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Pressezeit (6): Jüdische Zeitung
Eine Online-Kritik von Anis Hamadeh, 2008
Inhalt

Kapitel 1: Einleitung – Erste Annäherung – „Hier ist der Geist all jener, die einst hier lebten“ – Task Force – Existenzrecht – Was gut war – Merkel, Ratzinger und Zeruya – Zochrot – „Antisemitismus“ & Co.

Kapitel 2: Neues von der deutschen Presse – Licht am Ende des Tunnels – Die Jüdische Zeitung – Ausgrenzung von Kritikern

Kapitel 3: Wortbruch – Ein Ende mit Schrecken

Kapitel 1

- Einleitung -

(12.03.2008) Heute morgen im Bahnhof war noch Zeit, um die Zeitungsüberschriften in der Buchhandlung anzusehen. Die S-Bahn von Mainz nach Wiesbaden ist meistens verspätet, weil Wiesbaden am Ende der Strecke liegt. Beide Städte sind Landeshauptstädte, daher ist die Vielfalt der Zeitungen größer als anderswo. Mir fiel das farbige Titelfoto eines israelischen Soldaten auf, der eine Tränengasgranate oder etwas ähnliches in Richtung eines qualmenden Feuers auf die Straße warf. Es ging um Gaza. Überschrift: „Keine Gewinner“. Die Jüdische Zeitung titelte das; ich trat näher heran, nahm das Blatt aus dem Ständer und las den Artikel.

Wenn ich einen Zeitungsartikel über Nahost lese, nehme ich zum einen den Inhalt auf, zum anderen beobachte ich, ob, wie stark, und wenn ja, warum mein Blut in Wallung gerät. In diesem Fall hätte ich mir Schlimmeres vorstellen können. Die Zeitung vertrat hier nicht die Meinung der israelischen Regierung, sondern erwähnte unter anderem, dass unter den vielen Toten hauptsächlich palästinensische Zivilisten waren. Auch von der „Verurteilung“ der internationalen Gemeinschaft war die Rede und den trotzigen Eskalationsdrohung des israelischen Verteidigungs/Kriegsministers Ehud Barak. Die Perspektive des Artikels – genauer: des ersten Teils, er ist auf Seite 7 fortgesetzt – war dennoch eindeutig, nämlich bei der Beschreibung der Gewalttaten: „Die Lage im Nahen Osten scheint gespannt wie selten zuvor. Währenddessen feuern militante Palästinenser einen wahren Raketenregen nach Richtung Israel und setzen die Bevölkerung in Angst und Schrecken.“

Ob vielleicht die Bewohner von Gaza unverhältnismäßig stärker in Angst und Schrecken leben, diese Frage wird hier ganz ausgeblendet. Und was machte die israelische Armee „währenddessen“? Aber das war ich vom Mainstrem der deutschen Presse bereits gewohnt. Was mich irritierte, war vielmehr der Schlusssatz, in dem es um die Reaktionen auf die Aussage von Baraks Vize ging, nach der „die Palästinenser“ einen Holocaust über sich heraufbeschwören. Da las ich nämlich: „Palästinenserorganisationen sowie zahlreiche arabische Staaten, die den Holocaust gemeinhin leugnen, griffen die Äußerung Vilnais auf, um Israels Vorgehen im Gazastreifen zu kritisieren.“

Gemeinhin leugnen, das war schon eine recht heftige Attacke. Ich kaufte die Zeitung. Zahlreiche arabische Staaten leugneten demnach den Genozid an den Juden in der Nazizeit. Das war mir neu. Welche Staaten mochten das sein? Vielleicht würde Seite 7 darüber Aufschluss geben. Weil der erste Teil des Artikels allerdings mit dieser kollektiven Unterstellung endet, die offenbar längerfristige Emotionen widerspiegelt, denkt man schon nicht mehr an die Toten: Was solls, es waren wahrscheinlich sowieso mal wieder alles Holocaust-Leugner. Außerdem bekommt man den irreführenden Eindruck, als gäbe es an Israels „Vorgehen“ in Gaza ohne die Äußerung Vilnais nichts zu kritisieren.

Ich setzte mich in die S-Bahn. Auf der Unterseite des Titelblatts fand ich den Artikel „Deutsche Juden als Spalter?“ über die ruhende Mitgliedschaft Deutschlands im European Jewish Congress. Es handelte sich dabei um eine Auseinandersetzung der eher liberalen Juden mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland, der sich nach Ignatz Bubis mehr und mehr zum Sprachrohr der israelischen Regierung entwickelt hat. Unter den weiteren Beiträgen, die auf der Titelseite jeweils mit kleinem Foto vorgestellt wurden, lautete ein Titel: „Es gibt keinen Ersatz für Israel“, zur Internationalen Tourismusbörse. Obamas zweiter Vorname Hussein wurde zum Thema gemacht und über Michel Friedman gab es auch etwas. Dazu drei Porträts, eines der Keramikerin Hedwig Bollhagen, eines der Berliner Fotografin Helga Simon und eins von Löffelverbieger Uri Geller.

Mich interessierte die Jüdische Zeitung und ich beschloss, sie für ein paar Monate zu begleiten.


- Erste Annäherung -

(25.03.2008) Hier zunächst eine erstaunliche Email, die mich am 19.03. erreicht hat. Ich gebe sie im Folgenden vollständig wieder. „Subject: Kommentar zur Jüdischen Zeitung März 2008. Text: Kassam-Raketen, Tausende von toten Zivilisten, ständige Bedrohung seit mehreren Jahrhunderten: Lasst Israel endlich in Ruhe! Und ihr werdet Ruhe haben. Und: Palästina hätte ebenso wie Israel im Jahr 2008 seinen 60. Geburtstag feiern können. Denn der UN-Beschluss sah die Bildung zweier Staaten vor, eines israelischen und eines palästinensischen. Die Juden haben zugestimmt – die Araber haben den jungen Staat angegriffen. In der Folge hatten die Palästinenser noch mehrere Male die Chance, einen eigenen Staat zu bilden, bis heute, bis jetzt. Statt dessen werden israelische Kinder ermordet. Warum: Um die Zukunft des jüdischen Staates zu vernichten. Wenn das kein schleichender Holocaust von palästinensischer Seite ist... Heike Linde-Lembke“

Ich finde es immer positiv, wenn Leute sich ihren Frust von der Seele reden. Die Mail zeigt ganz gut die Unwissenheit und den Hass, mit dem Palästinenser wie auch Menschenrechtler konfrontiert sind. Vielen Dank dafür, Frau Linde-Lembke. Ich weiß zwar nicht, in welchem Zusammenhang das mit der Einleitung dieser Online-Studie steht, aber sei's drum. Ich kann als Antwort nur auf das Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Professor Ilan Pappe verweisen. Aber zurück zur Jüdischen Zeitung.

Nachdem ich ein bisschen darin herumgeblättert und einige Artikel gelesen habe, ergibt sich ein erstes Bild vor meinem geistigen Auge. Zunächst einmal: Es ist kein zionistisches Hetzblatt oder dergleichen, auch wenn man darin immer mal wieder Vorwürfe liest wie eingangs erwähnt, dass zahlreiche arabische Staaten den Genozid leugnen würden. Dieser Vorwurf wird auch auf Seite 7 nicht belegt, nur wiederholt. Zwar werden Zitate gebracht, in denen arabische Politiker den Genozid an den Juden thematisieren und mit den Ereignissen in Palästina vergleichen. Darüber kann man diskutieren und es auch ablehnen, aber Leugnung ist wohl etwas anderes. Zu den unbelegten Rundumschlägen dieser Art gehört auch Boris Shapiros Zitat auf Seite 21, nach dem Hitlers „Mein Kampf“ „in einigen islamischen Ländern zur schulischen Pflichtlektüre gehört.“ Diejenigen Leser, die muslimische Länder gar nicht kennen – und es werden nicht wenige sein – werden das leicht für bare Münze nehmen und im Geiste weiter verallgemeinern. Man kann sich vorstellen, welche Art Gefühle das hervorrufen wird. Da kommt dann so etwas wie Frau Linde-Lembke heraus, siehe oben. Das ist sicherlich bedenklich.

