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ESSAY (3)
Der politische Aberglaube
Anis Hamadeh, 30.05.02
Zusammenfassung

Blitz und Donner - Hitlers Irrtum - Der politische Aberglaube - Warum nicht? - Heuschrecken



- Blitz und Donner -

Es hat eine Zeit gegeben, in der die Menschen dachten, dass Blitz und Donner Ausdruck eines göttlichen Zorns sind, Phänomene, die sich anders nicht erklären ließen als durch die Macht einer Instanz, die so weit überlegen war, dass man ihr nur mit starrer Ehrfurcht begegnen konnte. Dinge spielten sich da ab, in den höheren Sphären, über die nicht gesprochen werden konnte, weil man sie nicht verstehen konnte. Allein der Mensch will immer verstehen, und kann er es nicht, so lässt er die Bilder des Eindrucks fest in sich wirken, wartend, bis die Ereignisse und Erlebnisse sich verdichtet haben, um sie einen geordneten Platz im Gedächtnis einnehmen zu lassen, dass sie Ruhe geben mögen. Alle Mythen sind so entstanden – die unverstandenen Elementargewalten des individuellen und des kollektiven Lebens haben hier ihre eigene Geschichte geschrieben. Nicht etwa auf Papier, sondern in die Kollektivgedächtnisse. So entstanden die Geschichte, die Geschichtsschreibung, Dichtung und Wahrheit. Und der Aberglaube.

Aberglaube ist im Grunde der übertriebene Glaube und das Vertrauen in nicht begründete Vorzeichen oder Omen, seien sie nun positiver oder negativer Art, in den Fällen, wo das Wissen fehlt und man eine Erklärung braucht. Bei Blitz und Donner etwa. Spätestens seit es den Begriff „Aberglaube“ gibt, hat sich die Gesellschaft aber auch schon davon distanziert. Die Höheren Mächte wurden abgelöst von den exakten, von den wissenschaftlichen Mächten. Die waren kompetenter geworden, denn sie konnten die Welt besser erklären, sie hatten bessere und viel ausführlichere Argumente, die man (endlich) nachvollziehen und hinterfragen konnte.

- Hitlers Irrtum -

Dann kam das Ende des Zweiten Weltkriegs. Wir wurden zurückgeworfen in die Zeit des Aberglaubens, denn wir erfuhren Dinge über uns, die so grausam waren, dass sie zu einem einzigartigen und unvergleichbaren traumatischen Erlebnis wurden. Hier ging es nicht nur um Deutsche und Juden, es ging um homo faber ganz allgemein. Wie hatte so etwas geschehen können? Wie war es einer Gesellschaft möglich, einer anderen Gesellschaft derart grausam zu begegnen, einen Weltkrieg loszureißen, und eine Wüste des Todes und der Scham zu hinterlassen? Siegestrunken, berauscht von der Persönlichkeit Adolf Hitlers und seines Medientrosses, zu allen Opfern entschlossen im Irrglauben an einen Endsieg, und dann der tiefe Fall der sich führend glaubenden Kulturnation ins kulturelle Nichts. Abhängig, wie ein Kind, vom neuen Befreier USA. Dringend neue Werte suchend. Sich selbst nicht mehr vertrauend. Und das aus gutem Grund.

Bis heute ist der Irrtum Hitlers nicht verarbeitet worden. Man weiß das auch. Zu unfassbar waren die Ereignisse. Dinge spielten sich da ab, in den höheren Sphären, über die nicht gesprochen werden konnte, weil man sie nicht verstehen konnte. Allein der Mensch will immer verstehen, und kann er es nicht, so lässt er die Bilder des Eindrucks fest in sich wirken, wartend, bis die Ereignisse und Erlebnisse sich verdichtet haben, um sie einen geordneten Platz im Gedächtnis einnehmen zu lassen, dass sie Ruhe geben mögen. So entstand zum Beispiel die
Außerirdischen-Theorie (siehe dazu FR 26.01.02), nach der die Nazis die anderen waren. Sie kamen und gingen so plötzlich wie Außerirdische, und niemand weiß Genaueres. Zurückzuführen sei dieses Denken auf die Kluft zwischen dem familiären und dem offiziellen Deutschland, sagte Sozialpsychologe Professor Harald Welzer der Zeitung.

