(1) Ozzy: Mann, was soll'n das?! Ich habe nie gesagt, dass ich beim Bäcker auffallen will. Ich habe gesagt, dass ich mich fast überall verstellen muss. Ich weiß nicht, was daran so schwer zu verstehen ist. Natürlich strebe ich nicht danach, eine Hysterie auszulösen, sondern danach, Musik zu machen. Auffallen tue ich sowieso, das brauche ich nicht anzustreben. Aber ich würde es gerne legalisieren, um weniger Stress zu haben, das ist alles.
Ich denke, es stellt für meine Kritiker ein Problem dar, mir diese Freiheit zuzugestehen, weil sie selbst diese Freiheit nicht haben und sie sie vielleicht auch gerne hätten. Dazu zwei Punkte: Erstens habe ich nichts dagegen, wenn die anderen sich auch diese Freiheit nehmen, zweitens bin ich Songwriter. Wenn ich mich an dem Konformismus meiner Umgebung beteiligen würde, könnte ich nicht mehr schreiben. Es tötet meine Kreativität, wenn ich in engen Bahnen lebe und aufpassen muss, nichts Falsches zu sagen und es jedem Recht zu machen. Wenn ich aber nicht kreativ sein kann, dann gibt es mich nicht mehr. Dann bin ich nicht mehr Ozzy Balou.
Vielleicht wird das verständlicher, wenn ich erwähne, dass ich beim Gitarrespielen manchmal Schuldgefühle bekomme, die ich erst mühsam überwinden muss, um zu meinem Rhythmus und Sound zu finden. In unserem Erziehungssystem geschieht es oft, dass lebensnotwendige Dinge wie Musik Machen oder Liebe Machen an negative Vorstellungen gekoppelt sind, die mit hochkommen, wenn man das Schöne erlebt. Man muss erst lernen, dies wieder zu trennen, indem man sich selbst klar macht, was man wirklich mag und was man braucht. Danach muss man sich überlegen, ob es in Ordnung, wenn man diese Wünsche auslebt. Ich sehe gar keinen anderen Weg zum Glück.
Die Schwierigkeit liegt darin, zu erkennen, was man selbst will, und was andere von einem erwarten. Denn ob wir es nun zugeben oder nicht: Wir orientieren uns an den anderen. Jahrelang habe ich mich beispielsweise gefragt, warum Teile meiner Familie latent Angst davor hatte, dass ich gewalttätig sein könnte, obwohl ich nie einen Anlass dazu gegeben habe. Sie hatten sogar so viel Angst, dass sie mich in die Psychiatrie bringen wollten. Heute verstehe ich das besser. Als sie sahen, welche Energie ich hatte, begannen sie, sich vor ihrer eigenen Gewalt zu fürchten. Mit mir hatte das nichts zu tun.
Es war sehr notwendig, mir das klarzumachen, weil ich sonst sowohl in der Musik als auch bei den Frauen in einer engen gehemmten Welt stecken geblieben wäre. Ich kann mich ja nicht opfern, um damit die Gewalt von Teilen meiner Gruppe zu schützen. Das wäre Quatsch und würde keinem helfen. Die Alternative wäre gewesen, selbst zu Gewalt zu greifen. Paradoxerweise wurde ich damals zum Gitarrenunterricht gefahren jede Woche. Aber als ich ein guter Songwriter wurde, stand das irgendwie im Widerspruch zu dem Bild, das man von mir hatte.
Ein Wort noch zu Elvis: Es hat Jahre gegeben, da habe ich ihn überhaupt nicht gemocht. Ich hatte genug von den 70er-Jahre-Liveshows, von den ewig gleichen Albereien und den schlechten Filmen und so weiter. Vor ein paar Jahren habe ich mich aber mit Elvis versöhnt. Er hatte eben seine Schwächen, so wie jeder, und es liegt ja an uns selbst, welche Stücke von ihm wir zu einem Bild zusammensetzen, und wie wir ihn sehen wollen. Für mich ist er eine Vaterfigur, das könnte ich nicht leugnen und warum sollte ich auch? Es ist schwer, sich in die Lage von Elvis zu versetzen. Wie mag es sein, wenn man überall in grinsende Gesichter schaut, und wenn man in der ganzen Umgebung so viele Emotionen freisetzt? Deshalb sollte man keine vorschnellen Urteile fällen. Man kann sich seine psychische und historische Situation gar nicht richtig vorstellen.