Insgesamt jedenfalls differenziert die Jüdische Zeitung durchaus und man erkennt, dass der strenge Militarismus einiger israelischer Militärs und Politiker abgelehnt wird. Sie spricht über Foltervorwürfe gegen Israel, ohne dabei in die Defensive gehen zu müssen und diskutiert auch den Besuch der Unterzeichner des „Manifests der 25“ in Israel. Es handelt sich um Akademiker, die sich gegen die bedingungslose Unterstützung Israels stellen. Die Zeitung, die sich naturgemäß stärker im deutschen als im israelischen Diskurs bewegt, erkennt auch (auf Seite 5) die destruktive Haltung von Sportsfreund Henryk Broder (siehe Pressezeit 4) und den geistigen Tieffliegern von Politically Incorrect. Letztere werden „Konsorten“ eines „rechten Internetforums“ genannt. Die JZ ist demnach nicht blöd.

Die Jüdische Zeitung ist liberal, jedenfalls innerhalb der üblichen Dogmen. Diese Dogmen fallen auf und werden stets beteuert, namentlich, dass Israel stets „reagiert“. Israel reagiert auf Terror und ist nicht (kann nicht, darf nicht sein) Ursache für Terror. Was auch immer dieser Staat an Ungeheuerlichkeiten begeht, es sind stets Reaktionen. Selbstverständlich gehört auch der „Antisemitismus“ zu diesen Dogmen, der irrationale Judenhass. Antisemitischer Terror. Wir sahen es oben bereits. Es ist eben allerhand Verbiegung notwendig, wenn man sich ein romantisches Klischee des Judenstaates bewahren möchte. Daran kommt auch die JZ nicht vorbei.

Die nächste Ausgabe kommt in ein paar Tagen heraus, die werde ich mir genauer durchlesen. Ich hatte im März zu wenig Zeit bzw. zu viel Arbeit. Zum Beispiel die Niederschrift des Essays „Israel, Israel über alles – Merkel vor der Knesset“ (der auch auf Counterpunch und The American Muslim erschien). Es betrübt mich allerdings, die JZ zu lesen. Ich habe Mitleid mit dieser Zeitung, denn ich spüre, dass sie etwas Konstruktives leisten möchte und aufgrund der Dogmen scheitern muss. Mit der Süddeutschen Zeitung, der ich die erste Pressezeit gewidmet hatte, habe ich kein Mitleid. Überhaupt habe ich mit der deutschen Mainstream-Presse kein Mitleid. Es sind philosemitische Gehorch-Zeitungen. Da ist auch kein Zwiespalt (außer bei der taz), aber hier, hier spüre ich einen echten Zwiespalt. Er liegt viel tiefer unter der Oberfläche als bei der taz, aber die JZ hat ein Profil, was sie weitaus authentischer macht als die zusammengewürfelten und widersprüchlichen Texte, die die taz druckt.


- „Hier ist der Geist all jener, die einst hier lebten“ -

(07.04.2008) Am dritten kam die April-Ausgabe der Jüdischen Zeitung heraus. Mein Plan war, sie dieses Mal ein wenig mit der Islamischen Zeitung zu vergleichen, aber die habe ich weder in Mainz noch in Wiesbaden bekommen können. Für diese Pressezeit macht das nicht viel aus, es ist aber schon eine bemerkenswerte Tatsache, wenn man bedenkt, dass es etwa 100.000 Juden in Deutschland gibt und weit über 3.000.000 Muslime. Das Dreißigfache.

Mein erster Eindruck verfestigt sich langsam, auch wenn ich bislang erst die Hälfte der Ausgabe gelesen habe. Es ist viel Material für so eine Pressezeit. Womit fange ich am besten an? Mit welchem Artikel kann ich meine Wahrnehmungen am besten charakterisieren? Beginnen wir auf Seite 11, bei Aron G. Papps „Raubbau im Judenviertel. Baulöwen vernichten UNESCO-geschützte Kulturwerte“. Es geht um das alte jüdische Quartier in Budapest. „Tiefe Wunden“ werden in das Viertel geschlagen, das sich andere „unter den Nagel reißen“. Und mitten drin auch noch das Geburtshaus Herzls, des großen „Begründers“! Nicht nur Bausubstanz, auch jüdisches Erbe werde bzw. wird hier zerstört. Der bekannteste zeitgenössische Schriftsteller Ungarns, György Konrád, dichtet dazu: „Hier ist der Geist all jener, die einst hier lebten“. – Woran muss ich wohl denken, wenn ich das lese? Wo gibt es das sonst noch, dass Bausubstanz und das Erbe derer, die einst dort lebten, zerstört wurde oder wird, um einer anderen Gruppe Nutzen zu bringen? Wird in diesem Artikel ein universeller Wert vertreten? Der Wert der Schutzwürdigkeit des Erbes, der Verbindung zwischen einer Gesellschaft und ihrer physischen Umwelt? Oder geht es hier um die Erinnerungskultur einer exklusiven Gruppe?

Bei uns passt es, bei den anderen nicht. Hier ist wohl der springende Punkt. Dabei ist dieses „uns“ gar nicht so leicht fassbar. Es meint nicht „Juden“, da es eine große Anzahl von Juden gibt, die sich für einen einheitlichen Maßstab in der Politik (und übrigens auch bei Gefühlen) aussprechen und einsetzen. Es gibt sogar Zionisten, die für Gleichberechtigung sind, wenn mir auch außer Reuven Moskovitz und Uri Avnery keine begegnet sind. Vielleicht kann man dieses „uns“ beschreiben als Leute, für die der Begriff „Goy“ (Nichtjude) etwas Abwertendes hat. Dann sind allerdings noch nicht die nichtjüdischen Unterstützer erfasst, die Juden und Israel gegenüber positive Vorurteile pflegen. Mir sind einige von dieser Sorte über den Weg gelaufen. Sie finden alles toll, was jüdisch ist und haben die israelische Flagge als Bettbezug, metaphorisch gesprochen. In mehreren mir persönlich bekannten Fällen ist das eine Reaktion auf das Haben von Nazi-Eltern. Deutsche Familienkonflikte also, weniger ein wirkliches Interesse am Jüdischen.

Ich möchte ein weiteres Beispiel geben, um zu verdeutlichen, was ich meine. Da ist diese Geschichte über den jüdischen Sportverein Hakoah, der nach 70 Jahren in Wien wieder auflebt. (S. 10, von Marta S. Halpert, Wien) Er war populär in Österreich, bis Hitler ihn bei seinem Einmarsch 1938 verbot und alle Spuren von Hakoah tilgte. Im Artikel ist auch von einem Arier-Paragrafen die Rede, der es Juden schwer machte, sich in Mainstream-Vereinen zu bewegen. Erinnerungskultur. Blättern wir nun eine Seite zurück zu dem Bericht von Oren Geller über ein Fußballmatch in Israel heute, zwischen den jüdischen Israelis von Bejtar Jerusalem und den arabischen Israelis von Makkabi Achi Nazareth. Im folgenden Zitat erscheint das Wort „Hauptstadtklub“, aber lassen Sie sich nicht beirren: Die Hauptstadt von Israel ist Tel Aviv. „Hier der erfolgreiche Hauptstadtklub, der aufgrund seiner Philosophie, der nationalen Weltanschauung, keine arabischen Spieler in seinen Kader aufnimmt ...“ und dort der andere Klub. Wissen Sie, woran mich dieser Begriff erinnert? Ich meine „nationale Weltanschauung“.

Ein Fan der Jerusalemer Mannschaft erklärt: „Bejtar ist mit dem spanischen Verein Athletic Bilbao zu vergleichen, in dem nur baskische Spieler unter Vertrag stehen.“ Der Vergleich hinkt, weil die Basken eine Minderheit in Spanien darstellen, mit ganz anderen Voraussetzungen. Immerhin geht es in Israel um nicht weniger als eine Rassentrennung, eine klassische Segregation. In diesem Fall ist es im Sport, es gibt die Segregation aber auch von Regierungsseite und sie ist überhaupt Teil der Identität des derzeitigen Israel. Heiratsgesetze, Straßenbenutzungsgesetze, es handelt sich um Rassengesetze und nichts anderes. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn der Fokus so stark auf der Gruppe und nicht auf den Werten der Gruppe liegt. Die Juden gelte es zu schützen, nicht das Recht. Dies ist die Thematik, die das Judentum heute spaltet. Man bekommt nicht allzu viel davon in den Medien mit, weil eine der beiden Gruppen ungleich stärker vertreten ist als die andere, die zudem (naturgemäß) weniger organisiert, weil weniger ideologisch ist.

