Kommentar von Günter Schenk zum Mallat-Interview, 20.12.05
Lieber Anis,
ich bin weit davon entfernt, mich in die Entwicklung und in die Politik im Libanon einzumischen, meine Hand in diese "Fournaise", diesen "Ameisenhaufen" zu halten, traue ich mir wirklich nicht zu. Wie Du sicher weißt, gilt meine Sorge weniger der Politik, noch weniger der Parteipolitik, am wenigsten in anderen Ländern, sondern allein den Menschen und den Menschenrechten.. So bin ich auch weit davon entfernt, z.B. den Israeli oder den Palästinensern sagen zu wollen, wie sie ihre real existierenden Problemen lösen sollten, denn dies hielte ich für anmaßend. Aber, Anmaßung dieser Art überlasse ich der US-Politik unter Bush und Co. Schließlich, die Lösungen müssen von den Menschen in den Ländern selbst kommen.
Nur, ich beobachte: als sich die verschiedenen "Parteien" im Libanon gegenseitig zerrissen, als der Libanon, trotz oder wegen, wie man will, des Eingreifens der Franzosen und der Amerikaner, nach dem zerstörerischen Angriff der Israeli, nicht zur Ruhe kommen wollte oder konnte, war der Ruf: Syrien, helft uns! Und Syrien kam und leistete, wie auch immer, das, was das Land wenigstens zeitweise rettete. Alle waren dankbar, sogar die USA und die Europäer, die ja die Syrer gerufen hatten. Nun aber, nachdem der Irak nicht zur Ruhe kommt, nachdem die Regierung Israels nicht davon ablässt, auch die letzte Bastion des Schutzes der Palästinenser (Flüchtlinge in den Lagern Syriens!!!), nämlich Syrien zu destabilisieren, vereint mit der Bush-Regierung der Vereinigten Staaten, würde ich den Teufel tun und, sei es auch nur in Gedankenspielen, den lange erfahrenen Interventionismus der Amerikaner, Stil Rosenrevolution, Revolution Orange, oder ähnlich, zu unterstützen.
Wer immer auf diesem Pferd reiten will, macht sich zu allererst bei mir verdächtig. War es denn das Ziel der Amerikaner, in der Ukraine, in Georgien, in Zentralasien, in Afghanistan, in Kuweit, im Irak Demokratien zu schaffen?
Niemals ging es darum, man sehe sich nur die auf diese Weise installierten Regimes an. Zur Zeit haben die USA, gemeinsam mit der Regierung Israels eine Priorität: die Destabilisierung Syriens. Alle Mittel sind da offensichtlich gut genug. Und wenn Dein Interview-Partner den Herrn Mehlis vom dt. Staatsanwalt dabei gleich zum Richter ernennt, so ist das überhaupt kein Faux-Pas. Mehlis hat sich nämlich, ohne Legitimation, vom Enqueteur zum Richter gemacht. Das entspricht nicht unserem Rechtsempfinden und dahinter steckt System. Mehlis kennt das Ergebnis schon vor der Untersuchung. Und Mallat steigt genau dort ein. Ob er weiß, was er tut, was er sagt? Ich glaube schon. Er will an die Macht. Und dabei nutzt er wohlfeil die durch umfangreiche Propaganda aus dem Pentagon und andereswo aufgebaute aggressive Kritik an Syrien.
Ich mache da nicht mit. Wenn Syrien, wie alle Staaten des Nahen Ostens, inkl. Israel, Demokratie-Defizite hat, so maße ich mir nicht an, aus dem mit eigenen Demokratie-Problemen behafteten Deutschland Ratschläge zu erteilen, die gar nicht so gute Ratschläge, so desinteressiert, wären, wie sie zu tun vorgäben.
Nein, Syrien wird und kann seinen eigenen Weg gehen zum gesellschaftlichem Wandel. Der Libanon, mit oder ohne Mallat, wird auch erst einmal lernen müssen, nationale, regionale Probleme vor Gruppeninteressen zu stellen. Auch Herr Mallat gehört zum Problem. Man schaue sich nur seine erwählten Mitstreiter an: alles alte Gesichter. Wenn er nützlich sein will bei der Lösung, so hilft es ihm nicht, wenn auch er auf den Syrern herumhackt, verdankt gerade der Libanon sein Überleben nach dem selbstzerstörerischen Bürgerkrieg den Syrern, wie auch immer deren Methode im Libanon zu beurteilen sein wird. Auch da halte ich mich angemessen zurück.
