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ROCK'N'ROLL
Nachricht von Ozzy Balou
Eine Rekonstruktion
von Anis Hamadeh
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In gut zwei Wochen ist der Spaß hier vorbei, und der Red. kann sich vorläufig auf sein Altenteil zurückziehen nach einem sechsmonatigen Marathon. Für die 96ste und letzte Nachricht, die am 26.03.02 so zu sagen live ins Netz gestellt wird, hätte ich gerne noch viele kurze Statements. Alle Teilnehmer der Chronik bekamen heute daher eine Email mit dem Betreff „Einen kurzen Abschlusskommentar bitte“ und diesem Text, den sie und Sie gerade lesen. Sendet mir für diesen speziellen Anlass bitte nur sehr kurze Beiträge. Bedenkt, dass Ihr jeweils eine oder einer von insgesamt bislang 67 Teilnehmern sind. Stellt es Euch vor wie ein Gruppenfoto, bloß ohne Foto. Zwei bis drei Zeilen bitte. Also folgen nach dieser nur noch sieben reguläre Nachrichten.

Der BLUESLAND-Fall ist jetzt wieder aufgerollt worden und man kann wohl sagen, dass eine Spur aufgenommen wurde. Ob sie zu einem Ergebnis führt, ist noch unklar. Falls sich nach dem oben genannten Stichtag wichtige Veränderungen oder Neubewertungen ergeben, oder auch, wenn es über Ozzy oder sonst etwas nachzutragen gibt, kann ich mir vorstellen, nach einer gewissen Zeit drei Ergänzungsnachrichten anzufügen. Hier nun die Beiträge der letzten zwei Tage:

(1) Marco: Es gibt ein Geheimnis der verdeckenden Worte. Mit Worten lassen sich Taten ankündigen und testen, wenn etwa Bush diesen „Achse des Bösen“-Begriff in den Raum wirft. Er prüft, wie groß die Ablehnung bzw. die Toleranz ist. Aber die Worte können auch verwendet werden, um Handlungen zu verschleiern. Das ist in der Politik nicht selten. Man hält sich an Argumenten fest, die etwas anderes begründen als das, was man wirklich im Sinn hat, sodass man die wirkliche Absicht nicht feststellen kann.

Ein Politiker sagt, er sorge für Sicherheit, aber die Maßnahmen, die er ergreift, haben ganz andere Ziele. Man kann schwerlich dagegen angehen, wenn sich jemand auf die Gesetze beruft, auf Bestimmungen, die Sicherheit oder den Frieden. Wie im Fall der Frau, deren Krankenkasse ihr alternativloses Krebsmedikament nicht bezahlen wollte, weil es nicht auf einer bestimmten Liste steht, obwohl es aber wirksam und im Handel ist. Erst mit Hilfe der Presse kam die Frau zu ihrem Recht, wie PANORAMA am Donnerstag berichtete.

Wenn man an den verdeckenden Worten nicht vorbeikommt, wie im Fall der Krebspatientin, weil die zuständigen Entscheidungsträger blockieren, dann gelangt man übergangslos zur Frage, was man mit pazifistischen Mitteln überhaupt ausrichten kann. Vieles davon liegt in der Hand der Presse, denn die Presse ist die organisierte Öffentlichkeit. Darein fügt sich der Spruch mit dem Weg der Gewaltlosigkeit, der der Weg in die Öffentlichkeit ist.

Ansonsten sehe ich da noch den Weg des Tit-for-Tat: Wenn man durch verdeckende Worte abgelinkt wird, kann man sich dieses Tricks auch selbst bedienen. Das ist durch das Regenstein-Prinzip gedeckt. Warum sollte nicht ein Pazifist genauso gut seine Absichten verbergen und solche Antworten geben, die keine Fragen mehr zulassen, auch wenn jedem klar ist, dass er nicht alles gesagt hat? Warum sollte er nicht eine Person wegen einer Sache B belangen, wenn er eigentlich A meint, aber A nicht so gut angreifbar ist?

Damit man mich nicht missversteht: Ich meine hier keineswegs, dass man herumlaufen und betrügen sollte. Ich sage nur, dass diese Art der von John Lennon besungenen MIND GAMES immer noch eine gute Alternative zur Gewalt sind.

„Wir können auch anders“, sagen die Anti-Helden in Detlef Bucks gleichnamigem Film. Aber sie können nicht anders. Sie sagen es nur. Eine Redewendung. Und warum können sie nicht anders? Weil ihnen nichts Vernünftiges einfällt. Sie sind sympathisch, und man findet sie lustig, aber sie können nichts ausrichten.