Aus der Psychologie wissen wir, dass traumatische Erlebnisse zu Verdrängungen führen, und dies gilt auch für Kollektive. Es handelt sich hierbei nicht um einen Mangel, sondern um eine Notwendigkeit im Heilungsprozess. Sie führen erst dann zum Mangel, wenn sie von der Notwendigkeit in eine nachlässige Gewohnheit übergehen. Als Herr von Dohnanyi in seiner Münchner Rede davon sprach, dass die 68er-Generation noch nicht die nötige historische Distanz zum Ereignis hatte und dass die Aufarbeitung jetzt erst geschehen könne, kannte er diesen Hintergrund. Aber was überhaupt ist der Nachteil der Verdrängung, was passiert da Merkliches? Es ist der politische Aberglaube. Die Angst, erneut in diese Situation zu geraten, in der man eine solche Schuld aufgeladen hat, dass einem noch sechzig Jahre später davon übel ist. Eine Situation, die man nicht kontrollieren kann, die einen mitreißt. Und wenn man die Situation nicht richtig verstanden, also verarbeitet hat, ist die Angst umso größer. Überwachsam wird man sein und verkrampft, gewisse Handlungen und Worte vermeidend, um nicht in den Bereich dessen zu kommen, was gefährlich werden könnte. Es gibt ja auch viele andere, harmlose Bereiche. Auf der anderen Seite werden Überreaktionen stehen, man wird seine Mängel hektisch im politischen Gegner finden, analysieren und bekämpfen.

Sind diese Gedanken einseitig? Will ich hier die Kranzniederlegungen für überflüssig erklären, und die Besuche in Yad Vaschem? Keineswegs. Natürlich ist das richtig und wichtig. Es ist ein Teil des Ganzen, wenn auch im Öffentlichen weit verbreiteter als im Privaten. Eher schon stören mich die linken Politiker, die sich gegen rechten Extremismus engagieren und die gebetsmühlenhaften Solidaritätsbekundungen Deutscher gegenüber Juden und dem Existenz- und Verteidigungsrecht des jüdischen Staates. Meine Frage jedoch zielt nicht in dieses Feld, sie ist grundsätzlicher: Wie kann es sein, dass ein Land wie Deutschland nach seinen Erfahrungen keinen Ekel vor dem Krieg bekommen hat? Mit Recht geht diese Frage auch an Israel: Warum lebt Israel nach den Erfahrungen der Juden mit dieser Gewalt, die die Welt und vor allem die Palästinenser beunruhigt? Mir scheint der politische Aberglaube die einzig mögliche Antwort zu sein.

- Der politische Aberglaube -

So glauben viele Menschen heute, dass im Bewusstsein schweigender Mehrheiten nicht nur unausgesprochene Wahrheiten liegen, sondern auch schlummernder Wahn. Man fürchtet Entfesselungen, die außer Kontrolle geraten und zu bösartigen Hirngespinsten werden, wenn man das Bewusstsein schweigender Mehrheiten anspricht. (DIE ZEIT heute S. 33: Jan Ross, Was ist politisch korrekt?). So einzigartig seien Hitler und die Nazis, dass ein Teil der deutschen Geschichte sich jedem Vergleich entzieht, jede Relation zur Weltgeschichte – und damit ein Stück eigener Identität, so traurig sie auch sein mag – von sich weist und verliert. Was bleibt, ist ein Glauben daran, dass der Deutsche in seinem tiefsten Inneren nach Experiment böse ist, und dass dieses tiefste Innere daher auf ewig verschlossen bleiben müsse. Immerhin erfreulich, dass sich die kreative Epoche der deutschen Romantik lange vor dieser Problematik abgespielt hat. Weniger erfeulich, dass die deutschen Geister heute das Selbst-Bewusstsein großer Menschen wie etwa das eines Bach oder gar eines Goethe nicht mehr nachvollziehen können.

