(1) D. Hofstaedter: Wie in Nachricht 35 angekündigt, möchte ich einige Gedanken beisteuern zum Thema Trance. In unserem Institut untersuchen wir die Bewusstseinsänderungen, die in einer Trance stattfinden. Hier wurde oft vom Verhältnis zwischen Künstler und Gesellschaft gesprochen, und der Begriff der Trance gehört sicherlich zum Inventar in diesem Diskurs. Es ist erstaunlich, dass Phänomene wie Trancen, die wir auch in unserem Alltagsleben haben, so wenig beachtet und untersucht werden. Für einen Musiker wie Ozzy ist das heimischer Boden. Wenn ein Musiker inspiriert ist, heißt das nichts anderes, als dass er in einer bestimmten Art der Trance ist. Es erscheint, als wäre der eigene Körper und der eigene Geist nur ein Mittler, ein Medium für etwas anderes zu sein, das sprechen will. Man lässt einen Kontrollverlust zu, wenn man sich in die Trance begibt und lässt sich von einer inneren Stimme leiten, die man kennt und der man vertraut.
Im Alltag kennen wir Arten der Trancen, zum Beispiel die regenerative Trance bei der Blickstarre, die Trance beim Tanzen zu rhythmischer Musik oder die, wenn man versunken aus dem Fenster schaut. Alles, was ohne Hast und Hektik geschieht. Kulturhistorisch gesehen ist das das Revier des Schamanen. Den Archetyp des Schamanen kann man auf jedem Kontinent nachweisen, und ich glaube auch in jedem Jahrhundert. Bei den Naturvölkern hatte der Schamane die gesellschaftliche Aufgabe, zwischen der Geisterwelt und der Menschenwelt zu vermitteln. Dabei handelte es sich nicht um inhaltslose Kulte, sondern um die gesamte spirituelle Vorstellungswelt der Gesellschaft. In unserer heutigen Gesellschaft klingt das fremd, aber es gibt diesen Archtetypen nach wie vor, und Popkünstler kommen dem wohl nahe. Warhol und auch Beuys sind Schamanen genannt worden, sie ergründeten die kollektiven Traumwelten und brachten sie an die Oberfläche.
Im Verlauf meiner Studien bin ich zu den Fragen gekommen, welches eigentlich das Wissen des Schamanen ist, und welche Rolle der Schamane bzw. das Medium in einer Gesellschaft wie der unsrigen haben kann. Immer, wenn ich Probanden in der Trance gesehen habe, hatte ich den Eindruck, sie befördern eine Art von Wissen an die Oberfläche. Bis heute kann ich das nicht genau definieren. Vielleicht geht es um die Kollektivpsyche. Es gibt natürlich Definitionen, aber das sind doch nur Worte. Was in einer Trance geschieht, kann man wahrscheinlich nur verstehen, wenn man es erlebt, und vielleicht nicht einmal dann. Wahrscheinlich haben wir noch nicht einmal das Vokabular zusammen, um systematische Aussagen zu machen, obwohl diese Wissenschaft Jahrtausende alt ist. Da hier auch hin und wieder Buchtipps erscheinen, erlaube ich mir, auf das Buch „ZUR QUELLE DER KRAFT. Schamanische Techniken für das Leben von Heute“ hinzuweisen (Jose und Lena Stevens, 4. Auflage 1995).
(2) Samira T.: Es klingt sehr schön, was Maria gesagt hat, wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann. Ich glaube, wir alle wünschen uns das, aber es ist sehr viel Arbeit. Als ich damals noch studiert habe, hatte ich relativ schnell eine Vorstellung davon, was ich machen wollte. Es sollte auf jeden Fall mit Arabisch zu tun haben, weil ich diese Sprache seit langem liebe, am besten unterrichten. Und mit der Musik wollte ich auch nicht aufhören.
Ich spiele Bratsche. Es war gar nicht so leicht, in ein gutes Orchester zu kommen. Es gibt außerdem nicht viele freie Stellen für Bratsche. Ich glaube, im Orchester habe ich zum ersten Mal gespürt, dass das Leben ziemlich hart sein kann, und dass man ganz schön aufpassen muss, wenn man einen Platz sucht. Deshalb kann ich Ozzy ganz gut verstehen. Ich hatte geübt und geübt, denn ich wollte unbedingt diese Stelle und ich war auch gut genug. Aber ich konnte mich nicht durchsetzen. Es war eine fürchterliche Erfahrung. Später habe ich gelernt, wie man sich behauptet. Nach meiner Erfahrung muss man manchmal auch ein bisschen hart sein können, um seine Existenz zu sichern. Sonst wird man übergangen.