(2) Roger B.: Abgefahrene Sache, das mit dem Rock'n'Roll-Ministerium. Zuerst fand ich es auch ein bisschen albern, so wie Ulrich S., aber mittlerweile gefällt mir der Gedanke. Es ist so schön plastisch. Und es scheint überhaupt nicht zu Deutschland zu passen. Im Grunde ist das Rock'n'Roll-Ministerium der reine Punk. Also, dieser Michael Roth von der SPD hat wirklich Nerven.
(3) Jürgen H.: Vor Kurzem habe ich mal wieder einen Blick in die Chronik geworfen, und ich muss sagen, ich bin einigermaßen schockiert darüber, was inzwischen geschehen ist. Damit meine ich in erster Linie die Pressekritik. So als hätte jetzt die Presse oder wer auch immer Schuld daran, dass Ozzy keine Goldene Schallplatte bekommt oder so etwas.
Ähnliches gilt auch für Herrn Seelenmeyer vom ROCK-UND-POPMUSIKERVERBAND. Es ist eigentlich üblich, dass man den Leuten die Gelegenheit gibt, Stellung zu beziehen.
Und überhaupt: Was haben diese Leute Ozzy wirklich getan? Ist es nicht doch so, dass sich auch Ozzy über die Abgrenzung von anderen definiert? Natürlich, die Medien haben ihre Mängel und ihre Rituale, aber sich einfach so darüberzustellen, ist wohl auch nicht der beste Weg.
(4) Maja: Ich höre hier in letzter Zeit häufiger den Vorwurf, dass wir im BLUESLAND-Fall haltlose Verdächtigungen ausgesprochen hätten. Was haben wir denn für großartige Verdächtigungen ausprochen? Das würde mich jetzt wirklich interessieren. Die meisten Gespräche laufen sowieso hinter den Kulissen, aber ein bisschen schreiben wir auch hier. Dabei passen wir schon auf, denke ich. Es gibt einen größeren Teil von Informationen, den wir aus eben diesem Grunde zurückhalten und nur an die konkret betroffenen Personen weitergeben.
Bei einigen Dingen ist es nicht so leicht zu entscheiden, ob man es in die Öffentlichkeit bringen soll oder lieber nicht. Zum Beispiel hat Micki mir gesagt, dass Torsten sich von ihm verabschiedete, eine halbe Stunde, nachdem sie zusammen das BLUESLAND verlassen hatten. Oder der Fakt, dass Guido nach Aussage der Billardleute etwa eine Stunde vor dem Brand den Laden verlassen hat. Sind das bereits Verdächtigungen? Wenn zum Beispiel die Polizei Alibis überprüft, ist das dann nicht Routine? Sicher, wir sind weder die Polizei, noch bringt die Polizei solche Dinge in die Öffentlichkeit. Aber immerhin bieten wir einen offenen Diskurs, in dem auch die Stimmen zu Wort kommen, die unsere Arbeit für zweifelhaft halten.
(5) Webmaster: Aus der Cyberhängematte melde ich mich, und Webmaster nennt man mich. Da hier so viel von Situationen die Rede ist, möchte ich noch ein paar Details aus meinem Situationslexikon beisteuern. Insgesamt geht es bei der Situationsanalyse schon darum, eine gewisse Art von Objektivität zu erreichen, um Normen für gerechte Handlung zu ermitteln. Die Einwände des Red. lasse ich aber gelten: Wir können nur subjektiv werten, denn wir sind Subjekte. Vor der Wertung allerdings steht die Situationsanalyse, und je präziser die ist, desto besser gelingt die Wertung.
An der Oberfläche haben wir es zu tun mit den Bestandteilen einer Situation und ihrer Beziehung zueinander. Eine weitere Dimension der Situationsanalyse sind die bereits erwähnten Frameworks: Die Akteure haben oft ein unterschiedliches Bewusstsein darüber, wie die Situation beschaffen ist. Wir sprachen über FRAME RESTRUCTURING am Beispiel der Slum-Situation. Diese Dimension wird oft übersehen oder unterbewertet.