„Überall lauert der Antisemitismus“, brüllt die ZEIT im Namen der American Jewish Community heute auf Seite 8, und es ist die genaue Umkehrung von „Überall lauert der Jude“. Hier wird im Kern gesagt, dass Scharon nicht mit Hitler verglichen werden darf. Würde ich bei einer der Zeitungen arbeiten, die die AJC untersucht, würde ich mich vermutlich genötigt sehen, mich nur sehr vorsichtig und möglichst gar nicht über Israel zu äußern. Es besteht ein „Sonderverhältnis“ zu Israel, das auf der Geschichte gründe, zu welcher der Holocaust gehöre. So Herr Fischer auf der Titelseite der ZEIT. Und weiter: „Die Opferpose, weil man sich nicht frei äußern dürfe, wirkt daran gemessen geradezu lächerlich.“ Es gebe einen „Grundkonsens“, so Stoiber im selben Artikel, der in Richard von Weizsäckers Rede vom 08. Mai 1985 formuliert sei.

Bemerkenswert in der jetzigen Zeit ist, dass die deutsche Presse bereits weiß, dass sie falsch liegt. Den Verdacht, dass es heute die Medien sind, die den politischen Aberglauben von der Höheren Ordnung schüren und bewahren, spricht die ZEIT selbst aus, ohne ihn hinreichend relativieren zu können: „In der Tat gibt es das Phänomen der reversed discrimination, der Benachteiligung des eben noch Privilegierten, des reflexhaften Weiterkämpfens gegen Gefahren, die längst gebannt sind, und gegen Feinde, die mittlerweile schon am Boden liegen.“ (S. 33). Und ergänzend, hier aber nicht genannt, die Bevorzugung des eben noch Benachteiligten.

So hocken die Deutschen in ihrer Geschichte. Jede Bemerkung über Israel wird nur im historischen Kontext gesehen und anhand der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs abgeglichen. Im Jahre 1952 wurde ein FDP-Politiker verhaftet, weil er sagte: „Ob man eine liberale Partei am Ende in eine NS-Kampftruppe umwandeln (...) kann, möchte ich bezweifeln, wir müssen es aber auf einen Versuch ankommen lassen“. (DIE ZEIT, S. 82) Heute reicht es aus, wenn ein Politiker amüsiert-ironisch sagt, die Erfolge der Rechtspopulisten seien weder ein Rechts- noch ein Links-Trend, sondern die Emanzipation der Demokraten, indem sie die anderen Parteien abgewählt haben, schon wird er für unanständig erklärt und diffus eines „diffusen Extremismus“ bezichtigt (DIE ZEIT, S. 1, s.a.
Ozzy 50.1).

Mit allen Mitteln möchte man zeigen, dass ein solcher Politiker den hitlerischen Wahn innehaben muss, dass zumindest die Gefahr besteht. Auch, dass er sich mit dem in ihm erkannten Haider in Verbindung bringen lassen muss. Das kann eine solche Form annehmen: „Tatsächlich sind die Gemeinsamkeiten zur FPÖ des Jörg Haider oder zur niederländischen Partei des ermordeten Pim Fortuyn kaum zu übersehen: Verachtung des herkömmlichen politischen Diskurses bis zur Opferrhetorik, sobald nur ein Fünkchen Kritik aufkommt.“ (DIE ZEIT S. 2), wobei der Teil mit der Opferrhetorik auch auf diese ZEIT-Ausgabe passt. Der zweite Vergleich (S. 33 ende) besagt im Kern, dass sich jemand verdächtig macht, der sich um „Volkssorgen“ kümmert, weil nicht nur „Sozialbetrug“, sondern auch Haiders „Überfremdung“ als Volkssorge identifiziert werden könne. Faktisch haben wir es also bereits mit Relativierungen von Volkssorgen zu tun.

Dafür gibt es allerdings einen weiteren Grund. Der Begriff „Volk“ hat einen Schatten bekommen durch die außerirdische Phase des Nationalsozialismus, als das Volk nämlich auf dem Holzweg war. Auch der Begriff „Nationalismus“ ist seitdem ein Reizwort, weil es an die Epoche erinnert, als die Deutschen sich eine Zeit lang sehr nahe waren, bis sie merkten, dass sie träumten, und unsacht auf einem Massengrab stehend sich wiederfanden. So wurde – und das ist tragisch – jeder Versuch zur nationalen Einheit suspekt, es sei denn, ja, es sei denn, die da oben machen das. Die den Blitz und den Donner zu deuten wissen.

