(1) Simon: Ozzy und ich sehen uns oft. Seit Oktober ist er jetzt wieder da, und ich bin froh, dass wir diese Chronik haben, denn endlich kommen all die Sachen auf den Tisch, die damals unter der Oberfläche waren. Ich glaube, es ist uns mittlerweile gelungen, die wesentlichen gesellschaftlichen Probleme darzustellen. Es handelt sich dabei um Mechanismen, die nicht speziell etwas mit Ozzy zu tun haben, die sich an ihm aber sehr gut aufzeigen lassen. Künstler sind immer auch Indikatoren für den Zustand der Gesellschaft. Roman Herzog sprach vor vielen Jahren vom Ruck, der durch Deutschland gehen muss, und nichts ist passiert, obwohl alle wussten, dass er Recht hat mit seiner Forderung.
Stattdessen sind wir in eine Zeit neuer und größerer Gewalttätigkeit zurückgefallen. Dabei hatten wir extra die Demokratie erfunden, damit das nicht so sein muss. Aber diese Art der Demokratie hält der globalisierten Welt nicht stand. Alternative Gesellschaftssysteme sind näher gerückt. Die Kulturen leben in stetiger Verflechtung. So sehr hatte es unter der Oberfläche gebrodelt, dass die Wahnsinnstat einer kleinen Terrorgruppe dafür gesorgt hat, dass die ganze Welt mit neuen Fronten durchzogen wird. Jetzt endlich meldet auch unser Außenminister seine Bedenken an über Amerikas wilde Aggressionen. Aber die USA würden auch Alleingänge ohne die Europäer machen, ließen sie wissen.
Der Sieg der USA über Hitler hat von 1945 an dazu geführt, dass die Amerikaner zum Orientierungspunkt für die Deutschen geworden sind. Es steckt auch eine Furcht dahinter, dass nämlich Deutschland, wenn es sich wieder selbstständig entwickeln würde, vielleicht noch einmal so ein Monster hervorbringt. Diese Angst ist normal angesichts unserer Geschichte. Sie ist aber unreflektiert, weil wir die Naziperiode verdrängen und sie nicht verarbeitet haben, vor allem gefühlsmäßig. Fakten gibt es genug, Analysen ebenfalls, doch sind das intellektuelle Annäherungen. Sie scheinen kein Motiv für Handlung zu sein. Vielleicht muss wirklich noch Schlimmeres passieren, damit die Menschen zur Handlung zurückfinden. Eine traurige Vorstellung. Es kommt mir vor, als wäre Deutschland ein Körper mit verstopften Adern. Ein Satz wie „Nie wieder Auschwitz“ heißt: Ich bekämpfe jeden, der so ist, wie ich selbst früher war. Es heißt nicht: Ich habe verstanden, was früher passiert ist.
Die jahrzehntelange Verdrängung hat zur Folge, dass sich das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung stark relativiert hat. Viele Nazitäter wurden nicht belangt, weil man sie in der Bundesrepublik brauchte. Auch die Gesetze wurden zunehmend komplizierter. Bald wurde deutlich, dass es sowieso die Wirtschaft ist, die die politischen Fakten bestimmt, und all das verdunkelte das öffentliche Leben mit der Zeit. Wenn heute jemand ein Unrecht sieht oder begeht, steht dieses Unrecht relativ in einem Geflecht von Normen und Werten, von denen es nur ein kleiner Faktor ist und ein Kriterium unter vielen. Eine transparente Öffentlichkeit, wie sie für den demokratischen Prozess notwendig ist, ist damit nicht mehr gegeben. Insofern können wir gar nicht anders, als diese Punkte mit Wucht und Deutlichkeit hervorzubringen, ganz egal, ob wir etwas damit erreichen können oder nicht. Die Situation erfordert, dass sich alle Stimmen zu Wort melden, die das Feuer des demokratischen Miteinanders wieder entfachen können.
(2) Maria: An R. Baumann kann man gut sehen, wie offene Diskurse für Polemik ausgenutzt werden. Polemik hat durchaus einen Sinn, wenn etwas dahintersteckt, aber das scheint mir bei R. Baumann von den HOLOGRAMS nicht unbedingt gegeben zu sein. Gut, wenn er Ozzy herausgefordert hätte, wenn er gesagt hätte, dass er selbst aber ein Rock'n'Roller sei, dass er bessere Ideen hätte oder coolere Songs und das auch beweisen könnte, dann wäre die Polemik okay. Es wäre eine Art Herausforderung zum Wettkampf. Aber dieser Baumann hat ja gar nichts zu bieten und genügt sich darin, zu zerstören. Kein Wunder, dass für ihn alle anderen Menschen A.löcher sind, wenn er in einer solch zerstörerischen Welt lebt. Und kein Wunder auch, dass er keine Hoffnungen hat, wenn er selbst nichts aufbauen kann. Meckern kann jeder.