Diese Auseinandersetzung geht gar nicht so leicht von der Hand, wie es aussieht. Beim Lesen der Zeitung und beim Schreiben der Pressezeit öffnen sich Wunden. Aber ich weiß, warum ich so entschieden habe. Ich weiß, warum ich nicht schweige. – Was mich heute beeindruckt hat, war ein Satz von Professor Glenn Paige aus Hawaii, dessen wichtiges Buch „Nonkilling Global Political Science“ ich mich gestern bereit erklärt habe ins Deutsche zu übersetzen, nachdem ich mit Schrecken gehört hatte, dass frühere Initiativen im Sande verlaufen sind. Dabei ist es schon in fünfzehn Sprachen übersetzt. Glenn schrieb in einem bestimmten Zusammenhang: „One might say that the Israelis in general are more afraid of Palestinians than vice versa. (Neither of course are monoliths).“ Ich werde diesen Satz im Verlauf der Pressezeit noch brauchen. Für heute soll es genug sein.


- Task Force -

(14.04.2008) Am Wochenende war ich in Konstanz, Freunde besuchen. Der Bahnhof liegt fast direkt am Wasser. Als ich mit Annette und dem kleinen Joel am Bodensee spazierte, sahen wir eine Gruppenführung. Der Mann sprach gerade über die 108 am 20. Oktober 1940 deportierten Konstanzer Juden. Ich erzählte Annette, dass ich Rolf Verlegers neues Buch „Israels Irrweg“ auf der Fahrt fast durchgelesen hatte und dass es bemerkenswert sei. Ich werde es in Kürze besprechen und dabei vorschlagen, es ins Arabische zu übersetzen, denn mit diesem Buch können Araber den Bezug zwischen Europa und Nahost verstehen. Auch die Jüdische Zeitung kommt in dem Buch vor, so sieht man sich wieder. Aber davon später mehr.

Heute möchte ich über den Artikel „Mit ganz kleinen Schritten. Besuch im Deutschland-Büro der 'Holocaust Task Force'“ von Thomas Klatt schreiben (S.4). Es geht darin um die „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research (ITF)“, siehe auch www.holocausttaskforce.org. Weil es immer weniger Zeitzeugen des Genozids an den Juden gebe und weil „in den meisten Staaten die Holocaust-Gedenkkultur noch relativ jung“ sei, gibt es nun diese „sachlich orientierte Holocaust-Pädagogik“. Der Fokus liegt auf dem Aspekt der Geschichtsvermittlung.

Bemerkenswert an dem Artikel ist, dass er die politische Dimension einer solchen Initiative gänzlich unbeachtet lässt. Wird von der israelischen Regierung nicht immer wieder der Judenmord als Rechtfertigung für Menschenrechtsverletzungen verwendet? Es steht außer Frage, dass in der politischen Instrumentalisierung des Genozids eine Gefahr besteht. Mitglied beim ITF ist das „Zentrum für Antisemitismusforschung“ der Berliner TU, deren Betreiber Micha Brumlik und Wolfgang Benz mir schon mehrfach als Agitatoren über den Weg gelaufen sind. Hüter der heiligen Keule ... In dem Artikel wird auch die unsägliche OSZE-Antisemitismus-Konferenz 2004 in Berlin genannt („bahnbrechend“), in der Juden über alle anderen Menschen gestellt wurden, indem Rassismus gegen sie als etwas Besonderes hingestellt wird. Ein Dogma. Es darf wohl angenommen werden, dass die JZ-Redaktion weiß, dass „Holocaust“ und „Antisemitismus“ ideologisch benutzt werden. Dass jeglicher Hinweis auf diese Problematik fehlt, untermauert meine Eingangsthese des dogmatischen Rahmens.

Freiheit ist etwas anderes. Demokratie nach meinem Verständnis auch. Übrigens habe ich in dieser Ausgabe auch Frau Linde-Lembke wieder getroffen. Sie schreibt Artikel in der JZ. Und sie fotografiert. Auf Seite 28 erzählt sie von Norderstedt: „Auch in Deutschland wird der 60. Geburtstag Israels begangen – auch in Norderstedt.“ Der Kulturträger „Chaverim“ will demnach „dafür Sorge tragen, dass sich Deutschlands dunkelstes Kapitel, der Holocaust, nicht wiederholen kann.“ Anscheinend herrscht da die Meinung vor, es bestehe eine solche Gefahr. Ich halte das für übertrieben. Es gibt in Norderstedt auch eine Romanvorstellung im Rahmen der Feierlichkeiten, wo es um die Auswirkungen eines Bomben-Attentats auf einen Bus in Tel Aviv geht. Das geht in die Richtung von Kraiems „Sechzehn Verletzte“, was in Kiel aufgeführt wurde. Da wimmelt es von guten Juden und bösen Palästinensern, die auch menschlich sind, aber Verbrecher. Das ist ein nettes Spiel von Deutschen und Juden: Hier seht, die Palästinenser sind die wahren Nazis etc.

Herr Platzeck spielt da auch mit, da ist ein Interview mit ihm auf Seite 5, aber davon erzähle ich beim nächsten Mal.


- Existenzrecht -

(16.04.2008) Hier ist wieder der Mellow Goy. Was war nun mit Ministerpräsident Platzeck? Er hat den Heiligen Eid gesprochen: „njhfhrvntg dass für Brandenburg wie für alle anderen deutschen Länder das Existenzrecht Israels konstitutiv ist.“ Was mich daran stört? Das Wort „Existenzrecht“. Es ist eine Chiffre für: Ihr könnt töten, wie ihr wollt. Es kaschiert die Besatzung, relativiert die Enteignung und Vertreibung, auch den Libanonkrieg, es ist ein Signalwort. Es gibt dieses Wort nur für diesen Staat, kein Mensch schert sich um das Existenzrecht von anderen. Es ist völkerrechtlich und in den Menschenrechten tief verankert, deshalb ist es sinnlos, es immer wieder als Argument heranzuziehen. Es ist ein philosemitisches Signalwort.

Das ist aber nicht das Ärgerliche. Es ist nur die Routine des Sich-Unterordnens, unter den Zionismus und die israelische Staatsräson. So wie die obligatorische Yad-Vashem-Nummer. Von wegen Gedenken an die Toten. Die sind doch längst von Israel entmündigt worden! Jeden Tag in Gaza und der Westbank wird der Holocaust relativiert! Man sagt den Hitlertoten: Euch ist Unrecht widerfahren, denn Ihr wart Juden. Nein, Menschen waren es! Der Mensch kommt vor dem Juden!

Das wirklich Ärgerliche an Herrn Platzeck ist, dass er Bewässerungstechnik an die Israelis verkaufen will, ohne sich entfernt daran zu stören, dass er es mit geklautem Wasser zu tun hat. Ach, ihr habt den Palästinensern das Wasser abgegraben? Ja, dann zeig ich euch mal, wie ihr es am sparsamsten einsetzen könnt. Kostet auch nicht viel. – Ist das schön?

Und was sagt er politisch, außer Existenzrecht? „Der Friedensprozess ist in eine schwierige Phase gekommen.“ Oh! Was für eine brilliante Analyse. Natürlich hat Herr Platzeck auch „palästinensische Gesprächspartner“ (die nicht wissen, dass „Existenzrecht“ eine Chiffre ist) und er unterstützt die „Hope Flowers School“ in Bethlehem, wo „Demokratieverständnis, friedlicher und toleranter Umgang gelehrt und gelebt werden“. Von den zurückgebliebenen Eingeborenen, hat er vergessen. Den Israelis braucht man ja die Demokratie nicht zu erklären. Die wissen schon alles.

„Blumen der Hoffnung allerorten“ heißt dieses von Eik Dödtmann gemachte Interview zu allem Überfluss und man weiß nicht, ob es zynisch oder nur sarkastisch gemeint ist. Auf jeden Fall gemalt. Überdreht, so wie Gil Yaron auf Seite 1: „Man habe ein neues Kapitel in den deutsch-israelischen Beziehungen begonnen, sagte Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Israel-Besuch vom 16. bis 18. März, und trifft damit den Nagel auf den Kopf.“ Nagel auf den Kopf, was für ein neues Kapitel? Das ist Gefühlsduselei und kein Journalismus.

Genug davon! Kommen wir zu etwas Entspannterem. Die „Nur-für-Arier“-Glasbank in Dresden sorgt für Aufregung auf der unteren Hälfte derselben Seite. Da hat eine Frau Marion Kahnemann mehrere solcher Bänke mit Aufschrift hergestellt und möchte sie im Park ausstellen. Mit Begleittext. Das ist eine interessante Geschichte. Die Stadt hat es nicht genehmigt wegen anzunehmendem Vandalismus und weil ein Park ein Ort der Entspannung sein soll und nicht der Politik. Die Künstlerin aber rechnet sowieso damit, dass die Bänke zerkratzt werden und sagt, dass dann die Schrift „Nur für Arier“ noch deutlicher wird.

