(1) Oliver: Nun kommen wir der Sache doch schon näher. Dies ist nämlich genau das Verhalten, das wir Ozzy früher in der Band vorgeworfen hatten, Michael und ich. Und dann wird wahrscheinlich auch klarer, warum ein paar Leute ihn auch zwischendurch mal für größenwahnsinnig hielten. Was soll das überhaupt heißen: „Ich bin wie ein Lastwagen mit 130 Sachen“, was soll der ganze Quatsch? Es ist doch wohl klar, dass man so nicht weiterkommt.
Und völlig unberechtigt. Wenn es eine Person gibt, die sich für die Popmusiker einsetzt, dann ist das Ole Seelenmeyer. Der ist seit über 20 Jahren im Geschäft, und er hat sich nie von materiellen Dingen bestimmen lassen. Wenn Ozzy und dieser Robert auf Ole einhauen, dann zeigen sie, dass sie überhaupt nichts verstanden haben. Ich meine, wenn jemand so einen Verband aufbaut, ein Magazin auf die Beine stellt und ein Musikerjahrbuch herausgibt, dann weiß der wohl, was er tut.
Ich meine, gut, Ozzy hat was drauf, und das hat auch jeder inzwischen mitgekriegt. Dass er neue Songs für eine Platte hat, ist super, und ich bin sicher, dass es gute Songs sind und dass Ozzy voll loslegen will und kann. Die Sache ist die, dass es Zehntausende von begabten Musikern da draußen gibt. Die Plattenfirmen werden zugeschissen mit Demomaterial. Bei Bandwettbewerben sieht man dauernd begabte Musiker, die mehr verdienen, so wie Ozzy. Die schlagen aber nicht wild um sich und beschweren sich nicht dauernd darüber, von der Gesellschaft schlecht behandelt zu werden, sondern sie versuchen einfach, ihren Weg zu gehen. Und zwar ihren eigenen Weg, nicht den Weg der gesamten Bevölkerung des Landes.
Auch das Publikum versteht so etwas nicht. Ich glaube also nicht, dass Ozzy sich mit dieser Aktion einen großen Gefallen getan hat. Im Moment sieht es so aus, als benutze er die Chronik nur, um sich selbst darin immer weiter aufzuwerten. Und wenn er in der Musik nicht weiter kommt, dann nimmt er politische Themen dazu, und wenn das nicht reicht, dann beleidigt er eben die Presse. Hauptsache bekannt werden. Und das soll vorbildlich sein und gottgefällig?
(2) Robert A.: Also gut, wenn ich Ole Seelenmeyer damit Unrecht getan habe, dann tut mir das leid. Es war absurd, anzunehmen, dass er von der GEMA bezahlt wird. Wenigstens weiß ich jetzt mehr als vorher. Die Situation ist nicht aufgelöst, aber es gibt Bewegung.
(3) Schraube: Wie ich am Freitag bei Maria schon gesagt habe, war ich am letzten Abend des BLUESLAND ebenfalls im Billardraum. Ich kann auch bestätigen, dass Mickis Billardpartner für eine längere Zeit verschwunden war, weil Micki uns alle nach ihm gefragt hat. Aber mehr weiß ich auch nicht mehr. Doch natürlich, irgendjemand hatte eine 11er-Serie im Dreiband am großen Tisch gehabt. So etwas habe ich weder vorher noch nachher wieder erlebt.
Am Freitag bei Maria wurde übrigens ziemlich über HARD ROCK und HEAVY METAL abgelästert, was mich doch genervt hat. Ich möchte auch nicht, dass hier die MOTORGANG in einem schlechten Licht steht. Mit dem Brand hatten wir jedenfalls ganz sicher nichts zu tun, nur damit da keine falschen Verdächtigungen passieren. Ich meine, ich kann ja auch nichts dafür, dass so viele von euch in den 60er-Jahren stehen geblieben sind. Ich gönne euch auch eure Welt mit den kreativen Songschreibern und allem, aber mir ist der Sound einfach nicht fetzig genug. Über HARD ROCK und HEAVY METAL hat noch keiner was geschrieben hier, so als wäre es keine richtige Musik. Jemand sagte am Freitag, dass die Rocker in den 70ern so ein Gefühl hatten wie: „Wow, jetzt haben wir diese fetten E-Gitarren-Sounds, aber leider nichts Vernünftiges mehr in der Birne, was sollen wir nur tun? Und so entstand HARD ROCK.“ Ich würde gerne wissen, wer von euch das gesagt hat, denn es ist eine echte Frechheit. Leider war ich schon zu betrunken, um genau mitzukriegen, wer es war. Aber ich habe es jedenfalls gehört!