Ganz daneben ist die Kritik, dass Ozzy Werbung für seine Musik macht. Natürlich spricht Ozzy über seine Musik, denn er ist Songwriter. Die Tatsache, dass er wieder eine Platte machen will, zeigt, dass er nicht nur rummosert, sondern handelt und etwas zu bieten hat. Er baut ständig etwas auf, und das nennt man konstruktiv. Was da kritisiert wird, ob von R. Baumann oder anderen, ist genau diese Konstruktivität. Ich bin völlig Ozzys Meinung, dass man sich von den Baumännern dieses Landes nicht aufhalten lassen sollte.
(3) Roger B.: Von den letzten Ausführungen Zoltans lässt sich eine Brücke zur Popmusik schlagen. Ich würde diesen alternativen kognitiven Rahmen die IMPULS-METAPHER nennen. Anders als in der traditionellen Didaktik sendet der Lehrer keine Information zum Schüler, sondern einen Impuls, der dafür sorgt, dass im Schüler ein Prozess in Gang gesetzt wird. Durch den Impuls ist dieser Prozess in eine bestimmte Richtung gewandt, doch geschieht das ohne Kontrolle: Der Lehrer kann in diesem Fall nicht genau wissen, welche Reaktion sein Impuls im Schüler ausgelöst hat.
Das kann man durchaus mit Popmusikern vergleichen. Elvis hat auf der Bühne starke Impulse ausgestrahlt, die eine enorme Wirkung im Publikum hinterlassen hat. Diese Künstler befreiten die Gefühle des Publikums durch ihre mehrschichtigen Impulse, die sie in Rhythmus, Gesang, Text und Bewegung sendeten. Sting zum Beispiel war Lehrer, bevor er Popkünstler wurde. Es gibt da durchaus eine Verbindung. Beide wollen etwas „rüberbringen“, wie die COUNDUIT METAPHOR es nennt, etwas „bewirken/öffnen“, wie es die IMPULS-METAPHER vielleicht nennen würde. Wenn wir nämlich das traditionelle Didaktik-Modell erweitern wollen, bedarf es auch eines neuen Lehrertyps. Ich will damit nicht sagen, dass Lehrer das Image eines Popkünstlers annehmen sollten, sondern nur, dass wir uns verwandte gesellschaftliche Typen ansehen sollten, denn die Eigenschaften eines neuen Lehrertyps liegen meiner Ansicht nach vor.
Ähnlich wie Zoltan und der Webmaster bin ich der Ansicht, dass ein Lehrer wie ein Trainer gesehen werden sollte oder ein Mentor. Damit wird die Arbeitsbeziehung zwischen Lehrer und Schüler deutlich. Die Schwierigkeit ist das Ziel des Unterrichts, wie Zoltan bereits angedeutet hat. Dies ist ein Problem des gesamten Erziehungswesens. „Für das Leben lernen wir“ heißt es in dem bekannten lateinischen Spruch, und das ist eben auch sehr schwammig. Geht es darum, die Schüler für den „Arbeitsmarkt“ fit zu machen? Geht es darum, ihnen das Kollektivwissen zu vermitteln? Schauen wir auf die Ursprünge unseres modernen Erziehungswesens, werden wir feststellen, dass wir selbst uns darauf verständigt hatten, die Fähigkeiten der Schüler so gut zu fördern, wie wir können, ihnen ein Basiswissen zu vermitteln und ihnen die Werkzeuge für kritisches und eigenständiges Denken bereitzustellen.
Insofern will das, was ich hier die Ansätze einer progressiven Didaktik nennen würde, nichts anderes als die Kultusminister. Die faktische Rigidität unserer Schulen und Universitäten ist ebenso bekannt wie bedauerlich. Das gilt wahrscheinlich sogar für alle Länder der Welt. Es scheint mir auch einer der Gründe zu sein, warum Leute wie Sting das Metier gewechselt haben. Aber leider sehen die allermeisten Lehrer und auch Schüler das Lernen als einen Zwang an und nicht als eine Freiheit. Didaktik ist in den Köpfen der Leute etwas Ernstes. Wer lacht, lernt dabei nichts, oder so. Das geht weit über die CONDUIT METAPHOR hinaus, aber im Gegensatz zur Trainer- und Mentor-Vorstellung eignet sich die CONDUIT METAPHOR gut dafür, die Akteure des didaktischen Prozesses zu entpersonifizieren. Wenn du einen Sender, eine Information und einen Empfänger hast, kannst du dir den Lernprozess vorstellen wie einen Computer, den du mit Daten fütterst, die du später abrufst. Denkt man an einen Trainer, fügt man eine soziale Komponente hinzu, die den Rahmen erweitert und präzisiert.