Schamanisch gesehen ist die Parkbank-Idee grundfalsch. Man macht keine Bilder von Dingen, die man nicht haben möchte. Man malt den Teufel nicht an die Wand. Welche Freude wird ein tatsächlicher Judenhasser haben, wenn er diese Bank sieht. Oh, wie schön! Er wird sich draufsetzen und sich ins Fäustchen lachen. Es könnte ein neuer Arierkult entstehen mit Jugendlichen, die es cool finden, auf der Arierbank abzuhängen, die von einer Jüdin gemacht wurde. Hier zeigt sich der Übergang zwischen Erinnerungskult und Trauma, dem Verharren im Trauma. Dem destruktiven Verharren im Trauma.

Unten auf der Seite ist noch eine Werbung vom Jüdischen Nationalfond e.V., der dazu aufruft, sein Testament „zugunsten Israels“ zu machen, um „die Zukunft des Landes zu sichern“. Steht sonst nichts dabei, außer, dass die gern auch Hausbesuche machen. Wahrscheinlich brauchen sie das Geld für die Mauer, die ist ja superteuer. Und die ganzen Checkpoints. Oder die Siedlungen. „Sichern“ bedeutet in Israel normalerweise Gewalt. Empirisch gesehen. Nicht, wenn man ein verklärtes Bild von diesem Staat hat, natürlich. Angesichts der Ausmaße ist allerdings ein solches verklärtes Bild weder nützlich noch akzeptabel.


- Was gut war -

(17.04.2008) Liebe Mellow-Goy-Leser, heute schreibe ich darüber, was ich besonders gut fand an der April-Ausgabe 2008 der Jüdischen Zeitung. Zuvor aber die ersten Sätze des heutigen Rundbriefs von Dr. Mazin Qumsiyeh http://qumsiyeh.org in den USA, der die Stimmung unter Palästinensern und unter Menschenrechtlern sehr gut widerspiegelt. Ich rezensierte sein herausragendes Buch Das Land von Kanaan miteinander teilen vor drei Jahren. Mazin schreibt (heute, nicht vor 100 Jahren, nicht auf einem fernen Planeten):

„In the past 24 hours, Israeli occupation forces massacred 21 Palestinians including six children and a cameraman for Reuters. In the same period Israeli forces also attacked and damaged El Wafa Medical Rehabilitation Hospital and the damage does cause conditions that endanger lives (e.g. damaging power and essential medical equipement that cannot be replaced due to the siege). Patients denied access to medical care are still dying in Gaza due to the brutal siege. Abu Mazen and others who are trying to please the Israeli government (the 800 pound Gorilla in the room) continue to claim that the fault lies with Hamas for the concentration-camp-like of the Gaza strip. But creating a concentration camp with occasional runs by US-supplied weapons to kill civilians and destroy essential infrastructure is a war crime and a crime against humanity and there are no excuses per international law.“

Was ist also gut an der JZ-Ausgabe, die ich inzwischen vollständig gelesen habe? Zunächst einmal fehlen die polemischen Seitenhiebe, von denen ich einige in der vorigen Ausgabe aufgezählt hatte, auf arabische und muslimische Staaten. Kein „... die uns bekanntlich hassen“. Und dann ist da dieser ganzseitige Artikel auf Seite 18: „Vom Teilungsplan bis zur Unabhängigkeit“ von Miriam E. Fried und Theodor Joseph. Es ist der zweite Teil der Serie „Geschichte und Entstehung Israels“. Ich möchte hier nicht die Details referieren oder gar analysieren, nur meinen Blutdruck. Er blieb ruhig. Das ist kein ideologischer Artikel. Keiner von dieser Sorte, die man ja auch kennt. Und das, obwohl es um 1947/48 geht. Den ersten Teil kenne ich nicht, vielleicht hätte ich mit dem mehr Schwierigkeiten. Könnte sein. Wie Rolf Verleger in seinem aktuellen Buch betont, war der Hauptkrachpunkt bereits vor dem ersten Weltkrieg angelegt. Nicht von Herzl, aber von den ersten Siedlern, die es eben grosso modo nicht vermochten, sich einzuordnen in ihre neue Umgebung, mit zweifellos heroischen Ausnahmen.

Mich erstaunt das. Ich hatte erst gedacht, bei diesem Artikel kotzen zu müssen. Immerhin geht es hier um die Primärgeschichte, um Ursachen und Fundamente. Außerdem habe ich mir viele Gedanken gemacht über Verständigung und bin zu dem Schluss gekommen, dass das Schulbuchprojekt zwischen Frankreich und Deutschland global anwendbar ist und zum Frieden führt. Die Idee ist, dass die Länder die historischen Beziehungen zwischeneneinander zweisprachig aufgeschrieben und in die Schulen gebracht haben. Anfang 2003 schrieb ich dazu den Artikel „Das Schulbuch-Projekt“.

Dann ist da noch ein ganz guter Beitrag über Islamunterricht auf Seite 4 oben, von Georg Klein und Anne Harnadt, inklusive Interview mit Ali Kizilkaya, Vorstand des deutschen Islamrats. Man merkt schon, dass sich die Jüdische Zeitung für andere interessiert und auch, dass sie von anderen wahrgenommen werden möchte. Auch Prinz Hassan von Jordanien mit seinem Geiger-Preis wird schon zum zweiten Mal gefeatured, mit Farbfotos und allem. Jordaniens Rolle zu Israel ist neblig. Es gibt alle möglichen Abkommen und so weiter, aber der Prinz ist auch nicht gefühlskalt. Er kennt die Stimmung unter Palästinensern und unter Menschenrechtlern. Es ist in Jordanien nicht so deutlich wie bei der ägyptischen Regierung, die derzeit 1,3 Milliarden Dollar jährlich an Schweigegeld von den USA bekommt. Ich glaube nicht, dass sie das nötig haben, die Ägypter, aber das ist eine andere Frage.

Gar nicht schlecht ist auch Sonja Gallers Beitrag „Die unsichtbaren Fäden der kollektiven Erinnerung. Die Ausstellung '60 Jahre Pressefotografie aus Israel' im Berliner Willy-Brandt-Haus“ (S. 27, oben). Das große, berühmte Schwarz-Weiß-Foto von einer Gruppe israelischer Soldaten vor der Klagemauer am 7. Juni 1967 beherrscht die Seite. Ehrfurcht und Schicksal stehen ihnen in den Augen, der eine hat den Helm abgenommen – wie ein Gebet. Der Artikel hingegen ist kritisch, im Sinne von aufgeklärt. Ich betone das, weil es sonst heißt: Ja, das ist gegen Israel, das findet Anis dann gut. Quatsch! Israel ist mir so wichtig nicht, es geht um Aufklärung und Humanität. Frau Gallers schreibt über die Pressefotografie: „Sie dokumentiert nie einfach nur Tatsachen, sondern erschuf Augenblicke, rückte Situationen ins Bewusstsein, klammerte gleichzeitig aber auch aus und lenkte so den Zugang zur eigenen Geschichte.“ Bei der Beschreibung des Fotos mit den Soldaten an der Klagemauer schreibt sie im Anschluss an die Bildbeschreibung: „Auf dem Foto nicht zu sehen ist das palästinensische Mughrabi-Viertel, das zu dem Zeitpunkt noch dicht an die Mauer heranreichte und später abgerissen wurde.“ Ja, das ist ehrlich, Frau Gallers, und Dank dafür. Wir können die Geschichte nur dann wieder zu einem Strang bringen, wenn alles auf den Fotos zu sehen ist.


- Merkel, Ratzinger und Zeruya -

(19.04.2008) Das mit dem Mellow Goy ist übrigens nicht meine Erfindung. Der Begriff kommt von Gilad Atzmon, einem berühmten Jazz-Saxophonisten und ex-Juden aus London. Er hat Herbie Hancocks Instrumental-Klassiker „Watermelon Man“ (eines meiner Lieblingsstücke überhaupt) zu „What a Mellow Goy“ umgedichtet, auf der CD Artie Fishel and the Promised Band. Das Stück geht ganz gut ab und ich höre es manchmal vom mp3-Player.

