wie auch der zweite von einer Juristin) sehr gut gefallen. Der Referent war zwar etwas unsicher, aber sehr sympathisch, und er hat sehr verständlich gesprochen, mit guten Begriffen und wenig Fachwörtern.
Ein paar der anwesenden Frauen haben sich nach der Veranstaltung sehr schlecht über ihn geäußert, sie haben seinen unsicheren Stil kritisiert, sein Vortrag habe das Niveau einer Einführungsveranstaltung gehabt, und sie konnten nichts Interessantes in ihm finden. Ich finde es schade, dass einem jungen Menschen nicht zugestanden wird, dass er noch unsicher ist, und dass das Benutzen von wenig Fachwörtern als Mangel aufgefasst wird. Außerdem ist doch verwunderlich, dass diese Frauen sich nicht darüber freuen, einem Mann zu begegnen, der die Männerrolle in der Gesellschaft kritisch betrachtet und die herrschenden Machtstrukturen hinterfragt und verändern will. Doch offenbar können diese Frauen nicht damit umgehen, dass Männer anders als in ihrer von Feindbildern geprägten Vorstellung sind. Und auch schien es mir, dass vielen der Frauen gar nicht daran gelegen ist, die Strukturen grundlegend zu ändern, sondern nur daran, an der Macht teilzuhaben. Machtstreben ist für mich nicht per se negativ. Die Frage ist, wie mit der erlangten Macht umgegangen wird. Doch die Argumentation, wie ich sie heute Abend gehört habe, „Erst mal müssen wir an die Macht, weil wir erst dann Einfluss nehmen können“, halte ich für gefährlich. Ich glaube, wenn man sich nicht ständig darüber im Klaren ist, was man mit der angestrebten Macht erreichen will, korrumpiert einen diese, und man handelt nur noch um ihretwillen. Und das finde ich nicht gut, egal ob ein Mann oder eine Frau so handelt.
Ein Problem, das ich habe – und sicherlich auch viele andere – , ist, dass ich nicht so recht weiß, was ich tun kann, um dazu beizutragen, Veränderungen herbeizuführen. Sicherlich, ich kann mich informieren und mir darüber klar werden, was das für Veränderungen sein sollen. Dabei hilft mir eure Diskussion auch sehr weiter. Und ich kann auch mit Freunden und Bekannten über diese Dinge sprechen und erreiche dadurch vermutlich auch Veränderungen, aber die scheinen mir sehr klein und unsichtbar zu sein und sind dadurch auch nicht immer befriedigend. Deshalb frage ich mich, ob ich nicht noch mehr tun kann. Seit der 32. Nachricht habe ich den Eindruck, dass auch Ozzy sich da nicht ganz sicher ist. In dem Gesprächsausschnitt mit dem Autonomen hat Ozzy insgesamt sehr ausweichend geantwortet, auch was die Frage betrifft, was er tut, um Veränderungen herbeizuführen.
(5) Ulrich S.: Ich nehme an, dass es etwas respektlos gewesen ist, Ozzy so runterzuputzen, und ihn anschließend danach zu fragen, was er über die Arbeitslosigkeit denkt. Es war nicht so gemeint. Ich gebe zu, dass das nicht angemessen war, immerhin ist er Demokrat. Es sind einfach viele fremde Gedanken für mich und Ozzy schien nicht der zu sein, den ich kannte, aber es ist sicher wichtig, zwischen Attitüde und Argument zu unterscheiden. Ein Rock'n'Roller redet eben etwas anders als ein fotografierender Ex-Polizist. Auch mich bewegen die Ereignisse in der Welt, und ich weiß oft nicht, was ich denken soll.
Ich schreibe aus zwei Gründen so apologetisch: Einmal finde ich es sehr bedenklich, dass der Autonome jetzt wieder abgesprungen ist. Als ich das las, dachte ich: Nee, das ist ja noch schlechter, als das, wofür Ozzy steht. Lieber ein pöbelnder Rock'n'Roll-Künstler als ein Steine werfender Autonomer!
Zweitens habe ich beim Nachdenken über die Beiträge der letzten Wochen an die Zeit bei der Hamburger Polizei gedacht. Ich musste unwillkürlich daran denken, dass so gut wie niemand seine Schuld zugeben wollte, wenn wir ihn überführten. Wir hatten da mal den Fall, dass jemand den Flurstrom abgezapft hat, der von allen Hausparteien bezahlt wurde. Es flog auf, und wir fanden auch die Kabel, es war völlig klar, und der Typ hatte den Nerv, alles abzustreiten. Und das war bestimmt kein Einzelfall. Das war einer der nervigsten Aspekte dieses Berufes, immer wieder zu erleben, wie dumm sich die Leute stellen können und mit was für einer Ausdauer! Und wenn das schon bei Polizisten so ist, kann man sich ja leicht vorstellen, wie das bei weniger mächtigen Leuten aussieht. Die Leute können Schuld fast nur von außen annehmen, und auch nur, wenn sie dazu gezwungen werden. Ich habe aus diesem Fehlverhalten gelernt, hoffe ich, und diesen Gedankenstrang habe ich in dieser Chronik auch schon oft gefunden. Ein wichtiges Thema, wie ich finde. Ich kann nicht genau sagen, warum es wichtig ist, seine Fehler selbst einzusehen, möglichst bevor es ein anderer sieht. Vielleicht, weil es sonst zur Gewohnheit wird und es die Hemmschwelle zur Schuld sinken lässt, weil man sich so ein Muster bastelt nach der Art: Schuld anhäufen, Zeit vergehen lassen, Verdrängen, damit durchkommen oder überführt werden. Ich glaube, das Unterbewusstsein leidet darunter, aber ich kann es nicht genau formulieren.
Zwei kurze Bemerkungen zum Schluss über Schuld und Krieg. Man darf das Argument der „Konservativen“ nicht unterschätzen, dass auch das Herunterspielen der terroristischen Gefahr eine Verdrängung ist. Denn die Politiker müssen handeln, und was sollen sie sonst tun? Der zweite Punkt betrifft die Gedenkfeiern, die zum Volkstrauertag veranstaltet werden. In dieser Zeit kommen sie mir etwas seltsam vor. Nicht, dass sie falsch wären. Aber ich habe vor kurzem eine Doku über Neuengamme gesehen. Man hat die (alten) Anwohner gefragt, die um das KZ herum wohnen, ob sie damals davon wussten. Die meisten haben die Tür sofort zugemacht oder vehement abgestritten, irgendwas gewusst zu haben. Das sind irgendwie zwei Seiten einer Medaille: Die Öffentlichkeit zeigt (in ritualisierter Form) Buße, und das Volk denkt, was es will. Es fällt mir schwer, diese beiden Sachen zusammenzubringen, aber wie Ozzy schon sagt: Die Welt ist voller Widersprüche.
Redaktion in Kiel, 20.11.01
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