Das gesellschaftliche Problem der Vorstellung vom „Lernzwang“ sitzt tief, es spiegelt sich auch im Problem der U- und E-Musik wider: Unterhaltung wird abgegrenzt von Ernsthaftigkeit. Das widerspricht zwar jedem Kunstverständnis, und Mozart hätte sich darüber totgelacht, aber unsere konservative Gesinnung will es so. Sonst wäre unser aller Schulzeit eine Lüge gewesen, und das will keiner. Wenn ich sage, dass ich von der SERGEANT PEPPER-LP mehr fürs Leben gelernt habe als von allen meinen Lehrern zusammen, wird meine Argumentation vielleicht noch deutlicher.
(4) Christine B.: Ich möchte noch mal nachfragen, weil ich das nicht richtig verstanden habe: Ich meine, war er jetzt wirklich bei diesem Rockmusikerverbandstypen? Was hat denn der Seelenmeyer nun gesagt? Er muss doch irgendeine Meinung zu der Sache haben. So, wie Ozzy es dargestellt hat, hat Ole gar nicht verstanden, worum es geht. Aber das kann ich kaum glauben. Da muss doch irgendwas schief gelaufen sein, was Ozzy nicht erzählt hat. Wenn er extra nach Lüneburg fährt, damit die beiden sich mal aussprechen können, dann muss doch irgendwas dabei rausgekommen sein.
(5) Mo: Der Rock'n'Roll als Philosophie scheint zu funktionieren, sonst hätten wir wohl nicht so viele Seiten zusammenschreiben können. Insofern kann ich dem letzten Beitrag des Herrn Sonnenvogel nur beipflichten. Historisch gesehen gibt es den Rock'n'Roll ja auch noch nicht so lange. Sechsundvierzig Jahre, wenn man 1956 als Geburtsjahr ansieht, als Elvis zu RCA Victors nach New York gewechselt war und schon im Januar den neuen Sound präsentieren konnte, den er bei Sam Philips in Memphis nicht realisieren konnte. Ich denke, dass man kulturgeschichtlich HEARTBREAK HOTEL als den ersten ausgereiften Rock'n'Roll-Song betrachten kann. Little Richard und Chuck Berry hatten so etwas schon früher gemacht, aber Elvis wurde (von der Industrie!) richtig gepusht, sodass Elvis das Tor öffnen konnte für andere Musiker.
Die Industrie war es auch, die Elvis dann zunehmend gegängelt hat, bis er sich 1968 mit seinem heißen Comeback ein letztes Mal losreißen konnte. Man könnte aber im Fall Elvis Presley tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass die Industrie als gesellschaftliche Norm ein übertrieben großes Gewicht in der Welt der Kunst hat. Was die Elvis-Kritik angeht, die hier geäußert wurde: Es ist richtig, dass Elvis jähzornig war und seine dunklen Seiten hatte. Gleichzeitig ist bekannt, dass er ein tief gläubiger Mensch war, dessen größtes Bestreben es war, die Menschen glücklich zu machen. Das sagt er in vielen Interviews, und es ist absolut glaubwürdig. Die Medien haben ihm vorgeworfen, er hätte nicht viel in der Birne gehabt, aber das ist sicherlich falsch. Es war nicht seine bloße jugendliche Schönheit, sondern es war die Persönlichkeit, die diese Schönheit manifestierte, die Elvis zum Anfangspunkt einer neuen Epoche werden ließ, dem Pop.
Mein zweites Thema betrifft die Ermittlungen im BLUESLAND-Fall. Etwa eineinhalb Stunden vor dem Brand sah ich zwei Leute das BLUESLAND verlassen, die mir jetzt wieder in den Sinn kommen. Der Eine von ihnen war derselbe, der kurz vor dem Brand mit Micki das Gebäude verließ, also Torsten, den anderen kenne ich nicht mit Namen. Er trug eine auffällige rote Seemannsweste. Allerdings kann ich nicht mehr sagen, als dass sie einen seltsamen Eindruck erweckt haben. Es war noch nicht allzu viel los im Laden, deshalb waren sie mir kurz aufgefallen. Sie waren irgendwie nervös. Ich bin aber ziemlich sicher, dass die beiden damals befragt worden sind, da ich sie der Polizei gegenüber erwähnt hatte. Es hatte damals aber niemand angenommen, dass sich die Täter am betreffenden Abend im BLUESLAND befunden haben könnten. Das wäre etwas sehr dreist und auch gefährlich gewesen. Es ist unsere einzige Spur im Moment, aber auch ich werde mit Schuldzuweisungen sehr vorsichtig sein, besonders in dieser – wenn auch kleinen – Öffentlichkeit. Dass wir überhaupt über diese Spur schreiben, ist allein dadurch gerechtfertigt, dass wir uns gegenseitig die Erinnerung zurückbringen.
Redaktion in Kiel, 20.02.02
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