Ich wollte noch etwas zu unserer Bundeskanzlerin sagen. Natürlich ist ein langer Artikel über ihre Knesset-Rede in der Ausgabe und man kann sich vorstellen, was darin steht. Gestern habe ich sie in den Radionachrichten gehört, da hat sie mal wieder über die Menschenrechte schwadroniert. Es ist eines ihrer Lieblingsthemen, aber das macht es nicht besser. Ich frage mich, wie Frau Merkel das in ihrem Kopf macht, dass sie die eklatanten Menschenrechtsverletzungen ihrer Verbündeten so ganz ausblendet. Glaubwürdigkeit ist etwas anderes. Der sympathische Satiriker Urban Priol (Neues aus der Anstalt) hat sie ja mal „Die Doppelzunge aus der Uckermark“ genannt, habe ich auf Google Video gesehen. Auf mich wirkt die Kanzlerin kalt, wie eine Maschine – eine Westbindungsmaschine.

Um den Papst geht es im diesmaligen Leitartikel und seinen Wunsch, das Judentum zum Katholizismus zu missionieren. Zumindest jedenfalls Ärger zu machen. Darin ist dieser Papst anscheinend unfehlbar gut. Mit den Muslimen hat er es sich schon versaut, mit den Protestanten im Grunde auch, Donnerwetter, das ist eine Leistung in der kurzen Zeit! Die Zeitungen gestern waren voll mit PR-Fotos Ratzingers aus USA bei dem Großen (Kriegsverbrecher) George Bush.

Auf der letzten Seite treffe ich die Schriftstellerin Zeruya Shalev. Sie hatte in dieser Woche Geburtstag und auf Seite 32 geht es um Juden, die im April Geburtstag haben. Zeruya Shalev ist eine meiner Ansicht nach typische israelische Stimme. Ihre Romane habe ich nicht gelesen, ich kenne sie nur von ihren politischen Statements. Sie kommen so harmlos und menschlich daher und tragen doch einiges an Zunder in sich. „Während des Libanonkrieges im Jahre 2006 bezeichnete sie das Vorgehen der israelischen Armee als ein 'riesiges moralisches Dilemma'. Sie befürworte nicht jeden einzelnen Schritt der israelischen Regierung, aber prinzipiell befürworte sie, dass die Regierung ihr Volk schützt. 'Es ist schwierig, Pazifist zu sein, wenn dein Leben in Gefahr ist und jemand dich töten will.'“

Da ist es wieder, das Argument der Gewalt: der Feind. Er ist die existenzielle Bedrohung. (Wie damals Hitler.) Er will uns töten. Er hasst uns. – Aber wie, gibt es diesen Feind vielleicht nicht? Shalev war selbst Opfer eines palästinensischen Bus-Anschlags in Jerusalem 2004. Oder ist es vielleicht doch ganz anders? Könnte man es auch so sehen, dass die israelische Gesellschaft die palästinensische derart unter Druck setzt, dass der Druck Terrorakte hervorbringt, so falsch und traurig sie auch sind? Könnte es sein, dass die israelische Gesellschaft diesen Feind unverzichtbar für die eigene Identität braucht? Um ihre Existenz in Gefahr zu sehen trotz aller Waffen? Um die unverdaute Hitler-Story wieder und wieder durchzumachen? Um dem Status des ewigen Super-Opfers gerecht zu werden? – Was damals geschehen ist, kann aber nicht über den Umweg der Palästinenser, Araber und Muslime ungeschehen gemacht werden. Es funktioniert nicht. Sie eignen sich auch nicht wirklich als Spiegel für die damaligen Ereignisse, da sie aus einer ganz anderen Tradition kommen. Viele Jahrhunderte lang haben in Palästina Muslime, Christen und Juden zusammengelebt und niemals hat es etwas entfernt Katastrophales für das Land gegeben wie das, was einige Jahre vor der Balfour-Erklärung kam und bis heute blieb.

Es ist schwierig, Pazifist zu sein, wenn jemand dich töten will. Das ist plausibel, menschlich, und es öffnet der Gewalt Tür und Tor.


- Zochrot -

(22.04.2008) Gestern Nacht habe ich etwas Seltsames geträumt: Ich sitze auf dieser Parkbank „Nur für Arier“ und neben mir Marion Kahnemann, die mir etwas erklären möchte, das ich nicht verstehen kann, weil die Vögel dazwischenzwitschern. Plötzlich hebt die Bank mit uns ab und fliegt davon. Ich sehe unter mir den Rhein, wie er in Konstanz in den Bodensee übergeht und weiter fliegen wir, immer weiter. Wo will diese Bank mit uns hin? Das Mittelmeer lassen wir hinter uns und bewegen uns auf Palästina/Israel zu.

Eine wohlriechende Fee fliegt heran und setzt sich zwischen uns. Sie stellt sich uns als Zochrot vor und zeigt auf Wälder und verlassene Orte unter uns. „Hier haben früher Menschen gewohnt“, sagt sie. Sie zeigt auf Grundstücke: „Die haben früher anderen Menschen gehört. Sie sind vertrieben und enteignet worden, weil sie keine Juden waren.“ Wir überfliegen Straßen, die zu Siedlungen führen. „Diese Straßen sind nur für Juden“, sagt Zochrot. Wir schweben auf Jerusalem zu und die Bank senkt sich unter dem Staunen der Menge auf die Stufen beim Damaskustor, direkt am Tor zur Altstadt.

Alle mustern die gläserne Bank und fragen nach dem Sinn der Aufschrift. Ich übersetze: „Lil-aariyiin faqat“. Einige der Araber kichern. So etwas Seltsames haben sie noch nicht gesehen. Plötzlich steht rechts von mir Khaled vom „Arabischen Institut für Holocaustforschung und -Aufklärung“ mit einem Megafon. Er weiß, was diese Bank bedeuten soll und will es den Leuten erklären. Ich schaue zu Frau Kahnemann, aber sie ist nicht mehr da. Ein israelischer Soldat mit Maschinengewehr tritt heran und ich wache auf.

Wenn das kein Einsatz ist! Sogar im Schlaf arbeite ich an der Pressezeit. Vom morgigen Mittwoch bis Montag werde ich in Berlin sein, wo ich unter anderem Hedy Epstein treffen werde. Davon erzähle ich bestimmt. Am Donnerstag um 20 Uhr ist die Premiere von „Der Sprung“ in Anwesenheit von Hedy im Theater Engelbrot (Alt-Moabit 48). Regie: Ahmed Shah, Cigir Oezurt. Es spielen die Jugendlichen der Jugendtheaterwerkstatt Moabit. Inspiriert von dem Buch der Holocaust-Überlebenden Hedy Epstein „Erinnern ist nicht genug“ fragen Jugendliche aus Moabit nach dem Zustand von Menschen und Kinderrechten in Krisengebieten. Es entwickelt sich eine surreale Reise von Moabit hinein in die Welt und wieder zurück.

Für die Pressezeit ist derweil Pause. Es sind noch einige Artikel in der aktuellen „Jüdischen Zeitung“ zu besprechen und es gibt noch viel zu sagen. Später. Eines möchte ich aber vor meiner Abreise noch erwähnen: Ich habe in einem Email-Austausch sehr positive Erfahrungen mit jemandem aus der Redaktion der JZ gemacht. Da scheint es Leute zu geben, die zuhören können. Und wollen. Davor habe ich großen Respekt.


- „Antisemitismus“ & Co. -

(04.05.2008) Nun muss ich mich aber ranhalten, denn die nächste Ausgabe der Jüdischen Zeitung kommt heraus, vielleicht ist sie es schon. Zunächst einmal Berlin: Es waren erfüllte Tage mit Hedy und Greta und anderen. Das Theaterstück war sehr imposant, auch ausverkauft, und die Schauspieler haben Großes geleistet. Es ging in dem Stück um eine Gruppe Jugendlicher in Moabit, von denen jeder aus unterschiedlichen Gründen sein oder ihr Leben beenden wollte. Sie treffen aufeinander und erzählen sich ihre Geschichten. Auch eine junge Hedy ist dabei, sie führt die anderen in ihrer Geschichte nach Deutschland in der Nazizeit. Am Ende reist die Gruppe nach Jenin und trifft dort auf Arna und ihre Kinder, eine weitere Theatergruppe. Im Publikum war auch ein Abgeordneter der SPD, ich konnte kurz mit ihm sprechen.