- Warum nicht? -

Was aber ist so schlimm daran, wenn wir uns sträuben wollen, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust zu verstehen, und wenn wir stattdessen einfach nett zu den damaligen Opfern sind? Dazu möchte ich sagen, dass ich mich seit langem mit dem Holocaust beschäftige. Ich habe viele Augenzeugenberichte im Fernsehen gesehen und es schreckt mich nicht zu versuchen, mich in die Situation der einzelnen Menschen zu versetzen, um zu verstehen. Die einzige Konsequenz, die ich daraus ziehen kann, ist die Gewaltlosigkeit, und an dieser Beschäftigung mit dem Holocaust und anderen Gewalttaten habe ich meine Normen und Werte ausgerichtet. Das Problem mit dem Sträuben besteht wohl auf drei Ebenen:

Zuerst einmal schadet es der deutschen Gesellschaft. Sie kann sich nicht von der Vergangenheit lösen, sagt, sie will es auch nicht, darf es nicht, doch weiß sie nicht, was sie mit ihr machen soll. Sie denkt, sich lösen hieße vergessen, nicht verarbeiten. Verarbeiten aber heißt genau, über Vorurteile und Schuld zu sprechen, und zwar der eigenen. Es heißt, die Kluft zwischen dem Familiären und dem Offiziellen, von der die FR gesprochen hat, zu überwinden. Es heißt, den Wunsch nach der Wahrheit nicht geringer zu schätzen als die Angst vor dem Wahn. Es heißt, wieder vertrauen zu lernen und zu lernen, dieses Land wieder als eine Einheit zu sehen, in der man nicht wegschaut, und in der man kollektive Wünsche zu verwirklichen sucht, um dem Geschenk des Lebens gerecht zu werden. Dafür brauchen wir einen klaren und mitfühlenden Blick auf die Vergangenheit und keinen entfremdeten, überempfindlichen, verklärenden.

Eine ehrliche Bewältigung der Gräuel ist zum zweiten eine Reverenz an die Opfer des Holocaust und ihre Angehörigen, Nachfahren und Freunde. Das Wissen, dass die Täter ein Bewusstsein über ihre Taten erlangt haben, muss eine Genugtuung für sie bedeuten. Wenn aber Hitler und die Taten der Nazis so hoch gehängt werden, dass niemand mehr heranreichen kann, wenn keinerlei Vergleich gilt, wenn der Holocaust völlig einzigartig und ohne Bezugsmöglichkeiten bleibt, dann ist das faktisch ein Tabu. Die Schuld der Täter wird dann so unermesslich, dass sie aus dem Rahmen fällt ebenso wie das Leid der Opfer. Es ist zu groß. So werden beide, Täter und Opfer, verklärt, und können nicht mehr erfasst werden. Für die politische Realität Israels und Deutschlands bedeutet das eine Identitätslücke, die mit einer Werte-Lücke einhergeht.

Auf der dritten Ebene sehe ich die Palästinenser und auch die Araber und Muslime im weiteren Sinne als benachteiligt durch die Tabuisierung der Nazizeit, die ich an dieser Stelle als erwiesen betrachte. Es gibt pro-jüdische und pro-israelische Vorurteile in unserer Gesellschaft, die allen Unkenrufen zum Trotz unübersehbar sind. Hier ist ein Schock: Die Judaisierung der Welt ist ein fester Bestandteil jüdischer Weltanschauung. Warten Sie! Ich weiß, dass dieser Satz anti-semitisch ist. Der Satz lautet auch anders, und er ist gar nicht von mir, sondern von Herrn Professor Bassam Tibi: „Die Islamisierung der Welt ist ein fester Bestandteil islamischer Weltanschauung“ (DIE ZEIT, S. 9). Hier wird auch das Wort vom „Euro-Islam“ im Mund geführt und von der Blutrünstigkeit des Dschihad erzählt, um schließlich eine „Gleichberechtigung der Religionen“ zu fordern. Bezeichnend, dass Herr Tibi den rechtsradikalen Politiker Pim Fortuyn im Beginn desselben Artikels zu einem Helden stilisieren darf, der sich für die Rechte der Homosexuellen eingesetzt hatte und daher ein Buch „Gegen die Islamisierung unserer Kultur“ schrieb. Tibi ist hinsichtlich des Vorwurfs der Rechtsradikalität gänzlich unverdächtig durch seine Distanzierung von islamischen Dingen (, außer der für den Diskurs notwendigen Floskel, selbst als Muslim zu sprechen).