Deshalb plädieren wir Künstler in dieser Chronik für offene Situationen und für mehr Freiheit zur Entfaltung der Persönlichkeit, denn dadurch wird genau dieses Klima von LOVE & PEACE geschaffen, von dem seit dem Anfang der Chronik die Rede ist. Wenn sich die Fantasie mehr entfalten kann, kommt man automatisch zu Alternativen zur Gewalt. Das zentrale Moment dabei ist, dass es sich dabei nicht um einen Kader von Entscheidungsträgern handelt, sondern um ein dynamisches gesellschaftliches System, das von uns angestrebt wird.

(2) E. Solms: In der letzten Nachricht habe ich gelesen, dass da jemand zwei Monate nach dem Brand ein Auto gekauft haben soll, was eventuell im Zusammenhang mit den gestohlenen 10.000 Mark stehen könnte. Ich habe mir jetzt die Akte vom BLUESLAND-Fall noch einmal angesehen. Das Indiz der 10.000 Mark ist dort zwar zu finden, es konnte aber nichts darüber herausgefunden werden. An dieser Stelle möchte ich deshalb darum bitten, dass man mir den Namen des Betreffenden sagt. Wir haben natürlich geprüft, ob jemand der Stammgäste auffällige Veränderungen zeigte, aber zwei Monate später waren die Ermittlungen im Wesentlichen bereits abgeschlossen und ein Autokauf wäre uns wohl auch nicht unbedingt aufgefallen, es sei denn, es wäre ein sehr teures Auto gewesen.

Mein früher geäußerter Zorn gegen Ozzy und Konsorten hat sich übrigens etwas gelegt. Das liegt aber nicht so sehr daran, dass meine Tochter mich hier zurückgehalten hat, sondern vielmehr an einigen Äußerungen von Ozzy. Abgesehen davon, dass er sich ständig widerspricht (mal geht es ihm um seine Person, dann wieder nicht, wie ers gerade braucht), ist seine Metaphorik ebenso lächerlich wie entlarvend. Er sei wie ein schwer beladener Anhänger, der mit 130 Sachen eine Landstraße herunterbrettert. Aber vielleicht handelt es sich auch einfach nur um eine sehr lange Landstraße, denn sonst würde wohl etwas mehr Interesse am neuen Rock'n'Roll-Minister bestehen.

Meine Ironie ist durchaus gerechtfertigt, denn mit „Establishment“ meint Ozzy mich sicherlich auch. Was ich ihm vorwerfe, ist, dass er nach eigenem Ermessen Leute in Skandale verwickelt und damit ihre Würde herabsetzt. Ein solches Verhalten ist nicht mehr durch die Meinungsfreiheit gedeckt. So wie die Schriftstellerin Arundhati Roy die Würde des indischen Gerichts herabgesetzt hat wegen ihres unangemessenen Protests gegen Regierungspläne. Sie musste dafür einen Tag ins Gefängnis."

(3) Simon: Was die vier deutschen Soldaten angeht, die jetzt in Afghanistan und in der Ostsee ums Leben gekommen sind, so möchte ich ganz klar stellen, dass sie nicht für mich gestorben sind. Deutschland ist keineswegs bedroht, und auch die Situation in den USA ist nicht so, dass wir Deutschen dafür sterben müssen. Das ist alles ganz große Scheiße. Das sind die ersten deutschen Kriegstoten seit dem Zweiten Weltkrieg. Wofür? Und wohin soll das führen?

(4) Carl: Die eine Frage, mit der ich mich die ganze Zeit schwer tue, ist die des Materialismus. Irgendwo sehe ich die Materialismus-Kritik am Rock'n'Roll ein, weil Musik ideell ist, andererseits fürchtete ich mich zunächst vor der Konsequenz, dass Rock'n'Roller so etwas wie hüftschwingende Franziskanermönche sein müssten, um diesem Anspruch gerecht zu werden, und das scheint mir weder zum Rock'n'Roll, noch zu Ozzy zu passen.

Wir hatten damals für eine kurze Zeit ganz gut Geld verdient mit den BULLETS. ich weiß nicht, wie die anderen es empfunden haben, aber für mich hatte der materielle Erfolg auch eine deutliche ideelle Komponente. Es war Erfolg, den man sehen konnte, den man zeigen konnte.