(4) Thomas G.: Nachdem ich meine Kritik an Bob Dylan geschrieben hatte, sind mir auch noch ein zwei Sachen über Elvis eingefallen, der ja hier als der Urvater des Rock'n'Roll stilisiert wird. Das mag ja auch seine Berechtigung haben. Auch seinen Materialismus, aus dem er sich letztlich nicht befreien konnte, will ich hier nicht überbetonen. Dennoch bleiben genügend Punkte, die zeigen, dass Elvis auch kein Heiliger war, und dass er in vieler Hinsicht als Vorbild nicht taugte.
Dass er Drogen genommen hatte, ist ja bekannt. Tabletten und solches Zeug. Nach seiner Heirat und dann seiner Scheidung hatte er einen fürchterlichen Kult um sich gemacht, mit seinen Leibwächtern und so weiter. Dann hat er geprasst und hat sein Äußeres ziemlich verwahrlosen lassen. Das Schlimmste aber war, dass Elvis auch jähzornig war und zu Gewalt neigte. Er sammelte Waffen und trug auch oft Waffen. Er schoss damit auf Fernseher und auf Glühbirnen, die er in den Swimingpool legte. Als Priscilla etwas mit dem Karatelehrer anfing, wollte er ihn umbringen. Man sieht also, dass auch Elvis seine dunklen Momente hatte. Auch bestimmte Äußerungen über den Kommunismus und über die BEATLES waren nicht besonders nett.
(5) Marco H.: Wenn Ozzy Schriftsteller wäre und kein Musiker, dann würde er vielleicht Marco heißen. Oder ich würde Ozzy heißen, wenn ich Musiker wäre. Ein Gefühl für Rhythmus und Wort brauchen wir beide. Aber ich spreche nicht von Rhythmus und Wort, sondern von Lebensphilosophie. Diese Methode, mit den Unwegsamkeiten des Lebens umzugehen, habe ich in einem Stück einmal das REGENSTEIN-Prinzip genannt. Nachdem ich die Analyse des Songs BLUE SUEDE SHOES hier gelesen habe, weiß ich auch, dass das Regensteinstück Rock'n'Roll ist, denn es verwendet Kinderreime in ähnlicher Funktion. Ich habe überlegt, ob ich das Regenstein-Prinzip an dieser Stelle erklären sollte, weil es gerade gut in den Kontext passt, aber warum soll ich sekundär darüber schreiben, wenn ich den Primärtext selbst sprechen lassen kann? Dann wird es auch dichter. Ich nehme aber nicht das ganze Stück, es ist etwas zu lang.
REGENSTEIN
Hol den Regenstein aus dem Kämmerlein
ist kein dummer Reim, Nein und wieder Nein
Hör mal zu, ganz in Ruh! Hol den Regenstein aus der Truh
Lauf im Sonnenschein, sieh mal zu
Nimm das rechte Bein bis zum Schuh
Lieber Regenstein, yellow and blue
Dann das linke Bein bis zum Schluss
Und schon stehst du mit dem Regenstein unten am Fluss
Wirf den Stein hinein mit nem Gruß
Nimm den Fuß! Stell ihn auf den Stein
Musst nicht ängstlich sein. Nimm den Fuß
Wirf den Regenstein in den Fluss hinein, was ist los?