Das wichtigste ist aber, dass man einen Traum hat. Für mich war es lange ein Traum, Arabisch zu unterrichten. Ich hatte vorher bereits Nachhilefeunterricht gegeben und Tutorien. Wenn ich im Orient war, habe ich Bücher mitgebracht, die man im Unterricht benutzen kann, Märchen, Kurzgeschichten, aber auch Grammatiken. Ich liebe Grammatik. Arabisch ist eine sehr logische Sprache. Die Grammatik war schon im achten Jahrhundert fertig ausgebildet. Als ich Tutorien an der Uni gegeben habe, habe ich gemerkt, wie sehr mir diese Arbeit liegt. Auch als es später keine Gelder mehr für Tutorien gab, habe ich weiter unterrichtet. Das Geld war mir in dem Moment nicht so wichtig. Ich wollte einfach diese Arbeit machen, das war mein Freiraum, meine Welt.
Und ich denke, das ist auch die richtige Politik. Es gehört schon ein bisschen Idealismus dazu, wenn man sich verwirklichen will. Ich hatte zunächst nicht gedacht, dass alles klappt, aber ich habe lange genug daran geglaubt, und heute habe ich einen Platz und kann das machen, wovon ich immer geträumt habe. Dieses Mal habe ich mir die Chance nicht entgehen lassen. Jetzt, wo das Kind da ist, ist zwar eine weitere Sache dazugekommen, aber ich habe meinen Tagesablauf so eingerichtet, dass ich Kind, Beruf und Orchester ganz gut im Griff habe. Ich brauche das so ein bisschen auch als Gegengewicht.
(3) Chong: Das ist ja die abgefahrendste Sache, die ich gelesen habe. Mein Beitrag in der 25 ist zwar nach wie vor der beste, aber ihr dürftet – nein: wir dürften – bald schon so ziemlich alle Tabus angesprochen haben, die es in diesem Lande so gibt. Na gut, dass wenigstens ich anonym bleibe. Übrigens bin ich Bob-Marley-Fan, und ich finde es unbegreiflich, wieso Bob Marley's Name hier noch nirgends gefallen ist. Immerhin hat er eine Musikrichtung gegründet und eine Gesellschaftsform gefordert, die auf LOVE & PEACE beruht. Als politischer Musiker war er ohnegleichen. Ein großer Mann.
Aber eigentlich wollte ich über etwas anderes sprechen, nämlich über Gewalt zwischen Mann und Frau. Als Ergänzung zu dem, was schon gesagt wurde. Jemand sagte ja, dass die Beziehung zwischen Mann und Frau und auch die Beziehungen in der Familie die Keimzelle der Gewalt in unserer Gesellschaft darstellen. Nach meiner Erfahrung gibt es beim Kennenlernen von Mann und Frau bestimmte Erwartungshaltungen auf beiden Seiten. Ich habe einige schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht, so wie auch viele Frauen schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht haben. Es gibt in der Kennenlernphase einen bestimmten Punkt, wo das Rollenverhalten zum ersten Mal auftritt. Die Initiative liegt trotz aller Emanzipation in der Regel beim Mann. Frauen erwarten es so. Sie geben ganz feine Hinweise und schauen, was der Mann so tut. Ich kenne es nun so, dass Frauen die Männer leicht im Unklaren lassen, bis der Mann sich zeigen muss. Dann prüft sie, ob er in der Lage ist, die Situation in einer Art zu dominieren, dass sie es okay findet. Oft lässt sie es zu oder wünscht es sich sogar, dass der Mann dabei über ihre Grenze geht.