Schon manches Mal habe ich mich gefragt, was die Opfer des Holocaust im Himmel zum Level der Gewalt in der israelischen Gesellschaft sagen würden, und ich weiß nicht einmal, ob ich berechtigt bin, eine solche Frage angesichts der Einzigartigkeit des Holocaust überhaupt zu denken. Kann man mir diese Frage als Antisemitismus auslegen? Und wenn ich frage, ob die Deutschen heute ein glückliches Volk sein dürfen, setze ich mich dann über die Geschichte hinweg? Warum heiligen wir Deutschen die Geschichte durch repetierende Darstellungen in Politik und Presse, anstatt sie zu bewältigen? (Wobei ich die Vielzahl hervorragend gemachter Dokumentationsfilme nicht unerwähnt lassen will, die allerdings nicht zu einer sichtbaren Veränderung vor allem des privaten Kollektiv-Bewusstseins geführt haben.) Darf der Mensch nicht aus seiner Schuld heraustreten wollen? Ist er verdammt dazu, miesepetrig und schuldig durch die Welt zu laufen? Sind wir alle schuldig? Eine zweite Erbschuld, nachdem Jesus schon die erste abschaffen wollte?

- Heuschrecken -

Das Problem mit dem politischen Aberglauben ist, dass er dunkle Flecken hat, die nur durch autoritäre Gewalt verdeckt werden können. Das ist zwar ein innerer Widerspruch, denn es geht ja gerade darum, Gewalt zu vermeiden, doch ist es, wie gesagt, verdeckt, und kann meist nur von außerhalb des herrschenden Denk-Systems, also durch Tabu-Brüche, aufgezeigt werden. Der politische Aberglaube führt zum doppelten Maß. In der Außenpolitik, in der Innenpolitik und in der Familie. Das alles, weil die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland von 1933 bis 1945 die Zeit der Außerirdischen war, wie die FR treffend bemerkt hat, und weil die damaligen Geschehnisse so furchtbar waren, dass wir sie niemals verstehen und damit beschreiben und damit bewerten können, sondern nur diffus ablehnen. So mäht man die Wiese kahl, um keine Angst mehr vor Heuschrecken haben zu müssen.

In einer Zeit, in der man des Haiderismus verdächtigt werden kann, wenn man nur den herkömmlichen politischen Diskurs verachtet (DIE ZEIT S. 2), muss man offenbar viel Humor haben und gut aufpassen, was man sagt und was man tut, damit dieser Aberglaube am Leben bleiben kann. Versucht man beispielsweise, seine Persönlichkeit einzusetzen, um für seine Meinung zu werben, so muss man berücksichtigen, dass Hitler es ähnlich getan hat, und dass dem Unternehmen also nicht viel Erfolg zuzumessen ist. Auch wer Bilder malt, muss sich fragen lassen, ob er es vielleicht aus Neigung zum Führer tut. Wie wirkt in diesem Zusammenhang die Frage des palästinensischen Intifada-Kindes aus Jenin nach der Lächerlichkeit der freien Meinungsäußerung hinsichtlich des Holocausts in Fischers erwähntem „Sonderverhältnis“?

Vielleicht. Vielleicht muss man heute besonders aufpassen, was man sagt. Doch bin ich der Überzeugung, dass man schon bald viel mehr darauf aufpassen muss, worüber man schweigt.

(Umfang: 17.400 Zeichen)

Political Superstition
Anis Hamadeh, May 30, 2002
Abstract

Lightning and Thunder - Hitler's Error - Political Superstition - Why not? - Locusts



- Lightning and Thunder -

Once there was a time when people thought that lightning and thunder are the expressions of a divine anger, phenomena which could only be explained by the existance of a power which is superior to such an extend that one could only approach it in paralyzed awe. Things were going on there, in the higher spheres, about which people could not speak, because they did not understand them. Only, the humans always want to understand, and where they can't they let the images and impressions settle and firmly work inside, waiting until the events and experiences have solidified, to then give them an ordered place in their memories: may they be quiet now. All myths came about like this – the uncomprehended elementary powers of individual and collective life here have written their own history. No, not on paper, they wrote it in the collective memories. This is how history was born, historiography, poetry, and truth. And superstition.