Welche Artikel wollte ich nun noch besprechen? Gehen wir am besten die Zeitung noch mal ganz durch: Auf Seite 3 ist ein Interview von Eik Dödtmann mit dem Titel: „'Deutschland kann mehr tun als bisher'. Fragen an den Historiker Mosche Zimmermann zum Merkel-Besuch.“ Mit Professor Zimmermann saß ich schon mal auf einer Bühne, 2005 bei einem Symposion im Düsseldorfer museum kunst palast. „Deutschland, Israel und Palästina: Geschichte und Gegenwart kollektiver Verdrängung“ hieß das Symposium. Ich erinnere mich noch, wie Herr Zimmermann nach meinem Vortrag über den Antisemitismus-Vorwurf und die Nahostproblematik mir öffentlich zustimmte und sagte, es gäbe von seiner Seite aus nichts, was er nicht unterschreiben könnte. Der Veranstalter, Professor Dreßen, hingegen fand, dass meine Aussage, es gebe heutzutage keinen Antisemitismus in dem Sinne mehr, zu weit gehe. (Ansonsten war er sehr zufrieden, er hatte mich ja auch eingeladen.) Das fand ich bemerkenswert. Mir scheint, hier liegt einer der wesentlichen Gründe dafür, warum es im Nahostkonflikt nicht weitergeht: das Dogma, nach dem Juden bis heute verfolgt werden, weil sie Juden sind. Ich halte das für einen Ausdruck des Traumas, nicht für eine sachliche Analyse.

Das Interview auf Seite 3 ist als Ausgleich gedacht für den Merkel-Freudenartikel derselben Seite oben. Mich wunderte die Gelassenheit Zimmermanns in diesem Gespräch. Er äußert sich darin kaum über die Zustände in Israel. Zwar spricht er von einer „Siedlungs- und Vergeltungspolitik“ Israels, aber man bekommt nicht den Eindruck, dass es ein Pulverfass ist, ein eskalierender Weg der Gewalt. Da ist nichts Dringliches, nichts Grundsätzliches in seiner Rede. Allerdings spricht er vom „schiziphrenen Charakter der israelischen Gesellschaft – die Vergangenheit ist omnipräsent und wird als raison d'etat instrumentalisiert, während man eine davon unabhängige, pragmatische Gegenwartspolitik betreibt, als hätte es diese spezifische Vergangenheit nicht gegeben.“ Enttäuschend sein Kommentar zu möglichen deutschen Beiträgen: Deutschland solle zwischen Israel und Syrien vermitteln, meint er, und verweist auch noch auf die deutschen Soldaten, die derzeit Israels Interessen vor der Küste des Libanon wahrnehmen. Wie stellt Herr Zimmermann sich das vor? Was gibt es da zu vermitteln? Deutschland hat sich durch den Zweiten Weltkrieg eine ganz andere Aufgabe zugeteilt, nämlich die Wahrung der Menschenrechte, und genau vor dieser Aufgabe drücken wir uns, weil wir offenbar immer noch nicht begriffen haben, wie schlimm Rassismus und autoritäre Gewaltpolitik sind und werden können. Wir brauchen Menschen wie Professor Zimmermann, um diesen Punkt klar zu machen. Bedauerlich, dass er die Gelegenheit nicht wahrgenommen hat.

Auf Seite 7 ist ein lustiger Artikel von Philipp Holtmann, „Nahostquartett driftet auseinander“. Darin wird die Totgeburt des Nahostquartetts so besprochen, als könne man sie ernst nehmen. Seite 8 hat einen ganzseitigen Bericht über „Die siebente Million“ (auch von Philipp Holtmann). Es geht darum, wie Holocaust-Überlebende in Israel behandelt wurden und werden. Hier sind Ansatzpunkte für wichtige Diskussionen. Eine Fütterung des Iran- und des Araber-Feindbildes findet man auf Seite 9, in Christoph Kastens und Alon Kawrans „'Wir gelten als glaubwürdig'. 50 Jahre persischsprachiges Radio in Israel – für Hörer im Iran“. Iranische Israelfreunde kommen hier zu Wort und es wird zementiert, dass Ahmadinedschad „antisemitische Äußerungen“ von sich gebe und „Vernichtungsabsichten gegenüber Israel“ pflege. Zwar ist es unnötig, Sympathien für den konservativen und rückschrittlichen iranischen Präsidenten zu entwickeln, die hier beteuerten Anschuldigungen jedoch sind gängige westliche Propaganda, die zum Teil aus mutwilligen Übersetzungsfehlern besteht und zum Teil aus suggestiven Kampfbegriffen aus der Nazizeit („Antisemitismus“). In dem Artikel sagt der zionistische iranischstämmige Radiomacher Menashe Amir („Radio Israel“) über seine Hörer: „Einige meinen, Israel sollte sich auf keine Friedensverträge mit den Arabern einlassen, da man ihnen nicht trauen könne.“ Zack, kriegen die Araber kollektiv einen über den Kopf. So geht das.

Der Bericht über Israel als Ehrengast bei der französischen Buchmesse (S. 11, Brigitte Zinniel, Paris) gibt Einblick in die Außenwahrnehmung Israels. Man merkt stark, wie sehr die Ablehnung des Staates Israels mit der Ablehnung alles Jüdischen identifiziert wird, obwohl dies zwei ganz unterschiedliche Sachen sind. Es hat Staaten gegeben, die sich dagegen ausgesprochen haben, dass ein Staat, der die Rechte anderer derart eklatant verletzt, Ehrengast bei einer Buchmesse wird. Der Bericht endet mit den Worten: „Was allerdings die Haltungen, Meinungen und Drohungen mancher Vertreter einiger arabischer Länder, der Boykotteure und der Islamkonferenz angeht, muss man erneut und ernsthaft die Frage stellen, ob sie jemals zu einem Frieden im Nahen Osten beitragen können und wollen.“ Prämisse bei diesem Gedanken ist die Wahnvorstellung, nach der das politische Agieren des Staates Israel zu rechtfertigen ist.

Der schlimmste Artikel des Monats steht auf Seite 12. Er ist kurz und ein Redaktionsbeitrag der JZ. Titel: „UNO-Konflikt“. Als ich den gelesen hatte, wurde ich richtig wütend. Er ist beispielhaft für eine bestimmte Denkweise, die ich zutieft ablehne. Ich muss ihn hier in Gänze zeigen, um das zu verdeutlichen. Die Druckfehler lasse ich dabei aus: „Die UNO-Hochkomissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, erinnerte Israel erneut an seine 'völkerrechtliche Pflicht als Besatzungsmacht, die Bevölkerung im Gazastreifen zu schützen'. Der UNO-Menschenrechtsrat hat Israels diesbezügliches Verhalten scharf verurteilt – sogar von 'Kriegsverbrechen' ist in einem jüngsten UNO-Papier die Rede. Diese öffentliche Verurteilung Israels wirft Schatten auf die UNO-Konferenz gegen Rassismus 2009: Nachdem eine erste Konferenz dieser Art 2001 in Durban von antisemitischen und antiisraelischen Hasstiraden geprägt worden war, scheint der Konflikt im Vorfeld der Folgekonferenz von Durban unausweichlich. Die 'Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus' veröffentlichte daher ein Manifest, das den UNO-Menschenrechtsrat in aller Schärfe anprangert, unterzeichnet unter anderem von Elie Wiesel, Alain Finkielkraut oder Claude Lanzmann. Fragwürdig ist vor allem, dass die Konferenz unter dem Vorsitz der Vertreter Libyens stehen und das Vizepräsidium aus Iranern und Kubanern gebildet werden soll. Israel und Kanada haben ihre Teilnahme unter diesen Umständen bereits abgesagt.“

In Reinkultur haben wir hier das Dogma vom guten Israel vor uns. Es ist egal, was Israel tut, es darf niemals und von niemandem verurteilt werden. Man beachte, wie das Thema der „völkerrechtlichen Pflicht als Besatzungsmacht“ nur einmal genannt, aber nicht darauf eingegangen wird wegen der absurden Vorstellung, Israel stünde außerhalb bzw. oberhalb des Rechts. Auch Israels offensichtliche Kriegsverbrechen dürfen so nicht genannt werden, auch wenn sie für jeden sichtbar sind. Durban war ein schwerer Rückschlag für die Menschenrechte, weil angebliche Judenrechte genannt wurden, die angeblich höher stehen. Dass eine sich als liberal verstehende Zeitung so etwas druckt und sogar selbst schreibt, ist ein starkes Stück. Es zeugt von Desorientierung und Werterelativismus.

