(1) Ozzy: Poah, was war das denn für einer?! Conan Bukowski. Der Name ist Programm. Aber gut, dass dieses Aloch geschrieben hat, wirklich. Da musste ich meinen Beitrag ja glatt noch einmal überarbeiten. Unglaublich, diese Welt!
Das Nichts, die andere Seite. Das ist mein Thema heute. Aber ich spreche auch über die Leute, die denken und sagen, dass ich meine Situation übertreibe, weil ich emotional bin. Dass es den Kindern in Afghanistan ja viel schlechter gehe. Oder dass ihnen auch keiner zuhören würde, wenn sie sich über strukturelle Gewalt beschweren würden. Und dass ich nicht der bin, der ich vorgebe zu sein. Aber doch, der bin ich. Da gibt es Leute, die denken, dass es unterdrückte Künstler nur in der Nazizeit gegeben hat, weil das eine schlimme Zeit war. Dass sie damals mit dem KZ bedroht waren. So etwas gibt es heute nicht mehr, deshalb gibt es auch keine unterdrückten Künstler mehr. Das würde auch der Aufgeklärtheit unserer Gesellschaft widersprechen, wenn es so etwas gäbe. Deshalb darf es so etwas nicht geben. Die Leute glauben nicht, was sie sehen, sondern sie sehen, was sie glauben.
Es ist schon so, dass es für mich eher schlimmer wird mit der Zeit, wenn ich nur allein und hier in der Chronik Ozzy Balou sein kann und bei den Leuten aus der Chronik. Draußen muss ich Ozzy Fallnichtauf sein, ich muss mich ständig verleugnen, weil ich nicht sein darf, was ich bin. Warum kann ich mich in dieser Gesellschaft nicht entfalten? Wenn ich mit Leuten rede, wenn ich jemanden neu kennen lerne, wenn ich zum Bäcker gehe, immer muss ich irgendwie aufpassen, nicht Ozzy Balou zu sein.
Ich muss das sagen, sonst gerät es in Vergessenheit. Und das genau ist das Nichts, die andere Seite. Seht es euch an, ein Conan Bukowski kommt hoch in unserer Gesellschaft, ein Ozzy Balou nicht so leicht. Das bin doch nicht ich, das ist die Gesellschaft. Der fällt immer etwas ein, warum man so sein soll wie der Rest. Aber manche Leute sind einfach nicht so und es gibt sie trotzdem.
Hier ist das das elfte Kapitel von Lao Tse, es beschäftigt mich in letzter Zeit:
‚Dreißig Speichen umringen die Nabe. Wo nichts ist, liegt der Nutzen des Rads. Aus Ton formt der Töpfer den Topf. Wo er hohl ist, liegt der Nutzen des Topfs. Tür und Fenster höhlen die Wände. Wo es leer bleibt, liegt der Nutzen des Hauses. So bringt Seiendes Gewinn, doch Nichtseiendes Nutzen.'"
(2) Maria: Viele von uns teilen die These, dass unsere Familien kaputt sind und auch, dass das den Eltern anzulasten ist. Die gründen ja die Familien. Man kann einwerfen, dass sie selbst einmal in der Position der Kinder waren, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Wenn wir hier etwas Neues machen wollen, müssen wir konsequent bei uns selbst anfangen. Wir müssen selbst den Kreis durchbrechen. Wir müssen das Fehlverhalten unserer Eltern erkennen, auch wenn die Eltern selbst nichts damit zu tun haben wollen. Wenn wir es nicht tun, werden wir automatisch genauso wie sie. Und auch wir werden dann unsere Kinder zu besitzen versuchen, um unser Defizit wieder hereinzuholen und damit den Teufelskreis weiterführen. Auch meine Eltern haben mir gesagt, dass ich das alles schon ganz anders sehen werde, wenn ich erst einmal eigene Kinder habe. Nein, das glaube ich nicht. Es war nur eine Ausrede.
Die meisten Leute merken ja gar nicht, wie sie von ihren Eltern verbogen worden sind, weil sie nichts anderes kennen, und weil es den Freunden auch so geht. Es ist ihre Normalität. Ich kenne viele Fälle von Leuten, die unbewusst nach jemandem suchen, der ihnen (endlich) das gibt, was sie in ihren Familien nicht bekommen haben, bzw. was sie von denen nicht bekommen, die die Rolle der Familie übernommen haben, also Arbeitgebern und Freunden. Sie merken, dass sie mehr Liebe verdient haben, haben aber eine innere Sperre, die es verhindert, dass sie ihre Kritik da anbringen, wo sie hingehört. Wegen des Autoritätsdenkens eben. Dann kommt unbewusst der Mechanismus zu Stande, der sie dazu bringt, dieses Defizit durch unbeteiligte Personen wieder auszugleichen.
