08.02.2015
Lieber Wolfgang, bleiben wir ruhig noch eine Weile bei diesem Thema, denn da steckt viel drin. Allein darüber, was „das System“ ist, kann man lange nachdenken. Ist es das parteipolitische System? Der Kapitalismus? Oder der militärisch-industrielle Komplex? Für mich geht der Begriff sogar noch viel weiter und beinhaltet das Patriarchat und das System zwischenmenschlichen Verhaltens insbesondere in Gruppen und sexuellen Beziehungen. Ich sehe strukturelle Ähnlichkeiten im hierarchischen Verhalten von Gruppen – wenn zum Beispiel Novizen erniedrigt werden oder Alpha-Gruppenmitglieder die anderen gängeln – und im Verhalten von Soldaten im Krieg. Die gesellschaftliche Veränderung, für die ich arbeite und die ich propagiere, geht tief in die Gruppen hinein, bis hin zur Familie. Ich habe leider noch nie eine Gruppe erlebt, die demokratisch, also gerecht ist. Das ist eine schockierende Erkenntnis. Kann man das von innen heraus ändern? Nein und ja. Es gibt viele Fälle von Leuten, die ursprünglich Veränderungen von innen wollten, aber auf dem Weg ins System korrupt geworden sind. Das ist sogar der Klassiker und es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass man selbst vor Korruption gefeiht ist. Andererseits gibt es Gegenbeispiele wie den Präsidenten von Uruguay und „Top-Down“-Maßnahmen, etwa von Gorbatschow. Evo Morales hat Veränderungen von innen gebracht, die Griechen sind gerade dabei und es gibt auch progressive Kräfte in der Wirtschaft und den Medien.
Ich glaube, wir sind uns einig, dass man gesellschaftlich-politische Systeme nicht durch gutes Zureden verändern kann und nur sehr selten durch Analysen und Argumentationen. Eigentlich sprechen wir die ganze Zeit von der Machtfrage und Macht ist erheblich dadurch definiert, dass sie sich Argumenten entzieht und egoistisch ist.
Was Veränderungen so unheimlich schwierig macht ist, dass Gruppen nach meiner Erfahrung häufig einfach abstreiten, dass es Machtstrukturen gibt, und dass Individuen mehr oder weniger abstreiten, dass ihr Unterbewusstsein Einfluss auf ihre Handlungen hat. Wenn ich also aktiv nach Veränderung strebe, muss ich das berücksichtigen. Das ist so komplex, dass ich Künstler geworden bin, denn in der Musik, der Literatur und mit Zeichnungen stehen einem mehr Dimensionen der Kommunikation zur Verfügung. Ich kann gleichzeitig die Oberfläche und das Unterbewusste des Publikums ansprechen, sogar mit sich ergänzenden Botschaften, wenn es gut läuft.
Kann man überhaupt Veränderungen bewirken? Ich glaube schon. Immer, wenn ich im Radio Dean Martin singen höre: „The world is still the same you'll never change it“, singe ich stattdessen „unless you change it“. Die Gesellschaft duldet mich, sie akzeptiert mich aber nicht. Wenn ich es schaffe, dass sie mich akzeptieren muss, dann werde ich automatisch Veränderung hervorgebracht haben. Hier liegt meine Hoffnung.
Mal sehen, was du zu ergänzen hast und wo du gleich oder anders denkst, bevor wir zum nächsten Thema übergehen. Einen schönen Tag wünscht Anis
10.02.2015 Lieber Anis,
Das mit den Systemen fängt natürlich bei einem selbst an, in der Familie, der Beziehung zu Freunden, überall. Aber auch da brauche ich ja natürlich die Rückkopplung von Außen, die mir neue Impulse liefert. Solange niemand an meinen Neurosen Anstoß nimmt und mir im Zweifelsfall die Rote Karte zeigt, muss ich ja gar nichts ändern. Besonders schlimm wird das, wenn man es sich leisten kann, auf den Rat von anderen zu verzichten. Und da sind wir wieder bei der großen Politik – es dauert lange, bis eine Supermacht oder eine innerpolitische Kraft, eine Klasse an ihre Grenzen stößt. Am Beispiel der Kirchen sieht man das besonders gut. Die Schäfchen laufen in Scharen davon, aber die Kirchen sind reformresistent. Von mir aus sollen sie das auch ruhig bleiben, bis auch der Letzte ihnen den Rücken gewandt hat :-)
Und dann immer die angebliche Macht der Konsumenten, wenn es um „böse“ Konzerne geht. Diese Macht gibt es nicht, denn im falschen System kann man nicht „richtig“ kaufen. Es gibt kein Entrinnen – nur ein Verlagern. Man kann sich Einschränken, aber das ich nicht mein Weg, nur notgedrungen! Leben und Entwicklung, das heißt für mich Fülle – nicht gleichbedeutend mit materiellem Überfluss, aber was mich am meisten anödet und wenig zielführend ist, das ist dieses ganze Sparsamkeitsgefasel. Das ist völlig widernatürlich – denn die Natur ist so unglaublich vielfältig und verschwenderisch. Wir schauen immer auf die Politik, wenn wir über Veränderung reden, aber dazu ist die Politik nicht da – sie ist doch das genaue Gegenteil von Kreativität. Gibt es heute noch irgendeine politische Bewegung, in der sich Künstler engagieren? Das ist lange her – die Künste in unserem Land sind versiegt. Es gibt kaum noch Räume, in denen die Kunst gedeihen kann, darum müssen wir sie uns selbst schaffen. Ach ja, das gibt Anlass zur Hoffnung, denn genau das tun wir beide ja gerade……. |
 Foto: János Balázs
Hat Deutschland noch eine Zukunft? Wolfgang Van de Rydt, 10.02.2015 Um es vorweg zu nehmen: Wir sagen NEIN! Warum? Gründe gibt es viele, auch für verhaltenen Optimismus, doch es fehlen die Impulse, die Anlass zur Hoffnung geben könnten.
Beginnen wir mit der Politik… Seit Jahren ist der Kurs aller Parteien und politischen Kräfte auf Auflösung gerichtet. Deutschland hat aufzugehen in die Staaten- und Wirtschaftsunion der EU. Nicht nur Merkel und Co. verfolgen diese alternativlose Politik, sondern alle EU Staaten. Auch die Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft hängen dieser Nicht-Ideologie nach. Die Nationale Identität erscheint im gesamteuropäischen Konsenz abgeschrieben zu sein. Das N- Wort ist unaussprechlich geworden, obwohl doch alle Partner für sich stets versuchen, das Beste herauszuschlagen. Niemals hätten die Briten ihr Pfund aufgegeben… Widerstand regt sich nur in konservativen Lagern und kann trotz immer größeren Zuspruchs keine neuen Impulse liefern. Und Widerstand ist auch keine Option, wenn das Denken auf die Zukunft gerichtet ist. Es ist das Wesen des Widerstands, konservativ, wertebewahrend zu sein, was nicht bedeuten soll, dass er keine Berechtigung hat und es sich nicht lohnt, Altbewährtes auch zu bewahren. Aber für eine Entwicklung sind neue Impulse notwendig, die leider gänzlich ausbleiben.
Wirtschaft und Technologie
Wann hat die letzte deutsche Innovation die Märkte revolutioniert? Das ist schon so lange her, dass sich kaum jemand daran erinnern kann. Jede noch so gute deutsche Ingenieursleistung wurde nicht entsprechend geerntet, sondern ratlos und unmotiviert den Technologiekonzernen in den USA überlassen. |