Musst nicht traurig sein, kleiner Regenstein
Bist doch so allein, willst doch anders sein
Nimm den Regenstein aus dem Zimmerlein
Wirf ihn in das Wasser rein, wird dir eine Brücke sein
Sieh mal, ach, das spritzt so fein, manchmal groß und manchmal klein
Hol den nächsten Regenstein, wirf ihn vor den andren Stein
Nimm darauf das andre Bein
Hör nicht zu, yellow and blue
Mach nicht so ein Gesicht, denn anders geht es nicht
Sonst lacht dich einer aus, bist nur ne kleine Maus
Ach bei Sonnenschein will ich lustig sein
Ohne mein und dein, kannst du das verzeihn? Einfach einfach sein
Meine liebe Pippilein wollt gerne mal ein Hippy sein
Sie lief in bunten Kleidern vorbei an allen Schneidern
Vorbei an allen Neidern, ihr war das ganz egal
Sie ging in ihren Kleidern vorbei am Marterpfahl, vorbei am Marterpfahl
Sie nahm den Regenstein mit dem rechten Bein aus dem Kämmerlein
Und mit einem Schuss fiel er in den Fluss
Was für ein Genuss! Er fiel in den Fluss
Wenn du's willst, dann tu's! Er fiel in den Fluss
Denn was muss das muss. So, nun mach ich Schluss mit nem kleinen Kuss:
Lieber Regenstein, musst nicht traurig sein
Kleiner Regenstein, bist doch so allein,
Willst doch anders sein, lieber kleiner Regenstein"
(6) Carl: Vor kurzem war Brian Wilson von den BEACH BOYS in Hamburg zu einem Konzert. Maria und ich waren auch da. Er war wirklich großartig, überhaupt nicht nostalgisch oder so. Der Mann arbeitet hart, und er hat nie aufgehört zu komponieren. Er war das kreative Genie der BEACH BOYS. Seine Songs GOOD VIBRATIONS und HEROES & VILLAINS gefallen mir am Besten. Und seine Stimmsätze sind unverwechselbar. Die BEATLES haben sich an der LP PET SOUNDS der BEACH BOYS orientiert. Das war 1966.
Aber für Brian sah das ganz anders aus. Er sagte sich: „Ja toll, und die haben dann SERGEANT PEPPER geschrieben.“ Die BEATLES haben überall offene Türen eingerannt, und jeder hat sie gefeiert, während Brian die Last auf seinen Schultern trug, sozusagen die Ehre Amerikas zu verteidigen, aber andererseits hatte er nicht genug Platz, weil er auf dieses Beach-Boy-Image festgenagelt wurde, das von Anfang an gar nicht zu ihm passte. Die PET SOUNDS ist visionär, sie ist progressiv und gleichzeitig marktfreundlich. Brian Wilson ist ein großer und empfindsamer Ästhet. Er durchbrach das übliche Plattenschema mit einem Song nach dem anderen und setzte Fragmente zwischen manche Tracks. Er zeigt, was hinter den Kulissen passiert, er experimentiert. Heute ist es eines der bekanntesten Pop-Alben überhaupt, damals ist es nicht so breit angekommen. Aber auf der Platte singt Brian ja selbst, dass er nicht in der richtigen Zeit lebt.
Auch für Brian Wilson ergab sich das Drogenproblem, so wie für viele Kreative. Es ist die Kehrseite der Freiheit. Ich finde es nicht richtig, wenn man pauschal über Drogenkonsum urteilt. Alleine schon das Wort! Da muss man ja ein komisches Gefühl kriegen. Ich würde auch so weit gehen, Rückschlüsse über die Gesellschaft zu ziehen, wenn ich bedenke, wie typisch es ist, dass Popstars in eine solche zerstörerische Abhängigkeit gelangen. Es bedeutet ja, dass ihnen etwas fehlt. Dass sie in ihrer gesellschaftlichen Rolle nicht zurecht kommen können. Hier könnte man auch über das Konsumdenken des Publikums nachdenken, nicht nur über die Defizite der Stars.
(7) Silke: Maja hat in der 44. Nachricht gesagt: „Kollektivwissen ist Wissen, das man googeln kann“. Mir fiel dazu ein, dass Google damit im Grunde die Funktion eines Konversationslexikons hat, wobei die Form eine andere ist, weil man individuelle Informationen bekommt, je nachdem, wie man sucht und wie man weiterklickt. Das scheint mir dem Wesen des Begriffs „Wissen“ gerechter zu werden, weil man selbst gefordert ist, richtig zu selektieren. Beim Lexikon bekommt man eher den Eindruck, man könne Wissen einfach so aufschreiben.
Redaktion in Kiel, 12.02.02
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