Vielleicht treffe ich auch nur auf solche Frauen und die meisten sind anders. Ich weiß es nicht. Deshalb stelle ich das hier mal so in den Raum. Ich glaube schon, dass viele Leute Gewaltfantasien haben. Ich glaube, einige Frauen schämen sich zuzugeben, dass sie sich eigentlich ganz hingeben wollen. Wenn dann männliche Gewalt diese Hemmschwelle überwindet, fühlen sie sich befreit. Sie dürfen es nicht zugeben, aber sie müssen auch nicht darauf verzichten. Und sie können sich auch noch darüber beschweren und dem Mann Vorwürfe machen. Der wird sich dann entschuldigen und so ist das Ritual komplett. Bestimmt gilt das für Männer ähnlich.
Mich nervt das ziemlich. Ich bin nur ein gemütlicher kleiner Kiffer, dem es meistens gut geht, und ich will keinem was. Wenn ich Frauen kennen lerne, die bezwungen und gezähmt werden wollen wie ein Pferd, dann verliere ich meistens das Interesse. So etwas interessiert mich nicht. Das ist die John-Wayne-Masche: Tu so, als wäre sie dir völlig gleichgültig, sei abweisend und griesgrämig zu ihr, und schon geht sie an die Angel. Sie mag das nämlich so und fragt sich, ob ihr Vater sie nicht vielleicht doch geliebt haben könnte. Dann dockt sie bei John Wayne an, um die Frage zu klären. Sie kreuzt dauernd zufällig bei ihm auf, bis sie irgendwann einen Fehler macht und Schwäche zeigt. Wenn hinreichend klar ist, dass sie Schuld an der Beziehung haben wird, kommt der Kuss und dann hat er sie ... Nee, also das gefällt mir nicht. Ich will doch keine Frau, die darauf steht, dass man sie ignoriert und scheiße behandelt.
(4)Silke P. : Nachdem wir jetzt das Egofraktal und das Abschiedsfraktal haben, frage ich mich, ob es auch ein Gewaltfraktal gibt. Wenn die Gewalt im Kleinen so ist wie die im Großen, müsste man doch Beispiele dafür finden können. Dachte ich. Aber es funktioniert nicht richtig. Beim Nachdenken komme ich immer wieder zum Egofraktal. Damit kann man sehr viel erklären. Vielleicht lohnt es sich, diese beiden Fraktale systematisch darzustellen. Ich selbst bin leider nicht sehr gut in so etwas, aber ich würde es gerne lesen.
(5) Maria: Eine Antwort für Tarek B. Du hast gefragt, wie du dich verhalten sollst, jetzt wo dein Zivifreund wieder mit dir redet. Du hast gesagt, du könntest das ruhig schreiben, er würde es sowieso nicht lesen. Dann zeig es ihm doch einfach. Geh mit ihm ins Internet und zeig ihm dort, was du geschrieben hast und was dich bedrückt. Und danach diesen meinen Beitrag. Egal, wie er darauf reagiert, es ist eine produktive Handlung, und ihr werdet beide ein bisschen schlauer sein. Versuch's!
(6) Mr. Sunbird: Die Sonnenvögel grüßen Ozzy Balou, den legitimen Erben des internationalen Rock'n'Roll!
(7) Mo: Vorweihnachtszeit. Die Leute in Reading bereiten sich auf den Winter vor. Die Kinder werden über Weihnachten aus London zu meiner Schwester ins Haus kommen. Seit Jahren ist es so gewesen. Eine schöne, ruhige Zeit. So wird es wohl auch in diesem Jahr sein, aber dann auch wieder gar nicht. Es ist das erste Weihnachten in einer neuen Zeit. Mit einer Katastrophe sind wir in einer neuen Zeit gelandet, mit einer Bürde. Der Schock sitzt tief. Alle wissen, dass die Zeiten sich ändern, dass wir es hier nicht einfach mit einem außenpolitischen oder innenpolitischen Vorfall zu tun haben, sondern dass sich jetzt die Menschen ändern werden. Ich bin fatalistisch genug, um die weltpolitischen Ereignisse mit großer Spannung zu verfolgen. Und ich habe Hoffnung. Ja, das ist auch der Grund meines Beitrags, ich sehe nicht schwarz. So etwas mag sich ändern, aber mein jetziges Gefühl und meine Träume sagen mir, dass es derzeit in jedem Land Tendenzen gibt, Impulse gibt, um eine neue Gerechtigkeit zu formulieren. Es geht uns alle an.
Redaktion in Kiel 04.12.01
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