Superstition basically is the exaggerated belief and faith in unsubstantiated signs or omens, be they of positive or of negative nature, in those instances where knowledge is lacking and where an explanation is needed. Lightning and thunder, for example. But at the latest since the existance of the concept "superstition" society has distanced itself from it again. The superior powers were relieved and substituted by the exact, the scientific powers. Those had become more competent, because they could explain the world more effectively. They also had better and much more detailed argments which (finally) could be comprehended and criticized.


- Hitler's Error -

Then came the end of World War II. We were thrown back into the age of superstition, because we learnt things about ourselves that were so cruel that they turned into a unique and uncomparable traumatic experience. This was not about Germans and Jews alone, this was about homo faber in general. How could such a thing happen? How was it possible for a society to approach another society in such a gruesome way, to break open a world war, and leave behind a desert of death and shame? Drunken with victory, intoxicated by the personality of Adolf Hitler and his media apparatus, ready for all kinds of sacrifices in the erroneous belief in a final victory, followed by the deep fall of the self-declared leading culture nation (Kulturnation) into cultural nothingness. Dependent, like a child, on the new liberator USA. Urgently looking for new values. Having lost the trust in itself. And for good reason.

Until today Hitler's error has not been digested. And people know that, too. Too unbelievable were the events. Things were going on there, in the higher spheres, about which people could not speak, because they did not understand them. Only, the humans always want to understand, and where they can't they let the images and impressions settle and firmly work inside, waiting until the events and experiences have solidified, to then give them an ordered place in their memories: may they be quiet now. This is how, for example, the
theory of the extra-terrestrials came into being (see FRANKFURTER RUNDSCHAU 26.01.02), according to which the nazis were the others. They came and they went as suddenly as extra-terrestrians and nobody has any details. This mentality, said socio-psychologist professor Harald Welzer to the newspaper, is due to the gap between the familiar and the official Germany.

From psychology we know that traumatic experiences lead to repressions, and this holds true also for collectives. They are not an insufficiency, but a necessity in the healing process. They only lead to insufficiencies when they turn from a necessity into a negligent habit. The German politician Klaus von Dohnanyi knew this background when in his Munich speech he mentioned that the generation of 68 did not yet have the necessary historical distance to the event and that only now the digesting process can take place. But what is the disadvantage of psychological repressions, anyway, what is noticably happening there? It is the political superstition. The fear to enter this situation anew, in which one had gathered such a guilt that one is still sick of it sixty years later. A situation that one cannot control, that carries one away. And when a situation is not really comprehended, digested that is, then the fear is even geater. Over-alert one will become and cramped, avoiding certain actions and words to not get into the realm of things that could become dangerous. And aren't there many other, harmless topics one can talk about? On the other side there will be over-rections, one will hecticly find the own insufficiencies in the political opponent, analyze them, and fight them.

Are these thoughts one-sided? Do I want to declare the sendings of wreaths superfluous, or the visits in Yad Vaschem? No, by no means. Of course these things are right and important. It is a part of the whole, even if it sadly is more common in the public than it is in the private. What rather annoys me is when left-wing politicians are so engaged against right-wing extremism, and the stereoptype and cultically repeated solidarity addresses of Germans towards the Jews and the right of existance and defense of the Jewish state. Yet my question does not aim into this field, it is much more basic: how can it be that a country like Germany with its experiences is not loathing at war now? By right this question is also posed to Israel: why does Israel, after the experiences of the Jews, live with such a violence that is troubling the world and, most of all, the Palestinians? The political superstition seems to be the only possible answer for that.



- Political Superstition -

An indication for this is that many people today believe that in the consciousness of silent majorities there not only lie unspoken truths, but also sleeping frenzy. They fear the release of feelings that get out of control and become malicious whims, if the consciousness of silent majorities is addressed. (DIE ZEIT today p.33: Jan Ross, What is politically correct?). So unique be Hitler and the Nazis that a part of the German past escapes every comparison and thereby denies and loses every relation to world history and with it a part of the own identity, as sad as this part may be. What remains is the belief that the German deep inside is proven bad by experiment, and that this deep inside therefore must remain concealed forever. It is satisfactory that at least the creative epoch of the German romanticism took place long before these problems. Less satisfactory is the fact that the German spirits today can no longer comprehend the self-consciousness of great persons like the one of Bach or even the one of Goethe.

