home   ao english   musik   literatur   journalismus   bilder   sprachen   mehr   shop   sitemap

ROCK'N'ROLL
Nachricht von Ozzy Balou
Eine Rekonstruktion
von Anis Hamadeh
vorige DIE 73. NACHRICHT nächste

(1) Der Red.: Heute erreichte mich eine Einladung für Ozzy zur Pressekonferenz des „Festivals Musik und Politik“ vom 21. – 24.2.2002 in Berlin. Veranstalter ist LIED UND SOZIALE BEWEGUNGEN e.V. Das ist lustig. Zum Musik machen kommt er dabei allerdings eher nicht.

(2) Bertold M.: Ich möchte darauf antworten, was Herr Hofstaedter über das Satanisten-Ehepaar gesagt hat, dass sie nämlich ihre Schuld schon von alleine erkennen, sobald sie für einige Zeit in Ruhe darüber nachgedacht haben, und dass dies als Strafe bereits ausreichen würde. Ich bin da anderer Meinung. Hier liegt doch ein Grundproblem der Verbrechensbestrafung: Es ist eben nicht davon auszugehen, dass die Menschen im tiefsten Inneren gut sind. Es gibt Verblendete, und Menschen, die Böses tun, ohne dabei Schuld zu fühlen. Dies zu übergehen, wäre naiv und romantisch. Es hieße doch letztlich, dass wir uns alle Gefängnisse sparen könnten.

Die Rolle der Presse in diesem Fall ist allerdings sehr bedenklich. Sie hat sich faszinieren lassen von dem gestylten Äußeren der Satanisten und ihren Gesten vor Gericht. Die Kameras gingen fast schon analytisch über die Frisuren und die Tattoos der beiden Verbrecher und filmten sie, während sich die Beiden küssten oder ihrem lächelnden Verteidiger etwas ins Ohr flüsterten. Dadurch vermittelt die Presse eine Ästhetik, die in scharfem Kontrast zu der fürchterlichen Tat der beiden Mörder steht. Gerade Jugendliche bleiben ja bei der oberflächlichen Betrachtung stehen. Sie sehen die Frisuren und den Willen der beiden Leute, und wenn sie die Gewalt auch nicht verstehen können, so verstehen sie bestimmt die Ästhetik, die über die Medien vermittelt wird. Natürlich berichten die Medien nicht positiv über die Satanisten, aber sie geben ihnen viel Raum. Auch SPIEGEL-ONLINE hat das Foto des Mörders mit einer typischen Handbewegung auf die Frontseite gebracht. Dafür verzichten sie aber wenigstens inzwischen auf diesen Trivial-Pursuit-Spruch „Wissen Sie mehr als alle anderen?“ (siehe Nachricht 60.4.4, der Red).

Die Boulevard-Magazine im Fernsehen nehmen das Thema natürlich auch begeistert auf. Es gibt eben viel zu sehen, und man kann sich so gut davon distanzieren. Dann werden erschreckende Zahlen genannt: dass es heute 7000 Satanisten gäbe und früher nur 1000. Eine junge Frau wird interviewt, die sich die Haare so zurecht gemacht hat wie die Satans-Mörderin, und die sagt, dass es ihr imponiert, wie gradlinig und unbeirrt die Angeklagten sind. Dass sie Überzeugungen hätten. Daran sieht man, dass es eigentlich Überzeugungen sind, die als vorbildlich gelten, Überzeugungen, die selbst gegen die herrschende Meinung Bestand haben. Es geht also gar nicht um den Satanskult, der schafft nur den Rahmen. Inzwischen gibt es die beiden Mörder auch als Bildschirmschoner und so weiter, und ihr Kult wird durch die Medien gefördert. Die berufen sich wiederum auf ihre Informationspflicht und denken, nichts damit zu tun zu haben.

