(1) Maria: Vom letzten Wochenende muss ich mich erst einmal erholen, denn es ging am Samstag weiter mit Ozzys Konzert, was insgesamt dazu führte, dass ich drei Tage durchgefeiert habe, denn am Sonntag ging es noch weiter. Die Freitagabend-Runde hat sich mittlerweile etabliert. Zehn bis zwanzig Leute habe ich hier manchmal freitags in der Bude, am letzten Samstag waren es über dreißig. Ozzy hat die Lieder seiner CD gespielt, mit Gitarrenbegleitung und Carl an den Kongas. Darunter waren einige brandneue Sachen.
Die Diskussionen an den Freitagen gehen in ganz verschiedene Richtungen, ein besonderes Faible scheinen aber derzeit viele Leute am Thema Bewusstsein/ Unterbewusstsein zu haben. Besonders in der Frage, woher wir die neuen Werte und Normen nehmen wollen, kamen wir immer wieder zum Unterbewusstsein, wobei ein paar Leute zwischen Unbewusstem und Unterbewusstem getrennt haben. Wir kamen darauf, weil wir übereingekommen waren, dass es keine Zwänge sein sollen, die unsere Handlungen und damit unsere Moral bestimmen. Und das Unterbewusstsein erfüllt dieses Kriterium. Es wurde gesagt, dass es langfristig nach Erlösung strebt, um die (normalerweise verlorene) Unschuld zurückzuerlangen und unbeschwert leben zu können.
Bei diesem Gedankengang kamen wir auch wieder auf den Schamanismus zu sprechen. In der Trance wird ja dieses Unbewusste oder Unterbewusste vom Schamanen geöffnet. Dadurch tritt er aus der normalen Situation heraus und überlässt sich seinem Unterbewusstsein. Er lässt sich von ihm leiten. Ich glaube, dass wir alle Schamanen sein können, dass wir alle solche Mechanismen erlernen können, die uns Zugang zu unserem eigenen Inneren verschaffen.
In unserer Welt wird das Unbewusste oft geleugnet. Ob Wünsche oder Ängste, wir tun so, als lebten wir in einer Welt, die auch ohne das alles funktioniert. Wir glauben ja auch oft unseren Gefühlen nicht oder halten sie für nicht so wichtig. Wir lassen sie nicht richtig heraus, weil wir sie vielleicht nicht kontrollieren können und somit in unangenehme Situationen gelangen könnten. In unsere Innenwelt kann niemand richtig hineinkucken, also merkt es auch keiner, wenn ich mich nicht so verhalte, wie meine Gefühle es mir sagen.
Ich denke, das Unterbewusste hat alle Schlüssel, die wir brauchen, um naturgemäß bzw. situationsgemäß handeln und leben zu können. Hanna sagt es auch so und Marco. Sie sagten mir, dass es für sie vor allem eine Frage des Selbstvertrauens ist, sich auf sein Unterbewusstes einzulassen, wobei ‚Selbstvertrauen' im ursprünglichen Sinne gemeint ist, also dass man sich selbst vertraut, auch in Situationen, in denen man nicht vorhersehen kann, wie man sich verhalten wird.
Marco sagte letzten Freitag, dass dies eine der wichtigsten Erkenntnisse aus seinem Kamera-Selbstversuch war, dass er lernte, sich von sich selbst zu distanzieren, sich selbst zu beobachten, so wie man ein Objekt beobachtet. Erst dann könne man seinen Platz in der Situation richtig verstehen und dementsprechend handeln.
Vielleicht ist das Besondere am Unterbewusstsein, dass es nicht lügt. Das Bewusstsein hat ja bekanntlich die Fähigkeit der Selbsttäuschung. Man kann sich Dinge einreden, auch Gefühle. Die meisten Leute tun das, weil sie in einer unvollkommenen Welt leben, die ihnen nicht gefällt, und so rationalisieren sie ihre Situation in einer Art, dass die Welt nicht mehr so schlimm ist. Man bildet sich ein, geliebt und beachtet zu werden. Man sagt sich auch beispielsweise, man sei glücklich, wenn man eine Gehaltserhöhung bekommt, weil es im Wertesystem des Bewusstseins eine Logik ergibt. Um aber an das Unterbewusstsein zu kommen, muss man in sich hineinhorchen und sich selbst Fragen stellen. Dann gelangt man an eine Wahrheit, die weitaus genauer ist als die des Bewusstseins und oft auch sehr viel schneller.