Dass die syrische Armee und der weitaus größte Teil der syrischen. Geheimdienste aus dem Libanon abgezogen wurden, ist Fakt. Nicht aber Fakt ist, dass dies auch für die sehr zahlreichen Agenten anderer ausländischer "Dienste" im Libanon gilt. Es scheint mir vielmehr, dass der geforderte - und weithin vollzogene - Abzug syrischer Kräfte mit Tücke ausgenutzt wurde, die entstandene Lücke mit "eigenen Kräften" zu füllen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Herr Mallat ist für mich den Beweis bisher schuldig geblieben, dass er nicht im Auftrag operiert. Sonst würde er weniger mit den ganz sicher "gezinkten" Informationen über die Urheber der letzten Morde operieren. Ich schließe nichts ein, aber auch nichts aus. Zur Blauäugigkeit, allemal zur Einäugigkeit, fehlt es mir an Naivität, gerade in der Levante...
Wie viele Morde an den Palästinensern wurden nie aufgeklärt, "unter den Tisch der Weltgemeinschaft" gekehrt. Wie viele Morde an Hizbollah, wie viele andere. Wo waren da die Mehlis und Konsorten? Ich hätte gern gesehen, wie die UNO da Aufträge zu jahrelangen Untersuchungen erstellt hätte. Hat man jemals in diesen Fällen von einem deutschen Staatsanwalt Namens Mehlis, wann von Herrn Mallat gehört?
(Anis, 21.12.04:) Dieser Abschnitt ist für Mostafa Elhady. Mostafa ist ägyptischer Doktorand in Deutschland und schreibt über den Freiheitsbegriff im Koran. Er ist auch für die Menschenrechte und für Gerechtigkeit im Nahen und Mittleren Osten aktiv. Er hat unter anderem Podiumsdiskussionen mitorganisiert. Mostafa Elhady besuchte mich Anfang des Jahres und ich traf ihn wieder auf der Buchmesse in Frankfurt. Dort erzählte er mir, dass die Heinrich-Böll-Stiftung sein Stipendium auflösen will wegen politischer Äußerungen bezüglich Deutschland, Palästina und Israel. Ich konnte einige Dokumente einsehen und merkte schnell, dass dieser Vorgang mit Demokratie wenig zu tun hatte. Die Art, wie hier Debatten und Argumente unterdrückt wurden, erinnerte mich an Erfahrungen, die ich kenne und beobachte. Am 18.12.2004 schrieb die Tageszeitung junge Welt aus Berlin über den Fall. Einige Personen des öffentlichen Lebens haben sich bereits zu den Vorfällen geäußert. Ohne Mostafa Elhady in jedem Punkt zustimmen zu müssen, setze ich mich hier für ihn ein. Er ist ein produktives Mitglied der Gesellschaft und seine Meinung darf er frei äußern. hier sind einige Texte, Links und Kommentare zu diesen Vorfällen gesammelt.
Texte zum Fall Heinrich-Böll-Stiftung:
18.12.2004: junge Welt, Inland: "Förderdespotie bei Böll. Kurzer Prozeß wegen Kritik an Israel: Grünen-nahe Stiftung verfügt Ausschluß eines ägyptischen Stipendiaten aus Promotionsförderung nach Denunziation durch 'Antideutsche'" von Klaus Hartmann, URL www.jungewelt.de/2004/12-18/016.php
18.12.2004: junge Welt, Inland: "'Nichts nachgewiesen, nicht angehört ...' jW dokumentiert Auszüge aus einem Brief an die Böll-Stiftung", URL www.jungewelt.de/2004/12-18/017.php
Siehe auch www.arendt-art.de
OFFENER BRIEF AN DIE HEINRICH BÖLL STIFTUNG.
Betrifft: Antisemitismus-Vorwurf und Stipendien-Entzug
Dr. Hajo G. Meyer, Heiloo, Niederlande,18.12 2004
Sehr geehrte Damen und Herren,
Dass ich diesen Brief aus Holland schreibe und nicht aus Deutschland und schon gar nicht aus dem Himmel, hat so viele Gründe komplexester Art, dass ich mich hier auf die wichtigsten Essentialia beschränken muss.
Nach Holland kam ich als 14 jähriger Bub alleine! Warum? Weil die Nazis nicht länger erlaubten, dass der Judenjunge noch länger ein deutsches Gymnasium besuchen durfte. Die Familie Meyer, inklusive dem jungen Hajo, geriet in Panik. Wer nichts mehr lernen kann oder darf, kommt in eine Gefahrenzone: er könnte eine "verkrachte Existenz" werden, wie das damals hieß. Also keine Zeit verlieren, so schnell wie möglich raus! Nicht etwa warten, bis vielleicht auch ein Kindertransport nach England kommt, der erwartet wurde, aber nocht nicht definitiv angekündigt war. Eine panische, folgenschwere Entscheidung, die mir letztlich 10 Monate Auschwitz bringen sollte. Dieser Entschluss zeigt, dass meine Eltern trotz ausführlicher geschichtlicher und politischer Bildung ein großes Risiko auf sich nahmen, weil sie eine abgeschlossene Ausbildung für einen lernbegierigen Menschen so äußerst wichtig fanden. Auch ich finde noch heute, dass die Entziehung der Möglichkeit, eine gewünschte Ausbildung zu erhalten, schon nahe daran kommt dem betroffenen Menschen das Leben zu entziehen. Ich habe das persönlich so erfahren.