Springen wir zur Seite 25. Dort ist ein Artikel von Moritz Reininghaus über die derzeitige Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin über Klischees von „Juden und anderen“. Als ich in Berlin war, wäre ich fast hingegangen. Greta wollte unbedingt das Mauermuseum am Checkpoint Charlie besuchen und so gingen Hedy und ich mit ihr dort hin. Ich sah ein Straßenschild zum Jüdischen Museum, es musste gleich um die Ecke sein. Auch das taz-Gebäude liegt dort. Jedenfalls war ich nach dem Mauermuseum zu müde, um noch ein Museum zu besuchen. Ich hatte über die besagte Ausstellung bereits einen Radiobericht gehört, den ich sehr interessant fand, weil ich mich fragte, wie darin mit dem Feindbild Islam, Araber und Palästinenser umgegangen wird. Im Radiobericht wurden, so weit ich mich erinnere, Schwarze und Sinti und Roma genannt. Reininghaus kritisiert die Klischee-Ausstellung, weil sie nichts Neues sage. Er ist mehr daran interessiert, „wie klassische judenfeindliche Klischees in die Gegenwart transformiert werden.“ Womit wir wieder beim Dogma wären. Herrje, überall stößt man an diese Dogmen, das ist schon störend. Erinnert mich an das Brettspiel Malefiz. Reininghaus erklärt: „Sehen wir nicht täglich in den Nachrichten, wie tradierte Judenbilder neu verpackt ins Wohnzimmer flimmern, wenn reiche Juden überall auf der Welt wieder einmal für Unfrieden sorgen? Vermuten wir nicht bei jedem, der irgendwie so aussieht, als könne er aus der arabischen Welt kommen, einen Sprengstoffgürtel unter dem Mantel?“ Letzteres ist in der Tat der Fall, aber ersteres? Welcher Nachrichtensender mag da gemeint sein? Ich kenne ihn nicht.

Interessant die Edgar-Hilsenrath-Biografie von Jan Schapira auf Seite 27. Der jüdische Schriftsteller Hilsenrath, der die Nazis überlebt hat, schreibt in seinem Debutroman „Nacht“ über einen um das Überleben kämpfenden Ghetto-Juden, „der beinahe alles dafür tun würde, weiterzuleben. Dazu zählt auch, im Sterben Liegenden die Schuhe zu nehmen und sich um einen Löffel Suppe zu prügeln. Zu viel Ehrlichkeit für die 60er Jahre in Deutschland.“ Sehr bemerkenswert, dass ein solches Buch zensiert wurde: „Der 'Kindler'-Redakteur und KZ-Überlebende Ernest Landau opponierte gegen den Roman und tat einiges für sein Scheitern. Er befürchtete, es könnte für weiteren Antisemitismus in Deutschland sorgen.“ Dies ist ein Paradebeispiel für die restriktiven Maßnahmen der Angst und dafür, wie Wahrheit geopfert wird, aus Sorge vor „Antisemitismus“. Der gleiche Mechanismus sorgt bis heute dafür, dass Nachrichten aus Israel stark gefiltert und verfälscht von unseren Frontalmedien weiterverbreitet werden.

So viel zur Aprilausgabe. Die Zeitung ist voll mit Material, ich konnte nicht auf jedes interessante Zitat eingehen.


Kapitel 2

- Neues von der deutschen Presse -

(05.05.2008) Heute habe ich eine neue Erfahrung gemacht. In der Mai-Ausgabe der Jüdischen Zeitung ist auf Seite 16 unter dem Titel „Chiffren und Dogmen. Zur März- und April-Ausgabe der 'Jüdischen Zeitung'“ etwa eine drittel Zeitungsseite lang aus dieser Pressezeit zitiert worden, speziell die Besprechungen von Shapiro, Papp, Halpert, Klatt, Platzeck, Dödtmann, Yaron, Kahnemann, Fried/Joseph und Gallers. In meiner langjährigen Erfahrung als freier Publizist ist mir eine solche Offenheit noch nicht begegnet. Und die haben das von sich aus gemacht. Sie haben vorher gefragt, ob sie Material aus der Pressezeit verwenden dürfen. Ein solches Verhalten ist völlig untypisch für eine deutsche Zeitung. Die taz ist zwar ebenfalls recht locker in dieser Hinsicht, aber nicht so. Das hier ist ein echter Präzedenzfall.


- Licht am Ende des Tunnels -

(12.05.2008) „Ein Lichtlein am Ende des Tunnels“ ist eine der berühmten JZ-Überschriften der Hoffnung. Dieses Mal kann ich es nachvollziehen. Es geht in dem Artikel von Philipp Holtmann (S. 7) um die aktuelle Situation im Nahen Osten und mögliche Gespräche Israels mit Syrien. Auch mit der Hamas sei ein Wandel denkbar. In diesem Zusammenhang sehe ich zwar nicht wirklich einen Hoffnungsschimmer, aber der Titel passt trotzdem. Ein langer erster Absatz nämlich erklärt den historischen Hintergrund des Konflikts, vor allem die Vertreibungen und Enteignungen seit den 40er Jahren. Dieser Zusammenhang zeigt, warum die 60-Jahr-Feier von einigen Leuten boykottiert wird, beziehungsweise warum das Jubiläum des zionistischen Staats nicht überall einen Grund zum Feiern darstellt.

A pro pos 60-Jahr-Feier: Im Mai, also jetzt, ist der Hauptmonat der Feierlichkeiten, weil Israel im Mai gegründet wurde. Bereits das diesmalige Titelfoto nimmt das Thema auf und bildet die Gesichter eines israelischen Soldaten und eines palästinensischen Demonstranten ab, die sich auf Augenhöhe gegenüberstehen. „60 Jahre Auge in Auge“ heißt der Titel dazu. Ich halte das für sinnvoll, denn der Kampf ist das vorherrschende Motiv der letzten sechzig Jahre. Auf Seite 2 kommen einige Stimmen zum Thema zu Wort, wie Micha Brumlik und Rolf Verleger. Herrn Brumlik habe ich bislang noch nicht verstanden. Zum einen habe ich einige Sachen von ihm gelesen, die mich abgestoßen haben, zum anderen solche, die interessant waren. Er scheint Palästinenser als Menschen akzeptieren zu können, ist aber als „Antisemiten“-Jäger zuweilen eine Gefahr. – Frau Knobloch schreibt auch dort: „Die jüdischen Tugenden der Mitmenschlichkeit und der Gleichberechtigung geben allen Menschen, die in Israel leben, die Möglichkeit zum friedlichen Miteinander. Es ist sehr zu hoffen, dass sich diejenigen, die bisher den Friedensprozess behindern, von der Gewalt abwenden.“ Wer mag damit wohl gemeint sein? Für Selbstkritik ist Frau Knobloch immerhin nicht berühmt. Meistens hört man von ihr, wenn sie israelische Staatsgewalt rechtfertigt. Dann Kate Katzenstein-Leiterer von der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“, die an die Vertreibungen erinnert. Gysi ist auch dabei, der hat ja kürzlich gesagt, Israel sei unsere Staatsräson. Das hat einige Linke verprellt. Herr Giordano spricht von seiner „unausrottbaren Sorge“, es ist ein Bouquet von Meinungen und Persönlichkeiten.

Interessant auch Seite 9, das Interview mit Efi Stenzler, dem Präsidenten des Jüdischen Nationalfonds, von Eik Dödtmann. Die Fragen sind zum Teil recht kritisch hinsichtlich Staatsgrenzen, der Wasserfrage und vor allem der Existenzberechtigung des Fonds. Herr Stenzler antwortet auf die meisten Fragen mit dem Satz: „Was die israelische Regierung vorgibt, danach richten wir uns.“ Der Top-Artikel des Monats steht auf Seite 27, Theodor Josephs „Kratzer an den Gründungsmythen. Tom Segevs '1949 – Die ersten Israelis' räumt mit Israels Geschichtsschreibung auf“. Segev ist einer der wichtigsten israelischen Historiker und er war der erste, der frühe Akten der Regierung einsehen konnte. Sein Buch löste einen Schock in Israel aus ... allerdings ist das über zwanzig Jahre her. Erst jetzt wird es auf Deutsch publiziert, lustigerweise im Siedler Verlag. Schön, dass der Segev-Artikel auf derselben Seite ist wie der Beitrag von Frau Linde-Lembke, denn dann wird sie ihn bestimmt sehen.