(2) Hermann T.: Ob bei Kontroll- oder Nicht-Kontrollsituationen, wir kommen von mehreren Seiten auf die Frage des Gebens und des Nehmens. Auch im Zusammenhang mit Wunsch- und Angstdenken spielt sie eine große Rolle. Ich habe den Eindruck, dass man sich dieser Frage nach dem Geben und dem Nehmen nicht systematisch nähern kann, weil man die Begriffe nicht richtig gegeneinander abgrenzen kann. Was ist Geben?
In einem früheren Beitrag hatte ich erwähnt, dass ich meine Freundin durch einen Unfall verloren habe. In der Zeit nach ihrem Tod habe ich mich sehr verändert. Ich merkte, wie viel ich ihr noch geben wollte und nun nicht mehr konnte, und es machte mich sehr traurig. In meinem Schmerz merkte ich aber auch, dass ich durch dieses Geben-Wollen gleichzeitig auch etwas nehmen wollte, denn Wollen hat immer mit Nehmen zu tun. Das meine ich, wenn ich sage, dass man Geben und Nehmen nicht richtig abgrenzen kann. Es gehört zusammen. Man hat immer beides. Wenn ich etwas tue, um jemand anderem einen Gefallen zu tun, dann gebe ich. Dadurch, dass ich es mir wünsche, nehme ich aber auch, denn der andere gibt mir die Möglichkeit, meinen Wunsch auszuleben.
Es ist schon so ein Kreuz mit dem Dienen: Jeder will es, keiner will es zugeben. Ich war mir erst nach dem Verlust darüber im Klaren, dass ich Claudia dienen wollte. Nicht ständig natürlich oder erzwungen, aber es war mein Wunsch. Diese Erkenntnis hat mich zunächst befremdet, und ich dachte, ich hätte einen perversen Zug von Unterwürfigkeit oder so etwas an mir, den ich nie bemerkt hatte, aber das war es nicht. Als ich zwei Jahre später eine andere Frau kennen und lieben lernte, da lebte ich diese Seite dann aus. Das hat einige Übung gebraucht, denn die Situationen, die ich mir gewünscht habe, mussten erst einmal geschaffen werden, ohne dass die Gleichberechtigung darunter leidet. Mit meinem Wunsch zu dienen kam ich ja nicht von unten, sondern von gleicher Höhe. Paradoxerweise gelang mir die Situation des Dienens und des Gebens erst von da an richtig, als ich die entsprechenden Situationen dominiert habe. Ja, es funktionierte erst, als ich das Geben in ein Nehmen verwandelt hatte, denn meine Partnerin wollte auch geben.
Seit dieser Beziehung habe ich auch gelernt zu nehmen, denn ich kann es ebenfalls als ein Geben betrachten, weil ich meiner Partnerin die Gelegenheit gebe, ihre Sehnsucht zu stillen. Es ist nach meiner Meinung der reine Materialismus, wenn man denkt, dass Nehmen zu Haben führt. Eher ist es so, dass Geben zu Sein führt. Wenn man das Geben und Nehmen jedenfalls unter dem Aspekt der Wunscherfüllung betrachtet, kommt man zu völlig anderen Bewertungen, als wenn man es nach dem Aspekt der Kontrolle betrachtet.
(3) Marion: Anne Sullivan und Monty Roberts. Beide haben große Erfolge mit ihrer Art von Erziehung gehabt. Vieles von dem, was Monty Roberts über die Sprache der Pferde gelernt hat, konnte er auch in der Kindererziehung verwenden. Er hat sehr viele Kinder und spricht auch darüber, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt. Nun könnte man einwerfen, dass das Dressieren von Pferden nun wirklich nichts mit Kindern zu tun haben sollte. Aber das, was Monty tut, ist nicht in erster Linie Dressur. Er sagt ja selbst, dass es damit zu tun hat, dass er die Sprache der Tiere versteht, also die Körpersprache und die Art, wie Pferde ihre Emotionen ausdrücken. Monty hat damit einen bestimmten Level der Kommunikation erreicht. Wenn immer jemand sagt, es gebe keine Alternative zur Gewalt, dann ist Monty eines der besten Gegenbeispiele. Kommunikation heißt das Zauberwort.
Die Sprache des Anderen lernen. Das heißt auch: Verstehen wollen, sich in die Lage des Anderen versetzen können. Ich denke, das gilt für Pferde ebenso wie für Kinder und für Kulturen. Als Monty einmal einen wilden Mustang auf freiem Feld zähmte, da hatte er viel Geduld, Interesse und Respekt. Ohne diese Eigenschaften wäre es ihm nicht gelungen.