Einen Tag nach meinem Staats-Abitur, worauf ich mich durch Privatunterricht vorbereitet hatte, ging ich in die Illegalität, wurde aber Ende März 1944 durch Verrat geschnappt und verhaftet. Dass ich so lang überleben konnte hat, neben einer unglaublichen Menge von Glück, auch viele viele Gründe, von denen ich zwei nennen werde. Der erste ist, dass ich in meiner Flüchtlingszeit auch eine Ausbildung als Schlosser erhielt. So wurde es möglich, dass ich nach ein paar Monaten Schwerarbeit draußen, in einer Reparaturwerkstatt der damaligen Reichsbahn landete. Wieder zeigte sich die Wahrheit des Spruches: Was Du mal gelernt hast, kann dir keiner nehmen. Der zweite Grund, in diesem Fall für mein psychisches Überleben, liegt in einem Schlüsselerlebnis. Ein SS-Mann der Bewachung stopfte mir, wie gerade niemand anders in der Nähe war, aus reinem Mitleid ein Paket Butterbrote in die Hand und sagte dabei: "Abhauen!" Das hat mich für immer gelehrt, dass man sich gründlichst hüten sollte vor pauschalen Urteilen über zu gewissen Gruppen gehörende Individuen. In einer Paraphrase auf ein Nietzsche-Wort drücke ich das aus [hierbei Nietzsches Umformung des Wortes Uniform in Einform beibehaltend]: "Einform nennen sie's, was sie tragen, es ist aber nicht immer Einform, was sie dahinter verbergen. Die Frage, warum ich das hier erzähle, ist berechtigt. Ich tue es, um deutlich zu machen, dass ich zu der kleinen Gruppe noch lebender Juden gehöre, die volle 12 Jahre unter dem schlimmsten und bedrohendsten Antisemitismus der Geschichte gelebt haben. Über diese persönliche Erfahrung mit dem Antisemitismus hinaus habe ich mich auch ausführlich mit der Geschichte und der Soziologie dieser mentalen Pest befasst.
Das Resultat dieser Studien in Kombination mit den eigenen Erfahrungen habe ich im vorigen Jahr in einem Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel: "Das Ende des Judentums." Im Augenblick ist vorgesehen, dass es am 17. März 2005 auch in deutscher Sprache erscheinen wird.
Wir kommen jetzt zum Kern meiner Ausführungen. Einer der wichtigsten Schlussfolgerungen meines Buches ist, dass aus verschiedenen Gründen große Vorsicht geübt werden muss mit dem Gebrauch des Wortes ‚Antisemitismus'. Vor allem jedoch sollte man äußerst vorsichtig sein mit dem Vorwurf, dass jemand aus antisemitischen Motiven heraus gewisse Taten tut oder Äußerungen von sich gibt. Der Grund ist einfach. Es ist der Antisemitismus, und nur und ausschließlich der Antisemitismus, der zu einem Massenmord geführt hat, der, was die Zahl der Opfer pro Monat oder auch pro Quadratkilometer anbelangt, in der Geschichte der Menschheit unübertroffen ist. An diesem Wort klebt dadurch für alle Zeiten das Gift von Auschwitz. Mit dem Vorwurf also, dass jemand Antisemit sei, oder auch nur, dass er durch antisemitische Gefühle zu gewissen Taten oder Aussagen motiviert wird, beschuldigt man ihn implizit, fähig zu sein, Massenmord zu verüben. Hierdurch ist eine derartige Beschuldigung so unglaublich schwer, dass wenn man sie ohne genügenden und überzeugenden Beweis erbringt, man sich des Rufmordes schuldig macht. Nach jüdischem ethischen Verstehen ist ein derartiger Rufmord einem wirklichen Mord gleich zu setzen.