Die Perversion der Gesellschaft wird ganz deutlich, wenn man bedenkt, dass Künstler wie Ozzy von der Presse leicht ignoriert werden. Nach dem, was Ozzy mir am letzten Freitag bei Maria gesagt hat, kann man davon ausgehen, dass die deutsche Presse Ozzy inzwischen wieder kennt. Er hat ja auch zu vielen Themen gute Argumente. Und auch Ozzy hat Überzeugungen, die er sich nicht von der Gesellschaft kaputt machen lässt. Aber er ist nun einmal kein Verbrecher. Von den 7000 Satanisten könnte wahrscheinlich mehr als die Hälfte Ozzy-Fans sein, aber sie kennen Ozzy nicht. Wenn Ozzy nun eine Gewalttat begehen würde, dann käme er in die Presse, und dann würde er auch bekannt werden. Aber die Öffentlichkeiten sind offenbar der Ansicht, dass engagierte Künstler es nicht verdient haben, gepusht zu werden, solange sie nichts (Böses) erreicht haben. Sie berichten lieber über die Satanisten und darüber, wie pervers die sind. Insofern gibt es einen indirekten Personenkult in Deutschland, einen Anti-Personenkult mit dem Effekt des Personenkults. Die deutsche Öffentlichkeit holt sich ihre Informationen aus Amerika und aus der offiziellen Politik, da sie nicht bereit ist zu glauben, dass es auch in Deutschland innovative Kräfte gibt. Günter Grass hört man an, aber den muss man anhören, denn er hat den Literaturnobelpreis bekommen. Die Medien haben weitaus mehr Schuld an den Verhältnissen, als sie es sich eingestehen. Sie haben genauso große Angst vor positiven Veränderungen wie der Rest der Gesellschaft. Vor negativen Veränderungen wie etwa vor Kriegen oder Satanisten dagegen scheinen sie wenig Angst zu haben. Die werden durch ausführliche Berichte gepusht.

(3) Samantha D.: Das Problem mit der Streitkultur ist, dass sie Selbstkritik zulassen muss. Selbstkritik ist aber gewissenmaßen undeutsch. Ich glaube manchmal sogar, dass die Deutschen immer noch nicht begriffen haben, dass sie den Krieg verloren haben. Ich glaube, sie denken, dass sie irgendwo doch Recht gehabt haben, und dass sie nur Pech hatten. Vielleicht wissen sie auch einfach nicht, was Selbstkritik ist und dass sie nach vorne führt.

Vor ein paar Tagen habe ich im Radio eine Sendung über Japan gehört, ich glaube, es war im DEUTSCHLANDFUNK. Eine Frau hatte eine Suppenküche aufgebaut, aber ihr Laden hat nicht funktioniert. In der Sendung wollte man ihr „weiterhelfen“. Man brachte sie dazu, sich selbst runterzumachen und dazu, noch einmal neu anzufangen, indem sie eine Art Praktikum in einer florierenden Suppenküche machte. Die ganze Geschichte wurde zu einer ziemlichen Erniedrigung für die Frau. Die Botschaft der Sendung war, dass du Buße tun und dich tief bücken musst, wenn dein Plan nicht funktioniert. So wird es dem deutschen Radiohörer präsentiert. Solche Dinge haben für mich nichts mit Selbstkritik zu tun, sondern mit Masochismus. Selbstkritik bedeutet doch vielmehr, die Fehler aus der Situation zu erkennen und sie dadurch nicht mehr wiederholen zu müssen.

(4) Tom Sawyer: Immer stärker habe ich den Eindruck, dass Ozzy auf dem Holzweg ist. Ob es einen Gott gibt, nun, darüber kann man streiten. Ich glaube nicht an Gott. Gott ist eine alte Erfindung, die rein psychologisch zu erklären ist. Vielmehr geht es darum, zu verstehen, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Man kann nicht von Außen und ohne Bezug zu den Gegebenheiten Maßstäbe aufstellen darüber, was richtig und falsch ist, denn das ist Spiegelfechterei.