(3) Silke P.: Ich frage mich, ob es wirklich die Gewaltfrage und die Kontrollfrage sind, die das wesentliche Problem unserer Gesellschaft darstellen. Gewalt und Kontrolle dominieren da, wo das Vertrauen fehlt. Bleiben wir doch für einen Moment bei diesem Vertrauen: Warum fehlt es, was ist Vertrauen überhaupt, wieviel davon kann man aufbauen und wie?
Das Vertrauensfraktal. Aus vielen Beiträgen geht hervor, dass die Individuen sich einerseits viel zu wenig zutrauen, und dass sie nicht wahrnehmen, dass sie große Kapazitäten haben, dass sie andererseits aber sich selbst weit überschätzen und arrogant sind. Diesen Widerspruch kann ich weder erklären, noch verstehen. Es muss aber mit dem Selbstvertrauen zu tun haben. Politisch korrekt ist es, nicht zu viel Selbstvertrauen zu haben. Wenn man es nicht zu wichtig nimmt, was man tut, wenn man zweifelt und unzufrieden ist, dann hat man es leichter in der Gesellschaft, weil man den anderen nicht das Gefühl gibt, unterlegen zu sein. Dieses Gefühl bekommen die Leute schnell, und dann schnappen sie ein. Nur von Führungspersönlichkeiten erwartet man, dass sie nicht zweifeln.
Doch damit kann man noch nicht erklären, warum die Leute sich nicht vertrauen und sich nicht umeinander kümmern. Denn kaum jemand sieht sich als Teil der Gesellschaft. Wir leben doch in einer Welt voller Einzelkämpfer, jeder gegen jeden. Dabei kommen dann so perverse Typen raus wie dieser widerliche Conan Bukowski. Die Innenwelt der Leute scheint so groß zu sein, dass jeder seine eigene Realität bestimmt. Bei allem, was da nicht reinpasst, kuckt man einfach weg. Wenn dem Nachbarn ein Unrecht geschieht, kuckt man weg. Wenn die Gesellschaft funktionieren würde, und wenn es Vertrauen gäbe, wäre das nicht der Fall. Am Anfang der Chronik sprachen Sven und Ozzy über die Verrätertheorie, die ein internationales Abrüsten verhindert. Ein einziger Verräterstaat reicht, um das Vertrauen zu zerstören. Ich denke, das ist dasselbe wie bei den Individuen, die sich nicht vertrauen, weil sie im Anderen immer einen potenziellen Feind sehen. Deshalb spreche ich vom Vertrauensfraktal.
Be the change you want. Ozzy will vertrauen, also vertraut er. Ich sehe, dass das im Prinzip der richtige Weg ist. Bei vielen Leuten aus der Chronik, und vor allem bei den Leuten, die sich freitags bei Maria treffen, findet er auch Vertrauen, aber nach Außen weniger. Mir hat sogar jemand gesagt, dass Ozzy dadurch gerade das Gegenteil beweist, nämlich dass es sinnlos und dumm sei, zu vertrauen, weil niemand das tut. Selbst in den Familien. Ozzy hat sogar in der eigenen Familie kein Vertrauen gefunden, sondern aggressive Ablehnung. Das macht mich traurig, und ich fühle mich hilflos. Aber ich höre auf Mo und mache lieber Wut aus meiner Trauer, als dass ich resigniere.
(4) Simon: Sven Hannawald ist ein echter Star. Er hat große sportliche Erfolge erzielt. Auch Michael Schuhmacher ist ein deutscher Star. Bei solchen Leuten geht es, denn es sind Sportler. Sie haben mit Politik nichts zu tun. Sie bleiben in ihren Rahmen. Das sind zwei Argumente, denn erstens ist es politisch korrekt, unpolitisch zu sein (man muss keine Opposition befürchten), zweitens kann man die Sportler in Schubladen stecken und dadurch kontrollieren. Sven Hannawald, dessen Erfolge ich voll anerkenne, lebt für die Fans in einer Welt voll Schnee und Ski. Mehr braucht es nicht. Er hat keine Gedanken, mit denen man sich auseinandersetzen muss, sondern er fährt bestimmte Zeiten, und nur darum geht es. Niemand wird anecken, wenn er sagt, er sei Sven-Hannawald-Fan.
Ein solches Verständnis vom Star gibt es auch in der Musik, zum Beispiel bei Jeanette Biedermann. Auch sie hat einen schönen Körper und eine Art sportlichen Ehrgeiz, der in ihrer Musik zum Ausdruck kommt. Die Songtexte sind so clean, dass Herr Müntefering sie geschrieben haben könnte. In ihrer Musik steckt auch viel Geld, und auch das ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges Kriterium für Erfolg. Ein Musiker, der keine teuren CDs und Videos macht, ist per definitionem nicht so gut. Hier sieht man, dass heutzutage immer irgendein Reicher dahinterstecken muss, um einen Musikstar zu schaffen. Und die Reichen suchen sich eben bestimmte harmlose, gut verkäufliche Typen aus.
Redaktion in Kiel, 11.01.02
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