Hiermit bitte ich Sie, bemerken zu wollen, dass die rechtstaatliche Position eines Stipendiaten Ihrer Stiftung, auch wenn er Araber und/oder Muslim ist – nein vor allem dann! -, nicht ohne überzeugenden Beweis so schwer beschuldigt werden darf wie Sie es deutlich getan haben. Sollten Sie nicht im Stande sein, diesen Beweis zu erbringen, dann fordere ich Sie in erster Linie auf, sich bei dem Herrn Mostafa Elhady öffentlich zu entschuldigen und ihm sein Stipendium wieder zu gewähren. Sollten Sie den geforderten Beweis nicht liefern können und Herrn Elhady's Namen trotzdem nicht von allem Vorwurf und Schaden säubern, dann beschuldige ich Sie meinerseits in dieser Öffentlichkeitich des Rufmordes an diesem Herren. Wie schwer eine derartige Beschuldigung meinerseits ist, vor allem aus jüdischer Sicht, bin ich mir völlig bewusst. Ein Rufmord, der bemerkenswerterweise noch der Entziehung der Möglichkeit, die gewünschte Ausbildung zu erlangen, – auch wie schon gesagt einem Mord ähnlich -, hinzugefügt wird.
Im übrigen bin ich der Meinung, dass man in Europa im allgemeinen und in Deutschland im besonderen aus einem zu Recht bestehenden, aber falsch interpretierten Schuldgefühl den Juden der Welt gegenüber, die Leiden der Palästinenser bagatellisiert. Dies stimmt wohl in etwa mit dem überein, was meiner Information nach Herr Elhady geäußert haben soll. Ich nehme an, dass Sie nicht so weit gehen werden, auch mich und all die jüdischen Israelis, die sich der Meinung der Friedensgruppe Gush Shalom anschließen, des Antisemitismus beschuldigen zu wollen. Zum Schluss möchte ich Ihnen eine kürzlich von mir, – in einem Vortrag Im Haager Friedenspalast – vorgetragene Meinung nicht vorenthalten. Ich habe dort vor einem Publikum von u.a. Politikern und vormaligen aktiven Diplomaten geäußert: Die heutigen wirklichen Opfer des nazistischen Antisemitismus sind in erster Linie die Palästinenser. Die büßen heute für die von den Nazis begangenen und von der westlichen Welt geduldeten Verbrechen an den Juden.
In der Hoffnung Sie durch diesen Brief zu einem weiteren Nachdenken stimuliert zu haben,
Hochachtungsvoll
Dr. Hajo G. Meyer
19.12.2004, Offener Brief an die Heinrich-Böll-Stiftung von Isam Kamel aus Berlin, über Email, Auszüge: Sehr geehrter Herr Füchs, sehr geehrte Frau Siebert, auf Ihrer Website steht im Grundsatz geschrieben: § 2 Zweck des Vereins: "... zur Förderung der demokratischen Willensbildung, des gesellschaftspolitischen Engagements und der Völkerverständigung." Da Ihre Entscheidung im Falle von Herrn Mostafa Elhady eine offizielle Handlung der Böll-Stiftung darstellt, stellt sich die Frage, wie Ihr Verständnis für Demokratie aussieht. Ist Demokratie für die Böll-Stiftung eine Variable, die beliebig zu handhaben ist? Wenn ja, dann ist die untere Handlung nachvollziehbar, steht jedoch im Widerspruch zur eigenen Satzung. In diesem Fall wäre Handlungsbedarf dringend notwendig. (...) Folgender Artikel beschreibt Ihre Entscheidungsfindung im Falle von Herrn Elhady: www.jungewelt.ipn.de/2004/12-18/016.php. (...) Daher frage ich Sie nach einer Stellungnahme, wenn Sie glauben, Ihre Entscheidung stehe nicht in Widerspruch zur Satzung. Was sind die genauen Fakten im Falle von Herrn Elhady? (...) Mit freundlichem Gruß, Isam Kamel, (Alternative-Media-Watch)
20.12.2004, Reaktion von Günter Schenk auf Hajo Meyer, Auszug: Danke für Ihren uneigennützigen Einsatz für den beleidigten Ex-Stipendiaten der Heinrich-Böll-Stiftung, Herrn Mustafa Elhady. Ich hoffe sehr, dass Ihre Intervention zur Wiederherstellung nicht nur seiner zu Unrecht verletzten Ehre, sondern auch zur Wiedereinsetzung in das Stipendiat dient. Gern hätte auch ich einen Brief an die Heinrich-Böll-Stiftung geschrieben. Jedoch: Ihrem Brief könnte ich nur wenig hinzufügen, auch hätte ich, 1940 geboren, nie die Autorität Ihrer Worte. Ich danke Ihnen für Ihr Engagement für Ehrlichkeit, Ethik und Solidarität, Guenter Schenk, Membre du "Collectif Judeo-arab et citoyen pour la Paix" Strasbourg.