Ich habe mit Ozzy und Simon darüber geredet, denn so richtig gegen Geld sind sie ja nicht. Simon hat den Buddhisten Richard Gere zitiert, der in einem Fernsehinterview gesagt hat, dass niemand schlecht ist, nur weil er Geld hat, ebenso wie niemand schlecht ist, nur weil er kein Geld hat. Und wenn die Leute, die kein Geld haben, sich wünschen, so zu sein wie die, die Geld haben, dann können sie es den Reichen eigentlich auch nicht vorwerfen, reich zu sein. Natürlich, wenn man Milliardär ist, dann muss man sich schon überlegen, wie man damit zurecht kommt, zu wissen, dass man Tausende von Menschenleben retten könnte, wenn man seinen Reichtum teilen würde.

Ich habe Ozzy gefragt, wie er wohl sein wird, wenn sein Traum in Erfüllung geht und er den gesellschaftlichen Erfolg hat. Er sagte, er würde sich bestimmt verändern, und er würde nur seine Ideale projizieren, wenn er eine solche Zukunft einschätzen sollte. Er meinte, Geld sei nichts Schlechtes, aber man könne es nicht essen. Er sei sich aber der Tatsache bewusst, dass die meisten Rocker mit dem Geld und dem Erfolg nicht klargekommen sind oder sich in seltsame Richtungen entwickelt haben wie BRUCE SPRINGSTEEN, den wir in den 80ern ziemlich viel gehört hatten.

Aber Ozzy ist die Geldfrage gar nicht so wichtig wie mir. Das sei keine Koketterie, sagt er, er denke einfach mehr über seine Platte nach, darüber, eine gute Frau zu finden und darüber, etwas zu bewirken in diesen Zeiten. Ich sagte, wenn er jetzt Geld hätte, könnte er schnell Musiker finden und die Platte sofort machen. Er meinte, das wäre toll, aber genauso gut könnte er zufällig einer Frau begegnen, und das wäre noch toller und kostet nicht einmal etwas. Es gebe immer irgendwelche Dinge, die schön wären und die nicht da sind. Außerdem könne er seine Platte auch alleine machen, nur eben nicht aufnehmen und produzieren. Aber machen natürlich. Was soll man dazu noch sagen?

(5) Maria: Ich denke, bei Schuldgefühlen müssen wir unterscheiden zwischen gerechtfertigten und ungerechtfertigten. Im Fall von Mark H. scheint es mir ganz deutlich zu sein, dass seine Schuldgefühle nicht gerechtfertigt sind. Was hat er denn getan? Gut, er hat seine Ängste, und er hat früher mal Drogen genommen, was er aber selbst klären wollte, wozu es nicht mehr kam. Aber selbst wenn er heute noch an der Nadel hängen sollte, ist er kein Verbrecher. Er tut sich selbst keinen Gefallen damit, aber es ist doch etwas anderes, als wenn er jemandem ein Leid angetan hätte.

Viele Leute denken, sie hätten ein Unrecht begangen oder könnten ein Unrecht begehen, so dass sie Schuldgefühle bekommen. Auch Ozzy hat gesagt, dass er beim Gitarrespielen Schuldgefühle bekommt, was ebenfalls nicht gerechtfertigt ist. Man muss dann schon tief in sich gehen, um zu prüfen, inwieweit die Schuldgefühle wirklich Bestand haben. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es Schuld gibt, und dass man selbst auch immer wieder schuldig wird, wenn auch normalerweise in kleinen Dingen.

Mark hat nach Rat gefragt, und ich kann ihm nur raten, nicht bei McDonalds anzufangen, denn das würde seine schlechten Gefühle nur verstärken. Es ist ein Angstbild, das aus der Verzweiflung stammt, und man soll nichts aus Verzweiflung tun. Ich meine, es ist nichts Schlimmes, bei McDonalds zu arbeiten, aber unter diesen Voraussetzungen scheint es mir eher so, als wolle Mark Buße tun für sein angebliches Versagen. Stattdessen sollte er sein angebliches Versagen weiter analysieren, so wie er angefangen hat, und den tatsächlichen Punkt finden, um den es für ihn geht. Und er sollte möglichst schnell von seinen Eltern wegziehen. Das sage ich hier nicht nur einfach so in den Raum, sondern ich habe mich bereits umgehört, wer eventuell ein Zimmer frei hat für erst einmal ein paar Wochen. Am Freitag sehen wir mehr.

Redaktion in Kiel, 10.03.02

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