- Die Jüdische Zeitung -

(18.05.2008) Die Website der Jüdischen Zeitung ist www.j-zeit.de. Hier der Wikipedia-Eintrag, den es übrigens nicht auf Englisch oder Russisch gibt, aber auf Arabisch: „Die Jüdische Zeitung ist eine seit Herbst 2005 erscheinende Monatszeitung in deutscher Sprache. Sie ist die jüngste Veröffentlichung der Werner Media Group Berlin. Adressat der Monatsschrift ist einerseits die deutschsprachige jüdische Gemeinschaft sowie alle am Judentum und jüdischen Fragen Interessierten. Nach Selbstauskunft will die Zeitung den Prozess der Pluralisierung in der deutsch-jüdischen Gesellschaft aufmerksam, unabhängig und kritisch begleiten. Auch über für die jüdische Gemeinde relevante Vorgänge in ganz Europa, den USA und besonders aus Israel will die Jüdische Zeitung authentisch Bericht erstatten. Diese Zielvorgaben sollen ausser durch das Berliner Redaktionsteam von Korrespondenten im In- und Ausland, fachkompetenten Kommentatoren, Rezensenten, Feuilletonisten sowie Reportern und Fotojournalisten, die an der Publikation mitwirken, gewährleisten werden. Themenfelder: aktuell-politisches, religiöses (nicht nur jüdisches), gesellschaftliches, kulturelles und wirtschaftliches Geschehen in ganz Deutschland, Weltgeschehen und Diaspora, Tradition und Moderne, jüdische Gemeinschaft und zeitgenössisches Judentum, interreligiöser Dialog, Meinungen und Dispute zu aktuellen Fragen des Judentums und vielen allgemein-gesellschaftlich relevanten Themen, aktuelle jüdische Kunst und Kultur, Wissenschaft und Bildung im jüdischen Kontext, Geschichte des Judentums“

Der Verkaufspreis ist 2,20 Euro. Unter http://www.j-zeit.de/download/Mediadaten_JZ.pdf findet man zusätzlich folgende Informationen: „Seit 2002 erscheint die Monatszeitung Jevreyskaja Gazeta. Sie richtet sich mit einer Auflage von 39.000 Exemplaren an die russischsprachigen Juden in Deutschland und hat sich einen anerkannten und guten Ruf erarbeitet. Die Jüdische Zeitung in deutscher Sprache erscheint erstmals im Herbst 2005 und richtet sich in deutscher Sprache an die Juden in zweiter Generation. Sie wird auch von Politik- und Religionswissenschaftlern als wertvolles Medium geschätzt. Die Auflage des Monatstitels liegt bei 36.000 Zeitungen.“

Wichtig auch die journalistischen Richtlinien der Zeitung, die ich in einer Email von der JZ-Redaktion erhalten habe: „Keine polemischen, diffamierenden, verallgemeinernden, rassistischen oder andersartig verletzenden Aussagen gegenüber einer Person oder einer Gruppe von Menschen; sachliche und objektive Darstellung, die dem Leser eine freie Interpretation ermöglicht.“


- Ausgrenzung von Kritikern -

(25.05.08) Im redaktionellen Beitrag auf Seite 4, „Politischer Redakteur angegriffen“, wird gemeldet, dass „mehrere Vertreter jüdischer Organisationen“ die Entlassung von Ludwig Watzal fordern, Redakteur der Bundeszentrale für Politische Bildung. Er stelle Israel als „wild gewordene Kolonialmacht“ dar, die eine „ethnische Säuberung“ der Palästinenser durchführe. Die Zeitungen „Welt“ und Tagesspiegel werden genannt als Medien, die die Vorwürfe weitergetragen haben. Innenminister Schäuble sei informiert und das Innenministerium nehme das Anliegen „sehr ernst“.

Das Innenministerium ist nicht die einzige Instanz, die das sehr ernst nimmt. Ich kenne Ludwig Watzal seit einigen Jahren und habe keinerlei Verständnis für derartige Jagdaktionen. Ich habe nicht vergessen, wie es damals mit Jamal Karsli gelaufen ist und habe kürzlich mit ihm telefoniert.

Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Habe lange überlegt, wie ich darüber schreiben kann. Es kommen bei der Lektüre solcher Artikel Vergeltungsgefühle auf. Nicht, dass ich solchen Gefühlen automatisch nachgeben würde, aber es scheint mir relevant, darauf hinzuweisen, dass solche Jagden Reaktionen hervorrufen.

Da sollen Leute entlassen werden, wenn sie unangenehme Wahrheiten aussprechen. Entlassen von anderen Leuten, die auf Gewalt setzen. Dies sind unsere Realitäten. – Ich werde noch ein drittes Kapitel dieser Pressezeit schreiben, aber nicht, so lange ich diese Gefühle habe. Ich schätze, ich brauche ein zwei Monate.


Kapitel 3

- Wortbruch -

(06.06.2008) Wie mit der JZ-Redaktion besprochen ist mein Artikel über Hedy Epstein in der Juni-Ausgabe erschienen. Nicht nur das, sie haben auch meinen Kommentar wegen Ludwig gedruckt! Das ist erneut beeindruckend und besonders. Allerdings gibt es einen Haken: Entgegen klarer Verabredungen wurde mein Text verändert. Wir hatten klar abgemacht, dass Textänderungen nur nach Absprache erfolgen. Herr Dödtmann hatte mir nach Sichtung des Artikels zugesagt, dass nur an einer Stelle „Frau Hedy Epstein“ durch „Hedy Epstein“ ersetzt wird und das Wort „MultiplikatorInnen“ aus einem der Zitate umgewandelt wird.

Vergleichen wir aber den ersten Satz meines Artikels mit dem, was wirklich gedruckt wurde, sehen wir folgendes:
1. „Der 83-jährigen Frau in der ersten Reihe lief ein Schauer über den Rücken, als ihre Doppelgängerin die Bühne betrat.“
2. „Der 83-jährigen Jüdin, Ehrengast in der ersten Reihe, lief ein sichtlicher Schauer über den Rücken, als ihre Doppelgängerin die Bühne betrat.“

Aus der Frau haben die also eine Jüdin gemacht. Dabei wollte ich im ersten Satz nicht solche abstrakten Wörter haben, sie lenken nur von der beschriebenen Situation ab. Ob diese Frau nun Jüdin oder Vegetarierin ist, spielt hier keine Rolle. Dass sie Ehrengast war, interessiert hier auch nicht. Es geht nur um die Doppelgänger-Situation. Und warum hat die Redaktion aus dem Schauer einen sichtlichen Schauer gemacht und den Satz dadurch ein drittes Mal zerstört? Der Schauer war nicht mal sichtlich, denn es war dunkel im Saal.

Ist der zweite Satz besser oder der erste? Egal, es ist auf jeden Fall ein Wortbruch. Auch der Titel ist geändert und weitere Teile im Text. Mich erinnert dieses Verhalten an das eines Hundes, der überall dranpissen muss, um sein Revier zu markieren. Ich nehme an, dass es niemanden verwundern wird, dass ich keine weiteren Artikel für die JZ schreibe. Wenn mein Name irgendwo drunter steht, dann brauche ich die Kontrolle über den Text, das ist doch logisch.

Anscheinend ist diese Problematik in deutschen Redaktionen nicht relevant. Was sagt das über Journalisten aus, die ihr Geld mit Artikeln verdienen müssen? Sie sind gefügig. Sie lassen sich in ihre Texte pfuschen. Was sagt das über deutschen Journalismus aus? Genug. Ein Lob also auf das Internet, wo jeder seine Texte hinstellen kann ohne dass eitle Besserwisser an den Sätzen herumdoktorn und ohne dass die Autoren Vergewaltigungen über sich ergehen lassen müssen.


- Ein Ende mit Schrecken -

(17.06.2008) Nach dieser Geschichte hat sich das Thema JZ für mich erledigt. Ich bedaure das sehr und habe folgendes pessimistisches Gedicht zu dem Thema produziert: Was ist ein Journalist? Einer, der alles frisst? Der niemals was vermisst? Er wird ständig beschnitten, von klausulierten Dritten, klingt unterwürfig trist! Nein, du bleib, wie du bist. Werd bloß nicht Journalist!

Es gab einige Punkte, auf die ich noch zurückkommen wollte, aber nun ist es vorbei. Ein ander Mal an einer anderen Stelle. Tschüs!

... obliegt es jedem Redakteur, in seinem Arbeitsbereich über redaktionelle Eingriffe zu entscheiden. Das ist nichts Ungewöhnliches und Verdammenswertes ...

PS 2014: Ich bin für den Artikel mit dem Farbfoto nie bezahlt worden ...

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