Ganz wichtig ist auch die Historizität von Situationen. Auch dies wird allgemein zu wenig berücksichtigt. Dinge geschehen immer in einem historischen Zusammenhang. Um die Situation zu verstehen, brauchen wir Wissen über ihren Ursprung. Die Welt wird meistens als etwas Starres angesehen, das sich nicht verändert, und in der alles seinen gegebenen Platz hat. Natürlich ist es eine komplexe Angelegenheit, sich über das Wirrwarr der Vergangenheit ein Bild zu machen. Aber die Vergangenheit ist eine Tatsache, und ihre Wirkung auf die Gegenwart und die Zukunft wird von niemandem bestritten.
Erst wenn mir bewusst ist, dass ich mich in einer (historisch) erklärbaren Situation befinde, kann ich sie aktiv mitgestalten. Ohne ein solches historisches Wissen ist es auch nicht möglich, Situationen abzuschließen, da man nicht weiß, dass sie überhaupt einen Anfang hatte. Andersherum ermöglicht uns dieses Wissen, Situationen zu kreieren, anzufangen, durchzuführen und abzuschließen. Und hier beginnt der interessante Aspekt, denn mit der Wissenschaft der Situation finden wir zu eigenem Handeln.
Wer Situationen definieren kann, sie initiieren und steuern kann, dem stehen alle Möglichkeiten der Phantasie zur Verfügung. Er schafft Riten. Dies ist ja der Ritus: eine ins freie Feld projizierte Situation, dicht und sinnvoll. Der Schöpfer eines Ritus hat eine Vorstellung von der Historizität der Situation und eine Ahnung davon, welchen Effekt das Erleben der Situation im Gedächtnis der beteiligten Personen auslöst. Riten sorgen für Ordnung und Sinn. Anhand der Riten kann man eine Gesellschaft beurteilen.
In allen Bereichen des Lebens haben wir es mit Riten zu tun. Das meiste, was wir tun, ist rituell, strukturiert, automatisiert, Routine. Wir haben Ernährungsriten, Fernsehriten, Computerriten, Freizeitriten, Autoriten. Fast alle unserer Situationen sind ritualisiert. Wir leben in Bahnen, die uns durch die Riten vorgegeben werden. Deshalb ist die Bewusstmachung so wichtig, auch wenn sie Arbeit bedeutet. Zum Ritus gehört der Sinn, und den erkennt man nur unter Berücksichtigung der historischen Dimension einer gegebenen Situation.
Aus einigen Bereichen des Lebens kennen wir Riten, die Jahrtausende alt sind. In der Kirche zum Beispiel. Wenn wir den Sinn des Ritus nicht kennen, werden wir der Situation des Ritus nicht gerecht, denn zum Szenario des Ritus gehört es, sich über den Sinn des Ritus bewusst zu sein, sonst ist der Ritus wertlos. Ein Beispiel: Es gibt ein Volk, das kennt folgenden Initiationsritus: Der Vater geht mit dem Kind zu einem jungen Baum in den Wald. Er schneidet den Baum der Länge nach auf und öffnet ihn mit den Händen, sodass das Kind hindurchsteigen kann. Dann schließt der Vater den Baum wieder und verbindet ihn, dass er wieder zusammenwächst. Was ist der Sinn davon? Zwanzig Jahre später kommt das Kind zurück zu diesem Baum, der jetzt ausgewachsen ist wie auch das Kind, und es erinnert sich daran, wie es früher durch den Stamm dieses Baumes gestiegen ist. So bekommt es ein neues Gefühl für Zeit und für die Magie des Möglichen. Wenn Riten einen Sinn haben, können sich die Menschen darin spirituell entwickeln. Deshalb ist etwa die japanische Teezeremonie so wichtig für den Zen-Buddhismus, wenn man sie richtig begeht. In unserer Gesellschaft hat das Ziel der spirituellen Entwicklung keinen sehr hohen Wert, deshalb stört es auch kaum jemanden, wenn wir mit hohlen Riten leben. Wer will schon, dass Riten einen Sinn haben?
Redaktion in Kiel, 04.03.02
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