Um etwas zu erreichen, muss man ein Netzwerk haben. Das ist ein alter Hut. Einer allein kann gar nichts erreichen. Auch Gandhi und Martin Luther King hatten ja Strukturen, aus denen heraus sie agiert haben. Ohne diese Strukturen hätten sie rein gar nichts bewirken können. Das Problem bei Ozzy ist, dass er niemandem nützt. Wenn ich jemanden kennen lerne, der mir keinen Nutzen bringt, dann nehme ich ihn gar nicht wahr. Da kann er noch so viel reden und tolle Ideen haben. Um eine Karriere zu machen, muss er anderen Leuten nützlich sein, und zwar nicht ideell, sondern ganz konkret. Dann erst kann er eine Lobby aufbauen, und dann erst kann er etwas erreichen. Ozzy ist für mich nichts als eine tragische Gestalt.

(5) Robert A.: Die letzte Nachricht hat mich ziemlich aufgewühlt. Was darin gesagt wird, hat mich wütend gemacht, weil es die Wahrheit ist. Überhaupt wird mir mit jeder Nachricht klarer, wie kaputt unser Land ist. Ich habe tatsächlich geweint, als ich das alles gestern gelesen habe. Wir Deutschen sind betrogen worden, aber nicht von Außen, sondern von unseren eigenen Leuten. Am meisten berührt hat mich, was über die Presse gesagt wurde, dass sie nämlich ins System eingebunden wird, und dass die Kritik der Presse eine Scheinkritik ist, weil die Journalisten nicht mit ihrer Person hinter dem stehen, was sie sagen, sondern dass sie Kritik nach der Stechuhr betreiben.

Dabei musste ich auch wieder an den DEUTSCHEN ROCK- UND POPMUSIKER-VERBAND denken, über den bereits geschrieben wurde. Er ist gegründet worden, um Musiker zu fördern und ihre Rechte durchzusetzen, aber faktisch unterstützt er das System, was besonders an seinem Verhältnis zur GEMA klar wird. Der Chef des DRMV wettert seit Jahren gegen die Ungerechtigkeiten der GEMA und erklärt, dass die sogenannte U-Musik (also Rock und Pop) diskriminiert wird. In der aktuellen Ausgabe des Musiker-Magazins heißt es mal wieder: ‚GEMA – eine ehrenwerte Gesellschaft?', und es wird aufgezeigt, dass sie eben keine ehrenwerte Gesellschaft ist.

Gleichzeitig aber sagt der Chef des DRMV immer und immer wieder: „Werdet Mitglied bei der GEMA!“ Immerhin hält er viele Tausend Musiker zusammen und bündelt ihre Stärke. Das ist doch nicht logisch. Wenn dann irgendwann neue Leute mit neuen Ideen kommen, sollte man sich dem nicht verschließen.

(6) Maria: Was wir brauchen, ist mehr Mut zu Gefühlen. Leider haben Gefühle keinen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Oft werden sie ignoriert, um Enttäuschungen vorzubeugen. Nichts ist schlimmer als eine verlorene Hoffnung, so scheint es uns. Man beugt dem vor, indem man Dingen wie Geld und Position einen viel höheren Wert im Alltagsleben gibt, und dadurch verkümmert unser höchstes Gut, nämlich unsere Gefühle, ohne die wir gar keine Menschen wären. Ohne Geld sind wir durchaus Menschen, ohne Gefühle dagegen ganz bestimmt nicht.

Ich setze dem entgegen, dass man Enttäuschungsstrategien entwickeln kann. Enttäuschungen gehören zum Leben wie Erfolge. Mit beidem muss man umzugehen lernen, dann kann man auch große Gefühle zulassen. Zwar lernen wir das nicht in der Familie, nicht in der Schule und auch nicht im Beruf, aber man kann es lernen. Ich habe es auch gelernt, und es ist eine wichtige Sache für mich, ohne die ich niemals so erfolgreich geworden wäre, wie ich mich fühle.

Redaktion in Kiel, 08.02.02

Nächste Nachricht >>


+++ ROCK'N'ROLL +++ NACHRICHT VON OZZY BALOU +++ EINE REKONSTRUKTION +++
hoch
Datenschutzerklärung und Impressum (data privacy statement and imprint)