"Everywhere lurks anti-Semitism" shouts DIE ZEIT in the name of the American Jewish Community today on page 8 and it is the exact reversion of "everywhere lurks the Jew". The article basically deals with the statement that Sharon must not be compared to or with Hitler. If I worked at one of the newspapers which are examined by the AJC I would probably see myself forced to be very careful about what I write about Israel or to better not write about it at all. There exists a "special relation" with Israel which is founded on history of which the Holocaust is a part. This says Herr Fischer on the front page of DIE ZEIT. And it continues: "The victim pose about the lack of free expression of opinion seems not more than ridiculous in view of this context." There is a "basic consent", says the politician Herr Stoiber in the same article, a consent that is formulated in Richard von Weizsäcker's speech from 8 May 1985.

Worth noticing in this time is that the press already knows that it is on the wrong track. The suspicion that today it is the media which are keeping and stirring the political superstition of the superior power is formulated in DIE ZEIT itself whithout being sufficiently contradicted: "Indeed there is the phenomenon of reversed discrimination, the prejudice against the one who was privileged before, the reflex-like continuation of fighting against dangers which have been expelled for a long time, and against enemies that lie on the ground by now." (p.33). And in supplement, but not mentioned here, the favoritirism of the before disadvantaged.

Like this the Germans are squatting in their history. Every note about Israel is regarded in the historical context and equalized with the events of World War II. In the year 1952 an FDP politician was arrested, because he said: "I would doubt that one eventually could alter a liberal party into an NS fighting troup (...), but we will have to try". (DIE ZEIT, p. 82) Today it suffices that a politician in an amused and ironic way says that the successes of the right-wing populists are neither a right-wing, nor a left-wing trend, but the emancipation of the democrats in that they vote their governments off, and soon he is stamped as undecent and is diffusely charged with a "diffuse extremism" (DIE ZEIT, p.1, see also Ozzy 50.1).

With all means the press wants to show that such a politician must have internalized the hitleric frenzy, or that at least the danger is there. They also must show that there is a connection between this man and Haider who is recognized in him. This can take such a form: "Indeed the similarities with the FPÖ of Jörg Haider or with the dutch party of the assassinated Pim Fortuyn can hardly go unnoticed: despise of the traditional political discourse up to victim rhetorics, as soon as only a spark of criticizm appears." (DIE ZEIT p.2), where, by the way, the part of the victim rhetorics also matches this edition of DIE ZEIT. The second comparison (p.33 below) basically says that somebody who cares for "popular worries" (Volkssorgen) becomes suspicous, because not only "social cheat" can be identified with this, but also Haider's "over-alienation (überfremdung)". So factually we are even dealing with relativations of popular worries here.

Yet there is a second reason for this. The concept "volk" (people, folk) has got a shadow because of the extra-terrestrian phase of national socialism, when the "volk" was quite on a wrong tack. The concept "nationalism", too, is a provocative word since, because it is reminding of an epoch when the Germans had been very close to each other for a spell, until they realized that they were only dreaming and without any softness they found themselves waking up on a mass grave. This is how every attempt for a national unity became – and this is tragic – suspicious, except in case, yes, except in case the superiors would do it. The ones who know about the meaning of lightning and thunder.

- Why Not? -

But what is so wrong with the reluctance to wanting to understand World War II. and the Holocaust, if instead we can simply be nice to the former victims? As a background I want to say to this that I have been involved in learning about the Holocaust for quite some time. I have seen many eye-witness reports in TV documentaries and I am not afraid of trying to think myself into the situations of the individual people in order to understand. The only consequence I could derive from it is non-violence, and I have adjusted my own norms and values through the study of the Holocaust and other acts of violence. The problem about the reluctance seems to manifest on three levels:

First, it is unhealthy for the German society. It cannot leave the past, says, it does not want to, anyway, for it is not allowed to, but this society does not know what to with its history. It thinks leaving would mean: to forget or to not digest. But to digest exactly means to talk about prejudice and guilt, and that is the own prejudice and guilt. It means to overcome the gap between the familiar and the official, of which the FRANKFURTER RUNDSCHAU was talking. It means to not estimate the wish for truth less than the fear of frenzy. It means to re-learn trust and to learn to see this country as a unit again in which people do not look away and in which people try to realize collective wishes, in order to do justice to the gift of life. For this we need a clear and compassionate view on history and no alienated, over-sensitive, romanticizing one.