(4) Simon: Ich habe mich schon immer gefragt, was Kunst eigentlich ist und wie man sie definieren kann. Mit Hilfe der Beiträge in der Chronik lässt sich wohl eine Definition versuchen. Es wurde öfter erwähnt, dass Kunst mit Trance zu tun hat, mit Versunkenheit und Inspiration. Ich habe früher über so etwas gelacht, weil ich es mit nichts in Verbindung bringen konnte, das ich kannte. Nachdem ich aber erlebt habe, wie Ozzy in meiner Gegenwart komponiert hat, und wie es damals war, als die BULLETS Plattenaufnahmen gemacht haben, verstehe ich mehr von der Realität des künstlerischen oder inspirierten Schaffens. Auch seitdem Nina in meinem Leben ist, denn Kinder sind ständig auf der Suche nach dem Neuen, das ja ebenfalls ein Kriterium für Kunst ist.
Bei solchen abstrakten Begriffen gibt es natürlich keine einheitliche Definition. Auch der Satz „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ hat seine Gültigkeit. Jede Kunst hat eine Ästhetik. Trotzdem ist es sinnvoll, nach Kriterien von Kunst Ausschau zu halten, denn es gibt den Begriff der Kunst in der Alltagsspache, und es gibt ihn in jeder Kultur und Sprache. Also muss etwas dran sein. Auch steht es außer Frage, dass Kunst die Aufgabe hat, in die Gesellschaft zu wirken und die Welt aus der Warte der Freiheit zu betrachten.
Ich komme auf den Kunstbegriff zurück, nachdem Hanna über offene und geschlossene Situationen gesprochen hat, also unkontrollierte und kontrollierte Situationen. Ein Kunstwerk kann nur in einer offenen Situation entstehen, denn alles Neue kommt daher. Berücksichtigt man die Furcht der Gesellschaft vor offenen Situationen, wird klar, warum Kunst oft etwas Subversives ist. In offenen Situationen wird man mit sich selbst konfrontiert. Man agiert außerhalb dessen, was es bereits gibt. Hanna und auch Marco haben mir erzählt, dass sie allerdings immer darauf achten, dass sie verstanden werden können. Die Kommunikation ist für sie ein wesentlicher Bestandteil der Kunst.
Es gibt keine allgemein gültige Defnition von Kunst. Offenheit zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie sich nicht definieren lässt. Aber es gibt wohl ein Set von Merkmalen, von denen es reicht, dass einige zutreffen. Ähnlich ist es bei dem Begriff „Spiel“. Ludwig Wittgenstein hat solche Begriffe untersucht und das Wort der „Familienähnlichkeit“ geprägt. Nehmen wir als Merkmale von „Spiel“ etwa: Unterhaltung, Regeln, Zeitrahmen, Requisiten, Mitspieler, gewinnen/verlieren, Strategie, Meditation, dann ist keines dieser Merkmale zwingend für jedes einzelne Spiel, und doch hat jedes Spiel einige dieser Merkmale. Vielleicht kann man sagen, dass „Kunst“ zwischen „Spiel“ und „Wissenschaft“ liegt. „Sport“ ist auch noch ein Begriff, der in diese Reihe passt.
Wenn wir uns mit dem Begriff der Familienähnlichkeit der Kunst nähern, können wir auch die oben genannten Merkmale wie Inspiration, Ästhetik, das Neue, Subversion oder Kommunikation als ein Set betrachten, das Kunst ausmacht. Ich frage mich, inwiefern der Begriff des „Excitements“, der kürzlich hier genannt wurde, ebenfalls zum Set dessen gehört, was Kunst ausmacht. Wenn der Künstler also beim Schaffen merkt, dass es „geil“ ist, was er macht, und dass es der Zeit Stand halten wird. Excitement ist Erregung, es ist die Erregung des Künstlers beim Schaffen und Verarbeiten des Werks und die Erregung des Publikums beim Betrachten desselben.
Oft hat man den Eindruck, Kunstwerke würden Kraft transportieren. Das kann man gerade am Rock'n'Roll gut sehen, auch wenn der nicht von allen Menschen als Kunstform betrachtet wird. Aber ich hätte auch Beethoven sagen können, denn auch in der so genannten klassischen Musik wird Kraft transportiert, Aufregung, Excitement, Lebensfreude. Ich glaube, dass Excitement in unserer Gesellschaft bereits subversiv ist. Man spricht nicht darüber, dass man aufgewühlte und erregende Stimmungen kennt und mag, denn es klingt politisch nicht korrekt. Aber eine Gesellschaft, die sich nicht erregen lässt, die sich nicht zum Tanz auffordern lässt, weil sie am Fließband stehen muss und keine Zeit für so etwas hat, hat ihre Träume verloren.
Redaktion in Kiel, 06.03.02
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