An honest confrontation and digestion of the horrors secondly is a reverence for the victims of the Holocaust and their families, descendants, and friends. It will mean a satisfaction to them, if they know that the perpetrators have got a consciousness about their deeds. But when Hitler and the deeds of the Nazis are hung so high that nobody can reach them, when no comparison is valid, when the Holocaust remains completely unique and without points of reference, then this factually is a taboo. The guilt of the perpetrators becomes so unmeasurable that it falls out of the frame, and the suffering of the victims also. It is too big. So both perpetrators and victims are mystified and cannot be grasped anymore. For the political realities of Israel and Germany this means an identity gap accompanied by a value gap.

On the third level I see the Palestinians, the Arabs, and also the Muslims in a broader sense as being disadvantaged by the tabooing of the nazi period which at this stage I regard to be proven. There are pro-Jewish and pro-Israeli prejudices in our society which are undeniably obvious, despite all ominous croaking. Here is a shock: the Judeasation of the world is a basic element of the Jewish philosophy. Wait! I know that this sentence is anti-Semitic. The original sentence is different and I did not say it, but professor Bassam Tibi: "The Islamisation of the world is a basic element of the Islamic philosophy." (DIE ZEIT, p.9). Here, the word of the "Euro Islam" is also used and the bloodthirst of Jihad is described, to finally formulate the demand of an "equality of the religions". It is revealing that Herr Tibi in the beginning of the same article may style the right-wing extremist politician Pim Fortuyn into a hero, who engaged himself for the rights of the homosexuals and who in this context wrote a book "Against the Islamisation of our culture". Tibi is completely unsuspicious in respect to the reproach of right-wing extremism, because he distances himself from all Islamic things (with the exception of the phrase that he speaks as a Muslim himself, a phrase, which is necessary for the discourse only).

More than once I have asked myself what the victims of the Holocaust in heaven would say about the level of violence in the Israeli society, and I don't know whether I am entitled to even think such a question in view of the uniqueness of the Holocaust. Can this question be turned against me as being anti-Semitic? And when I ask whether the Germans today may be a happy people, do I then step over the limits of history? Why do we Germans make history such a holy thing by repetetive presentations in politics and press, instead of overcoming it? (Whereas I don't want to leave unmentioned the multitude of excellently made documentaries which, in any way, did not lead to visible changes especially in the private collective consciousness.) May the humans not want to step out of their guilt? Are they condemned to run through the world in a grumpy and guilty way? Are we all guilty? A second inherited guilt, after that Jesus even wanted to have the first one abolished?




- Locusts -

The problem with the political superstition is that it has dark spots which can only be hushed up by the use of authoritarian violence. This might be a contradiction in itself, for the whole thing is meant to prevent violence, but it is, as I said, covered, and normally can only be shown from outside the prevailing mentality, i.e. by breaking taboos. The political superstition leads to the double standard. In world politics, in domestic politics, and in the families. All this, because the period of national socialism in Germany from 1933 to 1945 was the period of the extraterrestrians, as the FRANKFURTER RUNDSCHAU noticed to the point, and because the historical events were so terrible that we can never understand and thus describe and thus assess them, but we can only diffusely reject them. Like this we mow the whole meadow so that we don't have to be afraid of locusts anymore.

In a time where you can become suspicious of Haiderism when you only dispise the traditional political discourse (DIE ZEIT p.2) you will probably have to have a lot of humor and watch what you say and what you do to keep this superstition alive. If you, for example, try to use your personality in order to support a certain opinion you must consider that Hitler did it similarly and that your enterprise thus is not be regarded as especially promising. And if you create paitings, too, you will have to accept the question whether you are doing it because of your passion for the Führer. How does in this context the question of the Palestinian Intifada child from Jenin on the ridiculousness of the free expression of opinion in view of the Holocaust in Fischer's mentioned "special relation" sound?

Maybe. Maybe one must be careful about what one says today. But I am of the conviction that very soon one has to be careful much more about the things one is silent about.

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